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Full text of "„Es lebt noch eine Flamme“"

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»Es lebt noch eine Flamme« 


Rheinische 
Anarcho-Syndikalisten/-innen in der 
Weimarer Republik und im Faschismus 


von Ulrich Klan und Dieter Nelles 


Trotzdem-Verlag 
Grafenau-Döffingen 1990 


Impressum: 

Originalausgabe 

1. Auflage Oktober 1986 

2. überarbeitete Auflage April 1990 
TROTZDEM-VERLAG 
Postfach 1159 

7043 Grafenau-Döffmgen 

Satz: Trotzdem-Verlag 

Druck: Moosdruck, Leverkusen 
© Alle Rechte vorbehalten! 
ISBN: 3-922209-72-6 


Inhaltsverzeichnis 


Vorbemerkung 
Einleitung 


na 


nppunme 


Pape 


Kapitel 1 
Arbeiterbewegung von unten: 
Anarchismus und Syndikalismus 


Aus eigenen Wurzeln: 

Die Vorgeschichte des deutschen Anarcho-Syndikalismus 
Die Ideen des deutschen Anarcho-Syndikalismus 
Anarcho-Syndikalismus als proletarische Kulturbewegung 


Kapitel 2 
"Im Anfang war die Tat" 
- Anarchosyndikalisten in Aktion (1918-1923) 


Die deutsche Revolution 

Die Gründung der Freien Arbeiterunion (FAUD) 
Märzrevolution 1920 

Die Aktionen des Rechtsanwalts Lamp in Elberfeld 
Streiks und Erwerbslosenunruhen im Rheinland 


Kapitel 3 
Radikaler gewerkschaftlicher Tageskampf 
oder revolutionärer Propagandazirkel 


Kontroversen über Strategie und Taktik 

Die Diskussion über das Betriebsrätegesetz 

Die Organisation der FAUD 

Ursachen des Mitgliederrückgangs in der FAUD (AS) 


EN 
= 


S.13 


S. 38 


S.107 
S.116 
S.118 
S.123 


Kapitel 4 
Fisch ohne Wasser - die FAUD von 1924-1933 


. Die Orientierung auf gewerkschaftliche Tageskämpfe 

. Die Düsseldorfer Fliesenleger 

. Zur Agitation der FAUD im Rheinland 

. Die Anarcho-Syndikalisten im Kampf gegen den Faschismus 


POUND 


Kapitel 5 
Der Widerstand im Faschismus 


. Widerstand im Rheinland 
. Solidarität mit Spanien 
3. Speziell: Widerstand in Wuppertal 


N u 


Kapitel 6 
Syndikalistische Jugend - 


S.135 
S.144 
S.148 
S.158 


s.171 
S.176 
S.180 


zwischen ''Jugendautonomie' und Klassenkampf 


. Anarchistische Jugendliche in der Jugendbewegung 
. Die frühen rheinischen Jugendgruppen - 
Nacktkultur, Freidenkertum und revolutionärer Wissensdurst 
3. Die "Freie Schule" und die "Freiheitliche Kindergruppe" 
4. "Junge Anarchisten" - 
die syndikalistische, anarchistische Jugend ab 1925 


N m 


Kapitel 7 
"Sozialistisches Neuland'' 


Die Düsseldorfer Siedlung "Freie Erde" 


5.189 


S.191 
S.218 


S.234 


S.268 


Kapitel 8 
'"'Sind anarchistische Frauenbünde notwendig?" 
oder ''Wie weiblich ist die Anarchie?'' 


1. Frauen in der Männerbewegung S.289 

2. Der "syndikalistische Frauenbund" S.299 

3. Freie Liebe S.310 
Kapitel 9 


"'"Mit Gesang die Welt stürmen" 
... die literarischen und musikalischen Initiativen 
im Rheinland 


I. Die Düsseldorfer "Schöpfung - Tageszeitung und 
Sozialrevolutionäres Organ für ein sozialistisches Neuland" S.317 


2. Anarchistische Kunstauffassungen S.318 
3. Die Freie Sänger-Gemeinschaft S.321 
Kapitel 10 
Zur sozialen Basis der FAUD 5.338 
Nachwort S.356 
Kurzportraits 5.362 


Quellen- und Literaturverzeichnis S.365 


Vorbemerkung 


Die vorliegende Arbeit hätte nicht geschrieben werden können ohne die wieder- 
holte, geduldige Auskunft und herzliche Hilfsbereitschaft ehemaliger Mitglieder 
der »Freien Arbeiter Union Deutschlands« (FAUD), der »Syndikalistisch- 
Anarchistischen Jugend Deutschlands« (SAJD), der »Freien Sänger-Gemein- 
schaft« (FSG) und der Siedlung »Freie Erde« in Düsseldorf, Krefeld, Aachen und 
Wuppertal. 

Ihnen gilt der besondere Dank der Autoren, ebenso allen Personen, die uns in 
anderer Weise bei der Arbeit geholfen haben; der inzwischen verstorbenen 
Antonie Binder (Düsseldorf) und Martin Duve (Wuppertal) für den Druckkosten- 
zuschuß zur ersten Auflage, ohne den die Herausgabe des Buches damals nicht 
möglich gewesen wäre. 

Die Arbeit ist gewidmet dem Andenken jener rheinisch-bergischen Anarcho- 
Syndikalisten, die nach ungebrochenem antifaschistischen Widerstand in natio- 
nalsozialistischer »Voruntersuchung«, Psychiatrie oder KZ-Haft ermordet wur- 
den: 

Anton Rosinke (1882-1937), Düsseldorf, Schmied, Mitglied der FAUD und 
der FKAD, der GpF und der FSG; Michael Delissen (1895-1936), 
Mönchengladbach, Arbeiter, Mitglied der FAUD; Emil Mahnert (1890-1937), 
Duisburg, Eisendreher, Mitglied der FAUD; Wilhelm Schmitz (1900-1937), 
Duisburg, Maurer, Mitglied der FAUD; Robert Albrecht (1888-1940), 
Düsseldorf, Straßenbahnarbeiter, Mitglied der FAUD; Herbert Hahn (1907- 
1940), Wuppertal, Arbeiter, Mitglied der SAJD und Johann Baptist Steinacker 
(1870-1944), Wuppertal, Schneider, Mitglied der syndikalistischen »Freien 
Vereinigung Deutscher Gewerkschaften« von 1909 bis 1919, danach Mitglied 
der FAUD, der GpF und der FSG. 

Darüber hinaus Walter Tacken (1901-1950), Wuppertal, Kesselheizer, Mitglied 
der »Freien Jugend Morgenröte« und der FAUD; Carl Windhoff (1872-1945), 
Düsseldorf, Fliesenleger, Mitglied der FAUD und Vorsitzender der Düsseldorfer 
Fliesenlegerverbandes; Josef Koenen (1887-1949), Düsseldorf, Bauarbeiter, 
Mitglied der FAUD; Johann Nattermann (1881-1947), Düsseldorf, Maurer, 
Mitglied der FAUD; Gottfried Klemens (1890-1947), Düsseldorf, Plisterer, 
Mitglied der FAUD; Hugo Kiehl (1874-1947), Düsseldorf, Maurer, Mitglied der 
FAUD und Bernhard Schmithals (1869-1946), Düsseldorf, Kaufmännischer 
Angestellter, Mitglied der FAUD. Sie alle starben an den direkten Folgen von 
Folter und Haft. 


Einleitung 


Der Anarchismus war als soziale Bewegung schon totgesagt,(1) als er in der 
Studentenbewegung, vor allem im Pariser Mai 1968, wieder auftrat und anarchi- 
stische Ideen in den 70er Jahren in der Alternativbewegung, in der Friedensbe- 
wegung und der sogenannten »Jugendrevolte« 1980 wieder Anhänger fanden. 
Damit soll weder ein tradierter Zusammenhang zwischen den neuen sozialen 
Bewegungen und dem historischen Anarchismus konstruiert, noch sollen diese 
als anarchistisch etikettiert werden. So sind z.B. aus der Studentenbewegung ver- 
schiedeneanarchistische Gruppierungen, Zeitungs- und Verlagsprojekte hervor- 
gegangen, jedoch bezogen sich die antiautoritären Studenten in der Mehrheit 
nicht auf anarchistische Theoretiker, sondernauf Vertreter eines undogmatischen 
Marxismus wie Ernst Bloch, Herbert Marcuse, den frühen Lukäcs, Karl Korsch, 
Otto Rühle und Rosa Luxemburg.(2) 

In den Flügelkämpfen der zerfallenden antiautoritären Bewegung erschien eine 
neuerliche Variante des alten Streites zwischen Marx und Bakunin, von dem der 
Schweizer Sozialist Fritz Brupbacher 1929 schrieb: »Jeder, der sich einbildet, daß 
in diesem Kampf Marx endgültig Bakunin besiegthabe, besitzt den Verstand einer 
Eintagsfliege. Im Jahre 2000 oder sogar vorher wird der Kampf ... von Neuem 
ausbrechen.«(3) 

In der Alternativbewegung werden anarchistische Theoretiker rezipiert, so z.B. 
Gustav Landauer, der schon vor 80 Jahren viele Ideen der Landkommunen- 
bewegung vorwegnahm, oder der amerikanische Anarchist Murray Bookchin, der 
schon Mitte der 60er Jahre eine Verbindung zwischen ökologischer und anarchi- 
stischer Gesellschaftskritik herstellte und der sich in seinen Gesellschaftsent- 
würfen direkt auf die Schriften Kropotkins bezieht.(4) In der Friedensbewegung 
verwiesen ein Teil der gewaltfreien Aktionsgruppen und die Zeitschrift »Gras- 
wurzelrevolution« auf anarchistische Traditionen. Und selbst in politischen 
Parteien hat sich anarchistisches Gedankengut niedergeschlagen. Das Prinzip der 
»Basisdemokratie« als Grundpfeiler der Politik der GRÜNEN ist von anarchi- 
stischer Seite immer betont worden.(5) 

Es ist zunächst unerheblich, ob das »Anarchistische« dabei explizit oder der 
Sache nach auftritt, bewußt oder unbewußt, selbstgewählt oder zugeschrieben, als 
positiver Mythos der einzig noch unbefleckten Befreiungstheorie oder als bloßes 
Gespenst des Fahndungsjargons. Es erscheint in den verschiedensten Öffentlich- 
keiten und sei es nur in dem quasi-»konspirativen« Kurzsymbol des umkreisten 


»A« an zahlreichen Schulhof- und Rathausmauern. 

In umgekehrtem Verhältnis zu solcher neuen Verbreitung scheint allerdings 
der Informationsgrad über den Anarchismus zu stehen, nicht zuletzt etwa 
abzulesen an der beharrlich falschen Bezeichnung der »Roten Armee Fraktion« 
(RAF) als »anarchistisch« in beiden deutschen Staaten.(6) In ähnlicher Weise 
stößt der Begriff des »Syndikalismus« heute auf weitestgehende Unkenntnis — 
das Wort »Syndikat« wird, besonders wenn französische Sprachkenntnisse 
fehlen, häufig allenfalls mit »Gangstern« assoziiert. 

Daß der Anarchismus in Verbindung mit syndikalistischen Traditionen nicht 
nur in Spanien und anderen romanischen Ländern, sondern auch in Deutschland 
einen eigenständigen, wenn auch zahlenmäßig bescheidenen, Strang der Arbei- 
terbewegung hervorbrachte, ist kaum bekannt — es ist aus keinem Schulge- 
schichtsbuch der BRD und der DDR zu erfahren! Dies, obwohl die anarcho- 
syndikalistische »Freie Arbeiter-Union Deutschlands« (FAUD) zeitweilig, vor 
allem regional, erheblichen Einfluß in der Arbeiterschaft der frühen Weimarer 
Republik hatte, nach ihrer sozialen Zusammensetzung eine originär 
proletarische Bewegung war und in ihrem Wesen aus keiner sonstigen Richtung 
der deutschen Arbeiterbewegung abgeleitet werden kann. 

Auch wissenschaftlich ist der deutsche Anarcho-Syndikalismus bisher nur 
spärlich aufgearbeitet. Die soziologische und historische Forschung hat sich 
seiner, trotz neuerdings starker Zuwendung zu Themen der deutschen Arbeiter- 
bewegung, kaum angenommen. In Untersuchungen sozialdemokratischer oder 
kommunistischer Provenienz bzw. aus dem Umkreis der DGB-Gewerkschaften 
wird er ausnahmslos für »unbedeutend« eingestuft oder »totgeschwiegen«. In 
der bisherigen Forschung ist der deutsche Anarcho-Syndikalismus von drei 
verschiedenen Ansätzen her bearbeitet worden: 

1. der organisationssoziologische Ansatz in der Arbeit von Hans-Manfred 
Bock,(7) der Entstehung, Programm und Organisation der FAUD bis 
1923 darstellt und die Bewegung zusammen mit den 
linkskommunistischen Organisationen in Anlehnung an Lenin unter 
dem Begriff des Linksradikalismus subsummiert.(8) 

2. der ideengeschichtliche Ansatz von Angela Vogel,(9) die sehr detailliert 
Genese und Theorie des deutschen Anarcho-Syndikalismus analysiert. 

3. der sozialgeschichtliche Ansatz in der Arbeit von Erhard Lucas, der 
sich räumlich auf die Hamborner Bergarbeiterbewegung und zeitlich 
auf die Revolution 1918/19 beschränkt.(10) 

Neben diesen Arbeiten existieren noch eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten aus 
der Vorkriegszeit und den 70er Jahren über die FAUD und die anarchistischen 
Organisationen in der Weimarer Republik, die entweder zeitlich sehr eng begrenzt 
sind oder die anarcho-syndikalistische Bewegung nur unter einem Teilaspekt 
behandeln. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang noch eine Arbeit ohne 


10 


wissenschaftlichen Anspruch eines Kölner Autorenkollektivs über den 
anarcho-syndikalistischen Widerstand an Rhein und Ruhr. (11) 

Gegenüber diesen bisherigen Forschungen und angesichts des ausgesprochen 
antizentralistischen Charakters des Anarcho-Syndikalismus bietet sich eine regio- 
nale Untersuchung des Gegenstandes an. Eine entsprechende wissenschaftliche 
Darstellung existiert für den rheinisch-bergischen Raum bisher nicht. Die Ein- 
grenzungen auf den »rheinisch-bergischen Raum« und die Zeit »zwischen 1918 
und 1945« sind, wenn auch vom Gebot forschungsökonomischer Beschränkung 
diktiert, gleichwohl nicht willkürlich an die anarcho-syndikalistische Bewegung 
herangetragen: »Rheinisch-bergischer Raum« meint hier das Gebiet der »Provin- 
zialarbeiterbörse (PAB) Rheinland« der FAUD, d.h. »den Bezirk von Köln bis 
Hamborn, von Dülken und Aachen bis Wuppertal und Mülheim«.(12) Im einzel- 
nen umfaßte die PAB Rheinland die Orte Aachen, Dülken, Süchteln, Mönchen- 
gladbach, Krefeld, Düsseldorf, Köln, Duisburg-Süd, Duisburg-Meiderich, 
Hamborn, Oberhausen, Wattenscheid, Mülheim/Ruhr und Elberfeld/Barmen (ab 
1929 Wuppertal).(13) 

In einigen Punkten wird sich die Darstellung auf den Bereich von Düsseldorf 
oder Wuppertal konzentrieren, einerseits aufgrund der Quellenlage, andererseits 
infolge schwerpunktmäßiger Präsenz etwa der anarcho-syndikalistischen Ju- 
gendbewegung, der »Freien Sänger« oder von S iedlungsversuchen in einer dieser 
Städte. 

Der Zeitraum von 1918 bis 1945 entspricht der gesamten Lebensdauer der 
anarcho-syndikalistischen Bewegung in Deutschland: Diese entstand aus anarchi- 
stischer und syndikalistischer Vorkriegstradition nach dem 1.Weltkrieg und der 
Revolution von 1918/19. Ihre Organisationen wurden 1933 von den Nationalso- 
zialisten aufgelöst, ihre Ideen und Anhänger verfolgt. Nach illegalem antifaschi- 
stischen Widerstand wurden viele Anarcho-Syndikalisten ermordet, ins Exil 
getrieben oder erlitten langjährige Zuchthaus-, KZ- oder »Schutz«-haft. (So u.a. 88 
rheinisch-bergische Anarcho-Syndikalisten im Wuppertaler »Syndikalisten- 
prozeß« im Jahre 1938). 

Dennoch unternommene Reorganisationsversuche der Überlebenden und 
aus dem Exil Zurückgekehrten nach 1945 konnten keine der früheren 
Formen der Bewegung wiederherstellen. 

Über eine regionale Ergänzung der schon vorliegenden Forschungen hinaus 
geht es in der vorliegenden Arbeit und ihrer Vorgehensweise um die Frage nach 
dem Schicksal der anarchistisch-syndikalistischen Ideen und der Menschen, die 
Träger dieser Ideen waren: 

a) Wie und von wem wurde anarchistisch-syndikalistisches Gedankengut 
in organisatorische und kulturelle Formen umgesetzt? 

b) Wie weit erfaßten die Ideen den Alltag? (Zum Verhältnis von 
biographischem und sozialem Prozeß). 


11 


c) Wie reagierten die Beteiligten auf Brüche und Widersprüche, die sich 
bei dieser Umsetzung ergaben? 

Die anarchistisch-syndikalistische Bewegung bot, zumal regional untersucht, 
angesichts ihrer überschaubaren Größe und ihrer begrenzten Lebensdauer die 
Chance, sich einem sozialen Prozeß ganzheitlich zu nähern. In Kap.I werden 
zunächst die Vorgeschichte und die Ideen des deutschen Anarcho-S yndikalismus 
vorgestellt. In den Kapiteln I—V geht es um die FAUD in ihrer Eigenschaft als 
Kampfverband und sozialrevolutionäre Gewerkschaft sowie um den Widerstand 
gegen den Faschismus. Die Kapitel VF—IX behandeln die kulturellen Formen und 
Initiativen in den Bereichen, Jugend, Kinder und Erziehung, Frauen und Verhältnis 
der Geschlechter, Siedlungskommunen und Genossenschaftswesen und künstle- 
risch-musikalisch-literarische Projekte. Kap.X stellt die Frage nach der sozialen 
Basis der deutschen Anarcho-Syndikalisten, und das Nachwort läßt noch einmal 
einen führenden Vertreter der rheinischen FAUD zu Wort kommen — in einem 
Rückblick aus dem Jahre 1953. 


12 


b) 
2) 


b) 
2 


5) 


Ö) 


N 


8) 


9) 
10) 
1) 


12) 


13) 


14) 


Anmerkungen 


Vgl. Hoffmann, Werner: Ideengeschichte der sozialen Bewegungen des 19. 
und 20. Jahrhunderts, Berlin 1962, S.226-227 

Vgl. Dutschke, Rudi: Aufrechter Gang, eine fragmentarische Autobiographie, 
Berlin 1981 

Brupbacher, Fritz: Marx und Bakunin, Berlin 1976 

Vgl. Bookchin, Murray: Bemerkungen über den »klassischen« Anarchismus und die 
moderne Ökologie, in: Die Formen der Freiheit, Asslar-Werdorf 1977, S.51-59 

So bemerkte ein älterer Wuppertaler Anarcho-Syndikalist:»Das, was die GRÜ- 
NEN mit Basisdemokratie meinen, haben wir vor 50 Jahren schon gefordert.« 
Durch Bundesregierung, Verfassungsschutz, Generalbundesanwalt undverschie- 
denste Medien im Westen — nachgewiesen z.B: bei Alfred Kantorowicz —LIT. 
Magazin des Buchhandels, Nr.2/1978. Für die DDR etwa in der dortigen Zeitung 
»Sonntag« vom 25.06.72. Bei der »RAF« handelt es sich jedoch nach Selbstver- 
ständnis, Begrifflichkeit, Strategie und Kaderstruktur um eine Organisation in 
leninistischer Tradition. 

Bock, Hans-Manfred: Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918- 
1923, Meisenheim am Glan 1967 

Vgl. die gleichnamige Schrift von Lenin: Der linke Radikalismus, die Kinder- 
krankheit des Kommunismus, in: Lenin, Gesammelte Werke, Bd. V, S.463-573. 
Der Begriff war schon in Lenins Schrift weniger ein analytischer als ein politischer 
Begriff zurKennzeichnung aller Strömungen der Arbeiterbewegung links von der 
Sozialdemokratie, die sich nicht den Bedingungen der Komintern unterwerfen 
wollten. 

Vogel, Angela: Der deutsche Anarcho-Syndikalismus, Theorie und Genese 
einer vergessenen Bewegung, Berlin 1977 

Vgl. Lucas, Erhard: Arbeiterradikalismus, Zwei Formen von 
Arbeiterradikalismus in der deutschen Arbeiterbewegung, Frankfurt 1976 

Vgl. Theissen, R., Walter, P., Wilhelm, I.: Anarcho-syndikalistischer 
Widerstand an Rhein und Ruhr, Meppen/Ems 1981 

Vgl. Volksgerichtshof- (VG-)Urteil gegen den Schlosser Julius Nolden, Duisburg, 
Az.129J267/37 // 2H46/37 ,S.7, in: HStA Düsseldorf, Akten der Gestapo, Nr. 
29121; übereinstimmend mit BA Koblenz, Bestand R 58/321, Bl. 21 sowie der 
anarchistisch-syndikalistischen Presse und mündlichen Aussagen ehem. Anarcho- 
Syndikalisten. 

Die über Kölner und Wuppertaler Kontakte mit der PAB Rheinland verbundene 
Ortsgruppe der FAUD in Leuscheid/Westerwald stellt, als dörfliche Enklave einer 
vorwiegend städtischen Bewegung (vgl. Kap.IV) eine interessante Besonderheit 
dar, konnte aber durch archivalische Quellen (B A Koblenz, a.a.O.) und mündliche 
Berichte sowohl ehemaliger Wuppertaler Anarcho-Syndikalisten als auch politisch 
»gegnerischer« LeuscheiderAugenzeugen lediglich in ihrer Existenz und Stärke 
(ca. 6 bis 15 Mitglieder) nachgewiesen werden. 

Vgl. Sammelurteile des Oberlandesgerichts Hamm, Az. 6.0.Js 1/37, in: HStA 
Düsseldorf, Akten der Gestapo, Nr. 2761 und Nr. 10821. 


13 
Kapitel I 
Arbeiterbewegung von unten: 
Anarchismus und Syndikalismus 


l. Aus eigenen Wurzeln: 
Die Vorgeschichte des 
deutschen Anarcho-Syndikalismus 


Obgleich der Anarcho-Syndikalismus oderrevolutionäre Syndikalismus in Deut- 
schland erst nach dem 1. Weltkrieg eine gewisse Bedeutung erlangte und eine 
nicht unwesentliche Rolle in den Klassenkämpfen der frühen Weimarer Republik 
spielte, war die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (Syndikalisten)—[FAUD(S)] 
nicht eine Neugründung, sondern verstand sich als Nachfolgeorganisation der 
»Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften« (FVdG), die 1897 als Zusam- 
menschluß der lokal organisierten Gewerkschaftsvereine gegründet worden war, 
— als Reaktion auf die zunehmenden Zentralisierungs- und Entpolitisierungsten- 
denzen in den freien Gewerkschaften.(1) 

So betonte Fritz Kater — einer der Exponenten der Bewegung — daß die 
»Freie Vereinigung« eine Organisation sei, die nach dem Kriege nicht habe 
umlernen müssen.(2) Angela Vogel hebt zu Recht in ihrer Arbeit (3) hervor, daß 
dieses Selbstverständnis der Bewegung, »ihr Insistieren auf eine organisatorische 
und ideologische Identität ernst genommen werden muß« und kritisiert 
gleichzeitig die Position von H.M. Bock (4) »der deutsche Anarcho- 
Syndikalismus sei gar keine originäre, aus der deutschen Arbeiterbewegung 
erwachsene Strömung, sondern sei erstens französischer Import—das betreffe die 
syndikalistisc hen Ideen — und zweitens unter dem kompakten Einfluß 
intellektuell gefärbter anarchistischer Vorstellungen, hier vor allem Einfluß 
Rudolf Rockers, zustande gekom-men«.(5) 

Abgesehen von einigen Ansätzen nach der 48er Revolution konnte sich die 
deutsche Gewerkschaftsbewegung in Deutschland erst nach der Aufhebung des 
Koalitionsverbots 1869 in Preußen entwickeln.(6) Doch im Gegensatz zu anderen 
Ländern, insbesondere den romanischen, stand die Gewerkschaftsbewegung in 
Deutschland schon in den Anfängen unter dem starken Einfluß politischer 
Parteien.(7) 

1868 wurden die ersten Gewerkschaften gegründet, die wirtschaftsfriedlichen 


14 


Hirsch-Dunkerschen Gewerkvereine (8) und der unter dem Einfluß des Allge- 
meinen Deutschen Arbeiterverbandes stehende »Arbeiterschaftsbund« unter dem 
Vorsitz Schweitzers, dem Nachfolger Lassalles.(9) Dem folgte 1869 die Grün- 
dung der Internationalen Gewerkschaftsgenossenschaften, die von der Eisena- 
cher Richtung der Sozialdemokratie unter Führung Bebels und Liebknechts 
initiiert worden waren. 

Im Gegensatz zum stark zentralisierten Aufbau des »Arbeiterschafts-Verban- 
des« ließ das von Bebel verfaßte Statut den lokalen Organisationen gegenüber den 
zentralen Organen einen angemessenen Spielraum zu selbstverantwortlichem 
Handeln. (10) Nach dem Vereinigungsparteitag der beiden sozialdemokratischen 
Richtungen in Gotha, 1875, verstärkten sich in der Gewerkschaftsbewegung die 
zentralistischen Tendenzen ebenso wie jene Kräfte, die auf eine stärkere Trennung 
von gewerkschaftlicher und politischer Tätigkeit hinarbeiteten. 

Die erste tiefergreifende Theorie, die der Gewerkschaftsbewegung nicht nur 
einen taktischen sondern strategischen Stellenwert im Emanzipationskampf der 
Arbeiterklasse beimaß, wurde von dem Schriftsetzer Carl Hillmann(11) ent- 
wickelt. Hillmann sah in den Gewerkschaften sowohl Kampforganisationen zur 
Besserung der materiellen Lebenslage der Arbeiter, wie auch Erziehungsinstitu- 
tionen, in denen ein neues Gefühl der Solidarität hervorgerufen und die Fähigkeit 
zur Übernahme der Produktion geschult werden sollte. Mit diesen Vorstellungen 
blieb Hillmann, der Mitglied der Eisenacher Richtung der Sozialdemokratie war, 
zu dieser Zeit in der Partei isoliert. Die Anarcho-Syndikalistensahen in Hillmann 
einen Vorläufer ihrer Bewegung.(12) 

Das 1878 erlassene »Ausnahmegesetz gegen die gemeingefährlichen Bestre- 
bungen der Sozialdemokratie« hob das Vereinsgesetz, die Versammlungs- und 
Pressefreiheit auf. Dadurch wurde auch die Entwicklung der Gewerkschaftsbe- 
wegung und die Diskussion über ihre zukünftige Entwicklung jäh unterbrochen. 
Von den Bestimmungen des Gesetzes ausgenommen waren die lokalen Fachver- 
bände der einzelnen Berufe. Sie wurden nun Träger der Gewerkschafts- als auch 
der Parteiarbeit, denn die Begründer der Lokalvereine waren ausschließlich 
Sozialdemokraten.(13) 

Trotz der gesetzlichen Schranken gelang es den Fachvereinen mit Hilfe ge- 
wählter Vertrauensmänner, Verbindungen im ganzen Reich aufzubauen. Den 
Mittelpunkt dieser Bewegung bildete der Berliner Fachverein des Baugewerbes, 
der ab 1884 das Wochenblatt »Der Bauhandwerker« herausgab. Leiter dieses 
Blattes war der Regierungsrat a.D. Gustav Keßler,(14) der bis zu seinem Tode im 
Jahre 1904 der Theoretiker der Bewegung war. 

Nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes setzte die Diskussion über die 
zukünftige Organisationsform der Gewerkschaften sofort wieder ein. Im No- 
vember 1890 wurde eine Generalkommission unter der Führung Carl Legiens 
gebildet, die die örtlichen Fachvereine zu zentralen Berufsverbänden zusammen- 


15 


fassen wollte. Die Lokalisten widersetzten sich dieser Tendenz, denn die Zen- 
tralverbandsform war im Rahmen der bestehenden Vereinsgesetze nur bei völli- 
gem Verzicht auf politische Tätigkeit möglich. Sie glaubten nicht, im Rahmen der 
bestehenden Gesellschaftsordnung mit rein gewerkschaftlichen Mitteln die Lage 
der Arbeitnehmer wesentlich verbessern zu können und forderten demzufolge den 
vollen politisch-revolutionären Einsatz der Gewerkschaftsorganisation. Auf dem 
1892 in Halberstadt abgehaltenen Gewerkschaftskongreß waren die Lokalisten eine 
kleine Minderheit (15) und verließen die Versammlung unter Protest, als eine von 
ihnen eingebrachte Resolution mit nachstendem Wortlaut abgelehnt wurde: 

Wir erwarten von dem Kongreß, daß er jede Form der Arbeiterorganisation als 

zu recht bestehend anerkennt und in keiner Weise eine Diktatur auszuüben ver- 

sucht.(1 6) 

Von der SPD-Führung erhielten die Lokalisten keinerlei Unterstützung. Obwohl 
sie zu den Aktivisten der Sozialdemokratie gehörten und überzeugt waren, nach 
deren revolutionärem Selbstverständnis gehandelt zu haben, war die Parteileitung 
gezwungen, auf die stetig wachsende Mitgliederzahl der Gewerkschaften Rück- 
sicht zu nehmen und das ganz persönliche Mißtrauen Bebels gegenüber Keßler 
war den lokal organisierten Vereinen nicht gerade von Nutzen«.(17) 

Von seiten der Zentralverbände wurden geschickt die Bestrebungen der Lo- 
kalisten mit der gerade aus der SPD ausgeschlossenen Organisation der »Jun- 
gen«(18) verknüpft. Zwar bestanden Querverbindungen(19) und äußerliche 
Analogien in Auftreten und Argumentation der beiden Oppositionsbewegun- 
gen,(20) aber die Lokalisten waren organisatorisch zu eng an die Partei gebunden, 
als daß sie zu diesem Zeitpunkt durch ein offenes Auftreten für die »Jungen« den 
Parteiausschluß provoziert hätten.(21) Gleichwohl Kamen später führende Männer 
des deutschen Anarchismus und Anarcho-Syndikalismus aus dieser Bewe- 
gung.(22) 

In den folgenden Jahren gingen die Auseinandersetzungen zwischen Lokalisten 
und Zentralverbänden in voller Schärfe weiter. Auch die SPD gab teilsweise ihre 
Neutralität auf und trat immer mehr für die Zentralverbände ein.(23) 

1897 gründeten dann die Lokalisten auf dem »1. Kongreß der lokal organisierten 
Gewerkschaften Deutschlands« eine eigene Organisation,(24) die sich ab 1901 
»Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften« nannte. Das Hauptreferat hielt 
Gustav Keßler; auf dem Kongreß wurde folgende Resolution angenommen: 

I. Eine Trennung der gewerkschaftlichen Bewegung von der bewußten 
sozialdemokratischen Politik ist unmöglich, ohne den Kampf uni die 
Verbesserung der Lage der Arbeiter auf dem Boden der heutigen Ordnung 
aussichtslos zu machen und zu lähmen. 

II. Daß die Bemühungen, von welcher Seite sie auch kommen mögen, den 
Zusammenhang mit der Sozialdemokratie zu lockern oder zu 
durchbrechen, als arbeiterfeindlich zu betrachten sind. 

II. Daß Organisationsformen der gewerkschaftlichen Bewegung, die sie in dem 


16 


Kampfe um die politischen Ziele hindern, als fehlerhaft und verwerflich zu 

betrachten sind ... (25) 
Oberste Instanz der Organisation war die sogenannte »Geschäftskommission«, 
bestehend aus fünf Personen. Sie hatte lediglich koordinierende Funktionen, 
berief Kongresse ein und gab das Verbandsorgan »Die Einigkeit« heraus, das bis 
zum Verbot im Jahre 1914 wöchentlich erschien. Ein örtlich gewählter 
Vertrauensmann vertrat die Organisation bei Kongressen, —Streikinitiativen und - 
fonds hingegen blieben bei den Ortsvereinen. Tarifverträge wurden grundsätzlich 
abgelehnt und in Unterstützungskassen »sah man nur eine Gefahr der revolutio- 
nären Versumpfung«. (26)In den Jahren bis 1900 konnte die »Freie Vereinigung« 
ihren Mitgliederbestand wesentlich vergrößern, d.h. auf 54 Organisationen mit 
18.000 Mitgliedern.(27) 

Am 1. Januar 1900 entfiel das Verbindungsverbot der einzelstaatlichen 
Vereinsgesetze. Dadurch war die politische Abstinenz der Zentralverbände kein 
zwingendes Gebot mehr und die Lokalisten hätten auch in den Zentralverbänden 
politisch arbeiten können. Vordergründig war dies bisher die am meisten 
herausgehobene Differenz zwischen Lokalisten und Zentralverbänden. Aber die 
Gegensätze waren mittlerweile prinzipieller Natur. »Hier die Zentralverbände, 
aufgebaut nach dem Vertretungsprinzip und mit einer sich ständig verstärkenden 
Schicht hauptamtlicher Funktionäre, dort die »Freie Vereinigung« mit einem 
revolutionären Programm, föderalistisch aufgebaut unter Betonung der 
Selbständigkeit der Basis«.(28) 

Besonders in Berlin, der Hochburg der Lokalisten, soll es zu erbitterten 
Auseinandersetzungen zwischen den beiden Verbänden gekommen sein,(29) 
unabhängig voneinander wurden Streikaufrufe verfaßt und man bezichtigte sich 
gegenseitig des Streikbruchs. 

In dieser Situation versuchte der SPD-Parteivorstand, 1903, auf Druck der 
Zentralverbände Einigungsverhandlungen einzuleiten, die jedoch scheiterten, da 
die Lokalisten nichtbereit waren, ihre organisatorische Selbständigkeit innerhalb 
des Zentralverbandes aufzugeben. Die Lokalisten verloren während des Ver- 
handlungszeitraums mehrere 1000 Mitglieder. Eine nicht unerhebliche Rolle mag 
dabei gespielt haben, daß den Führern der Lokalisten besoldete Stellen in den 
Zentralverbänden angeboten wurden und sich die SPD immer eindeutiger für die 
Zentralverbände aussprach.(30) 

Die Distanz zur SPD wurde noch größer, als die »Freie Vereinigung« sich die 
aus Frankreich kommende Idee des Generalstreiks zu eigen machte. In Deut- 
schland wurde diese Idee besonders von dem Sozialdemokraten Dr. Raphael 
Friedeberg propagiert. Nachdem die »Freie Vereinigung« sich antiparlamen- 
tarisch zu äußern begann, trat er mit den Lokalisten in Verbindung.(31) 

Auf einer Versammlung der »Freien Vereinigung«, 1904 in Berlin, hielt er ein 
Referat über »Parlamentarismus und Generalstreik«. Auf der außerordentlich 


17 


stark besuchten Versammlung(32) wurde eine Resolution für den Generalstreik 
und eine eindeutige Absage an den Parlamentarismus angenommen. Die Agitation 
Friedebergs und der »Freien Vereinigung« hatte einen nicht unerheblichen Anteil 
daran, daß die Generalstreikdebatte auf dem Parteitag der SPD in Jena behandelt 
wurde. Hier wurde, wie auch auf dem Internationalen Sozialisten-Kongreß in 
Amsterdam, wo Friedeberg die »Freie Vereinigung« vertrat und ein Referat hielt, 
die anarcho-syndikalistische Strategie des Generalstreiks verworfen und an dessen 
Stelle der politische Massen-Generalstreik in das Programm aufgenommen. 
Die Bildung und der Ausbau solcher Gewerkschaften, die sowohl den auf Ver- 
besserung der Lebenshaltung und Arbeitsbedingungen gerichteten Tageskampf 
führen, wie auch die auf Beseitigung der Klassenherrschaft gerichteten Bestre- 
bungen unterstützen, die begründet sind in der sozi alistischen Weltanschauung 
und ihren Ausdruck finden in der Propaganda für die Idee des Massen- resp. 
Generalstreiks.(33) 
Die Zentralgewerkschaften lehnten sowohl den Generalstreik wie auch den 
politischen Massenstreik kategorisch ab. Den Mitgliedern wurde verboten, in- 
nergewerkschaftlich diese Ideen zu propagieren. In Geheimverhandlungen mit 
dem SPD-Parteivorstand zwangen die Gewerkschaftsführer diesen, von dem auf 
dem Parteitag beschlossenen Konzept des politischen Massenstreiks abzurücken. 
Das Protokoll der Verhandlungen gelangte in die Hände der »Freien Vereini- 
gung«,(34) die es sofort publizierte. Der SPD-Parteivorstand und die Parteipresse 
reagierten darauf mit Beschimpfungen und Denunziationen und auf dem folgen- 
den Parteitag wurde ein Antrag eingebracht, daß Mitglieder, »die für anarcho- 
sozialistische Bestrebungen (35) eintreten, aus der Partei auszuschließen seien. 
Den Mitgliedern der »Freien Vereinigung« wurde empfohlen,sich den Zentral- 
verbänden anzuschließen. Dieser Antrag wurde abgelehnt, aber auf dem Parteitag 
1908 wurde die Mitgliedschaft in der »Freien Vereinigung« als unvereinbar mit 
den Grundsätzen und Interessen der SPD erklärt. 

Nach diesem Beschluß kam es auf dem darauf einberufenen Kongreß der 
»Freien Vereinigung« zur Spaltung. Fast die Hälfte aller Mitglieder verließ die 
Organisation.(36) Die restlichen verbleibenden 9.000 Mitglieder bekannten sich 
zu dem in Katers Kongreßrede vorgetragenen Programm, das sich deutlich am 
Syndikalismus orientierte, wobei Kater sich auf die französische, 
syndikalistische Gewerkschaft CGT bezog: 

Der Kampf (kann) ...nach ihrer Meinung nicht durch eine Beteiligung an der 
Gesetzgebung geführt werden; sie verstehen darunter nicht, daß sie irgendeiner 
politischen Partei angehören müssen, sondern sie meinen den Klassenkampf auf 
wirtschaftlichem, auf ökonomischem Gebiete durch Generalstreik, action directe, 
Sabotage, die sog. passive Resistenz usw. führen zu müssen !(37) 


Die Organisation entwickelte sich ab 1908 immer mehr in syndikalistischer 
Richtung, lehnte es jedoch ab, sich »Syadikalisten« zu nennen,(38) wie das 
von verschiedenen Seiten verlangt wurde. 


18 


Wie tief die »Freie Vereinigung« schon in die Gedankenwelt des Syndikalismus 
eingedrungen war, zeigt eine Agitationsbroschüre aus dem Jahre 1912. Dort 
wurde folgende Gegenüberstellung von Zentralverbänden und »Freie 
Vereinigung« abgedruckt: (39) 


Zentralverbände 

Organisationsform: zentralistisch 

Unselbständigkeit der Ortsvereine 

Der Hauptvorstand verwaltet das Geld 

Die Streiks müssen vorher angemeldet werden 

Der Hauptvorstand kann Streiks verhindern oder abbrechen 

Die Mitglieder werden zur Disziplin erzogen 

Die Streiks der Verbände sind meistens Abwehrkämpfe 

Die Verbände vertreten Berufsinteressen 

Die Zentralverbände beruhenauf dem Vertretungssystem 

Die Verbände erhalten und gewinnen ihre Mitglieder aufgrund der Kranken-, 
Arbeitslosen-, Sterbeunterstützung usw. 

Die Zentralverbände erstreben Reformen innerhalb der kapitalistischen 
Wirtschaftsordnung 

Die Verbände treiben die ausgedehnteste Tarifpolitik 

Die Verbände sind Anhänger des Kleinstreiks 

Die Zentralverbände (und die Partei) erstreben militärische Reformen 


Freie Vereinigung 

Organisationsform: föderalistisch 

Selbständigkeit der Ortsvereine 

Der Ortsverein verwaltet das Geld 

Jede Organisation hat jederzeit das Streikrecht 

Die Mitglieder werden zur Solidarität erzogen 

Die Streiks der Lokalisten sind meist Angriffskämpfe 

Die Freie Vereinigung vertritt Klasseninteressen 

Die Freie Vereinigung empfiehlt direkte Aktion 

Die Freie Vereinigung propagiertund zahlt nur Streik-und Gemaßregelten- 
Unterstützung 

Die Freie Vereinigung propagiert die revolutionären Kampfmittel zum Sturz des 
Kapitalismus 

Die Freie Vereinigung. will nicht den Frieden, sondern den Kampfgegen das 
Unternehmertum 

Die Freie Vereinigung verficht die Idee des Massen- und Generalstreiks 

Die Freie Vereinigung. bekämpft den Militarismus grundsätzlich 


19 


Die übrige Propaganda-Arbeit der »Freien Vereinigung« wurde 1911 durch die 
Herausgabe eines weiteren Publikationsorgans, »Der Pionier«, noch unterstützt. 
Im »Pionier« wurden vorwiegend theoretische Beiträge abgedruckt und er war, 
wie H.M. Bock zutreffend bemerkt, anarchistisch geprägt(40) 

Der Redakteur des Blattes, Fritz Köster, hatte mit Fritz Kater schon 1890 an 
der im Sinne der »Jungen« oppositionellen »Magdeburger Volksstimme« 
zusammengearbeitet. Zwischen dem mittlerweile radikalen Anarchisten Köster 
und dem Pragmatiker Kater kam es aber zu ideologischen und persönlichen 
Spannungen über die Richtung des Blattes.(41) Es ist anzunehmen, daß »der 
Pionier« nur von einem Bruchteil der Mitglieder gelesen worden ist. F. Kater 
klagte beim 11. Kongreß der FVdG, daß es Ortsvereine gebe, die seit Bestehen 
der Zeitung noch kein einziges Exemplar bestellt hätten.(42) 

Auf dem 10. Kongreß der »Freie Vereinigung« wurde beschlossen, Kontakt 
zu ausländischen syndikalistischen und antimilitaristischen Organisationen 
aufzunehmen. Auf dem 1. syndikalistischen Kongreß in London, 1913, wie auch 
beim antimilitaristischen Meeting in Den Haag war die »Freie Vereinigung« 
durch Delegierte vertreten.(43) 

Aufgrund ihrer konsequenten antimilitaristischen Propaganda wurden schon ab 
dem 1. August 1914, in den Tagen der Kriegserklärung, in allen Orten Deutsch- 
lands (44) und besonders in Rheinland-Westfalen (45) Syndikalisten in Schutzhaft 
genommen und bis zu zwei Jahren festgehalten.(46) 

Bis 1917 konnten noch Mitteilungsblätter bzw., als diese verboten wurden, ein 
Rundschreiben erscheinen. In Berlin wurde die Organisation durch die Gründung 
eines »Allgemeinen Arbeitervereins« während der Kriegszeit aufrecht erhalten, in 
anderen Städten durch informelleKreise der aktivsten Genossen(47) 


20 


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Jahrgang 1. 





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21 


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4. Jahrg. Neue Folge. * Sonnabend, den 5. Mai 1900. * No. 18. 


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Die Opfer des Justizmordes in Chicago. 

















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Hervorgegangen ans dem 1897 begründeten anarchistischen Wochenhlatte „Neues Leben". 


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Organ der anarchistischen Föderation Deutschlands. 


Die Lust der Zerstörung ist zugleich eine schaffende Lust. " 


Ber „‚Rerolutioner- Redaktion und Veriap ennupeyrelie: 
erscheint aovvmends sechsseitig and Ist zn be- Berlin N.56, Kopenbegeneretr. 24. I Vierleljsbrlieh Kreuzband Berlin . Umg. 1,60 M. 
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an richten I Vierteljährlich Kreuzband Auelaod . . tesn 
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3. Jahrgang Berlin,den 9. Februar 1907 Nummer 6 








22 
Intellektuelle und Syndikalismus 


Neben der »Freien Vereinigung« bestand noch eine kleine Intellektuellengruppe 
in der SPD in Marburg, die sich syndikalistischen Grundsätzen verpflichtet fühlte. 
Führender Kopf dieser Gruppe war der Soziologe Robert Michels,(48) der seit 
1904 in freundschaftlichem Kontakt zu den intellektuellen Sympathisanten des 
französischen Syndikalismus um Georges Sorel stand. Sein Verhältnis zum 
Syndikalismus beschreibt Michels folgendermaßen: 
Wenn er auch zu der isolierten Action Directe und dem Mythus des Generalstreiks 
als periodisch auf die kommende Gesellschaft vorbereitendes Manöver einige 
Distanz bewahrte, so ließ er sich doch substantiell für die neue Richtung gewinnen, 
die mit großer Energie und Kühnheit für den Versuch der Verschmelzung Marxens 
mit Proudhonund Pareto eine Neubelebung der idealenund energischen Potenzen 
in der Arbeiterbewegung erstrebte.(49) 
Die eigentliche Bedeutung der Marburger Gruppe besteht darin, daß über ihre 
Aktivitäten Kontakte zu Max Weber und Werner Sombart hergestellt wurden. 
Dadurch erfolgte in der von den beiden herausgegebenen Zeitschrift »Archiv für 
Sozialwissenschaft und Sozialpolitik« die intellektuelle Rezeption des Anarchis- 
mus und d einige international bekannte Anarchisten und Syndikalisten nahmen 
die Gelegenheit wahr, »in einer großen, bürgerlichen Zeitschrift von Rang zu 
Worte zu kommen«.(50) 

Zu der »Freien Vereinigung« hatte Michels ein ähnliches, zwischen Sympathie und 
Distanz schwankendes, Verhältnis wie seine französischen Freunde (Sorel, Berth, 
Lagardelle) zur dortigen Bewegung(51)1906 bescheinigte er den Loka-listen, daß der 
Geist ihrer Organisation durch und durch sozialistisch sei und der Gewerkschaftler 
bürgerlicher Mentalität «diese häufige Erscheinung in den zentralisierten, neutralen 
Verbänden seibei den Lokalisten, deren Unterstützungskassen aus prinzipiellen 
Gründen nur schwach entwickelt seien, die Ausnahme.(52) 

Rückblickend fällt sein Urteil distanzierter aus: »Die sogenannten Lokalisten 
konnten auf keine großen Persönlichkeiten zählen, sie waren völlig schwunglos 
und wirklich jedesmal nur lokal.(53) Bis auf einen Artikel von Michels, der im 
Verbandsorgan »Die Einigkeit« erschien, hatte er kaum Beziehungen zur »Freien 
Vereinigung«. Auf dem Hintergrund seiner praktischen Erfahrungen inder 
deutschen, französischen und italienischen Arbeiterbewegung schrieb Michels sein 
Hauptwerk »Zur Soziologie des Parteiwesens«, indemer ein »ehernes Gesetz der 
Oligarchie« konstatierte, dem sich keine Organisation, selbst die libertärste, 
entziehen könnte.(54) Michels Parteisoziologie und Gustav Landauers »Aufruf 
zum Sozialismus« sind die beiden wichtigsten nicht-marxistischen Kritiken von 
links an der zunehmenden Bürokratisierung der SPD vor dem 1. Weltkrieg. Daß 
das heute noch lesenswerte Buch Michels so in Vergessenheit geraten ist, könnte 


23 


nach Michels daran liegen, daß sich Demokraten 
einerlei ob bürgerlich, oder proletarisch der Untersuchung des Führerproblems 
gegenübergenauso argwöhnisch, kitzlich und übelnehmerisch verhalten, wie sich 
der Bourgeois der Untersuchung des Problems des Eigentums oder gar des 
Unternehmergewinns zu verhalten pflegte.(55) 


Die anarchistische Bewegung 
im Deutschland bis zum 1. Weltkrieg 


Erste Ansätze anarchistischer Bewegung in Deutschland begannen in den 70er 
Jahren, vermittelt über wandernde Handwerksburschen, die in der Schweiz 
Kontakte zur bakunistisch orientierten Jura-Föderation (56) hatten. Der bekann- 
teste unter ihnen war der Schriftsetzer August Reinsdorf, der 1885 wegen des 
versuchten Attentatsauf den Kaiser bei der Einweihung des Niederwald-Denk- 
mals hingerichtet wurde.(57) Nach dem Ausschluß von Johann Most (58) und 
Wilhelm Hasselmann (59) 1880 aus der SPD und deren Hinwendung zum 
Anarchismus unter dem Einfluß Reinsdorfs(60) verbreitertesich die Basis des 
Anarchismus in Deutschland. Durch das Sozialistengesetz jedoch waren der 
Aktivität enge Grenzen gesetzt und die Arbeit beschränkte sich auf die geheime 
Verbreitung der im Ausland erscheinenden anarchistischen Zeitungen und 
Broschürenliteratur, u.a. der »Most'schen Freiheit«, die dieser(61) in London und 
ab 1882 in New York herausgab. Die Anarchisten der damaligen Zeit vertraten die 
sogenannte »Propaganda der Tat«, die zur Ursache ihrer zunehmenden Isolierung 
wurde. In Deutschland verlor die junge anarchistische Bewegung mit Reinsdorf 
»ihren weitaus begabtesten Propagandisten,« »der auch am tiefsten in die Gedan- 
kenwelt des Anarchismus eingedrungen« wa.r(62) 

Der Ausschluß der »Jungen« aus der SPD gab der anarchistischen Bewegung 
wieder neue Impulse. Unter der Redaktion Gustav Landauers entwickelte sich »Der 
Sozialist«, das Organ dieser Gruppe und das »zu dieser Zeit von der Regierung am 
meisten verfolgte Blatt Deutschlands,«(63) mehr und mehr zu einem rein 
anarchistischen Organ. »Der Sozialist« wurde in den folgenden Jahren zum 
Kristallisationszentrum der anarchistischen Bewegung. Bald kam es aber zu 
Querelen in der Redaktion aufgrund der einseitigen intellektuellen Prägung des 
Blattes und der eigenwilligen Interpretation des Anarchismus durch Landauer.(64) 

Unter der Leitung des Berliner Metallarbeiters Pawlowitsch entstand 1897 die 
Zeitschrift »Neues Leben«, die Landauers »Sozialist« verdrängte. Im »Neuen 
Leben« wurde ab 1902 die Generalstreik-Agitation durch den Österreicher 
Siegfried Nacht (schrieb auch unter dem Pseudonym Arnold Roller) begon- 
nen.(65) Aus dem Kreis um das »Neue Leben« und anderen anarchistischen 
Zeitungsprojekten ging die 1900 gegründete »Deutsche Föderation revolutionä- 


24 


rer Arbeiter(66) hervor, die sich 1903 »Anarchistische Föderation Deutschlands« 
(AFD) umbenannte und die bis 1914 den deutschen »Arbeiteranarchismus« 
organisatorisch zusammenfaßte. Organ der AFD wurde ab 1904 der »Freie 
Arbeiter«, der bis zum Verbot 1914 erschien und 1919-1933 als Organ der 
»Föderation Kommunistischer Anarchisten Deutschlands« (FKAD) weiterexis- 
tierte. Die Auflage des »Freien Arbeiter« lag 1910 bei ca. 5000 und 1912 bei ca. 
2000 Exemplaren.(67) 

Die Aktivitäten und Debatten der AFD waren stark von innerorganisatorischen 
Problemen bestimmt, so zum Beispiel über die Autonomiebestrebungen lokaler 
Zeitungsgruppen und Föderationen. 

Die Führung der AFD glaubte, die Isoliertheit der Anarchisten in der deutschen 
Arbeiterbewegun(68) durch eine straffe Organisation zu überwinden: 

Die anarchistische Bewegung muß in Zukunft ihren Faktencharakter verlieren, 
eine freiwillig eingegangene festgeschlossene Verbindung ist keineswegs unan- 
archistisch. Wir sind Teile der proletarischen Bewegung und müssen uns 
dementsprechend organisieren.(69) 
Gegen diese Tendenz gab es starken Widerstand, vor allem in Rheinland- 
Westfalen, wo sich 1910 eine eigenständige Regionalföderation, die 
»Anarchistische Föderation Rheinland-Westfalen« (AFRW) bildete.(70) 

Eine eigenständige theoretische Weiterentwicklung des Anarchismus wurde 
von der AFD nicht geleistet. Für die Ausarbeitung eines Organisations-S tatuten- 
entwurfs sollten international bekannte Anarchisten wie Kropotkin, Grave und 
Malatesta zu Rate gezogen werden. Rudolf Lange, der damalige Vorsitzende der 
AFD, begründete dies damit, 

daß die anarchistische B ewegung Deutschlands selbst in ihrer besten Zeit nicht ein 

einziges originelles Werktheoretischer oder sonstiger Art hervorgebracht hat. Wir 

deutschen Anarchisten sind eben Spätlinge undNachgeborene und weil wir unsere 

gesamten geistigen Waffen bisher aus den Arsenalen unserer ausländischen 

Genossen bezogen haben, so können wir meiner Meinung nach auch diese 

Prinzipienerklärung von ihnen erbitten, ohne uns beschämt fühlen zu müssen.(71) 
Der einzige theoretische Kopf, den die deutsche anarchistische Bewegung vor 
dem 1. Weltkrieg hervorbrachte, war Gustav Landauer.(72)Nach der Einstellung 
des »Sozialist« zog sich Landauer einige Jahre aus dem politischen Leben 
zurück. In dieser Zeit übersetzte er u.a. die Werke des russischen Anarchisten 
Kropot-kin.(73) 

1908 gründete Landauer den »Sozialistischen Bund(74) (SB) als eine lose 
Vereinigung autonomer Ortsgruppen, als dessen Organ 1909 der »Sozialist« 
wieder erschien, mit einer Auflage von 300 Exemplaren(75) Ziel des Bundes war 
es, 

durch eine geistige Bewegung zunächst einzelner (...) die ökonomische und soziale 
Basis so zu verändern, daß sich für jeden arbeitenden Menschen ein geistvolles, 
kulturerfülltes Leben führen läßt. (76) Landauerpropagierte Siedlungs- 


29 


genossenschaften, in denen der Sozialismus exemplarisch vorgelebt werdenkönn- 

te. Er nannte dies »durch Absonderung zur Gemeinschaft«.(77) 
In den Siedlungen, zu ländlichen Gemeinden vereint, sollten Landwirtschaft, 
Industrie und Handwerk,(78) geistige und körperliche Arbeit verbunden sein. Zu 
konkreten Versuchen ist es von Landauers Seite nie gekommen. Siedlungspro- 
jekte, die nach der Novemberrevolution entstanden, griffen teilweise aufLan- 
dauersche Vorstellungen zurück.(79) Über seinen Freund und Verwalter seines 
Nachlasses, Martin Buber, haben Landauers Siedlungsideen bis hin zur Errich- 
tung der israelischen Kibbuzims nachgewirkt.(80) 


Die Zusammenarbeit zwischen 
»Freier Vereinigung« und Anarchisten 


Die Zusammenarbeit zwischen »Freier Vereinigung« und anarchistischen Grup- 
pen war von Anfang an durch Auseinandersetzungen politischer und 
persönlicher Art gekennzeichnet, die sich später im Rahmen der FAUD noch 
desintegrierend auswirken sollten. Seit der Übernahme der Idee des 
Generalstreiks und der direkten Aktion durch die »Freie Vereinigung« und der 
damit verbundenen Distanz zur SPD waren die ideologischen Voraussetzungen 
für eine Zusammenarbeit mit den Anarchisten geschaffen. Die AFD konnte sich 
nicht zu einer klaren Position zur »Freien Vereinigung« durchringen. Auf ihrem 
1. Kongreß wurde die Mitarbeit in der »Freien Vereinigung« beschlossen. Dieser 
Beschluß wurde auf dem 2. Kongreß auf starken Druck der Berliner 
Anarchisten, die in den Zentralverbänden arbeiteten, aufgehoben. Nun wurde 
den Mitgliedern die Wahl der Gewerkschaftsorganisation freigestellt. Einig war 
man sich darüber, daß die gewerkschaftliche Arbeit nur ein Teilaspekt 
anarchistischer Wirksamkeit darstellen sollte.(81) 

Bei der »Freien Vereinigung« war das anarchistische Element zwar durch die 
Zeitschrift »Der Pionier« vertreten gewesen, konnte sich aber nicht gegen den 
Pragmatiker Kater als verbindliche Ideologie durchsetzen. Ähnlich wie bei der 
Frage der Namensgebung glaubte er, der in der sozialdemokratischen Tradition 
verwurzelten Mitgliedermenge einen Wechsel des Namens und der Ideologie 
nicht zumuten zu können.(82)Aus denselben Erwägungen kam es auch zum 
Bruch mit Dr. Friedeberg, als dieser sich immer mehr zum Anarchismus hinent- 
wickelte.(83) 

Ähnlich widersprüchlich war das Verhältnis der »Freien Vereinigung« zu 
Gustav Landauer. Einerseits lobten sie ihn »als der feinste Kopf der freiheitlichen 
und anarchistischen Ideenwelt«, der sie schon 1906 mit den Ideen Kropotkins 
bekannt gemacht hätte, kritisierten ihn aber wegen seiner ablehnenden Haltung zur 
Gewerkschaftsfrage und seines Konzeptes der Siedlungsgenossenschaften. 


26 


Außerdem warfen sie ihm intellektuellen Hochmut gegenüber der 
Arbeiterbewegung vor.(84) 

Unproblematisch erwies sich die Zusammenarbeit zwischen Lokalisten und 
Anarchisten in Rheinland-Westfalen. Die dort 1910 gegründete »Anarchistische 
Föderation Rheinland-Westfalen« setzte sich nachdrücklich für die Mitarbeit ihrer 
Mitglieder in der »Freien Vereinigung« ein. (85) Ihre kurzfristig erscheinende 
Zeitschrift »Der Weckruf« nannten sie »Organ fürAnarchismus und Syndikalis- 
mus«. In der Nr.2 dieser Zeitung schrieben sie über das Verhältnis zwischen 
Anarchismus und Syndikalismus: 

Der Anarchismus wird erst dann nicht mehr in der Luft schweben, wenn hinter 
ihm eine starke syndikalistische Bewegung steht, eine Bewegung, die das freie 
Selbstbestimmungsrecht in all ihren Aktionen besitzt, eine Bewegung, die 
schon im voraus durch ihre taktischen Kampfmittel auf unserer Seite steht und 
zu uns gehört und das ist in Deutschland nur die »Freie Vereinigung Deutscher 
Gewerkschaften.« (86) 


Die ersten Organisationen der »Freien Vereinigung« waren 1901 in Rheinland- 
Westfalen gegründet worden unter maßgeblicher Initiative des Fließenlegers Carl 
Windhoff, der bis 1933 eine führende Rolle in der anarcho-syndikalistischen 
Bewegung spielte. Die personellen Verbindungen zwischen »Freier Vereinigung« 
und »Anarchistischer Föderation« waren in vielen Ortsgruppen sehr eng. Daher 
wechselten häufig die Benennungen und Zuordnungen im behördlichen 
Schriftverkehr. So waren in Dortmund und Gladbeck die Ortsführer der »Freien 
Vereinigung« zugleich Kontaktadressen der AFRW.(87) In Elberfeld war der 
Kontaktmann der AFRW zugleich Delegierter für Elberfeld beim 9. Kongreß der 
»Freien Vereinigung« (1910).(88) Eine Polizeiakte über die in Düsseldorf und 
Umgebung lebenden Anarchisten im Jahre 1912/13 weist in den meisten Fällen 
Doppelmitgliedschaften im »Anarchistischen Propagandaverein« für Düsseldorf 
und Umgebung und der »Freien Vereinigung« aus und den Bezug des jeweiligen 
Presseorgans. Auch über gemeinsame Veranstaltungen undeine gemeinsame 
Maifeier im Jahre 1913 wird berichtet. In Düsseldorf gab es sogar einen Sänger- 
verein, die »Freien Sänger 04«, der sich fast ausschließlich aus Anarchisten und 
Syndikalisten zusammensetzte.(89) Die Düsseldorfer Gruppen der Anarchisten und 
Syndikalisten waren die stärksten im Bezirk.(90) Nach den Angaben aus den Akten 
ist davon auszugehen, daß zwischen 200 und 400 Leute der anarchistischen und 
syndikalistischen Bewegung angehörten, und ihr Einfluß bei der Düsseldorfer 
Arbeiterschaft, vor allem bei den Fließenlegern und den Bauberufen, nicht 
unerheblich gewesen ist, zumal Carl Windhoff bis zu seinem Parteiausschluß 1904 
Kreisvertrauensmann der SPD in Düsseldorf und dadurch in der linken 
Arbeiterschaft sehr bekannt war.(91) Gleichwohl kam es auch in Rheinland- 
Westfalen zu Reibereien zwischen den beiden Gruppierungen. Anlaß war ein 
Artikel von Fritz Kater in der »Einigkeit« mit dem Titel »Was ist Spiegelfech- 


27 


terei?«, in dem er behauptete, daß der »Weckruf« mit Geldern finanziert worden 
sei, die Kölner Gruppen der »Einigkeit« schuldeten.(92)Die Differenzen wurden 
auf der Regionalkonferenz der FVdG in Düsseldorf beigelegt und es wurde eine 
Resolution verfaßt, in der »Die Einigkeit« und die Pressekommission aufgefor- 
dert wurde, zukünftig keine Artikel mehr abzudrucken, die die Zusammenarbeit 
»der anarchistischen und syndikalistischen Richtung unmöglich« machen.(93) 


2.Die Ideen des 
deutschen Anarcho-Syndikalismus 


Der Anarcho-Syndikalismus — oft synonym auch lediglich »Syndikalismus« 
genannt (von frz. syndicat = Gewerkschaft) — greift in seinen Wurzeln auf liberales, 
antijakobinisches, frühsozialistisches und anarchistisches Gedankengut zurück. Es ist 
vor allem ein Verschmelzungsversuch der Ideen Proudhons, Bakunins, der 
französischen Syndikalisten (Pierre Monatte, Ferdinand Pelloutier u.a.), des 
kommunistischen Anarchismus Peter Kropotkins und—für Deutschland —des 
»Sozialistischen Bundes« Gustav Landauers. Erteiltmitdiesen die prinzipielle 
Ablehnung von Kapitalismus, Staat, Kirche und jeglicher zentralistischer Orga- 
nisation, verwirft von daher auch politische Parteien und den Parlamentarismus. 

Der Anarcho-S yndikalism us setzt die antistaatliche Linie der modernen poli- 
tischen Theorie »die vom frühen Liberalismus zum Anarchismus führt« (94) fort. In 
diesen Zusammenhang gehören die antistaatlichen Theorien des Franzosen Pierre 
Josef Proudhon und des Russen Michail Bakunin. Proudhon betonte das Prinzip des 
Föderalismus, die anarchistische Gesellschaft sollte sich unter Ausschaltung aller 
staatlicher Institutionen, im »Öökonomischen Bereich als "Bund der 
Arbeiterassociationen" und im politischen Bereich als "Bund der Kommunen" 
organisieren«. (95) Die Theorien Proudhons wurden von Bakunin weiterentwickelt. 
Im Gegensatz zu Proudhon, der sich nicht prinzipiell gegen das Eigentum aussprach, 
sondern nur gegen das arbeitslose Eigentum(96) (Zins, Mieten, Dividenden), war 
Bakunin Kollektivist, d.h. alle Produktionsmittel, Grund und Boden sind 
Gemeineigentum,(97) der Privatbesitz wird auf die Produkte der individuellen Arbeit 
eingeschränkt. Bakunin betonte die Bedeutung der Gewerkschaften als Träger der 
zukünftigen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung.(98) Damit stand er in Einklang 
mit den Statuten der Internationalen Arbeiter-Assoziation (1. Internationale), in der 
bis zu ihrer Spaltung, 1872, sämtliche Strömungen der sozialistischen 
Arbeiterbewegung vertreten waren. In den von Karl Marx verfaßten Statuten wurden 
die Grundsätze vertreten, »daß die Emanzipation der Arbei- 


28 


terklasse durch die Arbeiterklasse selbst erobert werden muß«(99) und »daß die 
ökonomische Emanzipation der Arbeiterklasse daher der große Endzweck ist, 
dem jede politische Bewegung als Mittel unterzuordnen ist«.(100) Diese Grund- 
sätze machte sich auch die anarcho-syndikalistische Bewegung zu eigen und 
Luigi Fabbri betont, daß die Differenzen zwischen Anarchisten und Marxisten 
mehr praktischer als prinzipieller Natur gewesen seien, da beide die gleichen 
Endziele hätten.(101) Insofern hätte der Syndikalismus sowohl marxistische als 
auch anarchistische Traditionen, was nicht im Widerspruch zueinander stehen 
würde.(102)Weitere wesentliche Prinzipien der syndikalistischen Bewegung wie 
die Annahme des Generalstreiks als Kampfmittel, die revolutionäre direkte Aktion, 
der antipatriotische Militarismus, ... der Endzweck, die Expropriation um eine 
geschichtliche soziale Organisation herzustellen, deren direkte Geschäftsführung 
die Gewerkschaften übernehmen, durch unmittelbare Verwaltung des 
gesellschaftlichen Eigentums, ohnepolitische Vermittler bei der Produktion (103) 
sind schon in der 1. Internationale entwickelt worden. 

Nach dem Ausschluß Bakunins aus der Internationale auf dem Haager Kongreß 
1872 schlossen sich dessen Anhänger zu einer neuen Organisation zusammen, der 
sogenannten anarchistischen Internationale.(104)1878 löste sich diese Organi- 
sation auf, da die Sektionen in den verschiedenen Ländern aufgrund der staat- 
lichen Repression nur noch im Untergrund arbeiten konnten.(105) 

Die moderne syndikalistische Bewegung entstand in Frankreich in den 90er 
Jahren des letzten Jahrhunderts.(106) Sie knüpfte bewußt an die Traditionen der 
Internationalen an. Entstehungsursachen des Syndikalismus in Frankreich waren: 

1. Die Entwicklung des Fabriksystems und die damit verbundene wirtschaftliche 
Konzentration. 

2. Die Zerstrittenheit der verschiedenen sozialistischen Parteien und deren rein 
parlamentarische Orientierung, von denen sich die meisten Arbeiter keine Ver- 
besserung ihrer materiellen Situation versprachen. Da die Parteien auch über 
eigene Gewerkschaften verfügten, war auch im wirtschaftlichen Bereich kein 
einheitliches Vorgehen möglich. 


Von den französischen Syndikalisten wurden die wesentlichen Grundlagen und 
das Organisationsmodell des AnarchoSyndikalismus entwickelt. Das syndika- 
listische Gedankengut verbreitete sich rasch, auf dem Hintergrund der 1904 in 
der internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung beginnenden 
Massenstreikde-batte. 1913 fand in London der 1. internationale syndikalistische 
Kongreß statt.(107) 

In der Literatur wird häufig die Bedeutung des Intellektuellenkreises um Georges 
Sorel auf die syndikalistische Bewegung in Frankreich sehr hoch eingeschätzt, was 
nichtzuletzt auf die Veröffentlichung von Werner Sombart(108) zurückzuführen 
ist. Vom Theoretiker des deutschen Anarcho-Syndikalismus, Rudolf Rocker, wird 
dieser Einfluß abgestritten; die Intellektuellen um Sorel 


29 


hätten keinen spürbaren Einfluß auf die Entwicklung der französischen 
Bewegung gehabt.(109) 


Ethische Grundlagen 


Wie bereits angemerkt, war besonders der deutsche Anarcho-Syndikalismus von 
den Theorien des Kommunistischen Anarchismus geprägt, dessen hervorragen- 
ster Vertreter der Russe Peter Kropotkin war.(110) Kommunistisch nannte sich 
diese Richtung des Anarchismus, weil sie nicht nur wie die Kollektivisten 
(Bakunin) Produktionsmittel, Grund und Boden, sondern auch die Arbeitser- 
zeugnisse in Gemeineigentum überführen wollten. Dies wurde begründet aus der 
Komplexität der Produktion, die kein exaktes Mehr für den Wert individueller 
Arbeit zulasse und die bei rationaler Planung Wohlstand für alle Menschen 
ermöglichen könnte.(111) 

Die kommunistische Gesellschaft sollte auf der Grundlage föderierter, selb- 
ständiger Produktionsgemeinschaften aufgebaut werden, in denen es zu einer 
Vereinigung von Industrie, Landwirtschaft und Handwerk, von körperlicher und 
geistiger Arbeitkommen sollte.(112) In diesen Produktionsgemeinschaften würde 
das Hauptübel des Kapitalismus, die Arbeitsteilung, wegfallen und an die Stelle 
der Autorität und Zentralisation würden die Solidarität und persönliche Verant- 
wortlichkeit der Produzenten treten. 

Die Spannung zwischen den individualistischen und kommunistischen Vor- 
stellungen versuchte Kropotkin in seiner Ethik auszugleichen. Kern dieser 
Ethik ist das Gesetz von der gegenseitigen Hilfe. Im Gegensatz zu der 
damaligen Interpretation der Darwin'schen Lehre, die den Kampf ums Dasein 
als wesentlichsten Evolutionsfaktor darstellte, bewies Kropotkin in einer 
detailreichen Studie,(113) daß die gegenseitige Hilfe und Solidarität unter 
Tieren ebenso verbreitet ist wie der Kampf ums Dasein. Kropotkin konstatierte 
einen »Solida-ritäts- oder Sozialtrieb«, dies sei ein Gefühl 

unendlich weiter als Liebe und Sympathie — ein Instinkt, der sich langsam bei 
Tieren und Menschen im Laufe einer außerordentlich langen Entwicklung aus- 
gearbeitet hat und der Menschen und Tiere gelehrt hat, welche Stärke sie durch 
die Betätigung gegenseitiger Hilfe gewinnen und welche Freuden sie im sozialen 
Leben finden können.(1 14) 
Moralempfinden, Gewissen seien nichts anderes als die menschliche, intellek- 
tuelle Ausdrucksform dieses »Sozialtriebes« oder Grundinstinkts, wozu »jedes 
wie immer geartete und mit ausgeprägtem sozialen Instinkt begabte Tier« 
kommen müßte, wenn »seine intellektuellen Kräfte so gut oder fast so gut wie 
beiMenschen entwickelt wären«.(115) 
Die deutschen Anarcho-Syndikalisten nahmen diesen Grundgedanken Kropot- 


30 


kins in ihre Prinzipienerklärung auf, in der sie erklärten: 
daß die gesellschaftliche Klassenteilung und der Kampf der kapitalistischen Ord- 
nung “degenerierend und verhängnisvoll wirkten’ auf den Charakter und das 
Moralempfmden des Menschen, indem sie die unschätzbaren Eigenschaften der 
gegenseitigen Hilfe und des solidarischen Zusammengehörigkeitsgefühls, jene 
kostbaren Eigenschaften, welche die Menschheit aus den früheren Perioden ihrer 
Entwicklung übernommen hat, in den Hintergrund drängen und durch krankhafte 
asoziale Züge und Gewohnheiten ersetzen... (116) 

Für die Organisationsform des Anarcho-Syndikalismus bedeutete dies, auf dem 

Hintergrund dieser Argumentation, daß sie die in den Hintergrund gedrängte, aber 

noch bestehende Soziabilität aufzunehmen hatte. Dies konnte nach ihrer Meinung 

nur eine föderalistische Organisation, in der der Freiheitsdrang des Einzelnen und 

der entfaltete Sozialtrieb sich gegenseitig ergänzten. 


Grundprinzipien 


Anknüpfend an Proudhons und Kropotkins Ideen vom staatenlosen "Bund der 
Arbeiterassociationen", "B und der Kommunen" (117) und Landauers 
Auffassung von der Gesellschaft als einer »Gesellschaft von Gesellschaften, 
Bund von Bünden, Gemeinwesen von Gemeinschaften von Gemeinden...«(118) 
ist das Hauptprinzip des Anarcho-Syndikalismus der Gedanke des freiwilligen, 
gleichberechtigten Zusammenschlusses, des Föderalismus. In dem Gegensatz 
von Föderalismus und Zentralismus sah etwa Rudolf Rocker nicht nur »zwei ver- 
schiedene technische Organisationen«, sondern zwei verschiedene geistige Ein- 
stellungen der Menschen.(119) 

Der Föderalismus basiere »auf den gemeinschaftlichen Interessen und 
demZusammengehörigkeitsgefühl der Menschen,(120) beim Zentralismus 
hingegen mache die »lebendige Kraft der Organisation einer öden Mechanisierung 
der Dinge Platz«,(121) Föderalismus wachse »organisch aus den schöpferischen 
Instinkten und Bestrebungen der Allgemeinheit«,(122) sei »organisatorische 
Zusammenfassung selbständiger, gesellschaftlicher Körperschaften zur Erreichung 
eines gemeinsamen Zieles auf der Basis freier Vereinbarungen.(123) Aufgrund der 
föderalistischen Einstellung sind die Anarcho-Syndikalisten grundsätzlich 
Gegnerdes Staates. Sie lehnen auch den Staat als Übergangsstadium, die Eroberung 
der politischen Macht und jede Verstaatlichung der Produktion ab. Dies unter- 
scheidet sie von den Marxisten der verschiedenen Richtungen.(124) 

Aus der Gegnerschaft zum Staate ergibt sich die Position zum Nationalismus, 
in dem sie die »Religion des modernen Staates«(125) sehen. Der Anarcho- 
Syndikalismus verwirft alle »willkürlich gezogenen politischen und nationalen 
Grenzen«.(126) Er erkennt aber Unterschiede regionaler Art an, die jeder 


31 


Volksgruppe das Recht gibt, »ihre Angelegenheit und ihre besonderen Kultur- 
bedürfnisse gemäß ihrer eigenen Art und Veranlagung regeln zu können.(127) 
Der Anarcho-Syndikalismus verwirft jede Form der parlamentarischen 
Betätigung mit der Begründung 
daß auch das freieste Wahlrecht die klaffenden Gegensätze innerhalb der 
heutigen Gesellschaft nicht mildern kann und daß das ganze parlamentarische 
System nur den Zweck verfolgt, dem System der Unterdrückung und der sozialen 
Ungerechtigkeit den Schein des legalen Rechts zu verleihen.(128) 


Der aufgrund dieser Einstellung oft gemachte Vorwurf, der Anarcho-S yndikalis- 
mus sei eine apolitische Bewegung, wird zurückgewiesen. Nicht die politische 
Betätigung grundsätzlich, sondern nur deren parlamentarische Form werde abge- 
lehnt.(129) Aus der antiparlamentarischen Einstellung folgt die Stellung des 
Anarcho-Syndikalismus zu den politischen Parteien. Die Parteien seien nicht 
imstande, egal, welchem Ideenkreis sie angehörten, »den sozialistischen Aufbau 
durchzuführen«,(130) dies könnte nur von den wirtschaftlichen Kampforganisa- 
tionen, den Gewerkschaften, durchgeführt werden. Im Gegensatz zur Partei sei 
die Gewerkschaft klassengebunden. 

Die Gewerkschaft ist die Organisationsform des Proletariats im Gegensatz zur 

Partei als Organisationsform des Bürgertums und einer verbürgerlichten Arbeiter- 

bewegung.(131) 


Sollte das Ziel, der »herrschaftslose Sozialismus«,(132) föderativ sein, so mußten 
es für die Anarcho-Syndikalisten auch die Mittel sein: Ausgehend vom lokalen 
Zusammenschluß der Arbeiter der jeweiligen Berufsbranche (»Industriefödera- 
tionen«) bildeten sich auf örtlicher Kreis-, Bezirks- und Provinzebene sog. 
»Arbeiterbörsen«,(133) lockere Verbindungen der autonomen Föderationen. Diese 
besaßen keine Leitungen mit Weisungsrecht nach unten, sondern lediglich sog. 
»Informationsstellen« zum Zweck der Koordination, des Meinungs- und 
Informationsaustausches. Das galt ebenso für den Zusammenschluß der 
Arbeiterbörsen bis zur nationalen und internationalen Ebene. So hatte etwa die von 
der Reichskonferenz gewählte »Geschäftskommission« in Berlin bis zur nächsten 
Konferenz lediglich informierenden und beratenden Charakter, und die 
Bezirksinformationsstellen wechselten aus Prinzip immer zu anderen 
Arbeiterbörsen, um längerdauernde Informationsmonopole und Machtbildung zu 
verhindern. Ebenso wie die Arbeiterbörsen der FAUD waren auch die anarcho- 
syndikalistischen Jugend-, Frauen-, und Freidenker- und Sängergruppen horizontal 
und vertikal föderiert. 


32 
Die Idee der Arbeiterbörse 


Die Gewerkschaften haben aus anarcho-syndikalistischer Sicht doppelte 
Aufgabe: 
1. Den Forderungen der Produzenten nach Sicherung und Anhebung des Lebens- 
standards Geltung zu verschaffen 
2. Die Arbeiter mit dem technischen Management der Produktion und des ökono- 
mischen Lebens allgemein vertraut zumachen und sie darauf vorzubereiten, den 
sozio-ökonomischen Organismus in die Hände zu nehmen und ihn nach soziali- 
stischen Prinzipien zu gestalten.(134) 
Ein früher, sehr optimistischer Vorschlag zum »Aufbau der syndikalistischen 
Arbeiterbörsen innerhalb der FAUD« aus dem Jahre 1920 mag erläutern, wie 
diese als umfassende Keimformen der kommunistisch-anarchistischen Gesell- 
schaft konzipiert waren. Dort heißt es u.a.: 
Der Syndikalismus ist also: Kampf und Organisation für den Sozialismus. Das heißt: 
Er formt bewußt sozialistische Keimzellen schon innerhalb der kapitalistischen 
Gesellschaftsordnung durch den Aufbau seiner Organisation, die alles Alte 
zerstörend, Neues schafft. Ihm ist Zerstörung eine schaffende Lust. Er führt den 
Kampf zur Erledigung der kapitalistischen Ausbeuterklassen und ihrer Systeme: 
Staat, Geld, Justiz, Kirche, Militarismus, Nationalismus und Dummheit... Eine 
Organisation, die den herrschaftslosen Sozialismus verwirklichen will, muß allen 
Wesensmerkmalen des Sozialismus in ihrem Aufbau zum Ausdruckverhelfen.(135) 
Nach der Darlegung der Aufgaben der Arbeiterbörsen hinsichtlich anarcho- 
syndikalistischer Propaganda und der Organisierung der »Tageskämpfe aller in der 
Börse zusamengefaßten Gewerkschaften« heißt es dort weiter, die Arbeiterbörsen 
sollten, von Familie und Wohnbezirk ausgehend, »Regler des Konsums sein bzw. 
werden.« Dazu wird die Wahl einer »Studienkommission für den Konsum« 
vorgeschlagen: »Ihn an seiner Urquelle studieren, erfassen, seine Regelung in das 
Bewußtsein des Einzelnen zurückverlegen, heißt, den Konsum gerechtmachen.« Im 
einzelnen soll die Studienkommission »den Verbrauch und Bezug an Lebensmitteln 
im Bezirk... feststellen« und »Möglichkeiten für Beschaffung derselben durch 
Zusammenschluß® in Verbindung mit proletarischen Siedle-- und 
Produktionsgemeinschaften... erforschen und durchführen.« In Anlehnung an 
Proudhons Tauschbank (»banque mutualistique«) sollen die Arbeiterbörsen »den 
direkten Tausch zwischen Erzeuger und Verbraucher im Bezirk anregen« und 
»neue Möglichkeiten für Umgehung der Ausbeuterwirtschaft« suchen. Schließlich 
sollen die  Studienkommissionen Siedlungsmöglichkeiten erforschen, 
Siedlungsaktionen studieren und herbeiführen..., die Verwendung von Grund und 
Boden feststellen... (und) die Herbeiführung einer gerechten 


33 


Neuverteilung von Grund und Boden ermöglichen« bzw. »in Aktionen 
erzwingen.« 

Über diese direkten wirtschaftlichen Aufgaben hinaus sollten die Arbeiterbör- 
sen nach diesem Vorschlag auch föderalistische Gremien der Koordination mit 
nicht-gewerkschaftlichen anarcho-syndikalistischen Kulturinitiativen sein: So 
seien auch »Jugend und Frauen entsprechend ihrer Stärke... an die Arbeiterbörsen 
zudelegieren,« wobei damit zur »wichtigsten Aufgabe der Arbeiterbörsen« wird, 
»die Solidarität unter den einzelnen angeschlossenen Gewerken, Vereinen, B 
ünden usw. zu üben und zu vertreten.« (Der Schreiber dieses Vorschlags ahnt 
offensichtlich, daß diese Konstruktion, die schon zwischen den 
Industrieföderationen selbst problematisch ist, im Verhältnis zur anarcho- 
syndikalistischen Jugend-, Frauen-, Siedlerbewegung und sonstigen »Vereinen« 
und »Bünden« großen Zerreißproben ausgesetzt sein würde). 

Endlich sieht der Vorschlag die Wahl von »Kulturkommissionen« bei den 
Arbeiterbörsen vor, die zu sorgen hätten 

a) für Bildung des Geistes: Festlichkeiten, Theater, Konzerte... 

b) für Arbeitsschule und Erziehung: Mit der Aufgabe, die Erziehung der Kinder in 
die rechten Bahnen gesunder, proletarischer Arbeitsschulung zu bringen, Vor- 
schläge für Förderung und Errichtung solcher Schulen auszuarbeiten. 

c) fürSiedlungsschulen... 

d) für Lehrlingswesen: Die Berufswahl, Eignung, Möglichkeiten usw. zu prüfen; 
Eltern, Vormündern, Erziehern und der Jugend selbst... hilfreich beizustehen. 

e) für Rechtswesen: Die Beziehung der Genossen untereinander von Mensch zu 
Mensch zu regeln, unter Ausschluß jeder Justiz bürgerlicher Art, nach eigenem 
proletarischen Empfinden,nach den Grundsätzen der Gegenseitigen Hilfe... 
Streitigkeiten zu schlichten. In Fragen des bürgerlichen Rechts Auskünfte zu 
erteilen.(136) 

Zur — auch nur ansatzweisen —Entfaltung einer solchen Breite der 
Arbeiterbörsen ist es nie gekommen. Für unseren Zusammenhang ist dennoch 
dieser virtuelle Umfang des Projekts » Arbeiterbörse« von Bedeutung, konnten sich 
doch vor diesem Hintergrund alle einzelnen anarcho-syndikalistischen 
Kulturinitiativen als wichtige und gleichberechtigte »Bausteine« der 
Gesamtbewegung betrachten und legitimieren. 


Die »direkte Aktion« und die Gewaltfrage 


Wichtigstes Kampfmittel und in ihren Anforderungen und Konsequenzen selbst 
eine Idee ist die »direkte Aktion«, der »unmittelbare Kampf der Arbeiter gegen 
ökonomische und politische Unterdrückung«.(137) Historisch entstanden ist die 
»direkte Aktion« als Reaktion der Arbeiterklasse auf die zunehmende Konzen- 
tration und Zentralisation des Kapitals und die wachsende Kampfunwilligkeit und 


34 


Kampfunfähigkeit der Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien. 
Gegenüber allen »indirekten« politischen Strategien, wie Parteienbildung, 
Wahlen u.a., umfaßt die »direkte Aktion« den 
Streik in seinen verschiedenen Ausformungen, die passive Resistenz, den Boykott, 
das Label (Gewerkschaftsmarke im Konsumbereich), die Obstruktion, Demon- 
stration, Verweigerung des Militärdienstes und der durch den Staat und kapita- 
listische Gesellschaftsordnung auferlegten Pflichten, Besetzung der Betriebe, 
Generalstreik.(138) 
Hier wird im Unterschied zu den übrigen Gewerkschaften und Parteien der 
Einsatz jedes Einzelnen gefordert: »Die Befreiung von Ausbeutung und Unter- 
drückung kann nur durch ununterbrochene Selbstätigkeit der revolutionären 
Arbeiterschaft erfolgen, die ihren Ausdruck findet in der direkten Aktion.«(139) 

Die höchste Kampfform der »direkten Aktion« ist der Generalstreik, 
wobeiunterschieden wird zwischen Generalstreiks für politische Ziele (politischer 
Massenstreik) und dem sozialen Generalstreik, unter dem die Einleitung der 
sozialen Revolution verstanden wird.(140) Der soziale Generalstreik wird als 
stärkste Waffe der Arbeiter im Kampf für ihre soziale Befreiung gesehen und 
nimmt im industriellen System den Platz ein, »der früher den Barrikadenkämpfen 
in den politischen Aufständen zukam.«(141) 

Im Konzept der »direkten Aktion« geht es interessanterweise nicht allein um 
kollektive Aktionen, sondern sehr wohl auch um individuelle »Verweigerung des 
Militärdienstes« und anderer »Pflichten«. Hier schließt sich die Verbindung zu 
den Ideen Landauers: Ist der Generalstreik die »große Verweigerung«, so ist das 
»Austreten aus dem Kapitalismus« und z.B. die Bildung sozialistischer Sied- 
lungen eine Form der »kleinen« Verweigerung. Beiden liegt die Idee zugrunde, 
den Herrschenden die Macht zu entziehen, nicht die, sie zu »übernehmen«. 

»Direkte Aktion« ist nicht eindeutig auf Gewalt oder Gewaltlosigkeit festgelegt. 
Die Gewaltfrage war unter Anarcho-Syndikalisten immer umstritten. Einigkeit 
bestand lediglich in der grundsätzlichen Ablehnung staatlicher und zwischen- 
staatlicher Gewalt. In der Berliner »Geschäftskommission« der FAUD vertraten 
vor allem Fritz Oerter, der "Altsyndikalist' Fritz Kater, Franz Barwich, Winkler, 
Augustin Souchy und Helmut Rüdiger den prinzipiellen oder taktischen Stand- 
punkt, die anarcho-syndikalistischen Kampfmethoden hätten »gewaltlos« im Sinne 
der Nichtanwendung bewaffneter Gewalt zu sein. Grundsätzlich verwarf auch der 
Wiener Theoretiker Pierre Ramus die Anwendung jeglicher körperlicher Gewalt. 
Von den rheinisch-bergischen Anarcho-Syndikalisten wurde er dafür verächtlich 
»Dr. Unblutig«(142) genannt. Sie beteiligten sich — gegen die Empfehlung der 
»Geschäftskommission« — am bewaffneten Widerstand gegen den Kapp-Putsch 
(»RoteRuhrarmee«),(143) gebrauchten häufig, z.B. Streikbrechern gegenüber, den 
Begriff der »direkten Aktion« synonym mit »Verprügeln«(144) und bewaffneten 
sich z.T. individuell oder in einzelnen Gruppen angesichts der 


35 


zunehmenden Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialism us Ende 
der 20er Jahre. 

Die Opposition gegen die Berliner Geschäftskommission war, nach den Erfah- 
rungen des Kapp-Putsches, im Rhein-Ruhr-Raum besonders heftig. Zwar wurde 
jede organisierte Gewalt zur Erringung der Staatsmacht kategorisch abgelehnt und 
die Vorrangigkeit des ökonomischen Kampfes betont, aber unter gegebenen 
Verhältnissen würden sich auch die Syndikalisten der Waffe bedienen.(145) Einer 
der führenden Syndikalisten in der Region, Heinrich Reuß (Mülheim/Ruhr), 
formulierte dies in einem grundsätzlichen Artikel »Die Bedeutung der Gewalt im 
proletarischen Klassenkampf« wie folgt: 

Tatsache ist, daß wir uns dort, wo es möglich und notwendig war, auch der Waffe 
bedient haben. Und wir sind nicht deshalb zu Hunderten eingesperrt gewesen, 
weil wir mit Rosenkranz und Gebetbuch der Soldateska entgegentraten... Es gibt 
Umstände und Situationen, welche unser Handeln geradezu diktieren und wenn 
die Waffe über Sein und Nichtsein entscheidend bestimmt, ... dann wird auch 
unsere Faust nicht zittern ... Was uns Syndikalisten von den Verfechtern der 
Gewaltphrase trennt, ist zunächst unsere Erkenntnis von der Wirksamkeit der 
ökonomischen Kampfmittel.(146) 
Über die Frage individueller Gewaltakte wurde 1924 im »Syndikalist« eine 
Diskussion geführt. In Remscheid hatten im Februar während eines Streiks u.a. 
Mitglieder der FAUD eine Bombe in die Villa des Direktors der Mannesmann 
Röhrenwerke geworfen. Der »Syndikalist« forderte die Mitglieder der FAUD zur 
Solidarität mit den zu Zuchthaus verurteilten Genossen auf.(147) Die Kreis- 
Arbeiterbörse Elberfeld sprach sich gegen die Solidarität aus. Die Verurteilten 
wären sogenannte Individualisten, »welche sich in Ermangelung eines klaren, 
ausgeprägten Denk- und Auffassungsvermögens in den gelesenen oder gehörten 
Ideengängen eines S tinter, Nietzsche, mehr und mehr verwickelt« hätten, und nun 
in »ihrer krankhaften Einbildung diese Verwicklung als eine Entwicklung zum 
sogenannten Übermenschen betrachteten«.(148)Durch ihre organisationsfeind- 
liche Tendenz, durch ihre Unterstützung der gegen die FAUD gerichteten, 
individual-anarchistischen Zeitschrift »Der Alarm« von Carl Lange(149) in 
Hamburg, dem Ausschluß aller Kirchenmitglieder aus der Organisation, wären die 
Individualisten für die Auflösung der Metallarbeiter-Föderation in Remscheid 
verantwortlich. Die reichhaltige Bibliothek und die Kassenbücher befänden sich 
immer noch in der Hand der Langer-Jünger. 

Die Ortsgruppe Wiesdorf warf den Elberfeldern vor, sie richteten moralisch im 
bürgerlichen Sinne über Klassengenossen, um sich der Solidaritätspflicht zu 
entziehen. Die Feststellung der Elberfelder, das Attentat sei ein »Produkt indivi- 
dualistischer Geisteseinstellung«, rieche nach Denunziantentum; als Syndikali- 
sten gelte für sie in erster Linie das Gebot der Klassensolidarität, dann erst, ob die 
Verurteilten zur FAUD gehörten oder nicht.(150) 

Die Elberfelder reagierten sehr schroff auf diesen Vorwurf; sie Könnten indivi- 


36 


rieg dem n rggel 


rod? fettfit bie 211enfdtlieit unterben Solgen bes nerfloffenen Hriegces! 2lodi fließen bie Zrünen 
bet Witwen, Irreifen unb 21Tfitter! nod? tninben fit in £a3aretten rerjtiimntelte unb JKruppel bes 
rapitaliftifdten Raub3ugesl nod? fud?en Hriegsbefddäbigte vergebens ben Dan bes rater: lanbes! 
nod? 3cliren bie Geier im tr'eften nnb Often .nom Ras + ber Solbatenleiber.. Ileberall' eollin mir 
fdiauen, Elenb, 2lot unb Sdtmer3, gepaart mit Cage, Sdtutad? unb 6enteinfteit. 


Menschen! Wo sind- Eure Gehirne!??? 


lInb in bem Rugenblicr, wo all bas Surdttbare cud? nor tlugen ftelit, nod? an Mart nnb Seele 
Art, brol?t eine neue 2tata!lroplie fiber tins I?erein3ubred?en. Die 3ermalmenbe Itriegsgejtalt 
nod? itt frifdten eiebenfen, ift tnieber 311 nettem £eben ermecft unb feine 2lut3nicter brol?en 
fie auf big ‚gefd?unbene 21Tenfdilieit los3ulaffen. + 


Menschen + der Schaffensstätte! 
Entrechtetes und , verskiavtes Proletariat! 


Derlocrenbe 2Clänge ber „naterlänbifdten IDürbettträger" tub ihrer *anbretnger, bie Urlieber bes 
nierjäl?rigen DBlrcrntorbes, neriud?en lud? 311 umgarnen. *ente rennt man lud? heute feib 
31p, bic 311r not geftern neradifet —,gleid?beredltigt" eures « Daterlanbes geworben. 








DieGefahrist gross! Mann im Arbeitsrock! Die Lüge droht dich zu ersticken!. Habt 
Ihr vergessen Euren Feind von gestern? Habt Ihr vergessen, wer Euci vor der 
Besetzung des Ruhrgebiets das Recht zum Leben nahm? Habt Il vergessen, 
dass + der „Nationalheld Thyssen" eifriger Förderer des 10 .sündigE Arbeitstags 
ist? Habt Ihr vergessen, dass derselbe Thyssen im vorigen Jahr 1400 Arbeiter 
auf die Strasse warf und beim Kapputsch der weissen Mordbande eine tägliche 
Kampfzulage gewährte? Habt Ihr vergessen, dass Tausende Eurer 
Leidensgenossen, die für Euch gekämpft noch in den Gefängnis » sitzen nach 
Freiheit schmachten? . Habt Ihr vergessen, dass noch vor 

wenigen Tagen in Düsssidorf Eure Brüder erschossen wurden? 


Wer jett mit den ilnterdrüdter des Volkes ist, stärkt iHi.re Madit und Brutalität. 
Unsere Feinde sind im eigenen Lande, frier ihn bekämpft, hilft 'dem inter- 
nationalen Proletariat, wer sie unterstützt, verschärft die Gegensätze, der 

rüstet mit zum neuen Völkermorden, der ist ein Feind der Arbeiterschaft, ein 

Verräter der proletarischen Befreiung. 
Krieg den deutschen Kapitalisten heist: Krieg dem Krieg el 
Unserem Beispiele werden die Arbeiter anderer Länder folgen. 
Für den Weltfrieden, durch die Weltrevolution. 
Verbrüderung der Unterdrückten aller Länder, durch den Kampf gegen die 
Unterdrücker :des eigenen Landes. 











Freie Fiebeiter- Union (Fa,narcho-Synaikalisten) 
Flrbeiter-6örse Gross Düsselöorf. 


»Krieg dem Krieg!« aus: HSTAD, Reg. Düsseldorf. Pol.Akten, Nr.16993 


3:7 


duelle Attentate nicht gutheißen, da sie in ihnen die Ursache für verschärfte 
Repressalien gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung sähen. Auch wenn sie den 
heldenhaften Mut und die persönliche Opferfreudigkeit früherer Attentäter 
bewunderten; im Gegensatz zu den Rem scheidem hätten diese aber zu ihren Taten 
gestanden und nicht gejammert und um Gnade gewinselt. Es komme darauf an, 
»starke, charakterfeste Persönlichkeiten heranzubilden,« nicht aber »durch ma- 
terielle und idelle Unterstützung ausgesprochenen Terroristen und jugendlichen 
Raufbolden Wasser auf die Mühle zu leiten.«(151) Was die Frage der Klassen- 
solidarität anbelangte, so seien Angehörige von »Militär und Polizei und sonstige 
Lakaien des Kapitals« auch letzten Endes Klassengenossen und man würde diese 
natürlich auch nicht in die Solidarität einschließen. Der Verweis auf ein Bakunin- 
Zitat zu individuellen Gewalttaten der Wiesdorfer sei bezeichnend für die geistige 
Reife und Selbständigkeit einzelner Genossen, »daß immer dann, wenn sie in einer 
Sache nicht selbständig zu urteilen in der Lage sind, der alte Herr und Meister 
Bakunin an den Haaren herbeigezogen und um seine Meinungbefragtwird,«(152) 
anstatt ihn wie alle Geistesgrößen als Mann seiner Zeit zu bewerten. 

Unumstrittener Schwerpunkt der gemeinsamen Arbeit der FAUD war die 
Agitation und Aktion gegen staatliche Gewalt, der Antimilitarismus in Wort und 
Schrift, Boykott und Sabotage. Auf dem Reichskongreß der Rüstungsarbeiter 
1919 in Erfurt hielt Rudolf Rocker ein viel beachtetes Referat und eine von ihm 
eingebrachte Resolution zur prinzipiellen Ablehnung der Waffenproduktion und 
Umstellung der Betriebe auf Friedensarbeit wurde einstimmig angenommen.(153) 
Die Metallarbeiter-Föderation der FAUD legte in einer Resolution 1921 ihren 
Mitgliedern die kategorische Pflicht auf, »die Anfertigung jedes Kriegsmaterials 
prinzipiell abzulehnen und zu verweigern.«(154) 

In der Frage der eigenen Anwendung von Gewalt vertrat Rocker — ähnlich 
wie Erich Mühsam oder der italienische Anarchist Errico Malatesta — eine 
»offene« Position: 

Kater, Barwich und Winkler vertreten heute noch den Standpunkt, daß eine 
gewaltsame Erhebung unserer Sache nur von Schaden sein könne. Ich persönlich 
bin darüber etwas anderer Ansicht: Mir ist zwar jede Gewaltphrase zuwider, doch 
glaube ich nicht, daß man zu verschiedenen Zeiten ohne Gewaltanwendung als 
Verteidigungsmittel auskommen kann. Aus diesem Grunde stehe ich auch zu 
Einzelakten anders als Genosse Oerter, und neige hier mehr zur Ansicht Mala- 
testas. (»Nicht mehr Gewalt als unbedingt nötig« — Malatesta)(155) 
Neben dieser brieflichen Äußerung betonte Rocker allerdings immer wieder die 
Bedeutung des »konstruktiven« Elements des Anarcho-Syndikalismus. So schrieb 
er u.a. gegen den französischen Theoretiker der Gewalt, George Sorel gerichtet: »Je 
mehr die Gedanken Proudhons der Bewegung entfremdet wurden, desto mehr 
entwickelte sich der Glaube an die Bedeutung der Gewalt...«(156) 

Gustav Landauer, der stark von Proudhon beeinflußt war, gebrauchte im Sinne 

von »direkter Aktion« stets das Wort »Tat«, worunter er vor allem persönliches 


38 


Handeln oder Unterlassen in passivem Widerstand, aktivem Zusammenschluß oder 
persönlichem Entzug gegenüberdem »mechanisch eisernen Reifen« des Staates, 
des Kapitalismus und des von ihm sogenannten »Polizeisozialismus«(157) 
verstand. Er griff dabei weit in die Geschichte politischer Ideen zurück, bis auf den 
französischen Denker Etienne de la Boätie, aus dessen »Discnrs su la Servitude 
Volontaire« (ca. 1550) er zitiert: 
Woher nimmt der Tyrann so viele Augen, Euch zu bewachen, wenn Ihr sie ihm 
nicht leiht? ...Wie könnte er Euch verfolgen, wenn er nicht im Einverständnis mit 
Euch wäre? Was könnte er Euch tun, wenn Ihr nicht der Hehler des Diebes wäret, 
der Euch beraubt, der Helfer des Mörders, der Euch tötet, und Verräter an Euch 
selbst? ... Seid entschlossen, keine Knechte mehr zu sein, und Ihr seid frei. Ich will 
nicht, daß Ihr den Tyrannen verjagt oder ihn vom Throne werfet; stützt ihn nur 
nicht...(158) 
Hier liegt eine wichtige Brücke zu den nicht-gewerkschaftlichen Bewegungen der 
anarcho-syndikalistischen Jugendlichen, Frauen, Siedler und sonstigen Kultur- 
initiativen. All ihre mögliche »revolutionäre Selbsttätigkeit«, Verweigerung und 
Aufbauarbeit sollte ursprünglich ebenso in die örtlichen Arbeiterbörsen einfliessen 
wie die gewerkschaftlichen Massenkämpfe der FAUD. 


3.Anarcho-Syndikalismus als 
proletarische Kulturbewegung 
— jenseits von Bürgertum und 
marxistischen Arbeiterorganisationen 


Traditionell ist die Diskussion über Arbeiterkultur überschattet von — falschen 
— Allgemeinplätzen wie »bürgerlich = individualistisch + Konkurrent«, »proleta- 
risch = kollektiv + gegenseitig«. Die Vereinfachung, »Individualismus« mit 
»Bürgerlichkeit« gleichzusetzen bzw.kollektiven und individuellen Vorteil le- 
diglich mechanisch gegeneinander zu stellen, entspricht zwar einer bis in die 20er 
Jahre populären idealtypischen Sicht von »Klassenbewußtsein« und war in 
großen Teilen der marxistisch geprägten Arbeiterbewegung verbreitet, kann sich 
aber selbst auf Marx nicht berufen. Er sah im »Manifest der Kommunistischen 
Partei« in der »freien Entwicklung eines jeden die Bedingung der freien Ent- 
wicklung aller«.(159) Galt dies im Marxschen (und 'marxistischen') Verständnis 
zwar erst für die zukünftige Arbeiterassoziation nach der sozialistischen Revo- 
lution, so verriet es doch einen Begriff nichtbürgerlicher Individualität. Hier kam 
(der frühe) Marx noch einer Grundforderung aller anarchistischen Theoretiker 


39 


nahe: Nicht nur der Individualanarchist S timer, sondern auch Proudhon, Bakunin, 
Kropotkin und Landauer erklärten die individuelle »Freiheit« zum Prüfstein der 
Gesellschaft,auch der sozialistischen. So schrieb z.B. Bakunin: »Die Ordnung der 
Gesellschaft muß die Resultante der größtmöglichen Entwicklung aller lokalen, 
kollektiven und individuellen Freiheiten sein.«(120) Ähnlich auch Gustav Lan- 
dauer: »Sozialismus kann nur erwachsen aus dem Geiste der Freiheit und der 
freiwilligen Einung, kann nur erstehen in den Individuen und ihren Gemein- 
den.«(161) Für die Anarchisten und Anarcho-Syndikalistren mußte diese Idee der 
persönlichen Freiheit allerdings nicht erst später, sondern jederzeit eingelöst werden 
— diese Haltung begründete auch ihre besondere Schwierigkeit, sich als 
proletarische Kampforganisation zusammenzuschließen: »Mit der eigenen Mei- 
nung fängt die Meinungsverschiedenheit an«.(162) Gustav Landauer hielt sogar 
den »Sozialismus« selbst »zu allen Zeiten und bei jederTechnik möglich; und... zu 
allen Zeiten und bei jeder Technik für unmöglich. Er ist zu allen Zeiten, auch bei 
recht primitiver Technik den rechten Menschen möglich; und er ist zu allen Zeiten, 
auch bei prachtvoll entwickelter Maschinentechnik, den unrechten Menschen 
unmöglich.«(163) 

Auf dieser ideengeschichtlichen Grundlage entwickelten die Anarcho-Syndi- 
kalisten durchaus Formen von proletarischem Individualismus, wie im Verlauf 
dieser Arbeit gezeigt werden soll. Dies war nicht nur eine von vielen beliebigen 
Mischformen zwischen angeblich klar abgrenzbaren Blöcken 'bürgerlichen' und 
proletarischen' Denkens, sondern bewußter Versuch, »das im traditionellen 
Marxismus notorisch vernachlässigte Problem individueller und kollektiver 
Subjektivität«(164) lösen zu helfen. Die Anarcho-Syndikalisten standen einem 
mechanischen Evolutionismus insbesondere in der Sozialdemokratie gegenüber, 
die »unter Berufung auf wissenschaftliche Einsicht in einen sich gesetzmäßig 
vollziehenden Geschichtsprozeß die Arbeiter vom Subjekt zum Objekt ihrer 
Emanzipation degradierte.«(165) Die Propagierung eines unvermeidlichen 
»Hinüberwachsens des Kapitalismus in den Sozialismus« (Karl Kautsky), sobald 
die »Entwicklung der Produktivkräfte« dies erlaube; die Marxsche Theorie der 
zwangsläufigen »Verelendung« des Proletariats, mit der der Kapitalismus sich 
quasi automatisch »seine eigenen Totengräber« schaffe u.ä. sind Beispiele dieses 
seinerzeit verbreiteten »historisch-materialistischen« Geschichtsdeterminismus. Er 
führte zu einer Haltung des — auch »revolutionär« sich gebärdenden — 
»Attentismus« (= Wartehaltung)(166): »Die bürgerliche Gesellschaft arbeitet so 
kräftig auf ihren eigenen Untergang los, daß wir nur den Moment abwarten 
brauchen, in dem wir die ihren Händen entfallende Gewalt aufzunehmen haben... 
« (August Bebel).(167) Die Folge war ein Organisationsfetischismus, »der die 
Form selbst zum Inhalt (sozialistischer) Praxis werden ließ«.(168) In einem 
vermeintlich gegen bürgerliche Ideologie abgeschirmten und 'gewappneten' Block 
sozialistischer und später auch kommunistischerOrganisationen wurde der 


40 


Sozialismus 'erwartet‘, 'gewählt‘ und die proletarische (Kampf-)Erfahrung im 
Interesse einer 'richtigen” Gesamtstrategie zentral "verwaltet. Spontane, 
subjektive und individuelle Elemente der Arbeiterbewegung wurden in den 
Hintergrund gedrängt oder unterdrückt — exemplarisch zu verfolgen 
beispielsweise an der sogenannten Massenstreikdebatte in der SPD (169) oder in 
Lenins Polemik gegen die »Anbetung der Spontaneität«, welche nur zu 
bürgerlichem »Trade-Unionismus«(170) führe. Auch die Marginalisierung oder 
Funktionalisierung etwa der Genossenschaftsbewegung, der 
Arbeiterjugendbewegung und der Bestrebungen des Arbeitersport- und 
Arbeitergesangvereinswesens gehören hierher, die vielfach nur als 
sozialdemokratische oder kommunistische »Vorfeldorganisationen«(171) 
angesehen, oder als bürgerlich abgestempelt wurden. Gerade wo sich Arbeiter 
kollektiv oder individuell der direkten Nähe bürgerlicher Kultur aussetzten — 
z.B. der kapitalistischen Ökonomie im Genossenschaftswesen oder der 
»bürgerlichen Kunst« etwa in der Arbeitersängerbe-wegung, gerieten sie in den 
Verdacht, aus dem organisierten sozialistischen »Lager«(172) auszubrechen. 
Dieses erstarrte Blockdenken zahlreicher kommunistischer und sozialdemo- 
kratischer Organisationen ist von Negt/Kluge ausführlich analysiert worden: 
Organisiert sich die Arbeiterklasse wirksam als separates Lager innerhalb der 
bürgerlichen Gesellschaft, so reduzieren sich damit die Tendenzen zu einer das 
Ganze umfassenden proletarischen Öffentlichkeit. Wird die Organisation des 
proletarischen Lebenszusammenhangs nicht in Richtung auf eine solche proleta- 
rische Öffentlichkeit freigesetzt, so unterliegt diese Organisation des Lagers einer 
eigentümlichen Dialektik: Obwohl sie beabsichtigt, sich gegen alle Formen des 
bürgerlichen Lebenszusammenhangs abzudichten, die Individuen gegen sie zu 
immunisieren, reproduziert sie unbewußt die Mechanismen der bürgerlichen 
Öffentlichkeit: Ausgrenzung, Scheinöffentlichkeit, Diktatur der Verfahrensre- 
geln... In der Parteiorganisation des Lagers glaubt zuletztkein Einzelner mehr, daß 
er imstande sei, selbsttätige Erfahrung zu produzieren —die Organisation aber, die 
keinesfalls das Ganze der proletarischen Erfahrung faßt, ... wird für das Zentrum 
der Wahrheit, das Subjekt gehalten.(173) 
Die Partei, die dies »Ganze der proletarischen Erfahrung« vorgeblich 'objektiv' 
erfassen und zentral organisieren wollte, geriete zu einem totalitären Herrschafts- 
apparat — die Fiktion des Lagers wäre total. Proletarische Subjekte aber, als lebende 
Personen, können sich selbst den Anspruch ganzheitlicher proletarischer 
Gegenkultur setzen. Das Individuum wird dann zum ersten Kampffeld zwischen 
Anspruch und persönlicher Wirklichkeit. »Der wirkliche Kampf verläuft im 
Proletarier selbst zwischen seinen abstrakt allgemeinen bürgerlichen Eigenschaften 
und seinen konkret besonderen proletarischen. In der proletarischen Partei jedoch 
muß er sich nach Köpfen organisieren: Es muß fingiert werden, daß er als ganzes 
Individuum proletarisch ist, sonst gehört er ja ins Lager des Gegners.«(174) 
Demgegenüber wurde der deutsche Anarcho-Syndikalismus als Versuch der 


41 


revolutionären »Resubjektivierung«(175) der Arbeiterbewegung bezeichnet. Die 
Theoriebildung hatte nicht vor allem über den Weg der Organisation zu erfolgen, 
sondern vollzog sich disparat und dezentral durch Individuen und Gruppen 
anhand der »Schlüsse, die aus der alltäglichen Erfahrung zu ziehen sind.«(176) 
Gegen die verschiedenen Formen marxistischer Theorie und Organisation, die als 
»politische Theologie«(177) gebrandmarkt wurden, setzten die Anarcho- 
Syndikalisten die (Selbst-)Erfahrung der Arbeiter — das hieß bei schwindendem 
Einfluß auf wirkliche proletarische Massenkämpfe auch tendenziell: Die Erfah- 
rung der einzelnen Person an letztlich allen Punkten proletarischer Existenz. 

Anarchisten hatten schon vor dem Krieg (1912) über einen Streik amerikani- 
scher Arbeiter geschrieben: »Die Streikenden haben mehr als Klassenbewußtsein: 
Sie haben Selbstbewußtsein gelernt«(178) und in Düsseldorf hatte der Berliner 
Anarchist Berthold Cahn 1910 vor über 200 Düsseldorfer Anarchisten und 
Syndikalisten ausgerufen: »Ich verkenne nicht den Wert des Klassenbewußtseins 
des Proletariats. Aber wieviel fehlt dem Proletarier noch an Selbständig- 
keit!«(179) Solches revolutionäres Selbstbewußtsein konnte auch ebensogut von 
kleinen Gruppen anarcho-syndikalistischer Arbeiterjugendlicher, -frauen, -sän- 
ger,-siedler u.a. entwickelt und in Formen und Institutionen proletarischer 
Gegenkultur umgesetzt werden. 

Gegen das Ausbleiben des »unvermeidlichen« Sieges des Sozialismus, gegen 
eine (Mehrheits-)Sozialdemokratie, die stattdessen die Regierungsmacht in der 
kapitalistischen Weimarer Republik übernahm und gegen eine Kommunistische 
Partei, die erneut — mit revolutionärer Argumentation — den indirekten Weg des 
»Staatssozialismus«(180) zu gehen sich anschickte, setzten die deutschen Anar- 
cho-Syndikalisten den extremen Subjektivismus. Hier wurzelte nicht nur der 
kollektiv-subjektive, oft sogar individuelle Impuls der Anarcho-Syndikalisten zur 
Auslösung proletarischerMassenkämpfe, sondern auch ihre auf Gustav Landauer 
zurückgehenden Experimente des 'hier und jetzt'-Sozialismus und der Revolu- 
tionierung des täglichenLebens. Nicht Attentismus, sondern unmittelbare revolu- 
tionäre Selbsterfahrung des — auch einzelnen — proletarischen Subjekts war die 
Devise: 

Ein Gedanke, der uns mit Landauer verbindet ist, daß wir nicht an 
Revolutionen glauben, die auf wunderbare Weise ausbrechen oder notwendigerweise 
kommen müssen... Die Früchte einer jeden Revolution können nurdem revolutionären 
Reifegrad entsprechen, der schon vorher in der Seele und dem Geist der Menschen 
vorhanden war... Worauf es ankommt, ist also nicht die große Revolution von morgen, 
sondern die kleine Revolution, die zu jeder Stunde und an jedem Tag stattfindet, mit den 
gegebenen Mitteln und soweit es die Umstände ges tatten.(181) 
Die deutschen Anarcho-Syndikalisten entwickelten — unter heftigen internen 
Widersprüchen — die ebenso »persönlich« ausgetragen wurden wie das revolu- 
tionäre Engagement — zwei höchst unterschiedliche, in ihrer Gewichtung des 
proletarischen Subjektes jedoch verwandte Konzepte solcher 'täglicher Revolu- 


42 


tion‘: Die direkten sozialen Abwehr- oder Verbesserungskämpfe, »in denen 
sich in den Massen die Instinkte des Widerstands und das Gefühl ihrer 
menschlichen Würde entwickeln«,(182) und die »konstruktive und 
schöpferische Betäti-gung«(183) und kleiner Gruppen oder Einzelner in 
»Experimentalsozialis-mus«(184) und »persönlichem Beispiel«,(185) schrieb 
etwa Rudolf Rocker, der bedeutendste, wenn auch — naturgemäß — nicht 
verbindliche Theoretiker des deutschen Anarcho-Syndikalismus. Er erinnerte 
mit Kropotkin daran, »daß für die Verwirklichung des Sozialismus etwas mehr 
vonnöten sei als eine reine Abwehrbewegung gegen die Übergriffe des 
Kapitalismusoder eine reine Propagandabewegung, um die Massen für 
sozialistische Ideengänge vorzuberei-ten.«(186) 


Anarcho-syndikalistische Kultur 
in der FAUD 
und in den übrigen anarchosyndikalistischen 
Organisationen 


Zusammenfassend wird nun verständlich, was gemeint war, wenn die von Rocker 

ausgearbeitete und auf dem Gründungskongreß der FAUD 1919 verabschiedete 

»Prinzipienerklärung des Syndikalismus« als eines der wenigen verbindlichen 

Dokumente der anarcho-syndikalistischen Bewegung den Satz enthielt: 
Ausgehend von der Erkenntnis, daß der Sozialismus letzten Endes eine Kultur- 
frage ist und als solche nur von unten nach oben durch schöpferische Tätigkeit 
des Volkes geführt werden kann, verwerfen die Syndikalisten jedes Mittel einer 
sogenannten Verstaatlichung, das nur zur schlimmsten Form der Ausbeutung, 
zum Staatskapitalismus, nie aber zum Sozialismus führen kann.(187) 

Dabei verwendeten die Anarcho-Syndikalisten einen Kulturbegriff, der als um- 

fassender Gegenbegriff zu dem der Natur verstanden wurde, im Gegensatz zu 

absoluten und werkimmanenten Kulturauffassungen des Bürgertums jedoch an 

den Grad der Partizipation »aller einzelnen« gebunden war: 
Wir fassen unter 'Kultur‘ alle in der Vergangenheit gemachten geistigen und 
physischen Anstrengungen zusammen, die den Zweck haben, der Natur eine sich 
stetig mehrende Summe geistiger und materieller Werte abzuringen, damit sie jetzt 
und künftig der Gesamtheit zugute kommen. Nicht das bloße etwaige Vorhanden- 
sein einer Fülle von Möglichkeiten gilt uns als Gradmesser für die Höhe der 
Kultur, sondern das Maß und das Verhältnis, in dem alle einzelnen an den 
Errungenschaften der Kultur teilhaben, zeigt uns den Stand der jeweiligen 
Kulturhöhe an... In diesem Sinne sind für uns Gerechtigkeit, Kultur und 
Kommunismus gleichbedeu-tend.(188) 

Auf dieser Grundlage entwickelten sich überall im Reichsgebiet verschiedenste 


43 


kulturelle Einzelinitiativen und Kulturorganisationen des Anarcho-Syndikalis- 
mus. Die überragende Bedeutung, die auch im rheinisch-bergischen Raum dem 
»Wissen« und der »Kultivierung« der einzelnen Person zugemessen wurde, 
gerade auch, um die Herrschaft Einzelner zu verhindern, zeigt u.a. ein Artikel von 
dem schon erwähnten Mülheimer Heinrich Reuß aus dem Jahre 1923. Er setzt 
sich mit dem Vorwurf aus den eigenen Reihen auseinander, auch in der anarcho- 
syndikalistischen Bewegung drohe durch die Freistellung einiger Mitglieder für 
Organisations- und Agitationsaufgaben ein ähnliches »Bonzentum« wie in den 
»Zentralgewerkschaften«, und zwar durch das »geistige Übergewicht einzelner«. 
Heinrich Reuß schreibt: 


Erkennen wir an, daß unserer Organisation dieselbe Gefahr droht, ...Hiergegen 
schützt man sich allerdings nicht durch ungerechte Schimpfereien, auch nicht durch 
Ignorieren, sondern dagegen ist nur ein einziges Kraut gewachsen und dies heißt 
Selbsterkenntnis. Seine eigene Erkenntnis mehren, sein Wissen vervollständigen, 
das wird der Wall sein, an dem sich die letzte Bonzenwellebrechenmuß. Leider muß 
gesagt werden, daß gerade hier noch viel zu tun ist. Der Syndikalismus, der gerade 
ob seiner Einfachheit so wenig verstanden werden will, hat den schwierigsten 
Kampf durchzukämpfen. Er richtet sich nicht nur gegen die Bourgeoisie, sondern 
ermuß eine sechzigjährige scheinproletarische Bewegung umkul-tivieren, d.h., 
einen Kampf führen gegen die Vorurteile im eigenen Fleisch und Blut, bei den 
eigenen Klassengenossen.(189) 
Obwohl Reuß selbst — wie auch z.B. der seinerzeit überregional bekannte 
Vorsitzende des syndikalistischen Düsseldorfer Fliesenlegerverbandes Carl 
Windhoff oder der Maurer Fritz Kater in Berlin — zu den alten »Nur-Syndikali- 
sten« gehörte, die gegen die Tendenz zur anarchistischen »Ideengemeinschaft« 
den Charakter der FAUD als gewerkschaftliche »Interessengemeinschaft« be- 
tonten, hielt er dennoch einen derartigen Anspruch der Selbsterziehung in der 
anarcho-syndikalistischen Bewegung für unverzichtbar! 

Umsomehr forderten die Vertreter des Anarchismus, der »notwendig eine 
Sache des Alles oder Nichts ist«,(190) die sozialistische Kultivierung der ganzen 
Person — z.T. in äußerstem moralischen Rigorismus nicht erst als Ergebnis 
längerer anarcho-syndikalistischer Mitgliedschaft, sondern als deren Vorbedin- 
gung! Diese Tendenz drückte sich in den frühen20er Jahren in verschiedenen 
Kongreßbeschlüssen der FAUD aus, die etwa nach dem 13. Kongreß 1921 auch 
im Bereich der PAB Rheinland zu Ausschlüssen z.B. wegen weiterbestehender 
Mitgliedschaft in politischen Parteien, in der Kirche, u.ä. führte. So beklagte ein 
Vertreter der mehr »interessengemeinschaftlichen« Richtung in der Düsseldorfer 
anarcho-syndikalistischen Tageszeitung »Die Schöpfung« im Jahre 1921: 

Der Syndikalismus war bis vor einigen Jahren nur sozial-revolutionäres Gewerk- 
schaftstum, also eine reine Interessengemeinschaft ... Es war Bestreben, die 
Arbeiterschaft wirtschaftseinig zusammenzufassen, unbeschadet ihrerpolitischen 
Anschauung sie mit den Kampfmitteln der direkten Aktion vertraut zu machen und 
für den Sturz des Kapitalismus zu schulen. Durch die propagandistische Tätigkeit 


44 


der Anarchisten und durch andere Umstände entwickelte sich in der syndikalisti- 
schen Bewegung nach und nach die Idee des kommunistischen Anarchismus. So 
wurde die Bewegung gleichzeitig eine von Ideenverwandten. Das wäre an sich noch 
kein Schaden. In letzter Zeit machen sich nun aber Tendenzen bemerkbar, die 
darauf hinzielen, immer mehr die Idee in den Vordergrund zu rücken ...Betrachten 
wir uns einige in letzter Zeit gefaßte Beschlüsse: Kein Syndikalist darf einer 
politischen Partei, einer Kirche, bürgerlichen Vereinen angehören. Er darf weder 
Waffen und Munition anfertigen, im Akkord arbeiten, noch an gesetzlichen 
Betriebsräten sich beteiligen, weder passiv noch aktiv....(191) 
Wie streng dies von rheinischen Anarcho-S yndikalisten gehandhabt wurde, 
zeigen Versammlungsbeschlüsse der Ortsgruppen Düsseldorf-Eller und Süchteln 
der FAU: So berichtet »Die Schöpfung« am 25.Mai 1922: 
Sämtliche Mitglieder der FAU, Ortsgruppe Eller, soweit diese noch den bürger- 
lichen Vereinen, unter welchen wir Syndikalisten auch die Kirchen verstehen, 
angehörten, sind verpflichtet, solchen Institutionen den Rücken zu kehren. Die 
Austrittsbescheinigungen müssen dem Vorstand vorgelegt werden.... 
Am 1.6.1922 berichtet »Die Schöpfung« von der Ortsgruppe Süchteln: 
Die Genossen K., G. und Kr. werden ausgeschlossen, weil sie am 1.Mai die 
Arbeitsruhe nicht eingehalten haben. 
Derartig rigorose Anforderungen konnten nur von den wenigen eingelöst werden, 
deren Leben in »allen Handlungen ... von der Idee... geistig durchglüht«(192) war 
oder deren soziale Bindungen (Familie) schwach waren! Neben der relativen 
Stabilisierung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse ab 1924 und der 
Abnahme der massenhaften Kampfbereitschaft in der Arbeiterschaft waren es 
diese radikalen Ansprüche, die zu einem rapiden Mitgliederschwund der FAUD 
führten. Umso leichter waren die hohen Ideale der Anarcho-Syndikalisten jedoch 
in den Kulturorganisationen im engeren Sinn jenseits der FAUD zu pflegen: 
Mußte man sich in den Betrieben und Industrieföderationen ständig auf Kompro- 
misse einlassen, wenn ein gewisser Masseneinfluß, ohne den z.B. kein Streik 
durchzuführen war, erhalten bleiben sollte, so bestand dazu etwa in den anarcho- 
syndikalistischen Jugendgruppen oder Chören prinzipiell keine Notwendigkeit. 
Dies erklärt das häufig — zumindest verbal — noch radikalere Auftreten z.B. der 
anarcho-syndikalistischen Jugendlichen und die Tatsache, daß der deutsche 
Anarcho-S yndikalismus in vielen Regionen gegen Ende der 20er/Anfang der 30er 
Jahre besonders in seinen Kulturorganisationen überlebte, auch wenn die örtliche 
Industrieföderationen längst handlungsunfähig geworden waren. 

Im Bereich organisierter anarcho-syndikalistischer Kulturinitiativen jenseits der 
FAUD entwickelten sich im ganzen Reichsgebiet die Syndikalistisch-Anarchi- 
stische Jugend (SAJD), die Freiheitliche Kinderbewegung, der Syndikalistische 
Frauenbund (SFB), Initiativen zu libertären Schulversuchen, verschiedene Sied- 
lungs-, Konsum- und Baugenossenschaftsversuche, die Gemeinschaft proleta- 
rischer Freidenker (GpF), die Gilde freiheitlicher Bücherfreunde und die Freie 


45 


Sänger-Gemeinschaft (FSG), die ihren Sitz und Schwerpunkt in Düsseldorf 
hatte.Über die GpF ist wenig bekannt — im Unterschied zu den 
sozialdemokratisch und kommunistisch funktionalisierten 
Freidenkerorganisationen bemerkt ein Polizeidossier aus dem Jahre 1932 über 
diese kleinste Freidenkergruppe: 
Es handelt sich um eine Organisation, die in politischer Hinsicht links von der KPD 
steht und von linken Gruppen der KPD (z.B. Leninbund), sowie von Syndikalisten 
und Anarchisten unterstützt wird. Der Unterschied zwischen der »Gemeinschaft 
proletarischer Freidenker« und dem »Verband proletarischer Freidenker« besteht 
darin, daß die GpF sich mehr mit der eigentlichen Materie und weniger mit 
Parteipolitik beschäftigt.(193) 
Daß bei den Anarcho-Syndikalisten die machtpolitische Funktionalisierung ihrer 
Kulturorganisationen nicht in dem Maß wie bei Sozialdemokraten oder Kom- 
munisten auftrat, ergibt sich aus ihrem grundsätzlich negativen Verhältnis zur 
staatlichen Macht, zu Wahlen und zum organisatorischen Zentralismus sowie der 
prinzipiellen Bedeutung, die sie dem konstruktiven und ideellen Element des 
Sozialismus beimaßen. Für die anarcho-syndikalistische Kulturorganisation gilt 
in besonderem Maße, was Wunderer zusammenfassend über die Arbeiterkultur- 
bewegung der Weimarer Republik feststellte: 
Während seitens der Partei die Arbeiterkulturorganisationen vorrangig in ihrer 
Bedeutung als Instrumente zur Funktionalisierung gesellschaftlicher Grundrollen 
für die Partei gesehen wurden, die also den Wirkungsbereich erweitern konnten, 
betonten die Repräsentanten der Arbeiterkulturorganisationen mehr die kompen- 
satorische Funktion: Der mit den Arbeiterkulturorganisationen geschaffene Raum 
für die 'menschliche Selbstverwirklichung des Arbeiters wurde als eine Vorbe- 
dingung für die Erkämpfung der umfassenden sozialen Ziele der Arbeiterbewe- 
gung interpretiert; in den proletarischen Kulturorganisationen werde in gewisser 
Weise bereits die sozialistische Gesellschaft antizipiert.(194) 
Dies heißt nicht, daß anarcho-syndikalistische Siedlungs- und Genossenschafts- 
experimente, die syndikalistisch-anarchistische Jugendbewegung oder Organi- 
sationsansätze der anarcho-syndikalistischen Frauen frei von Dominierungsver- 
suchen durch die gewerkschaftliche Kernorganisation der FAUD waren. Zurecht 
hat Max Weber den »Syndikalismus als die revolutionäre Deutung der Gewerk- 
schaften« bezeichnet, im Gegensatz zum »alten Radikalismus, der die revolu- 
tionäre Deutung des Zweckes der politischen Parteiorganisation will«.(195) Die 
anarcho-syndikalistische Bewegung ist durchzogen von der heftigen Auseinan- 
dersetzung, ob sie eher eine »Interessengemeinschaft« oder eine »kleine, aber 
reine Ideengemeinschaft« sei. Die FAUD hatte jedoch keine Möglichkeit, die 
übrigen anarcho-syndikalistischen Kulturorganisationen zu funktionalisieren, da 
diese jeweils aufgrund des streng föderalistischen Gesamtkonzeptes und der 
gemeinsamen antizentralistischen und antiautoritären Grundhaltung einen hohen 
Grad an Autonomie durchsetzen konnten und die Bedeutung der FAUD als 
sozialrevolutionäre Kampfgewerkschaft im selben Maß sank, wie die massenhafte 
Kampfbereitsschaft der Arbeiter insgesamt abnahm. 


46 


tsegc;t’, & 


IOTHKALETTUTTUNN 


‘und die spanische» 


EWIGEN 


Dienstag, 29. November 1921, 


im grollen Saale der „Stadthalteu rield 


oftentlicht 


ü . Tö9rs-t)rAtu.su7: 
Die vnnderpreussischen Heni4iel 11} 114 A17i 
der Berün vete 3111 5ß°ik 
ıdr.er: ScfirlitsYe31.. 6x. ATE v<-. ir.s 414-1Ln 


Freie Arbeiter-Union 
Ontlelincen) 


tin  ttMk.L- 





FAUD-Rundreise von Theodor Plievier zugunsten spanischer Anarchosyndikalisten, 
1921. Die Schöpfung berichtet von mehreren Veranstaltungen Plieviers im Ruhrgebiet 


Der deutsche Anarcho-Syndikalismus kam nie in die direkte Nähe (und in die 
Verlegenheit) politischer Macht — im Gegensatz zum spanischen. Von daher 
konnte Rocker Kultur und Macht so eindeutig gegeneinanderstellen, wenner 
schrieb: »... Kultur, wenn sie nicht durch politische Hemmungen in ihrer 
Entwicklung ...beeinflußt wird, hat eine stete Erneuerung des Gestaltungsdrangs, 
eine immerwachsendeMannigfaltigkeit schöpferischer Betätigung zur Folge ... 
Macht ist nie schöpferisch...«(197) Dies war auch Kritik an den etatistisch 
(=staatlich) orientierten Richtungen der deutschen Arbeiterbewegung. Ein Düs- 
seldorfer Anarcho-Syndikalist schrieb, noch zugespitzter, dazu 1921: 


47 


Der Staat und die Politik verderben den Charakter. Das wußte seinerzeit 
Bismarck sehr wohl, als er die sozialistische Bewegung durch Gewährung des 
politischen Wahlrechts auf das Gebietlockte, auf dem er sie zu verderben, 
ungefährlich zu machten trachtete... In einer Situation, in der der Sozialismus als 
einziger Ausweg übrigbleibt und als Kulturbewegung seine überwältigende, 
versöhnende und befreiende Kraft bekunden sollte, finden wir die... Sozialisten 
nach einem reichlichen halben Jahrhundert politischer Verwicklungen als 
feindliche Brüder in politischen Parteien gefangen. Das ist das Resultat der 
Politik, die eben nicht emporhebt, sondern niederdrückt, weil sie sich nur um das 
Herrschen und Niederdrücken dreht...(er fordert) daß wir als anständige, taktvolle 
Menschen um der gerechten Wirtschaft willen aus Partei, Politik und Staat 
herausgehen müs-sen.(198) 
Die anarcho-syndikalistische Kulturbewegung wie auch all jene Arbeiterkultur- 
bestrebungen, die sich trotz des eingeengten Klassenziels der Arbeiterparteien 
entfalteten, waren dort angesiedelt, wo die Macht die direkte Umsetzung der 
sozialistischen Utopie hemmte—die Machtdes Kapitals, die Staatsmachtwie auch 
die an ihrer Brechung orientierten etatistischen Gegenmachtstrategien. Bei den 
Anarcho-Syndikalisten war jedoch der Verzicht auf die Machtorientierung nicht 
taktischer Art, sondern substantiell, weshalb sie, wo sie nicht radikale Gewerk- 
schaft oder bloße Propagandabewegung waren, als Kulturbewegung beschrieben 
werden können. 


Über die reichsweiten Mitgliederzahlen der anarcho-syndikalistischen Kultur- 
organisationen ist den Verfassern nichts Verläßliches bekannt geworden — ver- 
mutlich gab es auch, dem dezentralen Charakter der Gesamtbewegung ent- 
sprechend, keine zentral gesammelten Zahlen (weder bei der Bewegung selbst, 
noch bei der Polizei). Ihre Mitgliederentwicklung dürfte grundsätzlich ähnlich wie 
die der FAUD verlaufen sein, wobei Mehrfachmitgliedschaften berücksichtigt 
werden müssen. Die FAUD sank im ganzen Reich von ca. 150.000 zahlenden 
Mitgliedern im Jahre 1920 auf ca. 7000 im Jahre 1932 und auf wenige hundert 
illegale Mitglieder nach 1933 ab.(199)Es ist möglich, daß im Jugendbereich eine 
größere Dunkelziffer nichtzahlender Mitglieder bestand, da die Jungarbeiter, 
Lehrlinge oder jugendlichen Arbeitslosen häufig nicht bzw. kaum über eigene 
Mittel verfügten, und da die SAJD im Sinne der reinen anarchistischen Idee das 
straffe (gewerkschaftliche) Mitglieds- und Beitragsprinzip, wie es die FAUD hatte, 
verwarf. Linse gibt für die ganze »anarchistische Jugendbewegung« in 
Deutschland, d.h. einschließlich der anti-syndikalistischen Anhänger Ernst Fried- 
richs (Freie Jugend) und der Föderation Kommunistischer Anarchisten Deutsch- 
lands (FKAD), die Zahl von »höchstens 3000 bis 50000(200) Mitgliedern an. 

Es fällt auf, daß es so gut wiekeine anarcho-syndikalistischen (Arbeiter-)Sport- 
initiativengab. Tatsächlich wurde der organisierte Sport von den meisten Anar- 
cho-Syndikalisten prinzipiell abgelehnt. Er wurde pauschal für ein bewußt vom 
System inszeniertes »Ablenkungs- und Verdummungsmanöver« gehalten. So 


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führte Rocker die »ganz erstaunliche Entwicklung des Sportwesens in Deutsch- 
land...ganz und gar auf fremde Einflüsse zurück....«(201) und in der Düsseldorfer 
»Schöpfung« wurde mehrfach vehement in einem Atemzug gegen Sport, Kino, 
Tanz und andere »kapitalistische Vergnügungen«(202) gewettert. Diese 
Verdammung erstreckte sich auch auf die populären Arbeitersportvereine, in denen 
Sozialisten und Kommunisten sich z.T. um sportpolitische Gegenkultur bemühten, 
etwa um die Ablösung des Einzelleistungs-, Rekord- und Berufssports durch 
kollektiven Breitensport. Es gab nur kurzlebige, vereinzelte Versuche, hier im 
anarcho-syndikalistischen Sinne tätig zu werden, so die Gründung eines »Freien 
Sportkartells« in Mülheim/Ruhr und Düsseldorf Anfang 1921, die mit der erklärten 
Absicht verbunden waren, »die Abneigung gegen Sport in unseren Reihen 
abzubauen« ‚(203) sich jedoch nicht halten konnte angesichts der vorherrschenden 
Sportfeindlichkeit, die nicht mit Körper- oder Bewegungsfeindlichkeit zu 
verwechseln ist. Ein spätes Beispiel für diese Haltung rheinisch-bergischer 
Anarcho-Syndikalisten sei hier zitiert aus einem Brief des Düsseldorfer kauf- 
männischen Angestellten Bernhard Schmithals an Pierre Ramus im Jahre 1930: 
Sport jeglicher Art, Fußball, Boxen, Tennis, Pferderennen, Autorennenund wie 
die Verrücktheiten alle heißen mögen, spielen hier die Rolle einer kirchlichen, 
dogmatischen Verdummungsmöglichkeit... In diesem Bereich, der natürlich mit 
Leibesübung und Leibesgesundung nichts mehr zu tun hat, wird... praktisch auch 
die Seele ausgeschaltet... Dies führt zurMaschinisierung des Menscheneinerseits, 
läßt ihm andererseits soviel von einer Seele, daß diese Seele durch den Sport den 
Gedanken der gegenseitigen Gewaltanwendung, der Niederringung, des Nieder- 
schlagens und Niedertreten befestigt und damit die heutigen Zustände des 
Kampfes der Menschheit und besonders der Proletarier gegeneinander und unter- 
einander heilig, das heißt unantastbar macht; ein Ersatz des Kasernenhofs mit all 
seinen teuflischen Sadisten und sadistischen Teufeleien, so schlimm, daß es selbst 
manchem normalen Spießer auf die Nerven fällt, nur die große Menge der 
Proletarier merkt es nicht und opfert willig Geld und— was schlimmer ist—Leib 
und Seele...Wenn Sonntags abends im Radio, an Zeitungsfenstern und durch die 
Lichtreklame in den Zentren des Proletariats die Sportsiege oder Niederlagen 
bekannt gemacht werden, so möchte die Menge genauso anbetendniederknien, als 
wenn der Priester vom Altar die Monstranz dem Volk zeigt, und jeder möchte an 
seine Brust schlagen und hält sich seine Sünde vor, welche darin besteht, daß er 
es noch nicht dahin gebracht hat, seinem Mitproletarier unter dem Jubel der 
MengederproletarischenZuschauerkunstgerechtund sportmäßig seinen Bruch 
zutreten, darum Proletarier tretet ein in die revolutionären(!) Sportvereine, dann 
marschiert die Revolution und das Ende des Marsches ist die Kaserne und aus der 
Kaserne marschiert man in den Krieg.«(204) 
Die Tatsache, daß es über die erwähnte rheinische Ausnahme hinaus nicht zu 
anarcho-syndikalistischen Sportvereinen o.ä. kam, sowie die übereinstimmenden 
Berichte aller männlichen Informanten, sie hätten den Sport »abgelehnt«, zeigt, 
daß Schmithals' Standpunkt durchaus repräsentativ war. (Vgl. das Gedicht eines 


49 


Düsseldorfer Anarcho-Syndikalisten über Sport und Militarismus im Anhang!). 
Die gesamte anarcho-syndikalistische Kulturbewegung entsprang in ihrem 
moralischen Rigorismus einer Haltung radikaler »Gesinnungsmotivation sozia- 
len Handelns — so Max Weber — im Gegensatz zur von ihm sogenannten 
»Verantwortungsethik«, der idealtypisch etwa Politiker unterlägen. Es ist kein 
Zufall, daß Weber zur Erläuterung einer »gesinnungsethischen« Haltung gerade 
den Typ des »überzeugten Syndikalisten« heranzog: 
Man mag z.B . dem überzeugten Syndikalisten noch so handgreiflich beweisen, 
daß sein Tun... sozial nutzlos sei, d.h. daß es keinen Erfolg für die Änderung der 
sozialen Klassenlage des Proletariats verspreche..., so ist damit für ihn noch gar 
nichts 'bewiesen'. Und zwar nicht, weil er ein Irrsinniger wäre, sondern weil er 
von seinem Standpunkt aus recht habenkann, wie gleich zuerörtem. Im Ganzen 
neigen die Menschen m.E. hinlänglich stark dazu, sich dem... jeweilig Erfolg 
versprechenden innerlich anzupassen, nicht nur... in den Mitteln oder in dem 
Maße, in dem sie ihre letzten Ideale jeweils zu realisieren trachten, sondern in der 
Preisgabe dieser selbst. In Deutschland glaubt man dies mit dem Namen 
'Realpolitik® schmücken zu dürfen ... Es ist — richtig verstanden — zutreffend, 
daß eine erfolgreiche Politik stets die Kunst des Möglichen ist. Nicht minder 
richtig aber ist, daß das Mögliche sehr oft nur dadurch erreicht wurde, daß man 
nach dem jenseits seiner liegenden Unmöglichen griff... Um bei dem vorhin als 
Beispiel angezogenen Syndikalisten zu bleiben: Es ist auch logisch eine 
Sinnlosigkeit, ein Verhalten, welches — wenn konsequent — als Richtschnur den 
Gesinnungswert nehmen muß, lediglich mit seinem Erfolgswert zu konfrontieren. 
Der wirklich konsequente Syndikalist will lediglich eine bestimmte, ihm 
schlechthin wertvoll und heilig erscheinende Gesinnung in sich selbst erhalten, 
und, wenn möglich, in anderen wecken. Die äußeren, gerade von vornherein zu 
noch so absoluter Erfolglosigkeit verurteilten Handlungen haben letztlich den 
Zweck, ihm selbst vor seinem eigenen Forum die Gewißheit zu geben, daß diese 
Gesinnung echt ist, d.h. die Kraft hat, sich in Handlungen zu bewähren, und nicht 
ein bloßes Bramarbasieren. Im übrigen ist — wenn er konsequent ist — sein 
Reich, wie das Reich jeder Gesinnungsethik, nicht von dieser Welt.(205) 
Dies trifft besonders für die späteren Jahre des Anarcho-Syndikalismus ab 1923 
zu, in denen reale Erfolge angesichts der kleinen Anhängerzahlen nicht mehr zu 
erwarten waren. Dennoch führte die kompromißlose Gesinnungsethik bei den 
Anarcho-Syndikalisten kaum zu Erscheinungen der Weltflucht, wie sie etwa bei 
religiösen Sekten oder ästhetischen Zirkeln zu beobachten waren, sondern in 
dauernder Spannung zu den realen, praktischen Gegebenheiten ihrer proletari- 
schen Existenz zur immer neuen Suche nach Möglichkeiten der Umsetzung von 
Gesinnung in Aktion und Leben. 


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Anmerkungen, Kapitel I 


Als freie Gewerkschaften werden die nicht partei- und konfessionsgebundenen 
Zentralverbände bezeichnet. 

Der Syndikalist, Jg.1 (191°/ 9), Nr.4 

Vogel, Angela: Der deutsche Anarcho-Syndikalismus. Theorie und Genese 
einer vergessenen Bewegung. Berlin 1977 

Bock, Hans Manfred: Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918-23. 
Meisenheim am Glan 1969 

Vogel, Angela: Der deutsche Anarcho-Syndikalismus, S.22 

Zur Geschichte der Gewerkschaften allgemein. Vgl. Schröder, Wilfried: 
Klassenkämpfe und Gewerkschaftseinheit. Berlin 1965. Limmer, Hans: Die 
deutsche Gewerkschaftsbewegung. München 1981 

Die Anarcho-Syndikalisten machten diese u.a. für die ihrer Meinung nach 
unselbständige deutsche Arbeiterbewegung verantwortlich. Vgl.: Rudolf 
Rocker: Zur Politik des ADGB, in: Der Syndikalist, Jg.8 (1926), Nr.37 

Dr. Max Hirsch warMitgliedderliberalen Fortschrittspartei. Die englischen 
trade unions dienten als Vorbild für seine Gewerkvereine. 

Lasalle sah im wirtschaftlichen Kampf aufgrund seiner Theorie des »ehemen 
Lohngesetzes« keine emanzipatorische Lösung der sozialen Frage. Zur Gründung 
des »Arbeiterschaftsverbandes« wurde das »ADAV« gezwungen, um nicht seine 
Vormachtstellung in der deutschen Arbeiterbewegung zu verlieren. In diesem 
Zusammenhang sei noch angemerkt, daß der Einfluß Lasalles auf die deutsche 
Arbeiterbewegung später von den deutschen Anarcho-Syndikalisten als sehr hoch 
geschätzt wurde. Sie machten in erster Linie die Lass alleaner für die Entwicklung 
der Sozialdemokratie zu einer reformistischen und parlamentarisch-staatsbejahen- 
den Partei verantwortlich. Vgl.: Kater, Fritz: Die Entwicklung der deutschen 
Gewerkschaftsbewegung, Berlin 1921 

Bebel war Mitglied der Internationalen Arbeiter Assoziation (LAA) und in seinen 
Vorstellungen stark von Marx und Engels beeinflußt. Vgl. Marx/Engels: Über die 
Gewerkschaften. Berlin 1971 

Rocker, Rudolf: Über Hillmann »der einzige Sozialist jener Periode, der ein 
klares Verständnis für die eigentlichen Aufgaben der Gewerkschaften hatte«, 
vgl. Rocker, Rudolf: »Zwei Pioniere«, Ein Beitrag zum 30-jährigen Bestehen 
der FAUD, in: Der Syndikalist 37, 1926 

Kater, Fritz: Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften, Eine kurze Geschichte 
der deutschen sozial-revolutionären Gewerkschaftsbewegung, Berlin 1912, S.4 
Willecke, Eduard: Die Ideenwelt des deutschen Syndikalismus, in: Jahrbücher 
für Nationalökonomie und Statistik, Bd.128, 5.869 

Zum Vergleich: die Lokalisten hatten damals ca. 10.000 Mitglieder, die 
Zentralverbände hingegen 350.000. Vgl. Bock, Hans Manfred: Syndikalismus 
und Linkskommunismus von 1919-1923, S.24 

Vogel, Angela: Der deutsche Anarcho-Syndikalismus, S.46 

Wienand, Peter: Rudolf Rocker, Berlin 1981, 5.280 


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Zu dieser Oppositionsbewegung allgemein: Müller, Dirk: Idealismus und Revo- 
lution. Zur Opposition der Jungen gegen den sozialdemokratischen 
Parteivorstand 1890-1894, Berlin 1975 

ebenda, S.160-163 

wie z.B. die Kritik an der zu starken Betonung der parlamentarischen Arbeit 
durch die SPD. 

Als Beispiel sei hier Fritz Kater genannt. Er sympathisierte mit den »Jungen« und 
war mit ihren führenden Männern bekannt. Auf die Frage Rockers, warum ersich 
der Bewegung nicht angeschlossen habe, antwortete Kater: »Ja, das frage ich mich 
heute auch. Aber die Partei war für mich alles. Ich hatte immer noch die Hoffnung, 
daß die Partei zu einer besseren Einsicht gelangen würde.« Vgl. Rocker, Rudolf: 
Fritz Kater, ein Lebensbild, in: Rudolf Rocker: Aufsatzsammlung, Bd.II, S.15, 
Frankfurt 1980. Als Separatdruck, hrsg. von der FAU, Hamburg 1985. 

so u.a.: Rudolf Rocker, Gustav Landauer, Max Baginski, Fritz Köster. 

Kater, Fritz: Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften, S.7 

Auf dem Kongreß waren 38 Delegierte aus 14 Berufen, die insgesamt 6803 
Mitglieder vertraten. Zum Vergleich: Die Zentralgewerkschaften hatten 412.259 
Mitglieder. Vgl.: Aigte, Gerhard: Die Entwicklung der revolutionären syndika- 
listischen Arbeiterbewegung in der Kriegs- und Nachkriegszeit, in: Die Interna- 
tionale. Zeitschrift für die Revolutionäre Arbeiterbewegung. Gesellschaftskritik 
und sozialistischen Neuaufbau. Hrsg. von der FAUD (AS), Berlin 1930 

Kater, Fritz: Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften, S.9 

zitiert nach Bock, Hans Manfred: Syndikalismus und Linkskommunismus, S.24f. 
Zum Vergleich die freien Gewerkschaftenmit680.000Mitgliedem. DieZahlenfür 
die freien Gewerkschaften sind entnommen aus: Lederer, Emil/Marschak, 
Julius: Die Klassen auf dem Arbeitsmarkt und ihre Organisationen, in: Grundriß 
der Sozialökonomie, Tübingen 1927, S.142 

Lucas, Erhard: Zum Syndikalismus in der Novemberrevolution, in: Duisburger 
Forschungen, Bd.15, Duisburg 1971,8.41 

Bock, Hans Manfred: Syndikalismus und Linkskommunismus, S.24f. 

Kater, Fritz:Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften, S.14 

Kater, Fritz: In einem Brief anMax Nettlau vom 6.11.1932, in: Briefwechsel 
Kater-Nettlau. Vgl. Nachlaß Nettlau, IISG Amsterdam 

Kater, Fritz: Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften, S.15 

Zitiert nach Bock, Hans Manfred: Syndikalismus und Linkskommunismus, S.30 
Kater, Fritz: Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften, S.18 

ebenda, S.22 

u.a. auch die Freie Vereinigung der Maurer, die stärkste Berufsgruppe in der 
Organisation, trat mit 2112 Mitgliedern in den Zentralverband über, vgl. Bock, 
Hans Manfred: Syndikalismus und Linkskommunismus, $.33 

ebenda, S.32 

»Wir haben es nicht nötig, die deutschen Gewerkschaften mit fremdsprachigen 
Namen zubelasten.« Hinter dieser Äußerung Fritz Katers steckte die Furcht um 
das Weiterbestehen der Organisation. Vgl. Bock, Hans Manfred: Syndikalismus 
und Linkskommunismus, S.32 


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Der Syndikalist, Jg.1 (1918/19), Nr.38 

In den vier Jahrgängen der Zeitung erschienen Beiträge von: Ferdinand 
Domela Nieuwenhuis, Bruno Wille, Johann Most, Peter Kropotkin, Pierre 
Ramus, Fritz Brupbacher, Gustav Landauer, Fritz Oerter. 

Darüber Fritz Köster in »Die Schöpfung«, Jg.1 (1921/22), Nr.59 

Protokoll über die Verhandlungen des 11.Kongresses der Freien Vereinigung 
deutscher Gewerkschaften vom 21.-24.5.1914 in Berlin, Berlin 1914, S.19 
ebenda, S.17 

Aigte, Gerhard: Die Entstehung der revolutionären syndikalistischen 
Arbeiterbewegung in der Kriegs- und Nachkriegszeit, S.160 

Der Syndikalist, Jg.1 (1918/19), Nr.1 »...gleich in den ersten Tagen wurden 
andie 30 Agitatoren in Elberfeld, Düsseldorf, Krefeld, Köln und Süchteln 
festgenommen«. 

U.a. auch Johann Baptist Steinacker und Heinrich Drewes aus Elberfeld. Stein- 
acker blieb 2 Jahre in Schutzhaft. Interview mit Frau H.S., geb. Steinacker. 
Protokoll über die Verhandlungen des 12.Kongresses der Freien Vereinigung 
deutscher Gewerkschaften vom 27.-30.12.1919, Berlin 1920, S.20 

Zur politischen Biografie Michels, vgl. Röhrich, Wilfried: Robert Michels, 
vom sozialistisch-syndikalistisch zum faschistischen Credo, Berlin 1972 
Michels, Robert: Eine syndikalistisch gerichtete Unterströmung im deutschen 
Sozialismus (1903-1907), in: Festschrift für Carl Grünberg zum 70.Geburtstag, 
Leipzig 1932 

U.a. Cornelissen, Christian, Hubert Lagardelle, Ferdinand Nieuwenhuis, Luigi 
Fabbri, vgl. Michels, Robert: Eine syndikalistisch gerichtete Unterströmung im 
deutschen Sozialismus (1903-1907), S.358 

Vgl. Comelissen, Christian: Der internationale Syndikalismus, in: Archiv für 
Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, Bd.30, S.154-156 

Vgl. Michels, Robert: Die deutsche Sozialdemokratie, 1.Parteimitgliedschaft 
und Zusammensetzung, in: Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, 
B d.23, S.497 

Michels, Robert: Eine syndikalistisch gerichtete Unterströmung im deutschen 
Sozialismus (1903-1907), S.361 

Michels, Robert: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen 
Demokratie, Stuttgart 1970, Nachdruck der Ausgabe von 1925, mit einem 
Nachwort von Werner Conze 

ebenda, S.XXVI 

Der Russe Michail B akunin hatte eine große Anhängerschaft in der Jura-Födera- 
tion. Vgl. Biegler, Rolf: Derlibertäre Sozialismus in der Westschweiz. Ein Beitrag 
zur Entwicklungsgeschichteund Deutung des Anarchismus; undBrupbacher,Fritz: 
Marx und B akunin, Ein Beitrag zur Geschichte der Internationalen Arbeiterasso- 
ziation, Reprint Berlin 1969 

Das Attentat auf den Kaiser wurde von einer Wuppertaler Gruppe urn Reinsdorf 
vorbereitet. Vgl. Der Krieg zwischen dem deutschen Kaiserreich und seinen 
Anarchisten. Als Chronik zusammengestellt von Karasek, Helmuth, Frankfurt 0.].; 
und Carlson, Andrew: Anarchism in Germany, Metuchen, N.J., 1972 


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Zu Mosts Biographie, vgl. Rocker, Rudolf: Johann Most, Das Leben eines Rebel- 
len, Berlin 1924. Mosts Positionen bis zum Ausschluß aus der Sozialdemokratie 
sind nachzulesen bei: Volker Szmula (Hrsg.): Johann Most — Dokumente eines 
sozialdemokratischen Agitators, Band 1-4, Grafenau 1988-1991. 
Wilhelm Hasselmann war Reichstagsabgeordneter von Elberfeld-Bannen. In 
seiner Biographie, vgl. Bers, Günther: Wilhelm Hasselmann 1844-1916, Sozial- 
revolutionärer Agitator und Abgeordneter des deutschen Reichstages, Köln 1973 
Vgl. Linse, Ulrich: Organisierter Anarchismus, S.44 
Von allem Johann Most war ein Vertreter der Propaganda der Tat; 1884/85 
veröffentlichte er ein Heft mit dem Titel »Revolutionäre Kriegswissenschaft, Ein 
Handbuch zur Anleitung betreffend den Gebrauch und Herstellung von Nitro- 
Glycerin, Dynamit, Schießbaumwolle, Knallquecksilber, Bomben, Brandsätzen, 
Giften.« (Reprint: Wien 1989) Vgl. Mosts Text »Es lebe der Tyrannenmord« 
(1881), u.a. in: Oberländer, Erich (Hg.): Der Anarchismus, Olten 1972, S.291-297. 
(Gleichwohl muß festgestellt werden, daß Most wegen der Veröffentlichung 
solcher Schriften die Hälfte seines Lebens hinter staatlichen Gefängnismauern 
verbringen mußte und selbst nie Gewalt angewandt hat). 
Rocker, Rudolf: Johann Most, S.209 
Rocker, Rudolf: Anarchismus und Organisation, Berlin 1981, S.33 
Vgl. Linse Ulrich: Organisierter Anarchismus, S.169-173. zu den Auseinander- 
setzungen des in dieser Zeit führenden Wuppertaler Anarchisten und späteren 
christlichen Predigers Ommerborn, Johannes mit Landauer, vgl. ders.: Mein 
Freund und Weggenosse Fritz Binde, Barmen 1922, S.63-65 
Vgl. Bock, Hans Manfred: Bibliographischer Versuch zur Geschichte des Anar- 
chismus und Anarcho-Syndikalismus in Deutschland, in: Pozzoli, Claudio (Hg.), 
Jahrbuch Arbeiterbewegung 1, über Karl Korsch, Frankfurt 1973 
Zur Organisation der AFD, vgl. Linse, Ulrich: Organisierter Anarchismus, 
5.183-218 
ebenda, S.226-235 
Der deutsche Anarchismus umfaßte nie mehr als 1000 Personen. Vgl. Linse, 
Ulrich: Der deutsche Anarchismus 1870-1918. Eine politische Bewegung zwi- 
schen Utopie und Wirklichkeit in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 20 
(1969), S.518 
Zitiert nach Linse, Ulrich: Organisierter Anarchismus, S.219 
Zur AFRW: ebenda, S.238-252 
ebenda, S.308 
Zur Biographie und Theorie Landauers, vgl. Wolfgang Kalz: Gustav Landauer, 
Kultursozialist und Anarchist, Meisenheim am Glan 1967 
ebenda, S.7 
Zur Organisation des SB, vgl. Linse, Ulrich: Organisierter Anarchismus, S.19 
Vgl. Hans Manfred Bock: Syndikalismus und Linkskommunismus, S.19 
Vgl. dazu die »Zwölf Artikel des Sozialistischen Bundes«, abgedruckt bei Kalz, 
Wolfgang: Gustav Landauer, S.142-145 

Diesen Gedanken hatte er von Kropotkin übernommen, der ein Buch gleichnami- 
gen Titels veröffentlichte, das Landauer übersetzte. Reprint: Berlin 1976 


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Linse, Ulrich: Zurück o Mensch zur Mutter Erde, München 1983 

Oberländer, Emil: Der Anarchismus, S.73 

Linse, Ulrich: Organiserter Anarchismus, S.23 

»Ich konnte und durfte aus Gründen der Verantwortlichkeit unserer Bewegung 
gegenüber solche plötzlichen Sprünge nicht mitmachen. Als verantwortlicher 
Vorsitzender einer Bewegung und Vertrauensmann vieler Tausender Mitglieder 
derselben mußte ich mir sagen, wenn die Bewegung nicht urplötzlich zerschlagen 
werden soll, dann muß die 1904 und 1905 beschlossene geistige Einstellung sich 
erst zu einem großen Teil in der Gesamtbewegung vermitteln... Hätten meine 
engsten Freunde und ich nicht so gehandelt, dann wette ich, es gäbe heute in 
Deutschland keine anarcho-syndikalistische Bewegung und auch keine TAA«. 
Brief von Fritz Kater an Dr. Max Nettlau vom 6.11.1932 in Korrespondenz Fritz 
Kater — Dr. Max Nettlau, im Nachlaß Nettlau, IISG Amsterdam. 

Bock, Hans Manfred: Syndikalismus und Linkskommunismus, S.32. Friedeberg 
lebte nach seinem Ausscheiden aus der Politik in Ascona, zeitweise wurde er zum 
Anziehungspunkt für eine ganze anarchistische Kolonie; er behielt Kontakt zur 
anarchistischen Bewegung, insbesondere zu Bertoni, Nieuwenhuis, Brupbacher und 
Max Nettlau, der 1934 seine Memoiren bei Friedeberg verfaßte. Vgl. Kurzbio- 
graphie Friedebergs und Reprint seines Textes »Parlamentarismus und General- 
streik« in: Haug, Wolfgang/Kamann, Friederike (Hg.): Wozu noch in die Parla- 
mente? Reutlingen 1978 

Vgl. Winkler, Max: Vom ABC des Syndikalismus, in: Der Syndikalist, Jg.3 
(1921), Nr.44. In diesem Artikel wurde der 1913 in der »Einigkeit« erschienene 
Artikel »Gustav Landauer und der Syndikalismus« noch einmal abgedruckt. 

Der Weckruf, Organ für Anarchismus und Syndikalismus, Nr.2, vom 14.10.1910. 
Vier Ausgaben dieser zeitschrift sind noch erhalten. In: HSTAD, Reg. 
Düsseldorf, Politische Akten, Nr.42784, B1.189-206 

ebenda 

ebenda, Blatt 242 

Der Weckruf, Nr.4 vom 11.6.1910 

HSTAD, Reg. Düsseldorf, Politische Akten, Nr.15998. 

Im Jahre 1912 waren in Düsseldorf 82 Personen des Anarchismus verdächtig und 
in Elberfeld-Bannen 25.1907 in Düsseldorf 25, in Krefeld 8, in Elberfeld-B 
armen 33; siehe Wohlmann, Sigrid: Die Anarchisten in Wuppertal 1880-1920, 
Staatsexamensarbeit Wuppertal 1966 

Josczok, Detlev: Die Entwicklung der sozialistischen Arbeiterbewegung in 
Düsseldorf währen des 1.Weltkrieges, Reinsbeck 1980, S.4/5 

Der Weckruf, Nr.2 vom 14.10.1910 

Der Weckruf, Nr.4 vom 11.6.1910 

Gerlach, Erich: Syndikalismus, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 
Bd.X, Göttingen 1955, S.271. Ober den Zusammenhang zwischen 
Anarchismus und Liberalismus, vgl. April Carter: Die politische Theorie des 
Anarchismus, Berlin 1979, S.19-32 

Vgl. Guerin, Daniel: Anarchismus, Begriff und Praxis, Frankfurt 1965, S.65 
Neumann, Franz: Anarchismus, inders. (Hg.): HandbuchpolitischerTheorienund 


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Ideologien, Reinbach 1977, S.234 

Vgl. Bakunin, Michail: Prinzipien und Organisation der Internationalen 
Revolutionären Gesellschaft (1866), in ders.: Staatlichkeit und Anarchie, hrsg. 
und eingeleitet von Horst Stuke, Frankfurt 1972, S.4 

Vgl. B akunin, Michail: An die Genossen der Jura-Föderation, a.a.O., S.843-847 
Marx, Karl: Allgemeine Statuten und Verwaltungsverordnungen der Internatio- 
nalen Arbeiter-Association, in: Marx-Engels: Studienausgabe Bd.III, hrsg. v. 
Iring Fetscher,Frankfurt 1966, S.137 

ebenda 

Vgl. Fabbri, Luigi: Die historischen und sachlichen Zusammenhänge zwischen 
Marxismus und Anarchismus, in: Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpo- 
litik, Bd.26 (1908), S.569. Fabbri war ein bekannter italienischer Anarchist 
ebenda, S.597. Dazu der Rätekommunist Paul Mattick (1905-1982): »Der Syndi- 
kalismus hatte mehr von Marx als von B akunin übernommen, obwohl es zutrifft, 
daß sein Hauptaugenmerk nicht auf Marx’ ökonomischen Theorien, sondern auf das 
Prinzip des Klassenkampfs gerichtet war.« Mattick, Paul: Marxismus und 
Unzulänglichkeiten der Arbeiterbewegung, in: Arbeiterbewegung, Theorie und 
Geschichte. Jahrbuch 1, (hrsg. von Pozzoli, Claudio), Frankfurt 1973, S.202 
ebenda 

Die Anhänger B akunins kamen vorwiegend aus den romanischen Ländern 
(Frankreich, Italien, Spanien) und dem Schweizer Jura 

Vgl. Rocker, Rudolf: Anarchismus und Anarcho-Syndikalismus, Berlin 1979, 
S.25 

Zum französischen Syndikalismus, vgl. Lagardelle, Hubert: Die syndikalistische 
Bewegung inFfrankreich I, Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, 
Bd.26 (1908); ders.: Die gegenwärtige Lage des Syndikalismus; Röhrich, Wil- 
fried: Revolutionärer Syndikalismus, Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der Arbei- 
terbewegung, Darmstadt 1977, S.19-42; Joll, James: Die Anarchisten, Frankfurt/ 
Berlin 1964, S.149-174 

Vgl. Zurintemationalen Entwicklung des Syndikalismus. Cornelissen, Christian: 
Die neueste Entwicklung des Syndikalismus, Archiv für Sozialwissenschaften und 
Sozialpolitik, Bd.36 (1913) 


Vgl. Sombart, Werner: Sozialismus und soziale Bewegung, Jena 1919. Dort der 
Abschnitt über Syndikalismus, S.109-143. Über die Vermittlung Robert Michels 
lernte Sombart die intellektuellen Sympathisanten des französischen Syndikalis- 
mus kennen, die er folgendermaßen charakterisierte: »liebenswürdige, feine, 
gebildete Leute, Kulturmenschen mitreiner Wäsche, guten Manieren und eleganten 
Frauen, mit denen man ganz wie mit seinesgleichen verkehrt und denen man 
gewiß nicht ansehen würde, daß sie eine Richtung vertreten, die vor allem sich 
gegen die Verbürgerlichung des Sozialismus wendet, die der schwieligen Faust 
dem echten und wahren Nur-Handarbeitertum zu ihrem Recht verhelfen will«, 
ebenda, 5.110. Zur Kritik an Sombarts Positionen von syndikalistischerSeite vgl. 
Cornelissen, Christian: Über den internationalen Syndikalismus, in: Archiv für 
Sozialwissenschaften und Sozialpolitik Bd.30, S.148-175 

Vgl. Rocker, Rudolf: Anarchismus und Anarcho-Syndikalismus, S.26, an anderer 


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Stelle führt Rocker aus: »Da Sorel seiner ganzen geistigen Einstellung nach sehr 
autoritär veranlagt war, so träumte er von einer Art Diktatur der Gewerkschaften, 
ähnlich wie sie ein Teil derBolschewisten in der ersten Zeit in Rußland erstrebt 
hat. Aber diese Ideen aus dem Lager einzelner Intellektueller haben im Grunde 
genommen wenig Einfluß auf die Entwicklung der syndikalistischen Bewegung 
und wenn Professor Sombart das Gegenteil behauptet, so verklannte er vollständig 
den eigentlichen Charakter dieser Bewegung, die aus der Notwendigkeit der 
Um,stände selbst geboren und von den Arbeiternselbst geschaffen wurde«. 
Rocker, Rudolf: Die prinzipielle Grundlage des Syndikalismus und der organische 
Aufbau der FAUD, in: Protokoll über die Verhandlungen vom 15. Kongreß der 
FAUD (AS), Berlin 1925 

In Deutschland verbreitete vor allem Rudolf Rocker, der mit Kropotkin aus der 
Zeit des gemeinsamen Exils in London befreundet war, seine Ideen des kommu- 
nistischen Anarchismus. Vgl. das Vorwort von Rocker zu Kropotkin, Peter. Die 
Eroberung des Brotes, Reprint Bern/Grafenau 1989 

Vgl. Kropotkin, Peter: Der Anarchismus, mit einer Einführung in Kropotkins 
Leben und Werk, Siegen-Eiserfeld 1983, S.105/106 

Vgl. dazu das gleichnamige Werk Kropotkins: Landwirtschaft, Industrie und 
Handwerk, Reprint Berlin 1976 

ders.: Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt, Reprint 
Wien/Grafenau 1989 

ebenda, S.VII 

ders.: Ethik, Ursprung und Entwicklung der Sitten, Reprint Berlin 1976, S.30 
Prinzipienerklärung des Syndikalismus, Verlag der Syndikalist 1924; nachge- 
druckt in: Arbeiterselbstverwaltung, Räte-Syndikalismus, Berlin 1969 oder in: Die 
lange Hoffnung, Grafenau 1985. Die Prinzipienerklärung wurde von Rocker für 
den Gründungskongreß der FAUD 1919 verfaßt. Über die »Gegenseitige Hilfe« 
schreibt Rocker an anderer Stelle: »...in einem Punkt hat Kropotkin die Ideen des 
Anarchismus wesentlich erweitert und uns Wege gezeigt, die man vorher in dieser 
Klarheit nicht gekannt hat... Ich spreche hier von der Entwicklung seiner Idee der 
gegenseitigen Hilfe. Mag er dabei in den Einzelheiten manches schöner gesehen 
haben, als es in Wirklichkeit war, die Idee als Ganzes ist groß und enthält meiner 
Meinung nach den tiefsten Sinn aller sozialistischen Theorie«. Brief von Rudolf 
Rocker an Dr. Max Nettlau vom 30.12.1930, in: Korrespondenz Rocker-Nettlau, 
IISG Amsterdam, S.9 

P.J. Proudhon, »Du principe federatif«, zit. nach D. Guerin: Anarchismus, S.65 
G. Landauer: Aufruf zum Sozialismus, S.131 

Rudolf Rocker: Über das Wesen des Föderalismus im Gegensatz zum Zentralis- 
mus«, Berlin 1923, Reprint Frankfurt 1979, S.8 

ebenda, S.9 

ebenda 

Rocker, Rudolf: Zum 14. Kongreß der FAUD, Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.44 
ebenda 

»Wenn man zur Zeit von Marx und Bakunin noch theoretisch das Problem erörterte, 
ob eine sozialistische Regierung den Massen die Freiheit und den Sozialismus 


125) 
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145) 


3.4 


bringen könnte, so ist diese Frage heute praktisch gelöst. Wir haben heute den 
modernen Staatssozialismus in seinen zwei verschiedenen Richtungen der ge- 
mäßigten Sozialdemokratie und des radikalen Kommunismus. Beide haben in 
Zentral- und Osteuropa die Möglichkeit gehabt, mit ihrer Theorie einen Versuch zu 
machen. Wir haben gesehen, daß weder in Mitteleuropa noch in Rußland eine 
Regierung, sogar eine, die unter dem Nameneiner Arbeiterregierung im radikalsten 
Sinne geht, imstande gewesen wäre, die wirtschaftlichen Bedingungen so zu 
reorganisieren, daß der Sozialismus daraus hätte erwachsen können.« Rocker, 
Rudolf: Die prinzipielle Grundlage des Syndikalismus und der organische Aufbau 
der FAUD, in: Protokoll zu den Verhandlungen des 15. Kongresses der FAUD, 
Berlin 1925, S.42 

Prinzipienerklärung des Syndikalismus, $.13 

ebenda, S.14 

ebenda 

ebenda, S.13 

Vgl. Rocker, Rudolf: Anarchismus und Anarcho-Syndikalismus, S.34 
Prinzipienerklärung des Syndikalismus, S.11 

Rocker, Rudolf: Die prinzipielle Grundlage des Syndikalismus und der organisa- 
torische Aufbau der FAUD, S.37 

ebenda, S.10 

Nach dem Proudhonschen Begriff »bourse du travail« wurden Arbeiterbörsen 
zuerst von den französischen Syndikalisten eingerichtet (ab 1887). Sie dienten 
zunächst vor allem dem Zweck der Stellenvermittlung, weiteten sich jedoch 
rasch zuBildungseinrichtungen aus. Vgl. Joll, James: Die Anarchistern, 
frankfurt/Berlin 1969, S.157 

Rocker, Rudolf: Anarchismus und Anarchosyndikalismus 

Der Syndikalist, Jg.2 (1920), Nr.36: Aufbau der syndikalistischen 
Arbeiterbörsen innerhalb der FAUD 

ebenda 

Resolution über die Methode der direkten Aktion im revolutionären 
Klassenkampf, in: Protokoll vom 15.Kongreß, S.97 

ebenda 

ebenda 

Vgl. Roller, Arnold: Der soziale Generalstreik, Berlin 1905, S.2 

Rocker, Rudolf: Anarchismus und Anarcho-Syndikalismus, S.36 

Fritz Benner, Brief an Olday, Nachlaß R. Rocker, übereinstimmend mit Angaben 
von A. Benner und G. Krüschedt 

Vgl. Grundsatzartikel von H. Reuß, Mülheim: Ober die Bedeutung der Gewalt...in: 
Der Syndikalist, Jg.7 (1925) Nr.8. Vgl. auch E. Lucas: Märzrevolution 

So z.B. gebraucht Karl Windhoff: ». . .mit diesen Leuten direkte Aktion 
zumachen, nämlich wie wir als Syndikalisten sie verstehen, d.h.: Die Prügel...«, 
in: Die Schöpfung, Nr.4 (1922) 

Auf der Konferenz in Rheinland-Westfalen 1920 vertraten alle Delegiertenüber- 
einstimmend diese Position (Vgl. Der Syndikalist, Jg.2 (1920), Nr.44. In Düssel- 
dorf sollen nach Angaben der politischen Polizei viele Anhänger der FAUD 


58 


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aufgrund ihrer Haltung zur Gewaltfrage aus der Organisation ausgetreten sein 
(Vgl. STAM, Büro Kölpin, Nr.139). Der Hamburger Delegierte forderte auf dem 
14. Kongreß der FAUD, daß Artikel, die die absolute Gewaltlosigkeit forderten, 
im Syndikalist nicht mehr veröffentlicht werden wollten, da sie der Bewegung in 
Rheinland-Westfalen schweren Schaden zugefügt hätten (Vgl. Der Syndikalist, 
Jg.4 (1922), Nr.51 

Vgl. Der Syndikalist, Jg.7, Nr.35. H. Reuß begann seine Ausführungen wie 
folgt: »Es ist leicht verständlich, wenn diese Frage immer wieder in den 
Vordergrund gerückt wird. Sind wir doch deutsche, d.h. geborene Militaristen. 
Unser erstes Spielzeug waren B leisoldaten, Säbel, Schild und Flinte. Unsere 
Geschichtskenntnisse bestehen aus einer Serie von Großkampftagen 
'unsererruhmreichen V orfahren'«. 

Der Syndikalist, Jg. 6 (1924), Nr.37 

Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.40 

Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.46 

Vgl. Rocker, Rudolf: Keine Kriegswaffen mehr, in Aufsatzsammlung, Bd.1, 
Frankfurt 1980, S.16-32. Die Rede Rockers hatte eine Auflage von mehreren 
hunderttausend Exemplaren und wurde in viele Sprachen übersetzt (Vgl. 
Wienand, Peter: S.291) 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.4 

(Rheinische Konferenz der FAUD) Brief von Rocker an Max Nettlau vom 
23.12.1927, in: Nachlaß Nettlau, IISG Amsterdam 

ebenda, Rocker an Nettlau, Brief vom 26.11.28 

Landauer, Aufruf zum Sozialismus, S.131 

Zit. nach Landauer: Revolution, Frankfurt 1907, Reprint: Berlin 1974, S.89 
Marx/Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, MEW Bd.4, S.480; Marx 
hatte sich ähnlich schon in den »ökonomisch-philosophischen Manuskripten« 
(1844) geäußert — diese wurden aber erst in den 20er Jahren dieses 
Jahrhunderts publiziert. 

Bakunin, Michail: Prinzipien und Organisation einer internationalen revolutionär- 
sozialistischen Geheimgesellschaft (1886), in: Staatlichkeit und Anarchie, S.4 
Landauer, Gustav: Artikel 10 der »Zwölf Artikel des SozialistischenBundes«, 
zit. nach Kalz, S.144 

Spruch an der Toilettenwand einer Wuppertaler Kneipe 

Landauer, Gustav: Aufruf zum Sozialismus, Köln 1923, Reprints Frankfurt 
1967, Wetzlar 1978, S.61 

Vester, Michael: Was dem B ärger sein Goethe ist, ist dem Arbeiter seine 
Solidarität. zur Diskussion der»Arbeiterkultur«, in: Ästhetik und Kommunikation, 
Nr.24, Juni 1976, S.62 

Vogel, Angela: Der deutsche Anarcho-Syndikalismus, S.103 

Groh, Dieter: Negative Integration und revolutionärer Attentismus. Die Sozial- 
demokratie am Vorabend des 1. Weltkriegs, Frankfurt/Berlin/Wien 1973 

August Bebel auf dem Erfurter Parteitag der SPD, 1891. Zit. nach Peter von 
Rüden: Beiträge zur Kulturgeschichte..., S.26 

Vogel, Angela: S.103; vgl. Grunenberg, Antonia: Die Massenstreikdebatte, Frank- 


169) 
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196) 
197) 


198) 
199) 


3.9 


furt 1970, S.30-32 

Vgl. Grunenberg, ebenda 

Lenin: Was Tun?, Lenin AW, Bd.1, S.373 und 376 

Wunderer, Hartmut: Arbeitervereine und Arbeiterparteien, Frankfurt/New York 
1980, S.33 

Nest, Oskar/Alexander Kluge: Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisations- 
analyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit, Frankfurt 1972, S.115 
ebenda 

ebenda, S.112 

Vogel, Angela: Der deutsche Anarcho-Syndikalismus, S.99 

Der Syndikalist, Jg.9 (1927), Nr.43 

Ramus, Pierre: Die Irrlehren des Marxismus, Wien 1919, S.130 

McGowen, Kenneth zum Streik in Lawrence (Massachusetts) 1912; zit. nach 
Stefan Blankertz: Staatlichkeitswahn, Wetzlar 1980, S.51 

Bertold Calm am 16.10.1910 auf einer Gedächtnisveranstaltung für Francisco 
Ferrer in Düsseldorf; zit. nach: HStA Düsseldorf, Politische Akten Nr.15988, 
B1.293 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.2 

Santillan, Diego Abad de: Die tägliche Revolution von unten auf, in: Aufsätze 
zur Erinnerung an Gustav Landauer, Reprint Frankfurt 1978, S.5 

Rocker, Rudolf: Der Kampf ums tägliche Brot, Berlin 1925, Reprint Frankfurt 
1975, S.5 

Ders.: Anarchistische Arbeit im kapitalistischen Staate, in: Rudolf Rocker: Auf- 
satzsammlung, Bd.1, 1919-1933, Frankfurt 1980, S.101 

Ders.: ebenda, S.102 

Ders.: Moderne Probleme des Anarchismus, ebenda, S.76 

Ders.: Anarchistische Arbeit im kapitalistischen Staate, ebenda, S.101 
Prinzipienerklärung des Syndikalismus, Berlin 1920, S.11 

Oeter, Fritz: Was wollen die Syndikalisten?, Berlin 1919, S.11 

Reuß, H.: Ein ernstes Wort an alle!, Die Schöpfung, Jg.3 (1923), Nr.12 

Joll, James: Die Anarchisten, S.214 

Schackwitz, W.: Ideen- undInteressengemeinschaft, Die Schöpfung, Jg.1 
(1921), Nr.110 

Rocker, Rudolf: Moderne Probleme des Anarchismus, in: Aufsatzsammlung, 
Frankfurt 1980 

Akten des Reichssicherheitshauptamtes, BA Koblenz, Bestand R 5%/304, B1.44 
Wunderer, S.33/34 

Weber, Max: Der Sozialismus, in: Max Weber, Werk und Person..., S.263 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.110 

Rocker, Rudolf: Die prinzipiellen Grundlagen des syndikalismus und der orga- 
nisatorische Aufbau der FAUD, in: Protokoll über die Verhandlungen vom 
15.Kongreß der FAUD (AS), Berlin 1925, S.37 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr. 

Vgl. auch: Wolfgang Haug: Eine Flamme erlischt. Die Freie Arbeiter Union 
Deutschlands (Anarchosyndikalisten)von 1932 bis 1937; in: ITWK, 253.Jg., 
(1989), Nr.3 


60 

200) 
201) 
202) 


203) 
204) 


205) 


Linse, Ulrich: Anarchistische Jugendbewegung..., S.11 

Rocker, Rudolf: Staat und Kultur, in: Aufsatzsammlung, S.117 

Vgl. etw a: Gedicht von W. Runge (Düsseldorf-Gerresheim) gegen Sport, 
Tanzund Kino; in: Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.138 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.2 

Brief von B. Schmithals an P. Ramus vom 22.6.1930,in: Nachlaß Pierre 
Ramus, IISG Amsterdam 

Weber, Max: Das Postulat der Werturteilsfreiheit der Wissenschaft, in: 
M.W., Werk und Person..., S.123/124 


61 
Kapitel II 
»Im Anfang war die Tat« 


oder: Anarcho-Syndikalisten in Aktion 
(1918-1923) 


1.Die deutsche Revolution 1918/19 


In diesem Kapitel soll kein detaillierter Überblick über den Verlauf der deutschen 
Revolution 1918/1%1) gegeben werden, sondern die wichtigsten Momente sollen 
herausgestellt werden, die zum Aufstieg der »Freien Vereinigung« von einer 
kleinen Sekte am linken Flügel der Arbeiterbewegung zu einer Massenorgani- 
sation innerhalb weniger Monate führten. 

Der Aufstand der Matrosen der deutschen Hochseeflotte Ende Oktober 1918 
war der Anstoß zu einer breiten Massenbewegung der Arbeiterschaft, die inner- 
halb von zwei Wochen zum Zusammenbruch des wilhelminischen Staates führte. 
Vertretungsorgane der Massenbewegung waren die spontan entstandenen Arbei- 
ter- und Soldatenräte, die sich überwiegend aus Vertretern der beiden sozialde- 
mokratischen Parteien und der Gewerkschaften zusammensetzten.(2) Die Akti- 
vitäten der Räte müssen auf dem Hintergrund der sozialdemokratischen Trennung 
von Partei (Politik) und Gewerkschaften (Wirtschaft und Betriebe) verstanden 
werden. Sie verstanden sich in erster Linie als »politische« Räte, befaßten sich 
also wenig oder gar nicht mit den Verhältnissen in den Betrieben, die sie als Sache 
der Gewerkschaften betrachteten und zwar umso ausgeprägter, je stärker die SPD 
die Mehrheit hatte.(3) 

In den Räten begann rasch die Diskussion über die zukünftige politische 
Ordnung Deutschlands. Die SPD betrachtete die Herrschaft der Arbeiter- und 
Soldatenräte als undemokratisch und drängte auf rasche Wahlen zu einer ver- 
fassungsgebenden Versammlung. Der rechte Flügel der USPD wollte ebenfalls 
Wahlen durchführen, aber erst nach der Sozialisierung der wichtigsten Industrien. 
Der linke Flügel der USPD und der Spartakusbund sprachen sich gegen Wahlen 
aus und traten für ein reines Rätesystem ein, auf der Grundlage der bestehenden 
Räte. Auf dem 1. Rätekongreß vom 16.-20.12.1918 in Berlin, auf dem die SPD die 
Mehrheit der Delegierten stellte, wurde beschlossen, zum frühestmöglichen 
Termin Wahlen zur Nationalversammlung durchzuführen. Konsequenz dieses 


62 


Beschlusses war der Verlust der Machtpositionen für die Arbeiter- und Soldaten- 
räte und es schwand »auch die Möglichkeit einer tiefgreifenden und umfassenden 
inneren Neugestaltung auf der Grundlage einer revolutionären Massenbewe- 
gung.«(4) 

Hatte die SPD bis Anfang 1919 noch das Vertrauen des größten Teils der 
Arbeiterschaft, so veränderte sich dies in der ersten Jahreshälfte 1919, als sie die 
beginnenden Unruhen, Streikbewegungen und räterepublikanischen Experimente 
(München, Bremen) von Reichswehr und Freikorpsverbänden brutal unterdrük- 
ken ließ.(5) Im Laufe des Jahres 1919 verlor die SPD massenhaft Mitglieder an die 
USPD, die nun in vielen Großstädten zur stärksten Arbeiterpartei wurde.(6) 

Ab Januar veränderten sich auch die Forderungen der Massenbewegung. »Hatte 
in der ersten Phase der Revolution der Begriff »Demokratisierung« im Vorder- 
grund gestanden, so wurde nun aus dem Ausbleiben der erwarteten Demokrati- 
sierungsmaßnahmen die Notwendigkeit der Sozialisierung als Voraussetzung 
einer jeden Demokratisierung gefordert.(7) 

Die Gewerkschaftsführung hatte ebenso wenig wie die SPD Interesse an einem 
Rätesystem. Denn durch die Räte sahen sie ihren Alleinvertretungsanspruch für 
die »wirtschaftlichen Interessen« der Arbeiterschaft gefährdet und damit die 
Existenz ihrer Organisation.(8) Die im Kriege begonnene Kooperation mit den 
Arbeitgebern wurde auch nach der Revolution fortgesetzt. Am 15. November 1918 
wurde die »Zentralsarbeitsgemeinschaft der Arbeitgeber und Arbeitnehmer 
Deutschlands« etabliert. Bei den dort zustande gekommenen Vereinbarungen 
wurden den Gewerkschaften zwar weitgehende Zugeständnisse gemacht (Allein- 
vertretungsanspruch der Arbeiterschaft, Koalitionsfreiheit, 8-Stunden-Tag, 
Kollektivverträge etc.),(9) aber angesichts der drohenden Sozialisierung waren 
diese Zugeständnisse das kleinere Übel für die Arbeitgeber und dies wurde auch 
offen ausgesprochen. So erklärte der Geschäftsführer des »Vereins deutscher 
Eisen- und Stahlindustrieller«, Dr. Reichert, am 30.12.1918 


..Wie kannman die Industrie retten? Wie kannman auch das Unternehmertum vor 
der drohenden, über alle Wirtschaftszweige hinwegfegenden Sozialisierung, der 
Verstaatlichung und der nahen Revolution bewahren? Einen überragenden Einfluß 
schien nur die organisierte Arbeiterschaft zu haben. Daraus zog man den Schluß: 
inmitten der allgemeinen großen Unsicherheit, angesichts der wankenden Macht 
des Staates und der Regierung gibt es für die Industrie nur in der Arbeiterschaft 
starke Bundesgenossen, das sind die Gewerkschaften.(10) 


In den Gewerkschaften trat eine starke Minderheit gegen diese Vereinbarungen 
auf, die den Gewerkschaftsführerm vorwarf, auf die Möglichkeit systemverän- 
dernder Eingriffe in die Wirtschaft verzichtet zu haben. Besonders bei den 
Bergarbeitern im Ruhrgebiet kam es zu massenhaften Austritten aus den Gewerk- 
schaften und Hinwendung zu syndikalistischen Organisationen. 


63 
Die Hamborner Bergarbeiterbewegung 


Bis zum Oktober 1918 hatten die Zechenbesitzer des Ruhrgebiets es abgelehnt, 
mit den Gewerkschaften zu verhandeln. In keinem anderen Industriezweig war 
der »Herr im Hause«-Standpunkt so ausgeprägt wie im Bergbau des Ruhrge- 
biets.(11) Am 14. November wurde eine Vereinbarung mit den Gewerkschaften 
getroffen, in der der 8-Stunden-Tag beschlossen wurde und die Gewerkschaften 
als Tarifpartner ihre Anerkennung fanden. Ferner sollten künftig alle Streitpunkte 
nur durch Verhandlungen ausgetragen werden. Die Gewerkschaften veröffent- 
lichten dieses Abkommen mit dem Aufruf zur gewerkschaftlichen Disziplin an 
ihre Mitglieder und derFeststellung, daß neutrale Tarifpolitik Tarifzwang für alle 
Einzelbelegschaften beinhalte.(12) Dieses Abkommen wurde auf allen Zechen 
angenommen mit Ausnahme der Thyssen-Zeche »Deutscher Kaiser« in Ham- 
born. Die Arbeiter dieser Zeche faßten die 8-Stunden-Schichtgroßzügiger auf, als 
sie von den Gewerkschaften gemeint war, denn sie schlossen die Ein- und 
Ausfahrt in die 8 Stunden ein.(13) 

Doch bevor wir auf die Kämpfe der Hamborner Bergarbeiter weiter eingehen, 
möchten wir einige Bemerkungen zu Hamborn selbst vorausschicken. Die Ent- 
wicklung der Stadt Hamborn ist auch im Ruhrgebiet eine Ausnahme. In den 80er 
und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden hier zwei Großzechen und ein 
Hüttenwerk errichtet. Die Bevölkerungszahl stieg rapide an: 

1890: 2.000 

1900: 33.000 

1910: 102.000 
Dabei betrug der Ausländeranteil 36%.Die Arbeiter lebten unter sehr elenden 
Bedingungen und »zieht man mit aller Vorsicht einen Vergleich mit der Gegen- 
wart, so war Hamborn nach Arbeitsbedingungen wie nach Wohn- und Lebens- 
verhältnissen ein »Gastarbeiter«-Milieu riesigen Ausmaßes.«(14) In diesem 
Milieu war die gewerkschaftliche Organisation noch nicht so tief verankert wie in 
den traditionellen Bergarbeitergebieten des mittleren und östlichen Ruhrgebiets; 
und von Partei- und Gewerkschaftsfunktionären wurde Hamborn als »Wilder 
Westen« bezeichnet. 

Zurück zu den Ereignissen im November 1918: Auf der Zeche »Deutscher 
Kaiser« wählten die Arbeiter am 20.11. in allen Schächten Belegschaftskom- 
missionen. Sie forderten eine einmalige Zahlung für jeden Bergmann und eine 
Verkürzung der Schichtzeit auf 7 Stunden. Die Direktion lehnte diese Forderungen 
zunächst ab mit Hinweis auf die zentrale Tarifvereinbarung. Auf einer Konferenz 
in Hamborn, die auf Initiative des Arbeiter- und Zentralrates zustande gekommen 
war und auf der Vertreter der Gewerkschaften, der Zechenleitung und der 
Kommunalvertretung zusammentrafen, schlossen sich die Gewerkschafts- 


64 


vertreter der Position der Unternehmer an. In einer öffentlichen Versammlung am 
8.12. wollte Hermann Sachse, der 1.Vorsitzende des »Verbandes der Bergarbeiter 
Deutschlands«, meist »Alter Verband« genannt, die Gewerkschaftsposition vor 
den Arbeitern vertreten. Er wurde aber in seiner Rede durch Zurufe gestört und 
schließlich wurde ihm von der Versammlung das Wort entzogen. 


Nach Sachse sprach Heiling, Mitglied der Belegschaftskommission und der 
»Freien Vereinigung«, die bis dato in Hamborn ein Schattendasein geführt hatte. 
Die Mitgliederzahl der »Freien Vereinigung« wurde zu diesem Zeitpunkt mit 5-6 
angegeben.(15) Heiling forderte die Versammelten auf, den eingeschlagenen 
Weg fortzusetzen und so lange zu streiken, bis ihre Forderungen erfüllt seien. 
Die Versammlung beschloß einstimmig den Streik und die Sperrung der 
Beiträge für den »Alten Verband«. Am nächsten Tag befanden sich alle Schächte 
der Zeche »Deutscher Kaiser« im Streik; Versammlungen und Demonstrationen 
wurden organisiert. Drei Mitglieder des Arbeiter- und Soldatenrates gingen am 
selben Abend zur Zechenleitung und gaben zu verstehen, daß sie für deren 
Sicherheit nicht garantieren könnten, wenn die Forderungen nicht erfüllt würden. 
Nachdem sich die Zechenleitung überzeugt hatte, daß keine Truppen nach 
Hamborn entsandt werden konnten, beschloß sie unter Protest, den Forderungen 
nachzugeben. 

Nach dem Bekanntwerden der Hamborner Vereinbarungen traten die Zechen 
der Umgebung Hamborms auch in den Streik und erhoben ihrerseits 
Forderungen. In dieser Situation traten die Gewerkschaften und Unternehmer in 
Essen wieder zusammen. Den Arbeitern wurde 15% mehr Lohn zugestanden, 
gleichzeitig wurde aber daran die Bedingung geknüpft, daß die Gewerkschaft 
sich für eine Erhöhung der Kohlenpreise beim preußischen Ministerium 
einsetzen müsse. Nach diesem Tarifbeschluß widerrief die Zechenleitung in 
Hamborn die Vereinbarung vom 10. Dezember und erklärte, diese sei durch 
einen Gewaltstreich zustande gekommen. 

Die Arbeiter beschlossen erneut, sich nicht der zentralen Gewerkschaftspolitik 
anzuschließen und wieder in den Streik einzutreten, sowie den Streik auf andere 
Zechen auszuweiten. In riesigen Demonstrationszügen mit Musikkapellen und 
roten Fahnen zogen sie zu den Nachbarzechen, um deren Solidarisierung zu 
erreichen. Nun kam es zu ersten Zusammenstößen mit Militärs und Freikorps, 
die gegen die Arbeiter eingesetzt wurden und in deren Verlauf mehrere Arbeiter 
zu Tode kamen. 

In dieser Situation griff die Regierung ein, um durch Verhandlungen die 
Streikbewegung beizulegen. In einer großen Konferenz in Mülheim/Ruhr wurde 
ein Kompromiß geschlossen. Die Thyssen-Direktion gestand den Arbeitern 
eineeinmalige Zahlung zu, bestand aber darauf, diese nicht als einmalige Zahlung 
zu verstehen, wie es die Belegschaften forderten, sondern als teilweise Entschädi- 
gung für den im Streik entstandenen Lohnausfall. Voraussetzung sei jedoch, daß 


65 


ab 1. Februar die 8-Stunden-Schicht voll gefahren werde. 

Die Hambomer Bergleute waren über das Ergebnis enttäuscht, beschlossen 
aber, die Arbeit nach dem erschöpfenden 14-tägigen Streik wieder aufzunehmen. 
Andererseits löste das Mülheimer Ergebnis eine Streikwelle in vielen Zechen des 
Ruhrgebiets aus. Am 11. Januar streikten mehr als 60.000 Bergarbeiter, um 
ebenfalls ihre Forderungen nach Zusatzzahlungen durchzusetzen.(16) 

Die wesentlichen Charakteristika der Hamborner Bergarbeiterbewegung 
waren: 

1. Die  basisdenwkratische Organisationsstruktur. Die Belegschaften 

trennten sich rasch von ihren gewerkschaftlichen Führern, wählten in jedem 

Schacht Vertreter zur Wahrnehmung ihrer Interessen. Entscheidungen ihrer 

Vertreter, die nicht ihren Interessen entsprachen, wurden auf 

Vollversammlungen revidiert. Nach den Verhandlungen in Essen waren die 

Belegschaftskommissionen zunächst bereit, sich der gewerkschaftlichen 

Tarifpolitik zu unterwerfen. Von den Belegschaftsvollversammlungen wurde 

dieser Beschluß revidiert. Der syndika-listische Einfluß in Hamborn war nicht 

zurückzuführen auf das Bestehen einer formellen Organisation, sondern 
vermittelt über den Einfluß einzelner Personen wie Heiling. Wir erwähnten, 
daß die »Freie Vereinigung« in Hamborn nur 6 Mitglieder hatte. 

Zum massenhaften Eintritt in die »Freie Vereinigung« kam es erst, als sich die 
syndikalistische Agitation adäquat zu den Erfahrungen und Erfordernissen der 
Bewegung erwies. Am B. Januar beschlossen die Belegschaftskommissionen, für 
einen geschlossenen Austritt aus den Zentralgewerkschaften zu votieren und für 
den Eintritt in die »Freie Vereinigung« einzutreten. Begünstigt wurde diese 
Entwicklung, weil die Arbeiterparteien in der Hambomer Bewegung nur eine sehr 
untergeordnete Rolle spielten. 

2. Die Aktionsformen. Lucas vergleicht die Aktionsformen mit dem 

Bauernkrieg von 1525. »Arbeitsverweigerung gekoppelt mit Aktionen; 

Haufenbildung; Zug von Dorf zu Dorf; vielfach Musik vorneweg; in der Aktion 

Kommunikation über die mündliche Rede beim Vortragen von Forderungen; auch 

körperlicheAngriffe auf die Herrscher«. Lucas behauptet keinen tradierten 

Zusammenhang zwischen dem Bauernkrieg und den Hamborner Aktionen, stellt 

aber die Hypothese auf, daß sich »der agrarische Mentalitätshintergrund« vieler 

Streikender bei den Aktionen ausgewirkt haben könnte. Bei den Zügen von Zeche 

zu Zeche verweist er auf religiöse Prozessionen, »die für Dorfbewohner die Form 

der kollektiven Bewegung schlechthin ist.«(17) 
Als spezifische Schranken der Hambomer Bewegung nennt Lucas: 

a) Ihre Begrenztheit auf den Hamborner Raum. Die Arbeiter versäumten 
es, Delegationen nachaußen zu schicken, um Gegeninformationen zu 
geben zu der Greuelpropaganda, die über sie inszeniert wurde. 

b) Fehlende Vorstellungen über den gesellschaftlichen Stellenwert ihrer 
Aktionen. 


66 


c) Das Unterbleiben von Reflexion und Agitation über die Ergebnisse der 
eigenen Praxis. 

Lucas faßt die Bewegung wie folgt zusammen: 
Die Streikbewegung führte also im Endergebnis zwar zu einer subjektiven 
Radikalisierung der Beteiligten und vielfach zueinem Wechsel ihrer Mitglied- 
schaft in formellen Organisationen. Aber weder wurden die Erkenntnisse, die 
die Praxis der Bewegung erbracht hatte, gesammelt weitergegeben und als 
kritisches Wissen in die Bewegung eingebracht, noch wurde, als es in der Folge 
der Bewegung zu massenhaften Übertritten zur »Freien Vereinigung« kam, 
darüber reflektiert, was formelle Organisationen überhaupt sind und welche 
Grenzen sie haben.(18) 

Das Urteil von Zeitgenossen über die Hamborner fiel meistens sehr negativ aus, 

insbesondere bei Partei- und Gerwerkschaftsfunktionären. Eine Ausnahme von 

bürgerlicher Seite machten zwei evangelische Geistliche, die den Bergarbeitern mit 

Sympathie begegneten. Einer der beiden, Carl Meineke, später Herausgeber der 

»Blätter für religiösen Sozialismus«, 1918 Pfarrer in den Gemeinde Wehofen bei 

Hamborn, schrieb nach einem Besuch im Frühjahr 1919 über die Bergarbeiter in 

der Vossischen Zeitung: 
Auf Grund von Unterhaltungen, die ich persönlich mit den Bergarbeitern hatte, kann 
ichnur beteuern, daß ich durch den entschlossenen Ernst, der diese Menschen erfüllt, 
aufs tiefste bewegt worden bin... Es lebt in der Bergarbeiterschaft, wenigstens in 
dem Bezirk, den ich besucht habe, wirklich etwas von urchristlicher Stimmung. Die 
Leute fühlen sich an einem Wendepunkt der Geschichte und sie haben das große 
Bewußtsein, in einem heiligen Kampf zu stehen. Und dieser Kampf charakterisiert 
sich in ihrem Gefühl ebenso, daß es gelte, daß den Menschen völlig mißachtende, 
über Menschenleben und Menschensein kalt hinwegschreitende, ausbeuterische 
Untemehmertum ein für allemal zu vemichten.(19) 


Der Miihlheimer Arbeiter- und Soldatenrat 


Wir erwähnten, daß die Räte sich in erster Linie als politische Räte verstanden. 
Eine auffällige Ausnahme machte der Mülheimer Arbeiter- und Soldatenrat, in 
dem die Syndikalisten in wichtigen Positionen vertreten waren. Wichtigster 
Betrieb der Stadt war die Maschinenfabrik Thyssen, dessen Belegschaft führend 
in den Streikbewegungen der Kriegszeit war. Im letzten Kriegsjahr bildete sich in 
der Fabrik eine Metallarbeiter-Gruppe der »Freien Vereinigung«, die brieflich 
Kontakt zu Fritz Kater in Berlin aufgenommen hatte(20) und der zu Beginn der 
Revolution 60 Mitglieder angehörten.(21) Soweit sich dies aus den Listen des 
Arbeiterrates entnehmen läßt, handelte es sich bei den Führern dieser Gruppe um 
altgediente Sozialisten.(22) 


67 


Von dieser Gruppe ging in Mülheim auch die Bildung des Arbeiter- und Solda- 
tenrates aus. Nach einer Demonstration der Mülheimer Arbeiterschaft wurde auf 
einer Versammlung durch Handheben der Arbeiterrat gewählt. Einen Tag vorher 
war die Liste von den Arbeitern der Maschinenfabrik gebilligt worden.(23) SPD 
und Gewerkschaftsvertreter wurden ebenfalls in den Rat aufgenommen, jedoch mit 
der Einschränkung, daß sie keine Angestellten der Partei bzw. der Gewerkschaft 
seien und daß keine Vertreter der christlichen Gewerkschaften und der 
Angestelltenverbände zugelassenwürden, wie es SPD und Gewerkschaften 
vorgeschlagen hatten. Außerdem behielt sich der Rat das Recht der Ablehnung 
einzelner Delegierter vor. 

Am 13. Dezember 1918 trat die SPD wegen der Gewerkschaftsfrage aus dem 
Arbeiterrat aus. Der Arbeiter- und Soldatenrat war nicht bereit, den Gewerk- 
schaften die »ausschließliche wirtschaftliche Interessenvertretung« der Arbeiter 
zu überlassen. In Verbindung mitdem Betriebsrat der Maschinenfabrik führte der 
Rat Verhandlungen über Lohn- und Arbeitsbedingungen mit der Direktion. 

Den Gewerkschaftsvertretern wurde zwar die Teilnahme an den Verhand- 
lungen gestattet, der Rat fühlte sich aber nicht an die Tarifvereinbarungen der 
zentralen Arbeitsgemeinschaft gebunden, sondern betrachtete sie nur als Richt- 
schnur: »Sie vertraten Konsequent die Forderungen der Arbeiter und versuchten 
u.a. auch auf diese Weise, Streiks zu vermeiden oder die Arbeiterschaft zu 
beruhigen und von möglichen Sabotageakten abzuhalten.«(24) 

Kurz vor der Entscheidung zur Gewerkschaftsfrage im Rat wurden in der 
Maschinenfabrik Thyssen Wahlen zum Arbeiterrat durchgeführt, mit folgendem 


Ergebnis: Anzahl der Stimmen Anzahl der Sitze 
Deutscher Metallarbeiter-Verband 2492 7 
»Freie Vereinigung« 1638 4 
Christl. Metallarbeiter-Verband 709 2 


Bei diesem Ergebnis ist zu beachten, daß die Firma Thyssen allein im November 
die Belegschaft um 10.000 (!) Mann reduzierte. Da davon auszugehen ist, daß vor 
allem radikale Arbeiter entlassen wurden, ist anzunehmen, daß die Basis der 
»Freien Vereinigung« noch wesentlich größer war. 

Der Mülheimer Arbeiter- und Soldatenrat war auch in übergeordneten Räte- 
Gremien vertreten und ab 1.Dezember erfolgte die Herausgabe einer eigenen 
Zeitung, »Die Freiheit, Organ für die Interessen des gesamten werktätigen 
Volkes. Publikations-Organ der Arbeiter- und Soldatenräte.« Verleger der Zei- 
tung war der 2. Vorsitzende des Arbeiter- und Soldatenrates Serforth. Für den 
redaktionellen Teil waren die dem Spartakusbund/KPD angehördenden Carl 
Minster(25) und Julius Schoch verantwortlich. Bis zum Februar 1919 kann die 
»Freiheit« als Publikationsorgan der KPD und der »Freien Vereinigung« einge- 


68 


stuft werden. Wahrscheinlich aufgrund der zunehmenden Differenzen 
zwischen den beiden Organisationen erschien die »Freiheit« ab 17. Februar 
als Organ der KPD.(26) 

Der Mülheimer Arbeiter- und Soldatenrat griff auch vermittelnd in die Ham- 
borner Streikbewegung ein. Die Maschinenfabrik Thyssen war abhängig von den 
Kohlelieferungen aus Hamborn. Immer dann, wenn die Gefahr bestand, daß sich 
die Streikbewegung auf die Mülheimer Zechen ausbreitete, versuchte der Rat, 
vermittelnd einzugreifen. 

In der »Freiheit« unterstützten sie die Hamborner Bewegung und im Bezirks- 
soldatenrat verhinderten sie die Entsendung von Truppen nach Hamborn.(27) 

Die vermittelnde, auf schrittweise Veränderung der kapitalistischen 
Gesellschaft gerichtete Politik der Mülheimer Syndikalisten änderte sich zu 
Beginn 1919, wobei drei Faktoren eine wesentliche Rolle spielten: 

1. Der Beschluß des 1.Rätekongresses, Wahlen zur Nationalversammlung 
durchzuführen 

2. Die Streikbewegungen im Ruhrgebiet 

3. Der sogenannte »Spartakus-Aufstand« Anfang Januar in Berlin, in dessen 
Verlauf die Regierung Ebert-Scheidemann Freikorpstruppen gegen die auf- 
ständischen Arbeiter einsetzen ließ. 

Im Verlauf einer Demonstration am B. Januar wurde der Mülheiner »General- 

Anzeiger« besetzt, der am folgenden Tag als »Rote Fahne« erschien. Die Redner 

Serforth, Minster und Deutsch (Syndikalist) forderten die Arbeiter auf, den 

Generalstreik zum Sturz der Regierung Ebert-Scheidemann vorzubereiten und 

die Sozialisierung des Bergbaus in Angriff zu nehmen. 

Während der Streikbewegung im Ruhrgebiet hatte der Essener Arbeiter- und 
Soldatenrat die Initiative zur Sozialisierung des Bergbaus ergiffen. Am 11. Januar 
wurden die Büros des Kohlenverbandes und des Zechenverbandes besetzt. Auf 
einer am 13. Januar tagenden Konferenz aller Arbeiter- und Soldatenräte des 
rheinland-westfälischen Industriegebietes unter Teilnahme der Gewerkschaften 
wurde eine Neunerkommission mit jeweils drei Mitgliedern der sozialistischen 
Parteien und ein Volkskommissar für die Sozialisierung des Bergbaus ernannt. 
Auf lokaler Ebene sollten in allen Zechen Räte gewählt werden, um die Soziali- 
sierung in Angriff zu nehmen. 

Die Konferenz veröffentlichte das Abkommen in Hunderttausenden von Flug- 
blättern und forderte die Arbeiter auf, die Streiks abzubrechen, da durch die 
Sozialisierung deren Grundlagen entfallen seien. Auf den meisten Zechen wurde 
daraufhin die Arbeit wieder aufgenommen. 

Bei den Zechenbesitzern fand die Sozialisierungsbewegung natürlich keinen 
Widerhall, aber auch bei der SPD-Regierung fand sie keine Unterstützung. Die 
Bewegung wurde schließlich mit militärischen Mitteln niedergeschlagen.(29) 
Am 12. Februar ließ der neueingesetzte kommandierende General des VI. 


69 


Armeekorps Watter mit Hilfe des Freikorps Lichtschlag den Generalsoldatenrat 
in Münster verhaften und am 15. Februar richtete das Freikorps Lichtschlag in 
Hervest-Dorsten ein Blutbad an, bei dem 40 Arbeiter starben. 

Als Reaktionen auf diese Vorfälle beschloß eine aus Kommunisten und Syndi- 
kalisten zusammengesetzte, am 16.2. kurzfristig einberufene Konferenz in Mül- 
heim/Ruhr den Generalstreik. Der Streik dauerte vom 18.-23. Februar und hatte auf 
seinem Höhepunkt eine Beteiligung von 52%. Er wurde von Freikorps und den in 
den nördlichen Teilen des östlichen und mittleren Ruhrgebiets von Mehrheits- 
sozialisten geführten Sicherheitswehren unerbittlich niedergeschlagen.(30) Gleich- 
zeitig verloren dadurch die radikalen Arbeiterräte ihre Machtpositionen und in 
Mülheim wurden führende Mitglieder des Rates (Reuss, Serforth) verhaftet.(31) 


2. Die Gründung der Freien Arbeiter Union (FAUD) 


Sofort nach dem Umsturz 1918 nahm die Geschäftskommission der »Freien 
Vereinigung« unter Fritz Kater ihre Arbeit wieder auf. Im rheinisch-westfälischen 
Industriegebiet ergriff der Fliesenleger Carl Windhoff aus Düsseldorf die Initiative 
zur Rekonstituierung der »Freien Vereinigung«.(32) Die Masseneintritte in die 
Organisation waren aber selbst für die Initiatoren überraschend. 

Vom 10.-17. Dezember 1918 unternahm, Fritz Kater die erste Agitationsreise 
ins Industriegebiet und sprach in Mülheim, Hamborn, Düsseldorf vor vollbe- 
setzten Sälen.(33) Schon am 14. Dezember erschien die erste Ausgabe des neuen 
Verbandsorgans »Der Syndikalist« in einer Auflage von 10.000 Exemplaren. 

In Berlin trafen vom 26.-27. Dezember 33 Delegierte aus 43 Ortsvereinen zur 
ersten Konferenz zusammen. Man betonte stolz, daß die »Freie Vereinigung« die 
einzige Organisation sei, die nach dem Krieg nicht habe umlernen müssen. In 
einer Resolution wurde die Arbeit in den Zentralverbänden und die Beteiligung an 
den Wahlen zur Nationalversammlung abgelehnt. Den Mitgliedern wurde 
empfohlen, sich den linksstehenden Parteien anzuschließen.(34) 

In dieser Phase der Revolution waren Doppelmitgliedschaften in der »Freien 
Vereinigung« und der KPD/Spartakusbund bzw. USPD häufig der Fall. Nachdem 
sich die KPD im Laufe des Jahres für die Beteiligung an parlamentarischen 
Wahlen und Mitarbeit in den Gewerkschaften einsetzte, wurde das Verhältnis 
zunehmend distanzierter. Die Ablehnung der politischen Parteien war nicht zuletzt 
auch auf den ideologischen Einfluß Rudolf Rockers zurückzuführen, der nach über 
20-jähriger Emigration aus England zurückgekehrt war und bis 1933 die am 
meisten anerkannte Persönlichkeit in der FAUD war.(35) 

In der ersten Jahreshälfte 1919 wurde die »Freie Vereinigung« zu einer 
Massenorganisation im Industriegebiet und dies, obwohl sie nach den großen 


70 


Streikbewegungen im Frühjahr 1919 wegen des verhängten Ausnahmezustandes 

keine Versammlungen durchführen und kein Agitationsmaterial verbreiten durfte. 

Der Massenzulauf wurde im Rückblick von Rudolf Rocker kritisch betrachtet: 
Allerdings hatte dieser rasche Aufschwung auch seine Schattenseiten, die jede 
größere Bewegung in Kauf nehmen muß, so brachte es die damalige Situation mit 
sich, daß wir oft Tausende neuer Mitglieder annehmen mußten. In den meisten 
Fällen handelte es sich um gewesene Mitglieder der alten Zentralverbände.(36) 

Neben dem westlichen Ruhrgebiet war Düsseldorf ein Zentrum der »Freien 

Vereinigung«, wo die Organisation auch schon vor 1914 stark vertreten war. 

Anfang Januar waren sie führend bei einem Streik bei Rheinmetall, in dessen 

Verlauf dasDirektionsgebäude besetzt und die Direktion gezwungen wurde, die 

Forderungen der Arbeiter bzgl. Lohn und Arbeitsbedingungen zu erfüllen.(37) 

Neben der »Freien Vereinigung« hatte auch der linksradikale Allgemeine 

Arbeiterverband (AAV) in Düsseldorf starken Zulauf; im Dezember 1918 

wurde eine Mitgliederzahl von 2000 angegeben.(38) 

In Wuppertal engagierten sich die Aktivisten der »Freien Vereinigung« zunächst 
in der KPD. Eine von der Polizei angefertige Liste über Wuppertaler 
Kommunisten (39) im April 1919 weist alle später führenden FAUD-Mitglieder 
aus, so den Schneider Hermann Steinacker, den Arbeiter Hans Schmitz, den 
Buchdrucker Heinrich Drewes, den Schlosser Otto Kocherscheidt und den 
Rechtsanwalt Bernhard Lamp. Steinacker und Lamp gehörten auch dem Vorstand 
der KPD an, während Drewes als einer der »geistigen Führer« der Partei 
bezeichnet wurde. In der Liste waren die Arbeiter der Eisengießerei und 
Maschinenfabrik Jäger stark repräsentiert. 2000 Angehörige dieser Firma waren 
schon während der Streiks im Juli 1917 in den Ausstand getreten.(40) 

Im April sprach Fritz Köster aus Dresden auf einer Veranstaltung »revolutio- 
närer Arbeiter« in Elberfeld und forderte die Anwesenden auf, den revolutionären 
Gewerkschaftsorganisationen beizutreten,(41) womit er zu diesem Zeitpunkt in 
Wuppertal nur die »Freie Vereinigung« meinen konnte. Über die Mitgliederzahl 
der »Freien Vereinigung« lassen sich nur schwer Aussagen machen. Im Mai 1919 
hatte die KPD 1200 Mitglieder;(42 Jin dieser Größenordnung lag wahrscheinlich 
auch die Anzahl der Mitglieder bei der »Freien Vereinigung«. 

In Wuppertal waren die Bedingungen für die Ausbreitung revolutionärer 
Organisationen nicht gegeben wie in Hambom, Mülheim und Düsseldorf. 
Dies läßt sich begründen durch: 

— die zum Teil noch patriarchalisch geprägte Industriestruktur der Stadt und die 
starke sozialdemokratische Tradition der Wuppertaler Arbeiterschaft, die eine 
enge Bindung an die bestehenden sozialdemokratischen Parteien und Gewerk- 
schaften implizierte; 

— eine vergleichbare Ballung von Industriearbeitern in einzelnen Fabriken wie in 
Düsseldorf oder Mülheim war in Wuppertal nicht gegeben. Es ist daher auch 


71 


kein Zufall, daß die radikalste Belegschaft der Stadt in der Firma Jäger 
war, wo sich die Arbeitnehmerschaft während des Krieges mindestens 
verdoppelt hatte;(43) 
— in Wuppertal wechselten keine bekannten Arbeiterführer wie in 
Mülheim zu den radikalen Organisationen. 
Im Wuppertaler Arbeiter- und Soldatenrat, in dem auch die USPD im Vergleich 
zu den Parteiorganisationen in Remscheid und Solingen zunächst eine gemäßigte 
Politik verfolgte, waren keine Radikalen vertreten. Nach Streitigkeiten zwischen 
USPD und SPD im Rat führte aber Drewes eine Demonstration zum Haus des 
SPD-Vertreters im Rat, Justizrat Lande, der unter Druck gezwungen wurde, aus 
dem Rat zurückzutreten. Wegen der Aktion wurde Drewes zu einem Monat 
Gefängnis wegen Nötigung verurteilt.(44) 
Der Einfluß der Syndikalisten im Industriegebiet läßt sich auch anhand der 
offiziellen Gewerkschaftssituation nachweisen. Eine Tabelle über den Organi- 
sationsgrad der Gewerkschaften (Zahl der Gewerkschaftsmitglieder/ortsansäs- 
sige Bevölkerung) des Jahres 1919 weist für die Städte mit syndikalistischem 
Einfluß einen niedrigeren Organisationsgrad aus: in Düsseldorf 14,4%, in 
Duisburg 13,7%, und in den Hochburgen der Syndikalisten, Mülheim 5,9% 
und Hamborn nur 0,3%.(45) 
Daß sie von freien Gewerkschaften als ernsthafte Konkurrenz betrachtet wur- 
den, machen auch die polemischenund denunziatorischen Stellungnahmen in den 
Rechenschaftsberichten für das Jahr 1919 deutlich; im Bericht des 7. Bezirks des 
DMV für das Jahr 1919 heißt es: 
Eine nicht zu unterschätzende Bewegung ist jedoch die der Syndikalisten. Ist ihre 
Mitgliedschaft auch an den Verhältnissen der Gesamtarbeiterzahl gemessen ganz 
bedeutungslos, so haben sie doch infolge ihrer radikalen und vielversprechenden 
Phrasen, deren Erfüllung sie anderen überlassen, einen guten Nährboden für den 
gewerkschaftlich ungeschulten Hüttenarbeiter! Die Sturmeswogen der Revolution 
haben manchen an die Oberfläche gespült, der längst im Strudel der nationalisti- 
schen Begeisterung untergegangen war. Mancher, der früher seinem Arbeitgeber 
die Stiefel geputzt und für die gelben Organisationen glaubte erfolgreicher wirken 
zu können, steht heute innerhalb der syndikalistischen Arbeiterbewegung als 
revolutionärer Führer. (46) 

Im Rechenschaftsbericht des Bezirks Köln des deutschen Bauarbeiterverbandes 

heißt es: 
Unsere Brüder von der entgegengesetzten Fakultät, die Syndikalisten, waren im 
Berichtsjahr eifrig an der Arbeit. In verschiedenen Städten, so in Düsseldorf, 
Barmen-Elberfeld machten sie große Anstrengungen, die Arbeiter zu 
verwirren.-In Düsseldorf hatten sie erheblichen Erfolg.(47) 

Neben der »Freien Vereinigung« waren während der Revolution noch weitere 

revolutionäre Gewerkschaftsorganisationen entstanden: im Ruhrgebiet die All- 

gemeine Bergarbeiter-Union, die sich im Aprilstreik der Bergarbeiter konsti- 


+2 


tuierte und in Essen die Allgemeine Arbeiter-Union. In Düsseldorf hatte sich 
neben dem AAV noch einen »Allgemeine Deutsche Arbeiter Union« als 
Zusammenschluß der Kommunal- und Verkehrsarbeiter gebildet. 

Am 15./16. September waren diese Organisationen mit der Absicht einer 
organisatorischen Verschmelzung in Düsseldorf zusammengekommen. Die 105 
Delegierten verteilten sich folgendermaßen auf die vertretenen Organisationen: 

»Freie Vereinigung«: 46 Delegierte als Vertreter von 99 Ortsgruppen; 

»Allgemeiner Arbeiter-Verband«: 33 Delegierte als Veitieter von 30 Ortsgruppen; 

»Allgemeine Bergarbeiter-Union«: 14 Delegierte; 

»Allgemeine Arbeiter Union Essen«: 4 Delegierte; 

»Allgemeine Deutsche Bergarbeiter Union« (Düsseldorf): 8 Delegierte.(48) 
Ideologisch standen sich auf dem Kongreß zwei verschiedene Richtungen 
gegenüber: das von den Linkskommunisten(49) vertretene Programm des 
Unionismus und das von der »Freien Vereinigung« vertretene Programm des 
Syndikalismus. Gemeinsam waren dem Unionsimus und dem Syndikalismus das 
Ziel der klassenlosen kommunistischen Gesellschaft, die Ablehnung des 
Staatssozialismus sowie der Aufbau der zukünftigen Gesellschaft auf der 
Grundlage des Rätesystems. Differenzen bestanden in der Organisationsform — 
die Unionisten auf der Grundlage der Betriebsorganisationen, die Syndikalisten in 
Industrieföderationen — und in der Gewaltfrage. Die Unionisten postulierten den 
bewaffneten Kampf zum Sturz der kapitalistischen Gesellschaft sowie die 
Diktatur des Proletariats als Übergangsform zur klassenlosen Gesellschaft 
während die Syn-dikalisten den sozialen Generalstreik und die Abschaffung des 
Staates favori-sierten.(50) 

In Deutschland wurden die unionistischen Grundsätze zunächst von dem 
Hamburger Linkskommunisten Fritz Wolffheim propagiert, der vor dem Krieg 
Redakteur einer amerikanischen sozialistischen Zeitung war und dort Theorie 
und Praxis der radikalen »Industrial Workers of the World« (IWW) 
kennengelernthatte und auf dieser Grundlage ein Programm formulierte.(51) 
Vermutlich wurden sogar Flugblätter der Unionisten direkt von der IWW 
finanziert.(52) 

Aufgrund ihrer gefestigten organisatorischen und ideologischen Tradition setzte 
sich die »Freie Vereinigung« in wesentlichen Punkten auf der Konferenz durch. 
Grundlage des neuen Programms der Organisation wurden die Richtlinien des 7. 
und B. Kongresses der »Freien Vereingigung« von 1906 und 1910. In der Frage 
der Organisationsform wurde ein Kompromiß geschlossen; generell wurde die 
Organisation nach den syndikalistischen Berufs- bzw. Industrieverbänden 
aufgebaut. Die Bergarbeiter hingegen bauten ihre Organisation gemäß der unio- 
nistischen Form in Schachtorganisationen auf. Die Mitgliedschaft in politischen 
Parteien wurde zugelassen, aber keine Parteipolitik war in Veranstaltungen 
gestattet.(53) Der Namederneuen Organisation spiegelte den Kompromiß wider: 
»Freie Arbeiter-Union (Syndikalisten)«. 


73 


Rudolf Rocker führte das Zustandekommen der Verschmelzung auf die 
Aktivitäten Carl Windhoffs zurück: 
Daß es trotzdem möglich war, mit jenen Organisationen zu einem Einverständnis 
zu gelangen, war hauptsächlich das Verdienst des Genossen Carl Windhoff in 
Düsseldorf.(54) 
In der Folgezeit gelang es nicht, die unionistischen Teile an die neue Organisation 
zu binden. Im Frühjahr bildeten sich die Allgemeine Arbeiter Union (AAU), die 
der KAPD nahestand und als weitere Abspaltung die FAU-Gelsenkirchener Rich- 
tung, die von der KPD unterstützt wurde.(55) 


Und auf Reichsebene? 


Nach dem Zusammenschluß in Rheinland-Westfalen sollte dieser auch auf 
Reichsebene vollzogen werden. Im Laufe des Jahres hatten sich auch in Thürin- 
gen, Sachsen, Schlesien, Süddeutschland und in den Hafenstädten der Nord- und 
Ostseeküste Ortsvereine der »Freien Vereinigung« gebildet.(56) Während einer 
dreiwöchigen Aufhebung des Belagerungszustandes traten vom 27.-30.12.1919 
in Berlin Delegierte aus allen Teilen des Reiches zum 12. Kongreß der »Freien 
Vereinigung« zusammen. Der Höhepunkt des Kongresses war die »Prinzipien- 
erklärung des Syndikalismus« von Rudolf Rocker,(57) die mit überwältigender 
Mehrheit als neues Programm angenommen wurde. Lediglich ein Düsseldorfer 
Delegierter kritisierte Rockers Position zur Gewaltfrage und der Dikatur des 
Proletariats.(58) Die Mitgliedschaft in politischen Parteien wurde den Mitglie- 
dern freigestellt. Die Trennungslinien zu den sozialistischen Parteien (USPD, 
KPD) war mittlerweile schärfer geworden,(59) und Rockers Prinzipienerklärung 
implizierte eine deutliche Ablehnung der politischen Parteien. Auf Antrag der 
Düsseldorfer wurde die »Freie Vereinigung« in »Freie Arbeiter-Union Deut- 
schlands« (Syndikalisten)« umbenannt.(60) Organisatorisch lehnte sichdieFAUD 
an das Modell des französischen Syndikalismus an, mit der Gliederung in 
Industrieföderationen und Arbeiterbörsen. 

Zunächst sollten sich in allen Orten Vereinigungen aller Berufe bilden. Waren 
mehr als 25 Personen eines Berufes zusammen, so schlossen sie sich wiederum 
zum Ortsverein des jeweiligen Berufs- und Industriezweiges zusammen. 

Ab 1919 begann sich Industrieverbands- gegenüber Berufsverbandsprinzip 
durchzusetzen. Beide Organisationsformen bestanden aber bis 1933 nebenein- 
ander her. Die Ortsvereine desselben Industriezweiges bildeten auf Reichsebene 
eine Industrieföderation. Die Ortsvereine hatten ein Selbstbestimmungsrechtund 
eigene Satzungen, die den Grundsätzen der FAUD nicht widersprechen durften. 
An Beiträgen zahlten die Mitglieder einen Stundenlohn pro Woche, mindestens 
aber einen Wochenlohn pro Jahr. 


74 


Oberste ausführende Instanz der FAUD war die Geschäftskomrnission mit Sitz in 
Berlin. Sie bestand aus neun Mitgliedern (Vorsitzender, Kassierer, Schriftführer, 6 
Beisitzer) und hatte koordinierende Aufgaben au szuführen. Von den Ortsvereinen 
sollten 10 Pfennige pro Mitglied und Woche an die Geschäftskommission 
abgeführt werden.(61) 

Während des Gründungskongresses war der organisatorische Aufbau noch 
inden Anfängen. Von 12 geplanten Industrieföderationen bestanden fünf 
(Bergarbeiter, Bauarbeiter, Metallarbeiter, Kommunal- und Verkehrsarbeiter, 
alle Berufe). In vielen Ortsvereinen waren sämtliche Mitglieder in der 
Föderation »Alle DBerufe« zusammengefaßt. Nach Angaben der 
Geschäftskommission waren auf dem Kongreß 109 Delegierte, die 111.675 
Mitglieder vertraten. Die stärksten Berufsgruppen bildeten die Berg- und 
Metallarbeiter. 

Aus dem rheinisch-bergischen Raum waren rund 50.000 Mitglieder auf dem 
Kongreß vertreten, die sich nach Orten und Berufen wie folgt verteilten:(62) 


Rheinisch-bergische Mitglieder der FAUD(S) 
auf dem Gründungskongreß: 


Ort Beruf Mitglieder 
Düsseldorf Alle Berufe, Bauarbeiter 800 
Kommunal-, Verkehrsarbeiter 4000 
Metallarbeiter 11000 
Düsseldorf-Gerresheim Metallarbeiter 400 
Duisburg Alle Berufe 10000 
Fliesenleger 3011 
Elberfeld Alle Berufe 1250 
Fischeln Alle Berufe 70 
Friesenheim Bauarbeiter 180 
Hamborn Bauarbeiter 600 
Bergarbeiter 8000 


Metallarbeiter 


921 


Hochemmerich 
Köln 

Krefeld 
Mönchen-Gladbach 


Mülheim/Ruhr 


Oberhausen 


Remscheid 
St.Tönis 
Süchteln 
Uerdingen 
Viersen 


Gesamt: 


Bergarbeiter 

Alle Berufe 

Alle Berufe 

Alle Berufe 

Berg- u. Bauarbeiter, Gerber 
Metall- u. Verkehrsarbeiter 
Bergarbeiter 
Metallarbeiter 

Alle Berufe, Metallarbeiter 
Alle Berufe 

Alle Berufe 

Alle Berufe 


Alle Berufe 


1760 


1500 


900 


750 


3000 


5000 


3000 


319 


3000 


100 


100 


775 


100 


47.060 


73 


76 
3. Märzrevolution 


Am 13. März 1920 marschierte die »Marinebrigade Ehrhard« ins Berliner 
Regierungsviertel ein und ernannte den Generallandschaftsdirektor Kapp zum 
neuen Reichskanzler. Unmittelbarer Anlaß des Putsches war die von der Re- 
gierung verordnete Auflösung der Marinebrigade, in Zusammenhang mit den 
Bestimmungen im Friedensvertrag von Versailles.(63) 

Die Koalitionsregierung (SPD, DDP, Zentrum) floh nach Stuttgart, da die 
Reichswehrleitung es abgelehnt hatte, Truppen gegen die Putschisten einzu- 
setzen.(64) Von Teilen der Reichswehrkommandeure wurden die Putschisten 
offen unterstützt; der für das rheinisch-westfälische Industriegebiet zuständige 
Kommandeur des 6.Wehrbereichs, General Walter, nahm eine abwartende Hal- 
tung ein. Mit der Erklärung, er habe den Auftrag, »Ruhe und Ordnung« im Bezirk 
aufrecht zu erhalten, hielt er sich nach beiden Seiten hin offen. Die Kommandeure 
der drei wichtigsten Freikorps, die Watters Kommando unterstanden, unterstützten 
die Putschisten.(65) 

Die drei sozialistischen Parteien und Gewerkschaften reagierten auf den Putsch 
mit der Proklamation des Generalstreiks. In vielen Orten wurden sogenannte 
Aktionsausschüsse bzw. Vollzugsausschüsse (66) zur Durchführung des General- 
streiks gebildet, der am 15.März begann. 

Am selben Tag kam es in Wetter an der Ruhr zu den ersten bewaffneten 
Auseinandersetzungen zwischen den Freikorps und Arbeitern. Den Arbeitern 
gelang es, das Militär zu besiegen und zu entwaffnen. In den folgenden Tagen 
kam es zu Siegen der Arbeiter in Kamen, Hörde und Elberfeld, wo es den 
Arbeitern gelang, nach schweren Kämpfen an der Rudolfstraße in Barmen das 
Militär unter Führung des Generals Gillhausen und die Sicherheitspolizei 
(Sipo) aus der Stadt zu vertreiben. Die Arbeiter holten sich ihre ersten Waffen 
vom Militär, der Polizei und bürgerlichen Mitgliedern der Einwohnerwehren. 
Die Siege gegen die gut ausgerüsteten Militärs beruhten nicht zuletzt auf der 
großen Unterstützung der kämpfenden Arbeiter durch die nicht-kämpfende 
Arbeiterbe-völkerung.(67) 

Die Putschisten kapitulierten am 17. März in Berlin, worauf die Regierung in 
Berlin noch am selben Tage die Arbeiter aufforderte, den Generalstreik abzu- 
brechen und die Bestrafung der für den Putsch Verantwortlichen ankündigte.(68) 

Dieser Aufforderung kamen die Streikenden nicht nach und dies aus 
folgenden Gründen: 

—die Regierung machte in ihrem Aufruf keinerlei wirtschaftliche und politische 
Zugeständnisse. Die Stimmung unter den Streikenden charakterisiert die Tatsache, 
daß der dem rechten SPD-Flügel angehörende ADGB-VorsitzendeLegien 


77 


der USPD ein Angebot zur Bildung einer Arbeiterregierung machte, das 
von der USPD nicht aufgegriffen wurde.(69) 

— der Abbruch des Generalstreiks hätte den Verzicht auf den weiteren bewaff- 
neten Kampf gegen das verhaßte Militär bedeutet. Innerhalb weniger Tage war 
eine bewaffnete Aufstandsbewegung, die sogenannte »Rote Armee« im Industrie- 
gebiet entstanden, der es gelungen war, das Militär aus dem gesamten Ruhrgebiet 
zu vertreiben.(70) 

Nach wenigen Tagen war, bedingt durch die Beendigung des Generalstreiks in 
Berlin, dem Sieg der Militärs in anderen Regionen des Reiches und durch die 
beginnende Umzingelung des Ruhrgebiets die Aufstandsbewegung isoliert. Am 
24.März traten daher Regierungsvertreter unter Leitung des Staatskommissars 
Severing und Vertreter der Vollzugsräte des Industriegebiets in Bielefeld zu 
Verhandlungen zusammen. Im dort getroffenen Abkommen wurde ein Kompro- 
miß geschlossen: Selbstauflösung der Aufstandsbewegung; Legalisierung des 
Sicherheitswesens, wie es sich während des Aufstandes gebildet hatte in Gestalt 
von sogenannten Ortswehren; Verzicht der Regierung auf einen Einmarsch der 
um das Industriegebiet herum aufmarschierten Truppen.(71) 

Obwohl die Kampfleiter der »Roten Armee« das Bielefelder Abkommen 
ablehnten, wäre die Selbstauflösung gelungen, wenn längere Zeit zur inneren 
Willensbildung geblieben wäre.(72) Die Reichswehr war gegen das Abkommen 
und marschierte ununterbrochen gegen das Ruhrgebiet vor. Am 2.April gab die 
Regierung schließlich den Einmarschbefehl; unter den Truppen waren zahlreiche 
Einheiten, die kurz zuvor noch die Putschisten unterstützt hatten. Die Truppen 
entfalteten unter den Resten der »Roten Armee« einen systematischen Terror. Der 
folgende Auszug aus einem Brief eines Studenten, der der Brigade Epp angehörte, 
spricht in diesem Zusammenhang für sich: 

Gestern machten wir den ersten Sturm... Pardon gibt es überhauptnicht. Selbst die 
Verwundeten erschießen wir noch. Die Begeisterung ist großartig — fast unglaub- 
lich. Unser Bataillon hat zwei Tote; die Rotenhaben 200-300 Tote. Alles, was uns in 
die Hände kommt, wird mit dem Gewehrkolben zuerst abgefertigt und dann noch 
eine Kugel —Ich dachte während des ganzen Gefechts an nichts mehr als an Eure 
Schwestern von Station A. Das kommt nämlich daher, daß wir auch zehn Rote- 
Kreuz-Schwestern sofort erschossen haben, von denen hatte nämlich jede ein 
Pistole bei sich. Mit Freude schossen wir auf diese Schandbilder; und wie diese 
geweint und gebetet haben; aber wer mit einer Waffe getroffen wird, der ist unser 
Gegner und muß daran glauben. Gegen die Franzosen waren wir edler.(73) 
Ein weiteres Beispiel: 
Frage von Commandant Graff, eines alliierten Kontrolloffiziers: »Warum er- 
schießt die Reichswehr jeden bewaffneten Arbeiter, der sich ergibt?«— 
Antwort von Major v.Gienandt, Stabsoffizier der 3.Kavallerie-Division: »Die 
Rote Armee besteht aus Jugendlichen, denen fünf Jahre die väterliche 
Autorität gefehlt hat; da ist es zu spät, sie hinzubiegen, ist es das beste, sie 
auszulö-schen.«(74) 


78 
Die Rolle der FAUD in den Vollzugsräten 


und in der »Roten Armee« der Märzrevolution 


Die Aktionsausschüsse, die während und nach dem Generalstreik im 
Industriegebiet entstanden, lassen sich in drei Typen unterscheiden: 
1. Im Vollzugsrat sind die drei Arbeiterparteien vertreten (u.a. Elberfeld- 
Barmen, Remscheid, Düsseldorf, Hamborn...) 
2. Im Vollzugsrat sind die drei Arbeiterparteien und die beiden Mittelparteien 
(Zentrum, DDP) vertreten (u.a. Hagen, westliches Ruhrgebiet) 
3. Im Vollzugsrat sind (seitdem Sieg der bewaffneten Arbeiter) nur linksradikale 
Organisationen vertreten (Mülheim, Essen, Oberhausen) (75) 
Eine Ausnahme im Industriegebiet machte der Mülheimer Vollzugsrat sowohl im 
Hinblick auf seine Bildung als auch durch seine Praxis. Nach dem Abzug der 
Militärs aus Mülheim übernahm zunächst ein linksradikaler Aktionsausschuß, der 
analog zu 1918/19 die Räterepublik ausrief,(76) die Macht und erklärte sofort, er 
werde die diktatorische Macht nur so lange ausüben, bis aus den Reihen der 
Betriebsräte ein endgültiger Arbeiterrat gewählt sei. Schon zwei Tage später 
fanden Wahlen in den Betrieben statt und bereits am 24.März wählten die Be- 
triebsräte den endgültigen Vollzugsausschuß, der überwiegend aus Syndikalisten 
und Kommunisten bestand. Wie weitgehend der Mülheimer Vollzugsausschuß 
seine Aufgaben sah, kam deutlich in seiner ersten Erklärung zum Ausdruck: 
Die erste notwendige Aufgabe ist: sofortige Wahl revolutionärer Betriebsräte. 
Diese haben die Sozialisierung der Betriebe zu organisieren, die Produktion 
fruchtbar zu gestalten und zu überwachen. Sie bilden die Keimzellen zukünftiger 
Gestaltung. Aus den Betrieben heraus und durch diese müssen die Kommunal- 
vollzugsräte gebildet werden. Letztere haben den alten reaktionären Beamten- 
apparat zu reorganisieren.(77) 
Der Vollzugsrat ging auch daran, in der kurzen Zeit seines Bestehens das 
Programm in der Praxis auszuführen. So wurden Kommissionen fürdie 
städtischen Betriebe, für die Schulen, für das Wohnungs-, Gesundheits- und 
Wohlfahrtswesen, eine Sozialabteilung mit einer Unterkommission für den 
Nachweis von Arbeitsstellen, sowie eine Kommission für Polizeifragen gebildet. 
Wenn teilweise die Kommissionsmitglieder keine rechten Vorstellungen von 
ihrer Aufgabe hatten,wird aber dennoch deutlich, wie umfassend der Vollzugsrat 
seine Aufgaben verstand.(78) 

Auch in den Betrieben machten die Mülheimer Syndikalisten ihre Zielvorstel- 
lungen deutlich. Als der Direktor der städtischen Betriebe den neuen Betriebsrat 
nicht anerkannte, wurde er kurzerhand abgesetzt und der Betrieb von den 
Arbeitern kollektiv weitergeführt. In der Maschinenfabrik Thyssen übernahmen 


79 


die Betriebsräte teilweise die Leitung des Betriebes und erledigten ihre Aufgabe 
anscheinend so gut, daß ein Mitglied der Familie Thyssen, die nach der Niederlage 
der Reichswehr geflohen war, gegenüber einem Vertreter der englischen Botschaft 
in Den Haag daraus den Schluß zog, »der ganze Aufstand müsse von den 
'Spartakisten von langer Hand gründlich vorbereitet gewesen sein.«(79) 

Theorie und Praxis des Mülheimer Vollzugsrates entsprachen genau den 
anarcho-syndikalistischen Grundsätzen und antizipierten die Kollektivierungen 
der spanischen Anarcho-Syndikalisten während der Revolution 1936/37. Auch 
dort gingen die Arbeiter unmittelbar nach dem Militärputsch daran, die Produk- 
tion zu kollektivieren unterAusschaltung einer staatlichen Instanz. Ähnlich wie 
in Spanien waren auch die Positionen der Sozialisten und Kommunisten, die erst 
nach dem militärischen Sieg in den Betrieben eingreifen wollten, da durch die 
Sozialisierung die Lebensmittelversorgung gefährdet würde. Die spanischen 
Syndikalisten hielten diesem Argument entgegen, daß die Kollektivierungen 
jedermann die Ziele des bewaffneten Kampfes konkret vor Augen führen und 
dadurch die Kampffähigkeit gesteigert werde.(80) 


4. Die Aktionen des Rechtsanwaltes Lamp in Elberfeld 


Anders als in Mülheim war die Entwicklung in Elberfeld. Hier hatte sich ein 
Aktionsauschuß, der paritätisch aus Mitgliedern der drei sozialistischen Parteien 
zusammengesetzt war, auf Initiative des SPD-Bezirkssekretärs Dröner am 13. März 
gebildet. Die SPD hatte unter der Bedingung, daß nicht über die Vergangenheit 
geredet werde, weitgehende Konzessionen an USPD und KPD gemacht, indem sie 
im Aufruf zum Generalstreik die Forderungen nach der Diktatur des Proletariats auf 
der Grundlage des Rätesystems und der Sozialisierung der dazu reifen 
Wirtschaftszweige unterstützte; dies bedeutete einen klaren Bruch mit dem 
Bekenntnis zum Parlamentarismus und der Verfassung.(81) 

Am 18. März, einen Tag nach der Vertreibung des Militärs aus der Stadt, erließ 
der Aktionsausschuß einen Aufruf an die Bevölkerung Elberfeld-Barmens, in dem 
er die Grundsätze der neuen Ordnung verkündete und die Arbeiter zum Abbruch 
des Streiks aufforderte. »Die Wiederaufnahme der Arbeit liegt außer im 
volkswirtschaftlichen Interesse im Interesse der durch den Kampf errungenen 
Macht.«(82) Die Elberfelder Arbeiter befolgten nicht die bürokratische Verord- 
nung des Aktionsausschusses und nahmen erst am 22. März nach der Beerdigung 
der Revolutionsopfer die Arbeit wieder auf. Zusammengefaßt der Elberfelder 
Aktionsausschuß erließ zwar einen wortradikalen Aufruf, der (und das ist wichtig) 
von den Funktionären der drei Arbeiterparteien verfaßt wurde. Das im Aufruf 


80 


geforderte »Rätesystem« und die Sozialisierung waren zumindest für die SPD 
kein Kampfziel sondern nur ein Kampfmittel, das nur bis zur Niederwerfung 
Kapps seine Gültigkeit haue. Wie wenig sich der Aktionsausschuß an die 
Beschlüsse der Arbeiterschaft gebunden fühlte, zeigt auch die Tatsache, daß 
der am 20. März auf einer Massenversammlung mehrerer tausend Arbeiter auf 
dem Neumarkt gefaßte Beschluß, die Arbeit erst nach der Beerdigung der 
Revolutionsopfer aufzunehmen, in der USPD- und SPD-Presse manipulativ 
verschwiegen wurde.(83) 

Der Elberfelder Rechtsanwalt Bernhard Lamp, Mitglied der FAUD, nahm 
die Forderungen des Aktionsausschusses ernst und versuchte, sie mit zwei 
aufsehenerregenden Aktionen in die Tat umzusetzen. 

Am 18. März besetzte er mit seinen Anhängern das Amts- und Landgericht, 
ließ die Zugänge mit Drahtverhauen absperren und fordertealle Anwesenden auf, 
sich zu entfernen; nur die Arbeiter, die in den Gebäuden wohnten (Heizer, 
Pförtner) durften bleiben. Von einem Mitglied des Aktionsauschusses ließ Lamp 
sich dann eine Vollmacht ausschreiben. Unmittelbarer Anlaß für Lamps Aktion 
war die Empörung, daß die Gerichtsbeamten sich nicht am Generalstreik 
beteiligt hatten und während der Kämpfe eine Gerichtssitzung stattgefunden 
hatte. Am nächsten Morgen waren die Gerichtsbeamten wieder erschienen und 
beriefen sich auf den Aufruf des Aktionsausschusses, die Arbeit wieder 
aufzunehmen. Lamp forderte die Beamten auf, das Gebäude zu verlassen und 
erklärte sie für beurlaubt. Mit einem Vertreter der Beamten verhandelte er noch 
über Gehaltsvorschüsse, denn sein Ziel war es, das Gericht für eine Weile zu 
schließen, bis Grundsätze einer neuen Rechtsordnung von den Arbeitern 
beschlossen waren.(84) Am Gerichtsgebäude ließ er ein Manifest anschlagen, in 
dem er seine Vorstellungen einer neuen Rechtspflege entwickelte.(85) Auf einer 
am selben Tag stattfindenden Massenversammlung auf dem Exerzierplatz ließ er 
sich zum Volksbeauftragten für die Sozialisierung der Rechtspflege 
ernennen.(86) Der Text von Lamps Manifest ist leider nirgendwo festgehalten, 
aber in der von ihm am gleichen Tag verfaßten Tageszeitung sind seine 
Vorstellungen einer neuen Rechtspflege enthalten. 

Komme niemand mit dem Einwand, daß die Rechtspflege nicht örtlich 
sozialisiertwerden könne, sondern durch Verfassungsgesetze für größere Gebiete 
sozialisiertt werden müsse. Das ist falscher Aberglaube, der nur von den 
Berufsrichtem aufgebracht worden ist, damit sie besser ihre Laufbahn aufbauen 
können und eine einheitliche Geheimsprache überall in Wirksamkeit setzen 
können, durch welche sie sich selbst unentbehrlich für die Rechtspflege machen. Ich 
bitte die gelehrten Richter, mir die Behauptung zu widerlegen, daß unsere Gesetze 
mehr nach den Interessen der Rechtsprechenden als nach denen der 
Rechtsuchenden gemacht worden sind... Nicht nur Ehesachen und Streitigkeiten 
ur Mein und Dein sind so eingerichtet, daß man, obwohl man recht hat, zu seinem 
Recht nicht kommen kann, oder doch so spät, daß es eigentlich zu spät ist, nicht nur 
hier herrscht berechtigte 


81 


Empörung der Rechtsuchenden über das widersinnige gerichtliche Verfahren. 
Auch die Strafrechtspflege hat einen solchen Stoff von Erbitterung und Empörung 
geschaffen, daß der Funke, der jetzt hineingefallen ist, die bisherige Strafrechts- 
pflege fortsprengt. Der Erziehungsgedanke hat an die Stelle des Strafgedankens zu 
treten. Die gedankenlose Einsperrung armer, schwacher Menschen, die den rech- 
ten Weg nicht kannten oder sichdarauf nicht halten konnten, in Zuchthäusern und 
Gefängnissen widerspricht der Menschenwürde, ebenso natürlich die Todes- 
strafe.(87) 
Lamp war am 19. März noch in anderer Hinsicht aktiv geworden. Auf einer 
Buchdruckerversammlung in Elberfeld schlug er den Arbeitern der Bergisch- 
Märkischen Zeitung vor, unter seiner Mitarbeit eine Parteizeitung herauszugeben. 
Die Herausgeber der Bergisch-Märkischen Zeitung hatten Kapp unterstützt. 

Lamp besetzte mmit den Arbeitern die Zeitung, ließ die Angestellten entfernen, 
sie etwas später aber wieder mitarbeiten. Auf der erwähnten Massenversammlung 
ließ Lamp sich auch als »Volksbeauftragter für die Sozialisierung der Presse« 
ernennen.(88) 

Er verfaßte die erste Nummer der Zeitung, die er »Direkte Aktion im Westen« 
titulierte. Der Aktionsausschuß Elberfeld griff ein; Lamp erreichte aber, daß die 
Zeitung zusammen mit einer weiteren von ihm verfaßten Zeitung, die den Titel 
»Die Brandung« trug, am 23. März erscheinen konnte.(89) 

In der Begründung dieser Aktion bezog sich Lamp auf den Aufruf des 
Aktionsausschusses, indemu.a. die Sozialisierung der hierzu reifen Industrien 
und das Verbot der Zeitungen, die den Putsch unterstützt hatten, gefordert 
wurde. Beides Bedingungen, die nach Lamps Auffassung bei der Bergisch- 
Märkischen Zeitung (BMZ) gegeben waren. 

Es wollte mir nun scheinen, daß ein Blatt, das in der bisherigen Weise nicht mehr 
herauskommen kann, einen leeren Betrieb hinterläßt, der naturgemäß schleunigst 
benutzt werden muß.(90) 
Seine Aufgaben als Volksbeauftragter für die Sozialisierung des Pressewesens 
sah Lamp folgendermaßen: Herausgabe einer Tageszeitung unter inhaltlicher 
Mitbestimmung der Druckereiarbeiter und Kostenloser Mitarbeit von jedermann; 
der sozialisierte Betrieb sollte beispielhaft wirken; nach Sammlung von Erfah- 
rungen sollte das Modell auf die anderen Betriebe übertragen werden.(91) 

Auffallend in beiden Blättern ist Lamps schwungvolle, metaphorische 
Diktion, mit der er die Stimmung der Massen in den Märztagen zum Ausdruck 
bringen wollte. Inhaltlich bewegten sich Lamps Artikel im Rahmen der 
Forderungen des Aktionsausschusses nach der Diktatur des Proletariats auf der 
Grundlage des Rätesystems und der sofortigen Sozialisierung. 

In zwei Leitartikeln »Was ist Räteverfassung?« und »Was wir nicht wollen« 
entwickelt Lamp seine Vorstellungen über das Rätesystem und die 
Sozialisierung, die sofort in Angriff genommen werden müßten, und betont die 
Bedeutung von Beispielen in einzelnen Betrieben. 


82 


In der »Direkten Aktion im Westen« erläuterte Lamp seine beiden Aktionen und 

»Die Brandung« enthält noch eine exzellente Kritik Lamps am Beschluß des 

Aktionsausschusses, den Generalstreik abzubrechen. Lamp hob zwei Kritikpunk- 

te hervor: 

1. daß der Aktionsausschuß nicht durch die Wahl der Arbeiter entstanden sei und 
dadurch nicht, wie dieser behauptete, die Vollmacht besäße, so weitgehende 
Entscheidungen zu treffen 
Darum vermögen wir ihm (dem Aktionsausschuß) bei allem Verständnis für die 
weltbefreienden Einigungsgedanken der Arbeiterschaft nicht die Befugnis zuzu- 
erkennen, einfach zu kommandieren: Hinein in die Fabrik! Selbstbestimmung, 
Demokratie—wo blieb sie in diesem Fall? Glaubte man das ganz Natürliche bei 
einer jeden Bewegung, nämlich daß die Arbeiterschaft selbst bestimmen will, was 
zu geschehen hat, hier nicht notwendig zu haben? 

2. die Feststellung, daß das Argument des Aktionsausschusses, die Lebensmit- 
telversorgung sei gefährdet, »das große Bangemachen sei — um die Massen 
von der Straße wegzubekommen« und dies der Grund sei, »warum man es 
so eilig hatte mit dem Beginn der Arbeit«. Die Angst der Funktionäre vor der 
Selbständigkeit der Massen bringt Lamp mit dem treffenden Satz zum Aus- 
druck: 

Man liebt die Demonstrationen, jedoch nicht die Demonstranten, wenn sie den 
Erfolg naturgemäß und mit Recht zur vollen Auswirkung gelangen lassen wollen. 

Der Aktionsausschuß distanzierte sich »auf das Entschiedenste« von Lamp und 

stellte fest, daß er keiner der drei sozialistischen Parteien angehörte.(92) Auf- 

schlußreich ist der Kommentar der Volkstribüne (USPD-Blatt) über Lamps 

Aktionen und seine Person: 

Ein Idealist vom Scheitel bis zur Sohle, ein Einzelgänger, ein Sonderling, ein 
Mensch, der in kein System hineinpaßt, der sich keiner Ordnung unterstellt, ist der 
neue Volksbeauftragte Bernhard Lamp. Das alles braucht kein Tadel zu sein, es 
kannunter Umständen sogar ein Lob sein. Lamp stand beim Ausbruch des Krieges 
mitbeidenBeinen fest im bürgerlichen Lager. Der Krieg hat ihn scheinbar aus dem 
Gleichgewicht gebracht, er wankte, fiel und purzelte, gleich alle Leidenssituationen 
überschlagend bis hin zu den Kommunisten. Und kaum hatte er festen Boden unter 
den Füßen, da purzelte er aufs neue. Heute ist er Anarchist, Syndikalist oder wer 
weiß was. Er selbst weiß es am wenigsten. Von einer gereiftenÜberzeugung, von 
einer festen Anschauung kann bei ihm keine Rede sein. Er überläßt sich ganz seinen 
Gefühlen, die durch die kolossalen Ereignisse völlig aus dem Gleise geworfen sind. 
Wir zweifeln nicht daran, daß er es gut meint, wenn er mit einem Ruck die ganze 
Rechtspflege aus den Angeln heben will, wenn er die in Jahrhunderten verankerte 
Gerichtsbarkeit und den Strafvollzug, die gewiß einer gründlichen Umgestaltung 
bedürfen, nun mit einem Male ganz nach seinem persönlichen Geschmack 
umwandeln will ... Lamp sozialisiert auch die Presse. Diese Sozialisierung besteht 
darin, daß er mit ein paar bewaffneten Arbeitern zum Baumeister gehtund das 
Personal zwingt, einBlättchen für ihn zudrucken. Gestern 


84 


hieß es die »Direkte Aktion im Westeng, heute betitelt es sich »Die Brandung«, der 
morgige Name steht wohl noch nicht fest. Der Inhalt des Blättchens ist nur 
pathologisch zu werten. Wenn, wir wiederholen es, wir das gute Herz und die guten 
Absichten des Genossen Lamp nicht in Zweifel ziehen wollen, so muß doch mit 
aller Deutlichkeit ausgesprochen werden, daß seine Kapriolen die Sache der 
Revolution schwer schädigen. Sozialismus bedeutet Gemeinschaftlichkeit. Ge- 
meinsames Streben, gemeinsames Handeln nach einem festen Plan tut heute dem 
Proletariat mehr not wie jemals.(93) 

Wie ist dieser Aufruf zu bewerten? 

1) Lamps Aktionen werden nicht aus dem Zusammenhang der Massenaktion 
erklärt, sondern aus »Lamps abnormer Persönlichkeitsstruktur«. Die Patho- 
logisierung ist ein beliebtes Mittel zur Diffamierung politischer Gegner. 

2) Es wurde eine gezielte Desinformation der Leser betrieben. Nicht berichtet 
wurde, daß Lamp sich während beider Aktionen mit dem Aktionsausschuß in 
Verbindung setzte, sich auf Massenversammlungen bestätigen ließ und, als der 
Aktionsausschuß eingriff, freiwillig das Feld räumte. Die Behauptung, der 
Inhalt von Lamps Blättern sei nur pathologisch zu werten, wird mit keinem 
einzigen Zitat untermauert—und dies aus gutem Grunde. Lamp berichtete über 
die Massenversammlungen der Arbeiterschaft, die von der SPD- und USPD- 
Presse manipulativ verschwiegen wurden.(94) 

3) Die Behauptung, Lamp habe die Arbeiter der Zeitung gezwungen, die Blätter 
für ihn zu drucken, war eine schwerwiegende Verleumdung. Nicht mit 
putschistischen Aktionen, sondern mit der tatkräftigen Unterstützung der 
Arbeiter wollte Lamp die Sozialisierung in Angriff nehmen. 

4) Der Kommentar bezieht sich im sachlichen Teil der Kritik nur negativ auf 
Lamps Sozialisierungsvorstellungen, gibt aber keine Richtung an, in welcher 
Weise eine Veränderung zu geschehen habe. Die Feststellung, daß Sozialis- 
mus gemeinsames Handeln nach einem festen Plan bedeute, ist in dem 
Zusammenhang völlig abstrakt. 

Am 28. März 1920 erschien unter Mitarbeit Lamps »Die Schöpfung, Kulturpo- 

litische Tageszeitung für das sozialistische Neuland«, herausgegeben von der 

Freien Arbeiter-Union Elberfeld-Barmen. Zwei weitere Nummern folgten. Die 

Herausgeber kündigten ihr Blatt wie folgt an: 

Die Schöpfung will ein ausgesprochen politisches Organ sein mit ganz bestimm- 
tem Vorsatz: lediglich für die Interessen des Proletariats einzutreten unter Aus- 
schaltung jedes politischen Kompromisses, weicht sie nicht und wenn sie sich 
sofort wieder in Urnebel auflösen müßte.(95) 

Von der »Schöpfung« distanzierte sich nicht nur die KPD-Bezirksleitung, die ihre 

Mitglieder aufforderte, entweder »die irrsinnige Redaktion sofort abzusetzen oder 

aus der FAU auszutreten«(96) sondern auch die FAUD: 

Die in Elberfeld-Barmen herausgegebene Zeitschrift »Neue Schöpfung« steht in 
schroffem Gegensatz zu der auf dem 12. Kongreß in Berlin einstimmig beschlos- 


85 


senen Prinzipienerklärung. Alle zielbewußten Syndikalisten lehnen es ab, sich 
mit den Tendenzen dieser Zeitung einverstanden zu erklären.(97) 
Nach dem einzig überlieferten Ausschnitt zu urteilen, waren die heftigen 
Reaktionen zu verstehen. 
Unsere neue Wahrheit. Der Staatsanwalt—ein Biest. Ein gefährliches Untier ist der 
Staatsanwalt. Er ist wie ein angekurbelterPanzerwagen, der, durch eine gedankenlose 
Maschine getrieben, über alles hinwegmalmt. Er zermalmt jeden Menschen unter sich, 
er zermalmt dem Säuglinge die Mutter, er rei ßt vorn liebeshungrigen Weibchen das 
Männchen und steckt es hinter Mauern. Er läßt dem kräftigsten Leben den Hals 
abrichten, er tobt wie ein blindes Biest einher, zertrampelt, zermalmt, vernichtet und 
baut nichts auf. Der Staatsanwalt vernichtet nur — der Staat vernichtet nur, er baut 
nichts auf. Die Polizei — wird umgebracht. 
Als die »echte« russische Revolution kam, würgten die fesselfreien Russen ihre 
Wächter ab. Das war ein wonniges Schlachten. Denn selbst aus diesem großen 
Polizistenschlachten stieg die beginnende russische Menschenfreiheit auf. Hört, 
ihr Polizistenmeute! Wir merken uns das. Das nächste Mal zerschlagen wir eure 
Hundsköpfe auf dem Pflaster zu Brei! Wir hassen euch tödlich! Seid Verbrecher! 
Wir, jeder, sind Gott.(98) 
Zitiert nach Hans Spethmann, Zwölf Jahre Ruhrbergbau. Spethmann, der im 
Auftrag der Zechenbesitzer die Geschichte des Ruhrbergbaus schrieb, bezeichnete 
»Die Schöpfung« in ideologischer Hinsicht als Produkt der KPD. Form und Inhalt 
des Pamphlets lassen nicht den Schluß zu, daß Lamp der Verfasserwar. Eben- 
sowenig entsprach es dem Stil Heinrich Drewes, eines weiteren führenden 
Elberfelder FAUD-Mitgliedes, der von 1921-23 Redakteur der syndikalistischen 
Tageszeitung »Die Schöpfung« in Düsseldorf war. 

Der genaue Hintergrund wird nicht mehr zu ermitteln sein, doch möchten wir 
noch eine Vermutunganstellen. Der letzte Satz »Seid Verbrecher! Wir, jeder, sind 
Gott« ähnelt der Ausdrucksweise der sogenannten Haeusser Jünger, einer reli- 
giösen Sekte der 20er Jahre.(99) Nachweislich war der Elberfelder Anhänger 
dieser Sekte, Ernst Leiverkus (in Elberfeld in den Jahren stadtbekannt als »Jesus- 
Jünger«), zunächst Mitglied der KPD und Anhänger der Anarchisten.(100) 


In einer Ausgabe der »Schöpfung« setzt sich der Redakteur Drewes mit einem 
anderen Vertreter dieser Sekte auseinander, dem Düsseldorfer Lehrer Ludwig 
Joist, der auch Mitglied der FAUD war. In diesem Artikel wird auch der besagte 
Leiverkus erwähnt. Drewes resümierte in dem Artikel: »Hoffentlich zeigen 
unsere Organisationen in Zukunft solchen Leuten gegenüber eine geschlossene 
Tür, denn es ist Tatsache, daß gerade unsere Bewegung, weil sie Freiheit und 
Ungebundenheit des einzelnen gewährleistet, zum Tummelplatz dieser Geister 
wird, die den Begriff Freiheit durch Frechheit ersetzen.«(101) 


86 


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bin bereit, mit Dem lobe tu bejiegetn, mas idt alles bisher aber 
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Mannes. Unerwartet {knell ift fein %ßitle midi Sur erfdiütternten 
Tat geworben. Tem 9Riirtnrec ton Gott ift Der 9llärtnter non Jittl 
gefolgt. hätte Die 3ufti3 nur einen ffunten non I3erilanh rob 
(5cfühl beieffen, Denn märe 'tire leben titer erhalten reblieben. 
aber unheilnertiinbenb, Dem böten (t3e'ft Der i infter tie gleidt, 
trutete fie fiber Dem Sdtidlel Des von ihr natnentlidi tit bem 
Veihenfeer Rommuniitcrpro3eh töblidt ge!jaiiten Mannes. (bin 
3uftitmocb iii an Vamp begangen warben wir hatter fdion® 
porter mehrmals banne gewarnt — Der urn io 3rauenvolter nob 
rniherwärtiger wirft, als er begangen Tooth :on ben beftel(ten 
bittern bes 92echto unD bes Pehcns. aliewcit ?it C—dlulb Des 
ein3elnen 23eamten Dabei geht, lieht Dahin utub wirb vielleidit 
nie tidrtig jeftgelteflt werben. ‚x aber audj glei:5 3ültig, Da hier 
ren einet Cdtulb bes Cnficros y;rfprodlen werben ‚nuh. bier hat 
Itch Die nufti,i felbft nadt uni brutal on ben Pranger gefleht. 
Cie. lern riebt Deanfpruchen, Daft ban 2chcn als heiltg out, 
unverleblidl betradttet with, wenn fie fleh felbft aber Die Gebote 
Der eTtenfdtliditeit unb Der Gereditiateit hinweg: ebt. Unterftiibt 
wurbe fie in ihrem abid)tulidien 23orgeben bind) eine feile unb 
feige Trefle — unter Organ lit bas ein3ige irr LBuppertal 
getvefen, bas wieberbolt unb mit 9ladibruct bie sofortige 
rtilaffung °amps geforbert unb Darauf hingewiefen hat, Dab 
Vamp weber ein $3erbred)er ‚noch ein BahnjInniger aemefen ift. 
— Tie biirattlidien 3eitungen haben 3war hie 93at- ridit über bie 
Geiitesgeftörtheit humps, über bic nod) feinerlei 

eftfteflungen getroffen waren, unbefeben übernommen. Ipätet 
‚abet (di bödit 3ngetnöpft gegeigt, als lid) tiefe 9tadtrid)t als 
1lacbe erwies: 


Pamp wurbe rerf7aftet unter Dem i3ortoanbe. bah er art bet 
13 ricftaftenfprengung am Gefängnis t enbab! im 4tuguft--wahr 
Idieinlidi eine Cpittciarbeit — beteiligt fei. Yltier:nit Die geridit< 
lieben Grmittelungen in biefem 13erfabren YRaterial ge.Icn Tamp 
3utage geförbert gaben, wijien wir nidit. Wit vermuten aber Rut, 
bah Die linierfucbung nidits 43elaftenbes gegen ihn ergeben bat 
unb bah man besbelb peril:Mt bat, ben unbequemen Vann, wenn 
IE 01 a fo im \rrenbaus 3u begraben. 9tid)t oie 

IU nor etwaiger Strafe, fonbern ber (5ebantc, bahman 


Zeitungs-Faksimiles und Flugblatt zu Lamps Tod; die 


Zeitungsausschnitte datieren auf den 28. und 30.12.1920 


ibn für peijtespcitürt ertliiren unb !ebeitbta tinter Den Bauern 
eines 'trrenhaufes begraben mürbe, trieben ibn in Den iunger 
(ereil. Es tarn It:gracben toerben, bag Pnmo eine erientriffie 
Natur gewefen ift. Die nicht mit Dem allgemeinen '.Ainhitabe 
aemellen werben tonnte. sein 41ti[le aber, tob Ober areiteit! 
ftanD uneridttittertidt in ihm teil. Um fa ntehc mitre es bie 
A3ftidht bec ixrantwottliclen Beamten aemejen, ihn aus feiner 
haft in eetInnen. nZas hoben fie nicht goan nub Dec-DalD icüjt 
iie Die gable Swncre Des |'_torraurjes ben Tt.iti;utorbes. 


YLtir !Iagen an, bah man einen !9Ynnn belritligt bat, her bee 
heute berrfddenDen Clique ein Tont im tfuae mar. Der fie Der, 
adltete unb oft genug grain brr tabitnliftijdten SL:jtil ben bot 
muni Der jlarrc'littcit ins (6ciicht gej,bleubert liai. Vamp rit 
nuntot. 1&is abet wirb mit baren. 'oie inn in Den Z. ob getrieben 
baten? 'iiirb man he gerate to la:,itn [alien, wie Die racla, 
anbeten, hie (ide armen dic hcuoluticn rerfünbigt unb an beten 
banben ban 3ilut reoolationürer |it:aicta,ier !lebt? EBer mödtte 
baron lmeifeln! Lein Tart. Der tiere,ft,iateit im tapitaliftildten 
*lalienftaate notelet! 


31m flplectotle tamps. 


es wirb line ge'dttteben, sit liadttldtt rem been Zobe Qantue 
hat wohl In ber getarnten 2Irbeiterj,t>ait Dee 113'4pertale tint 
bahret Pinang jeldhen bewegtet Zeilna&rte unb 2raleet 
Ikruorgeruien. eehlen he Dab lunaehft unglaublich web unfafi: 
bat. ilbet es mat Docb gerbe nab harte lalfatie. Jet 110. 
telminget ZuD hat [tine biiteen Sdtatien abet einen Dienldten 
a.n. ebreitet, ber two {eiset etlenttijcben'9itigungen feinen 
Brübirn tm 4lrbeitstittcl now manche wertvollen Ziertal* (kitte 
Zelten törnen. Go hoben Dena gelobe jie an be: Labte einet 
Vannes, be: dual nit later Rlajjen,dtidtt entflammte, bie 
unmittelbar Do: Dem ttutbrudt bet 9lroolution audh nab in ten 
rinithaur.gen Der bürgerl:tben (t efetigdpit belangen war, Dann 
abet infolge tines unjmeijelbaft oorhanbcnen tiefen fokalen 
tbeatihis in reitienter Icbnraet bitten aeffeln 
entgog limb eöltig in be: proletartjcben spmice aufging. h eft Itiicite 
(intw.dlung l'antpe Inuit mon !einen unD wü'biatn, neu far biete feiner 
tanhlungen One OErllärung ‚iu finDen. 

lamp murre am 12. %ptil 1881 gu Aki geboten unb genoh tine 
forgfältige oetltebung. Seine gtofle Begabung in feinen 
1xufjiiben fief feinen Qebrern aus, ale et Zit:ntanet in 'jfotsbam 
mar. Sie erikirten ibn fürreif tunt IInioetjttäto tiibium, bem et In 
2aufanne unb Betltn oblag. Betnmtlicb ftarb fein Mier, bet 
Itlfttonom in {tief mat, auf einet Cfrpeb:tion In Zeutfdt. Oitaftlta, 
an bet et Iu (Iltengteguiieuuttgsproeden tellnahm. 2emnp mat 
teen Yuttb,dmnittamenfdt. lieben betoottageaben poiftagen 
f*tiibigteiten, bie fach ol,ijadt in geretbelu unabertreffe Zither% 
Iltusbtudsformen duherten, war er alierbings feit feine: Ititbbett 
sine ionn eftdnblge liatut,” b:e, Zugenbfids{btmmungen 
antenna:in, Datum als (Ciharatkt fach nlebt gtrttigenb bane 
fettigen tannen, um Die jangften 12/relgrriffe lu meltern. lier 
Gzunblug feines 2Befens wan aber ungweifethatt tenet aus titter 
Dienfltlidttelt geborene foliate iDittgefübt, bas er g. B. audt 
Darin betätigte, bah et welted) (inlet:idht one jegliche 
33regatung erteilte. linterfta$urgrbebarflgen Dienjdnn gu bet» 
fen war bet ihm Drin je1bftuetftänblititjte Carte. 9tamenlieb 


87 


88 


letnen in ben Sanaott bet 3ulti3 jdtmadttenben Rlietrten tam Das 
suftatten, Denn et belch Eilt „feine Gefangenen" eine grate 
Diebe. IInD es’ttt !rich Die getingfk Elite Diets Zraster(piels, 
bag gehabe btefe $fife tltm son Det gtaulamen 3>ic;ı als tin 
3eidten }einet Eedlteaidrmddte ausgefegt werben (otik. Erie 
be. grunDete Das Damit, bat et an „93etjdpenäungslutbt" leibe, 
wens et anbeten bilfe geaaät3tte. Yule tob unto wee grau4tm in 
bet Xat muh eine &harem }ein, bit burdtgretfenbe $ills 
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90 
Die Beteiligung der FAUD-Mitglieder 
an der Roten Armee 


Über die Zusammensetzung der Roten Armee existieren keine zuverlässigen 
Daten mehr. »Fest steht zweierlei: einen großen Anteil der Roten Armee 
stellten junge Arbeiter; Arbeiterfrauen und Arbeitermädchen begleiteten die 
kämpfenden Männer.«(102) 

Da die FAUD im Ruhrgebiet ihren größten Anhang hatte, ist davon auszugehen, 
daß ein Teil ihrer Mitglieder in der Roten Armee war. Dies wird bestätigt in einer 
zeitgenössischen Arbeit über den Märzaufstand von Colm, der anhand von 
Unterstützungslisten für die Opfer, bei denen bei 374 die Gewerkschaftszuge- 
hörigkeit angegeben war, folgende Verteilung errechnete: ADGB 53,2%, FAUD 
44,9%, Hirsch-Dunkersche G. 0,8%, Christliche G. 0,8%.(103) Demnach war die 
FAUD im Verhältnis zu ihren Mitgliedern überproportional vertreten. 

Fest steht jedoch, daß die Kampfleiter der Roten Armee keine Syndikalisten 
waren, wie dies in der KPD- und SPD-Literatur über die Mülheimer 
Kampfleitung der Roten Armee behauptet wird.(104) Lucas kritisiert, daß in der 
bisherigen Literatur eine relative Nähe von Syndikalismus und 
Linkskommunismus behaup tet wird. Er faßt die Differenzen jedoch gerade am 
Beispiel des Ruhraufstandes wie folgt zusammen: 

Syndikalisten waren die 'animateurs' jener Großbelegschaften im Bergbau des 
westlichen Ruhrgebiets, die 1918/19 die große Streikbewegung entfaltet und in der 
Auseinandersetzung mit der Arbeitsgemeinschaft Politik der Gewerkschaften 
politisiert worden waren; diese Belegschaften beteiligten sich führend an den 
Straßenschlachten gegen Freikorps und staatliche Polizei und beachteten dann 
während der ganzen Dauer des Aufstandes jederzeit die Möglichkeit, die die 
Situation bot, vermieden jede abenteuerliche Einzelgängerei und brachen schließlich, 
als sie eine weitere Fortsetzung des Kampfes als aussichtslos betrachteten, die 
Bewegung außerordentlich diszipliniert ab. —Linkskommunisten soweit sie als 
solche identifizierbar sind, waren dagegen Arbeiter, die durch Erfahrungen mit der 
militärischen Konterrevolution von 1919 politisiert worden waren, zum Teil 
Zuchthaus oder Gefängnis hinter sich hatten und vom Arbeitsplatz her ziemlich 
isoliert waren, (Straßenbahner, Dekorationsmaler, Maschinenbauer sind die Berufe, 
die bisher ermittelt werden konnten), aber im überlokalen Kontakt mit- 
einanderstehend und 'opinion leaders' kleiner, verschworener Gruppen; im Aufstand 
von 1920 daherund wegen ihrer militärischen Erfahrung rasch wichtige Komman- 
dostellen der Roten Armee einnehmend, wurden sie ein schweres Problem für die 
Bewegung, weil sienichts als den bewaffneten Kampf gelten ließen, jede politische 
Debatte innerhalb der Bewegung als Schwäche ansahen, Verhandlungen mit der 
Regierung bereits als solche als Verrat bezeichneten und dann, als der bewaffnete 
Kampf verlorenging, nach der Devise 'Sieg oder Untergang handelten.(105) 


91 


Auch in der bisher für Wuppertal erschienen Literatur wird die Nähe von 
Linkskommunismus und Syndikalismus am Beispiel zweier Aktionen der 
Linkskommunisten als unzutreffend behauptet.(106) 
Am 28. März 1920 putschten Linkskommunisten gegen den Aktionsausschuß. 
70 Bewaffnete unter Führung Karl Hensmanns stürmten das Rathaus, in dem eine 
Sitzung des Aktionsausschusses stattfand; sie hielten das Mitglied des Ausschusses 
Charpentier (KPD) eine Nacht lang gefangen und verhafteten ein anderes Mitglied 
in seiner Privatwohnung. Am nächsten Morgen gaben sie ihr Vorhaben auf, 
verweigerten aber, die Waffen abzugeben und verschanzten sich im Wehr- 
kommando der Roten Armee am Mäuerchen in Elberfeld. Der Aktionsausschuß 
ließ das Gebäude von der Arbeiterwehr umzingeln, daraufhin gaben sie auf.(107) 
Am 20. August unternahmen Mitglieder der KAPD, in der sich mittlerweile 
die Linkskommunisten organisiert hatten, einen handstreichartigen Sturm auf das 
Rathaus in Velbert und riefen die Räterepublik aus. Die isolierte Aktion brach 
nach wenigen Stunden zusammen. Am selben Tag hatte die KAPD auch in 
Wuppertal zu einer Versammlung auf dem Exerzierplatz aufgerufen (1000-1500 
Teilnehmer). Nach der Versammlung formierte sich ein Demonstrationszug 
zumRathaus,, wo es aber im Gegensatz zu Velbert nicht zu 
Auseinandersetzungen kam.(108) 
Bei beiden Aktionen wird in der Literatur eine Teilnahme der FAUD 
behauptet, die quellenmäßig nicht zu halten ist. Dem spricht auch entgegen 
1) Lamps Aktionen waren nicht putschistisch 
2) Auf einer Versammlung der FAUD bezeichnete der Referent die Linkskom- 
munisten als Karabinerkommunisten und "agents provocateurs‘.(109) 

3) Ein Polizeispitzel schrieb über das Verhältnis zwischen Syndikalisten und 
Kommunisten während der Märztage: »Der blutige Kampf hat die scheinbare 
Einigung der Syndikalisten und Kommunisten herbeigeführt.«(110) 


5.Die Anarcho-Syndikalisten in den Streiks und 
Erwerbslosenunruhen im Rheinland 


Der Generalstreik gegen den Kapp-Putsch war der letzte große Streik mit eindeutig 
»politischem« Charakter im rheinland-westfälischen Industriegebiet. Nach 1920 
nahmen die Streiks einen stärker »ökonomischen« und weniger »politischen« 
Charakter an;(111) die Arbeitskämpfe bis 1924 waren der Versuch der 
Arbeiterschaft, mit der zunehmenden Inflation Schritt zu halten und die revolu- 
tionären Errungenschaften zu verteidigen (8-S tundentag).(1 12) Die FAUD nahm 
regen Anteil an den Arbeitskämpfen dieser Periode. Obwohl sie im Industriegebiet 
an keinem Ort stark genug war, selbständig Arbeitskämpfe zu inszenieren und 


92 


damit das von ihnen abgelehnte Tarifsystem der Gewerkschaften zu durchbre- 
chen, konnte sie doch oft einen großen Einfluß auf die Streiks ausüben, der weit 
über die Zahl ihrer Mitglieder hinausging; dies besonders in den zahlreichen, 
spontanen »wilden« Streiks dieser Zeit, und wenn die von den Zentralverbänden 
abgeschlossenen Tarifvereinbarungen nicht den Erwartungen der Streikenden 
entsprachen.(113) 

Im November 1921 streikten in Düsseldorf 20.000 Metallarbeiter. Nachdem der 
christliche Metallarbeiterverband sich für die Arbeitsaufnahme entschieden hatte, 
schloß sich der DMV diesem Beschluß an. Auf einer öffentlichen Versammlung 
der Düsseldorfer Metallarbeiter wurde daraufhin folgende Resolution beschlos- 
sen: 

Die am 2. Dezember in der Tonhalle tagende, öffentliche von ca. 4000 Mitgliedern 
besuchte Versammlung verurteilt entschieden die von den drei Spitzenverbänden 
(Christliche, Hirsch-Dunkersche, DMV) bei den Lohnbewegungen in Duisburg und 
Düsseldorf beliebte Taktik, die von Anfang an so eingestellt ist, daß sie mit 
Natumotwendigkeit zurNiederlage der Arbeiter führen mußte. Die Versammelten 
entschieden sich gegen die Arbeitsgemeinschaften und gegen jedes Paktieren mit 
dem Unternehmerrum. Die Versammlung ist der Meinung, daß wenn die 
Zentralgewerkschaften die von den Syndikalisten stets propagierte Taktik des 
bewaffneten Kampfes auf breiter Grundlage (sozialer Generalstreik) befolgt und 
eine Einheitsfront aller Gruppen im Rheinland gebildet hätten, die jetzige Nieder- 
lage erspart geblieben wäre. Die Versammelten versprechen von nun an im Sinne 
der revolutionären Gewerkschaftsbewegung tätig zu sein.(114) 
Am 10. November 1922 brach im Walzwerk Mannesmann ein »wilder« Streik 
aus wegen Lohndifferenzen, die Belegschaft der Firma Mannesmann war mehr- 
heitlich syndikalistisch und unionistisch organisiert. Innerhalb weniger Tage 
breitete sich der Streik auf die Düsseldorfer Metall- und Bauindustrie aus; die 
Gesamtzahl der Streikenden wurde von der Polizei auf 45.000 geschätzt, von der 
Streikleitung auf 100.000. 

In einem Flugblatt der Streikleitung wurde zum »Generalstreik mit den schärf- 
sten Mitteln« aufgerufen und die Arbeit nicht eher aufzunehmen empfohlen, bis 
die Existenz der Streikenden gesichert sei. Der Streik richtete sich auch gegen 
die Gewerkschaftsbürokratie; auf einer Versammlung der Streikenden wurde 
ein Gewerkschaftsfunktionär verprügel. Die freigewerkschaftlichen 
Betriebsräte beschlossen am 14.11. den Generalstreik, nachdem ein Arbeiter bei 
Auseinandersetzungen mit der Polizei getötet worden war, rückten aber kurz 
darauf von dieser Position ab mit Rücksicht auf die Gewerkschaften, die den 
Generalstreik ablehnten. 

Am 16.11.1922 brach der Streik zusammen, nachdem es zu einer Einigung 
zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern gekommen war.(115) 

Die Polizeibehörden machten in erster Linie die Kommunisten für den Streik 
verantwortlich. Dem spricht entgegen, daß für ein Flugblatt der Streikleitung der 





„Verleumdung und Niederfracht 
sind der Wahrheit Wiederzecher I" 


Gerüchte wildester Art suchen dem Charakter des Kampfes eine andere Gestaltung zu geben. 
KeinMittel läßt man unversucht, der gewaltigen Aktion den Todesstoß zu versetzen. Giftige Pfcile der 
Lüge und der Gemelniteit werden gegen die geballte Masse geschleudert. In einer Weise, die nur 
Lumpen eigen ist, sucht man die Leitung der Bewegung zu besudeln. Die ganze Charakterkorruption und 
die Verkommenheit der blirgerlichen Gesellschaft tragen die Büttel, Handlanger und Prostituierte 
leuer,Gesell-scilatt zusammen, um die stinkenden Jauchekübel niedrigster Gesinnung Ober die leitenden 
Personen der Bewegung zu ergießen. 

Strebersucid, Ehrgeiz, kapitalistische Knechtsel!gkelt läßt Journalisten, Redakteure und sich ein- 
bildende „Arbeiteriührer" die hervorragendsten Persönlichkeiten in dieser reaktionären Kloake werden. 
Besonders ein Teil der „Arbeiterführer" (weil der Staub der Tradition, der ihre Gehirne bedeckt, die Ge- 
genwart nicht erkennen läßt) sind eifrig bemilht, durch unlautere Manipulationen gegen Persönlichkeiten 
der, Bewegung ihre — — — Ohnmacht zu beweisen. 

Kämpferscharl Die Bewegung ging nicht von Personen aus. sondern es war der eiserne Wille der 
Massen. die geladene Erbitterung, die unbegrenzte Not, der Hunger unserer Frauen und Kinder, die Un- 
gewißheit der Gegenwart insgesamt, die der Arbeiterschaft gebot. Hand anzulegen, um einer noch 

grauenhafteren Zukunft die Tore zu schließen. 
Positive Garantien für die Sicherung des Lebens und der Existenz der schaffenden Bevölkerung war und 
Ist der Leitstern des Kampfes. Möge dieser Ruf als Willensausdruck der gesamten streikenden Arbeiter 
allen Widersachern in die Ohren gellen — nicht um ihre „Sympathien' zu erheischen, sondern der Massen- 
schrei hungriger Kehlen muß ihre I.ligen ersticken. 

Gebt ihnen die Antwort!!! 

Brüder und Schwestern! Nichts kann und darf-Iniseren Kampfeswillen hemmen, auch nicht die 
einzelnen Nfireler und Miesmacher, die glauben, schon etwas verloren zu haben. 

Haben wir verloren, oder gewonnen? 

Gewonnen haben wir — 3 Tage Arbeitskraft, 3 Tage unser eigen zu sein, 3 Tage für uns ge- 
hungert und nicht für andere, Für unser menschenwürdiges Dusels müssen wir alles einsetzen. 

Ohne die Beauftragten der Streikenden verhandelt man bereits !hinter den Kulissen des Kampfes. Was wollen 
die Leute, die gegen ens sind, für uns tun? 

Verschachert sollt Ihr werden —. unter den alten Bedingungen in die Tretmühlen gejagt werden. 

ist mit einer Lohnerhöhung oder Vorschuß eine Garantie (fir die Zukunft gegeben? — NeinlI! 

Das heißt vom Ragen in die Traufe kommen. 
t!ie Generalstreikleitung hat Vertrauen zu Euch, daß Ihr Euch würdig zeigt des Gelöbnisses ant dem Hin- 
denbnrgwall: 
„Die Arbeit nicht eher aufzunehmen bis unsere Existenz gesichert ist" 
Wenn unsere Gegner diesen Willen such haben, dann mögen sie den Weg zu uns finden, den sie, wenn es sich um 
Ausbeutung und Unterdrückung handelte, stets gefunden haben. 
Das sei unser geschlossener Kampfeswfilel 





kit Viic.gfg »falnSi3 - i asag9lL ii AtL7 ‚rb 


Durch das verrnleriscbe Verhalten der Oewerkschaftsbiirnkratic, sowie durch die Slinnehpresse, werden unter den 
Streikenden Ocrlichte verbreitet, als oh die auernb!icklich bestehenden. Ldime durch Schiedsspruch der Tarligemeinscimil um 
«dR Y. erhöld werden sollen. Dies Ist eine direkte Irretührnng der Streikenden. Nicht 557 not den (icsnmiverdiensl, 
sondern ud den nackten Grundiohn- Dallie könnt Ihr Euch noch kein Brei mehr kauten, abgesehen von der 
fortschreitenden Teuerung, die diese Lohn-,Zulage" zu einer Farce macht. 

Arbettubraderi Wont Ihr Euch diese Verhöhnung in Euerm grenzenlosen Elend gefallen lessen? Neln! Und nocll- 
sals neini Denkt an die Oesamlfnrdenrg aller Hungernden: Auskömmliche Versorgung mit Brat, Kleidung und Wohnungen. 
Sollen wir schon Inn Elend langsam zu Grande gehen, dann lieber oleo als eil der letzten Aushculdng unserer Arkcilskralt. 

Arheltshröderl Ballet nur noch wenige Stunden Im Kemple aus. Unsere Bruder in Rheinland und Westfalen, die 
dasselbe Elend sparen, wie wir, werden in diesem heroischen Kample der Düsseldorfer Arbeiterschaft eingrellen. Deshalb 
dart u nicht heissen: ‚Abbruch des Kemples", wodurch Ihr in nach giüsseres Elend sinken wlirdet, sondern haltet die 
Kamptiront tachlossen, bis unsere menschlichen Forderungen restlos erfailt sind. 


Generalstreik mit den schhrfsten Mitteln 


das mess enure Parole sein, gegenüber dem brutalen Vorgehen der Kapitalisten. Es lobe der Generalstreik, es lebe die 
leroiutloellt 


Die Generalstreikieltungt i. A. Dieta 


N. Alle auflauclienden Garneule können die Kolben dadauch abstellen, !adern sie sich giro lotermat..an Ie jolt 
Nzirks.sir 5i5lokalan holen. 





Drusk: Zeltangsdruck-Ges to. b. tL Desaeiderf 


Flugblatt der Generalstreikleitung in Düsseldorf 1922 


94 


Tin Ole 


2ettefldat ı 
unb tffIGfl! 


*ettlerifictaftsfollegen: 


Geit meCjreren Zagen befinbet jic9 bie Ziifjelborfer Qlrbeiterfdjajt 
im Rampf. aine O3ollberfamnittg ber freigewertid)aftlidjen 2ietriebs* täte 
übertrug.nactj eingeljenbett cXierattutgen bie prima bes Rantv f es ben 
f&eavertfdiaften. 3n boCTem 23erantwortunggefütjl befdjlof3 eine 
gemeinfatneBeratung berBetriebräte3entrale unb Bewertjd)aftsborjtänbe von 
ber weiteren 2Insbeljnnng bes Sa',nvfes vorläufig-äb: 6tanh 5tt nehmen unb 
benjelben fo mie er gegentuärtig jteCt, fort3uc fet3en. SJie nod) in ben 
Zetrieben befinbtidjen Otrbeiter marten ifieaveFjr 


bei Rul[; bie weitere ab. Zie Gewertidjaften werben 3ux 
nädjft berjudjen, burdj aierCjanblungen eine erfolgreiche Zeenbignng 
bea Stainvfes tjerbei3ufüljren. gegenwärtige ungeheure Qtot muf3 


alle in 3rage tommenbeti Organifationen unb Terfonen beeinfluffen, bie, 
Beenbigung bes b2ampfe6 balbigjt 3u erntDglict)en. Q3on ben Mer= 
Janblintgen wirb Zer glrbeiteridjaft auf fdjneiljtettt QBege genntnis ge. 
geben. 6esvert(djaftstoilegen° 213ir erfudjen bringenb, biete 93arole 
ttunntetjr an3uertennen unb 3u befolgen. etellt eudj rejtlos hinter eure 
fIrganifationen. ietjnt alle anbeten 93arolen ab. 


EN EEUERTENT 


Bm 4Tuftrage ber freien 6etroerffefjaften: 


Zas %ewert rajaftstartell. 
Zie Zetriebsrite3etttrale. 





Deud: 51. (Seri(d) & Qo., (5. m. 6. D., DUjje(Doife 


Flugblatt der freien Gewerkschaften zum Generalstreik; 
aus: HSTAD, Reg. Düsseldorf, Pol. Akten, Nr.16896 


95 


damalige Syndikalist und spätere Separatistenführer Bertram Dietz verantwort- 
lich zeichnete, daß der Vorsitzende der Metallarbeiterföderation der FAUD, 
Theodor Holzapfel, eine Streikversammlung anmelden wollte, sowie die fol- 
gende Erklärung der Vollversammlung der Betriebsräte, die in Düsseldorf mehr- 
heitlich kommunistisch organisiert waren: 

Die Vollversammlung betont besonders, daß nur durch das passive und sabotie- 

rende Verhalten der gewerkschaftlichen Instanzen die Syndikalisten einen derar- 

tigen Einfluß auf die Bewegung nehmen konnten.(116) 
Infolge des Düsseldorfer Generalstreiks begann am 17. November am linken 
Niederrhein ein mehrwöchiger Streik;(117) auch hier waren Syndikalisten die 
Streikführer. Der Streik begann in einem Betrieb in der Ortschaft Oedt. Die 
Streikenden forderten u.a. Goldlöhnung, vollen Lohn bei Kurzarbeit, Lieferung 
von billigen Kohlen. Von Oedt aus sandten die Arbeiter Radfahrerabteilungen in 
die benachbarten Orte und es gelang ihnen, den Streik auf die Metall- und 
Textilbetriebe in Süchteln, Dülken, Lobberich, Mönchengladbach, Viersen und 
einen syndikalistisch organisierten Betrieb in Krefeld auszudehnen.(118) Die 
lange Dauer des Streiks war möglich, da die Bauern die Streikenden mit Lebens- 
mitteln unterstützten und deren Kinder in Kost nahmen.(119) 

In Elberfeld folgten 300 Arbeiter der Firma Jäger dem Düsseldorfer Streikauf- 
ruf, als treibende Kraft wurde der Syndikalist Wirtz genannt;(120) in der Firma 
Jäger war nach wie vor ein großer Teil syndikalistisch organisiert und die 
Belegschaft galt als »äußerst radikal«.(121) 

Während eines Streiks im Jahre 1923 wurden sämtliche Arbeiter der 
Firma entlassen, weil sieauf dem Firmengelände demonstriert hatten.(122 
)Ein ehemaliger Arbeiter der Firma sagte über diese Zeit: 

In den Jahren 1920/21 da war jede Woche was los. Kommunisten und Syndika- 
listen zogen während der Arbeit raus, zum Rathaus, demonstrieren. Es waren 
mehrere hundert, es können aber auch tausend gewesen sein.(123) 
Während eines Streiks zertrümmerten die Radikalen das Mobiliar der Direktion 
und sperrten diese zur Durchsetzung ihrer Forderungen im Keller ein. 


Die Erwerbslosenbewegung 


Wegen der Auseinandersetzungen über Reparationsforderungen mit der deut- 
schen Regierung besetzten Franzosen und Belgier Anfang Januar 1923 das 
Ruhrgebiet. Die deutsche Regierung rief zum passiven Widerstand gegen die 
Besatzungsmächte auf; der sogenannte Ruhrkampf hatte eine enorme Inflations- 
welle zur Folge, da die Regierung Unterstützung für die von französischer 
Repression betroffenen Bevölkerungsteile und für Kohlen für das nicht mehr vom 
Ruhrgebiet belieferte Reich zahlen mußte. 


96 


Von der Inflation waren besonders die Erwerbslosen betroffen; im Laufe des 
Jahres 1923 kam es im gesamten deutschen Reich zu Hungerunruhen. Im April 
1923 kam es in Mülheim/Ruhr zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen 
Notstandsarbeitern auf der einen und Polizei und Bürgerwehr auf der anderen 
Seite. Die Erwerbslosen waren bei der Stadt als Notstandsarbeiter eingestellt. 
Um ihren Forderungen nach Lohnerhöhung Nachdruck zu verleihen, zogen sie 
in einer Demonstration zum Rathaus, in dem sich die Beamten verbarrikadiert 
hatten. Da die Stadtverwaltung Verhandlungen mit den Erwerbslosen ablehnte, 
stürmten diese das Rathaus; im Verlauf der Auseinandersetzungen gab es 2 Tote 
und 10 Verwundete bei den Erwerbslosen. Nach diesem Vorfall stürmten die 
Erwerbslosen einen Waffenladen. Nach zwei Tagen gelang es der Polizei und 
der Bürgerwehr, die Erwerbslosen zu besiegen.(124)Die FAUD unterstützte die 
Notstandsarbeiter, indem sie beschloß, einen 24-stündigen Generalstreik auszu- 
rufen mit folgenden Forderungen: 
1. Sofortige Freilassung der Gefangenen 
2. Sofortige Bildung eines proletarischen Ordnungsdienstes durch alle 
Arbeiterorganisationen 
3. Sofortige Entwaffnung des bürgerlichen Selbstschutzes 
4. Sofortige Entschädigung aller Verwundeten und Hinterbliebenen durch 
die Stadt Mülheim in voller Lohnhöhe nebst freier ärztlicher Behandlung. 
5. Sofortige Erfüllung der Forderungen der Arbeitslosen und 
Notstandsar-beiter.(125) 
Zur Durchführung des Generalstreiks kam es nicht. Die Versuche der FAUD, auf 
der einen Seite die Erwerbslosen zur Aufgabe des bewaffneten Kampfes zu 
bewegen, auf der anderen Seite zusammen mit den Zentralgewerkschaften mit der 
Stadtverhandlung über die Forderungen der Erwerbslosen zu verhandeln, schlugen 
fehl. Obwohl sich unter den Sprechern der Notstandsarbeiter Syndikalisten 
befanden, hatte die Organisation keinen großen Einfluß bei den Kämpfenden. Die 
FAUD war aber besonders hart von der Repression nach dem Sieg der Polizei und 
der Bürgerwehr betroffen; ihr Büro wurde zertrümmert, und viele Mitglieder 
flohen aus der Stadt, um sich der Verhaftung zu entziehen.(126) 

Das harte Vorgehen gegen die FAUD war aus der Tatsache zu erklären, daß sie 
getreu ihren Prinzipien sich nicht der nationalistischen Stimmung während des 
Ruhrkampfes anschlossen, weil der Kampf der Arbeiterklasse sich nicht gegen 
fremde Nationen und Rassen richten dürfe, sondern nur »gegen den ausbeute- 
rischen Kapitalismus« und »seinen MilchbruderMilitarismus« im eigenen Land. 
Die Arbeiterschaften sollten sich für die Interessen der Thyssen, Klöckner, 
Hugenberg und Stinnes nicht mißbrauchen lassen. (127) Mit dieser Position zogen 
sich die Anarcho-Syndikalisten nicht nur den Zorn der nationalistischen Kreise zu, 
sondern auch den der Arbeiterorganisationen.(128) 

Auch in Elberfeld-Barmen häuften sich im Jahre 1923 die Demonstrationen der 


97 


Erwerbslosen und ab Oktober kam es zu regelmäßigen Plünderungen.(129) 

Im Erwerbslosenrat Elberfeld-Barmen waren die Syndikalisten durch Fritz 
Enskat (130) vertreten. Im März 1923 war es zu Auseinandersetzungen des Er- 
werbslosenrates mit dem Vorstand des ADGB gekommen, weil dieser die frei 
gewählte Erwerbslosenvertretung nicht anerkennen wollte; nach ihrer Meinung 
sollte der Ortsauschuß des ADGB die alleinige Interessenvertretung der freige- 
werkschaftlich Organisierten übernehmen. 

Auf einer vom ADGB einberufenen Erwerbslosenversamm lung wurden deren 
Vertreter von Erwerbslosen verprügelt; die ADGB-Vetreter machten Enskat 
dafür verantwortlich und forderten die Erwerbslosen auf, sich nicht von »verant- 
wortungslosen Schreihälsen auf die schiefe Bahn sogenannter Syndikalisten 
ziehen zu lassen.«(131) Enskat bestritt, mit der Prügelei etwas zu tun zu haben; 
auf der besagten Veranstaltung hätte er dies Vorgehen öffentlich gerügt und auf 
die »üblen Elemente« unter den Erwerbslosen hingewiesen. Das tiefe Mißtrauen 
der Erwerbslosen gegenüber den Gewerkschaftsführern rühre daher, daß sie »die 
Interessen einer Stinnes-Republik über das Wohl ihrer Arbeitsschwestern und - 
brüder« stellten.(132) 

Die Plünderungen wurden von der FAUD propagandistisch unterstützt. 
»Die Schöpfung« kommentierte Plünderungen in Berlin-Neukölln 1921 
folgendermaßen: 

Die Expropriation, zu der die Ärmsten der Armen griffen, war ein revolutionäres 
Handeln. Ein wirklicher Revolutionär darf keine Disziplin kennen, er muß in dem 
Moment, wo der Kampf um sein Lebensdasein geführt wird, sich aus seinen 
inneren Gefühlen heraus empören und zur direkten Aktion übergehen.(133) 
In Wuppertal klebte die FAUD im August 1923 Plakate, auf welchen die 
»Beschlagnahme aller Lebensmittel für das Volk und durch das Volk« 
gefordert wurde.(134) 


Ab Oktober 1923 kam es fast täglich zu Plünderungen(135) der Erwerbslosen 
in Elberfeld-Barmen. Am 4., 5. und 6. Dezember versammelten sich die Er- 
werbslosen am Jagdhaus Grenze zu großen Versammlungen; der Versammlungs- 
ort lag an der Grenze zum französisch besetzten Gebiet, in Elberfeld-Barmen 
waren die Versammlungen verboten. Am 4. und 6. Dezember kam es zu schweren 
Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Erwerbslosen.(136) Die FAUD- 
Mitglieder Heinrich Drewes, Hans Schmitz und Gottfried Wirtz sprachen auf den 
Versammlungen und forderten die Versammelten zu Plünderungen auf. Drewes 
appelliertte an die Versammelten, Ausschreitungen mit der Polizeizu 
vermeiden.(137) Dies entsprach seiner gewaltfreien Haltung.(138) 

Es gibt Hinweise darauf, daß die Versammlungen von der FAUD organisiert 
und auch Arbeiter der Firma Jäger an den Aktionen beteiligt waren. Heinrich 
Drewes und Gottfried Wirtz wurden wegen ihrer Teilnahme an den Versamm- 
lungen in Schutzhaft genommen und zu Gefängnis bzw. Zuchthaus verur- 


98 


teilt;(139) Hans Schmitz konnte sich durch Flucht ins französisch besetzte 
Gebiet der Verhaftung entziehen.(140) 





Hans Schmitz, im Hintergrund als Veranstaltungsredner 


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_ Daguig der Sohutzhaft. 


Ohne Verfügung. 


Ich bitte uber den Schriftsetzer 
iteinrich Drew el, hier, iistelbeckeretresee 13 
die Schutzhaft bei dem dehrkxeiakommendo VI erwirken zu wollen. 
Drewee hat von jeher eine ithrende Holle in der syndikalistieohen 
Bewe nng gespielt. rs ist Dueserst radikal." 

Die aus enl. Auszug aus Verhandlungen,die hrer 
gegen eine Beihe von Personen getiitigt wurden ersichtlich ist, 
hat Drowse am 4. 12. gelegentlich einer öffentlichen von on. 
6000 Personen besuchten Erwerbslosen-tiernmmn 7uni' Hetcreden ge- 
halten und zu Plunderur:en aui'defordert. Die orreyte '--'enge hat 
sich dareuf zu TBtlichkeiten gegen Polizeibeamte hinroisaen 
lessen. 

Drowee het uowchl on Polizeistello als auch vor 
dam Äe teriehter,dem er zugeführt wurde, jegliche Aueacge, auch 
aber seine Person verweigert. 

'iiegen der Dringlichkeit dar dache lege ich 
den Antrug unuittelber vor. DerHerr Eegierun, ;sprüsidont in 


Barmen hat Abschrift erhalten. 


gez. Suermondt 


den Herrn Begierungspräsidenten 


Abschrift überreiche ich' zur geKenntnisnel 


Antrag auf Verhängung der Schutzhaft für Heinrich Drewes; 
aus: HSTAD, Re. Düsseldorf, Pol. Akten, Nr.17092 


100 


) 


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L) 
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Anmerkungen Kapitel II 


In der neueren Forschung hat sich der Begriff »Deutsche Revolution 1918/19 
gegenüber dem alten Begriff »Novemberrevolution« durchgesetzt. Vgl. Rürup, 
Reinhard: Demokratische Revolutionund »dritter Weg«. Die deutsche Revolution 
von 1918/19 in der neueren wissenschaftlichen Diskussion, in: Geschichte und 
Gesellschaft 3, 1983, S.285. Die Literatur über die deutsche Revolution 1918/19 
ist sehr umfassend; vgl. u.a. Mommsen, Wolfgang J.: Die deutsche Revolution 
1918-1920. Politische Revolution und soziale Protestbewegung, in: Geschichte und 
Gesellschaft 4, 1978, S.362-391, Rümp, Reinhard (Hrsg.): Arbeiter- und 
Soldatenräte im rheinland-westfälischen Industriegebiet, Wuppertal 1975 

Zu den verschiedenen Modellen der Arbeiter- und Soldatenräte. Vgl. Feldman, 
Gerald D., Rürup, Reinhard und Kolb, Eberhard: Die Massenbewegung der 
Arbeiterschaft in Deutschland am Ende des Ersten Weltkriegs (1917-1920), in: 
Politische Vierteljahresschrift III. Jg. (1972), S.95 

Lucas, Erhard: Märzrevolution 1920, Bd.1, Frankfurt 1974, S.34 

Feldman, Gerald D., Rümp, Reinhard und Kolb, Eberhard: Die Massenbewe- 
gungen der Arbeiterschaft in Deutschland am Ende des Ersten Weltkriegs, S.97 
Dem Terror der Freikorps fielen u.a. Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und 
Gustav Landauer zum Opfer. Der Heidelberger Hochschullehrer und Mitglied der 
»Deutschen Liga für Menschenrechte«, Julius Gumbel, verfaßte eine 
materialreiche Untersuchung über den Terror der Freikorpsverbände, ders.: Vier 
Jahre politischer Mord, Berlin 1922 

Feldmann, Gerald, Rürup, R. und Kolb, E.: Die Massenbewegungen ... S.100 
ebenda, S.99 

Zur Politik der Gewerkschaften während der Revolution. Vgl. Potthoff, Erich: 
Gewerkschaften und Politik zwischen Revolution und Inflation, Bonn 1979 
Zur Zentralarbeitsgemeinschaft, Vgl. Feldmann, Gerald: Die Freien Gewerk- 
schaften und die Zentralarbeitsgemeinschaft 1918-1924 in: Vetter, Hans-Oskar 
(Hrsg.) Vom Sozialistengesetz zur Mitbestimmung, Köln 1975 

Zitiert nach Limmer, Hans: Die deutsche Gewerkschaftsbewegung, S.52 

Vgl. Mommsen, Hans: Soziale Kämpfe im Ruhrbergbau nach der Jahrhundert- 
wende in: ders. (Hrsg.) Glück auf, Kameraden. Die Bergarbeiter und ihre Orga- 
nisationen in Deutschland, Köln 1979, S.249-272 

Soweit nicht anders vorgegeben, vgl. zur folgenden Darstellung Lucas, Erhard: 
Arbeiterradikalismus: Zwei Formen von Radikalismus in der deutschen 
Arbeiterbewegung, Frankfurt a.M. 1976, S.155-192; ders.: Ursachen und 
Verlauf der Bergarbeiterbewegung in Hambom und im westlichen Ruhrgebiet, 
Zum Syndika-lismus in der Novemberrevolution, in: Duisburger Forschungen, 
Bd./15, 1971, S.1-119 

Es entbehrt nicht einer gew is sen Ironie, daß einige Zechenbesitzer die 
»Achtstun-denschicht« genauso »radikal« interpretierten wie die Hambomer 
Bergarbeiter und daß daraufhin die Gewerkschaften auf eine Anfrage erklärten, 
daß jeder Bergmann 8 Stunden unter Tage sein sollte. 





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Lucas, Erhard: Märzrevolution Bd.1, S.27 

Vgl. Protokoll der Verhandlungen des 12. Kongresses der freien Vereinigung 
deutscher Gewerkschaften vom 27.-29.12.1919 in Berlin, Berlin 1920, S.21 
Vgl. Tampke, Jürgen: Die Sozialisierungswelle im Steinkohlenbergbau an der 
Ruhr, in: Mommsen, Hans; Borsdorf, Ulrich (Hg.): Glück auf, Kameraden. Die 
Bergarbeiter und ihre Organisationen in Deutschland, Köln 1979, S.234 

Lucas, Erhard: Arbeiterradikalismus, S.184 

ebenda, 5.192 

ders. f Tedesco, Claus: Zur Bergarbeiterbewegung in Hambom 191°/19, in: 
Duisburger Forschungen, Bd.22, 1975, S.141-168 

Vgl. Protokoll der Verhandlungen des 12. Kongresses der FVdG., S.42 

ebenda, S.21 

Siehe u.a. die beiden Syndikalisten und Mitglieder des Mülheimer Arbeiter- und 
Soldatenrates Heinrich Reuss, der bis zu seinem Austritt 1929 aus der FAUD in 
führenden Funktionen tätig war und Gerhard Serforth, der 1908 der erste Bevoll- 
mächtigte des deutschen Metallarbeiter-Verbandes in Mülheim/Ruhr gewesen war. 
Von 10 Mitgliedern des engeren Rates waren in Mülheim nachweisbar mindestens 
3 in der Freien Vereinigung, von 40 Mitgliedern des erweiterten Rates mindestens 
B. Vgl. die Listen des Arbeiterrates bei Steinisch, Irmgard: Linksradikalismus und 
Rätebewegung im westlichen Ruhrgebiet. Die revolutionären Auseinandersetzungen 
in Mülheim an der Ruhr, S.220-222 und Olsen, Gerold: Syndikalismus und 
Revolution in Mülheim an der Ruhr, Ein Beitrag zur Sozialgeschichte des 
Syndikalismus, Staatsexamensarbeit Duisburg 1980, S.39/ 40. 

Steinisch, Irmgard: Linksradikalismus und Rätebewegung im westlichen Ruhr- 
gebiet, 5.168/9 

ebenda, S.187 

Vgl. zur Person Minsters: Koszyk, Kurt: Das abenteuerliche Leben des sozialre- 
volutionären Agitators Carl Minster (1873-1942), in: Archiv für 
Sozialgeschichte 1965 (Bd.V), S.193-225 

Vgl. Olsen, Gerold: Syndikalismus und Revolution in Mülheim an der Ruhr, 
S.50/ 51 

ebenda, S.48 

ebenda, S.52 

Die Essener Sozialisierungsbewegung ist der Gegenstand einer breiten und 
kontroversen wissenschaftlichen Debatte geworden. Vgl. dazu u.a. Oertzen, 
Peter von: Die großen Streiks der Ruhrbergarbeiterschaft im Frühjahr 1919, in: 
Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte 6 (1958), S.231-262; Lucas, Erhard: 
Arbeiterradikalismus, S.184-189; Mommsen, Hans: Die Bergarbeiterbewegung 
an der Ruhr 1918-33, in: Jürgen Reulecke (Hg.): Arbeiterbewegung an Rhein 
und Ruhr, S.275-314; Tampke, Jürgen: Die Sozialisierungsbewegung im 
Steinkohlebergbau, S.225-248 

Vgl. Tampke, Jürgen: Die Sozialisierungsbewegung im Steinkohlebergbau, S.240 
Vgl. Steinisch, Irmgard: Linksradikalismus..., S.210 

Während der Hamborner Streikbewegung trat Windhoff in Versammlungen als 
Redner auf und empfahl den Arbeitern, sich von ihren gewerkschaftlichen Orga- 


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nisationen zu lösen und ihre Forderungen durch direkte Aktion durchzusetzen. Vgl. 
HSTAD, Reg. Düsseldorf, Pol. Akten Nr. 15032, B1.12 

Der Syndikalist, Jg.1 (1919/19), Nr.2 

Der Syndikalist, Jg. 1(191%/,9), Nr.4 

Zur Biographie Rockers, vgl. Wienand, Peter: Der geborene Rebell, Rudolf 
Rocker, Leben und Werk, Berlin 1981 

Rocker, Rudolf: Memoiren, Bd.I, S.193 

Vgl. Tampke, Jürgen: The Ruhr and the Revolution, Canberra 1978 

Der Syndikalist, Jg. 1 (1918/19), Nr.1 

Vgl. STA Münster, Büro Kölpin, Nr. 310, S.27ff. Nach Angaben von C. Windhoff 
hatte die FAUD in Wuppertal 6 Mitglieder, vgl. Der Syndikalist, Jg. 3 Nr.52 

Vgl. Stern, Leo (Hg.): Archivalische Forschungen zur Geschichte der 
deutschen Arbeiterbewgung, Bd.II, Nr.144, Berlin (Ost) 1959 

Vgl. STA Münster, S.37-39 

ebenda, S.47 

Leider liegen den Verfassern keine genaue Zahlen über die Entwicklung der Firma 
Jäger vor. Nach Aussagen der Geschäftsleitung der Firma Kugelfischer (früher 
Jäger) existieren keine Akten mehr aus dieser Zeit. In der Festschrift zum 100- 
jährigen Bestehen der Firma Jäger wird die Belegschaftszahl für 1914 mit 1.300 
angegeben. 

Vgl. Knies, Hans-Ulrich: Arbeiterbewegung und Revolution in Wuppertal. Ent- 
wicklung und Tätigkeit der Arbeiter- und Soldatenräte in Elberfeld und Barmen, 
In: Rürup, Reinhard: Arbeiter- und Soldatenräte im rheinisch-westfälischen In- 
dustriegebiet, 5.129, und Freie Presse Elberfeld, 6.1.1919. Zur Strafsache gegen 
Drewes, vgl. HSTAD, Staatanwalt und Landgericht Elberfeld, 5/841 

Vgl. Potthoff, Heinrich: Gewerkschaften und Politik zwischen Revolution 
und Inflation, S.45 

Der deutsche Metallarbeiter-Verband im Jahre 1920, Jahr- und Handbuch 
für Verbandsmitglieder, Stuttgart 1920, S.232/233 

Jahrbuch 1919 des deutschen Bauarbeiterverbandes, Hamburg 1920, S.126 
Vgl. Der Syndikalist, Jg. 1 (1919/18), Nr.42 

Als Linkskommunisten wurden die Anhänger des antiparlamentarischen und 
gewerkschaftlichen Flügels der KPD bezeichnet, die nach dem 2. Parteitag der 
KPD im Oktober 1919 aus der Partei ausgeschlossen wurden und sich ab April 
1920 in der Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands (KAPD) einen neuen 
organisatorischenZusammenhang schufen. Zur KAPD, vgl. Bock, Hans-Manfred: 
Syndikalismus und Linkskommunismus, S.225-251 

Zu den Differenzen zwischen Syndikalisten und Unionisten vgl. Böttcher, 
Hans: Zur revolutionären Gewerkschaftsbewegung in Amerika, Deutschland 
und England, Eine vergleichende Betrachtung, Jena 1922, S.92-97 

ebenda, S.65 

Vgl. Bock, Hans-Manfred: Syndikalismus...,S.126 

In den Statuten der neuen Organisation, vgl. Der Syndikal is t, Jg. 1 (1918/19), Nr.53 
Rocker, Rudolf: Memoiren, Bd.Il, S.194 

Zur Entwicklung der beiden Organisationen, vgl. Bock, Hans-Manfred: Syndika- 


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lismus... 5.179-214 

Rocker, Rudolf: Memoiren, Bd.II, S.192 

Vgl. Kapitel II dieser Arbeit 

Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 12. Kongresses der FVdG, S.62 
Sowohl USPD und KPD hatten sich mittlerweile eindeutig vom Syndikalismus 
distanziert. 

Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 12. Kongresses der FVdG, S.78 

In den Statuten der FAUD, vgl. ebenda, S.6-10 

Vgl. Präsenz-Liste des 12. Kongresses, ebenda, S.96-100 

Vgl. zur Vorgeschichte des Putsches Lucas, Erhard: Märzrevolution, Bd.1, 
Vom Generalstreik gegen den Militärputsch zum bewaffneten Aufstand, 
Frankfurt, S.71-86 

In dem Zusammenhang fiel der vielzitierte Ausspruch des Generals v. Seeckt, 
»Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr.« 

Zur Haltung der Militärs vgl. Lucas, Erhard: Märzrevolution Bd.1, S.96-107 
Zu den verschiedenen Modellen der Aktionsausschüsse vgl. ebenda, S.119-139 
Vgl. ebenda, S.147-206, Zu den Kämpfen zwischen Militärs und Arbeitern in 
Elberfeld, vgl. Winterhagen, Arthur: Die Unruhen in Wuppertal im Jahre 1920 
(Staatsexamensarbeit Wuppertal 1964) 

Vgl. Lucas, Erhard: Märzrevolution, Bd.1, 5.234. Wie wenig ernst die Regierung 
ihre Zusicherung meinte, zeigt u.a. die Tatsache, daß einer der Anführer des 
Putsches, General Lüttwitz, sein Abschiedsgesuch unter Bewilligung der Pen- 
sionsansprüche erfolgreich einreichte. Ebenso blieb der Brigadeführer Erhardt 
unbehelligt. Die Brigade erhielt sogar noch eine Sonderzulage von 9 RM/Tag 
für alle »zur Aufrechterhaltung der Ordnung eingesetzten Verbände«, vgl. 
Lucas, Bd.2. 

Vgl. Lucas, Bd.2, S.103-120 

Vgl. Lucas, Bd.1, S.248 -303 

Zur Bielefelder Konferenz, vgl. Lucas, Bd.3, S.60/92 

Zur Dislcussion der Bielefelder Konferenz in der Aufstandsbewegung, vgl. 
ebenda, S.92-145 

ebenda, 5.280 

ebenda, S.308, Zur Analyse der psychischenGrundlagen des Terrors der 
Freikorps, vgl. Theweleit, Klaus: Männerphantasien, 2 Bde, Frankfurt 1977/78 
Vgl. Lucas, Erhard: Märzrevolution, Bd.3, S.12 

Vgl. ebenda, S.26 

zit. nach Lucas, Bd.2, 5.48 

ebenda, S.33 

ebenda, S.48-50 

Vgl. zu Spanien, Bernecker, Walter L.: Anarchismus und Bürgerkrieg. Zur 
Geschichte der sozialen Revolution in Spanien 1936-39, Hamburg 1978; ders.: 
Kollektivismus und Freiheit. Quellen zur Geschichte der sozialen Revolution in 
Spanien 1936-39, München 1980 

Vgl. den Nachdruck des Aufrufs bei Lucas, Bd.1, S.128 

Vgl. den Aufruf in Freie Presse Elberfeld, 20.3.1920 


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Vgl. Bergisch-Märkische Zeitung Elberfeld-Barmen 

Vgl. dazu die von Lamp verfaßte Zeitung »Die direkte Aktion im Westen«, die 
zusammen mit »Die Brandung« am 23.3.1920 erschien. Leider existiert keine 
Originalausgabe mehr von beiden Zeitungen. Von Erhard Lucas erhielten die 
Verfasser eine Mikrofilmkopie der beiden Blätter. Erhard Lucas fand die beiden 
Zeitungen während seiner Forschungen im Exemplar der Freien Presse 
Elberfeld vom 20.3.1920. Nach Verfilmung der Freien Presse in der 
Stadtbibliothek in den 70er Jahren sind die beiden Blätter nicht mehr auffindbar. 
(Mitteilung der Stadtbibliothek Elberfeld). 

Vgl. Bergische Tageszeitung, Elberfeld, 22.3.1920 

Vgl. Direkte Aktion im Westen 

ebenda 

ebenda 

Vgl. Die Brandung 

Die Direkte Aktion im Westen 

ebenda 

Vgl. Freie Presse Elberfeld v. 19.3.1920 

Vgl. Volkstribüne, Elberfeld v. 23.3.1920 

Daß Lamp in der Elberfelder Arbeiterschaft eine große Anhängerschaft hatte, 
wurde von behördlicher Seite bestätigt. Auf eine Anfrage des Regierungspräsi- 
denten vom 7.4.1920 betreffs der »Schöpfung« antwortete der Elberfelder 
Oberbürgermeister Hopf: 

»Der Herausgeber der Zeitschrift »die Schöpfung« ist der Rechtsanwalt Lamp, 
der hier schon mehrere Jahre als Anwalt tätig ist. Im politischen Leben spielt er 
eine große Rolle, bekennt sich als Anarchist und nutzt jede Gelegenheit aus, seine 
Umsturzidee in die Arbeitermassen hineinzutragen.« in: Stadtarchiv Wuppertal, 
Akten der Stadt Wuppertal, S.XI, Nr.27, Polizeiverwaltung Elberfeld: »Unruhen, 
Aufruhr, Landesfriedensbruch usw.« 

Vgl. Volkstribüne, Elberfeld v. 23.3.1920 

ebenda 

Der Syndikalist, Jg.2 (1920), Nr.19 vom 2. April 1920 

Spethmann, Hans: Zwölf Jahre Ruhrbergbau, Berlin 1928, S.208 

Vgl. zu Hauesser, Linse, Ulrich: Barfüßige Propheten, Erlöser der 20er 
Jahre, Berlin 1983 

Vgl. STAM, Büro Kölpin, Nr.310 und Interview mit Hans Schmitz 

Die Schöpfung, Jg.2, Nr.12 v. 20.9.1923 

Lucas, Bd.2, S.81 

Vgl. Colm, Gerhard: Beitrag zur Geschichte und Soziologie des Ruhraufstandes 
vom März-April 1920, Essen 1921, S.49 

Vgl. Könnemann, Erwin, Krusch, Hans-Joachim: Aktionseinheit contra Kapp- 
Putsch. Der Kapp-Putsch 1920 und der Kampf der deutschen Arbeiterklasse sowie 
anderer Werktätiger gegen die Errichtung der Militärdikatatur und für demokra- 
tische Verhältnisse, Berlin (Ost) 1972, S.438, 443 

Vgl. Lucas, Arbeiterradikalismus, $.258/59 

Vgl. Werner,Gerhard: Bernhard Lamp, der Vorläufer von Holger Meins, in: Gene- 


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ralanzeiger Wuppertal vom 13.12.1974; Winterhagen, Arthur: Die Unruhen in 
Wuppertal 1920; Sülz, Ulrike: Die Augustdemonstration der Kommunistischen 
Arbeiter Partei und der Freien Arbeiter Union in Wupertal und ihre Folgen im 
Spiegel der Presse, Staatsexamensarbeit Wuppertal 1975 

Vgl. Freie Presse Elberfeld, 1.4.1920, Volkstribüne Elberfeld, 1.4.1920 und 
3.4.1920 

Vgl. Sülz, Ulrike: Die Augustdemonstration der KAPD und FAUD... Zur Aktion 
in Velbert, HSADT, Reg. Düsseldorf, politische Akten, Nr. 15963 

Vgl. Volkstribüne Elberfeld vom 21.7.1920 

Staatsarchiv Münster (STAM), Büro Kölpin, Nr.310 

Feldmann, Gerald D., Streiks in Deutschland 1914-1933: Probleme und For- 
schungsaufgaben, in: Volkmann, Heinrich, Tenfelde, Klaus (Hg.): Zur 
Geschichte der Industrialisierung, München 1981, S.281 

ebenda 

Vgl. die regelmäßigen Aufrufe zur »Solidarität mit den streikendenGenossen« im 
Verbandsorgan »Der Syndikalist«. Im Jahre 1921 hatte die FAUD großen Einfluß 
auf einen wilden Streik im Bayerwerk in Leverkusen: »Im Bayerwerk hatten die 
Syndikalisten etwa 300 Anhänger. In dem großen Streik Anfang 1921 hatten sie 
aber großen Erfolg auf die Gesamtbelegschaft. (Stolle, Utä: Arbeiterpolitik im 
Betrieb, Frankfurt 1980, S.73) und auf einen »wilden« Streik auf der August- 
Thyssen-Hütte in Hamborn. (Vgl. »Der deutsche Metallarbeiter-Verband im Jahre 
1921, Jahr-und Handbuch für Verbandsmitglieder, Stuttgart 1922, S.113) 

Die Freiheit, Düsseldorf, 4.12.1921 

Zum Streik in Düsseldorf, vgl. HSTAD, Reg. Düsseldorf, Politische Akten, Nr. 
16896, Bl. 271ff. 

Die Freiheit, Düsseldorf, 17.11.1922 

Zum Streik am linken Niederrhein, vgl. HSTAD, Reg. Düsseldorf, Politische 
Akten, Nr. 16896, Bl. 271 ff. 

1921 hatte die FAUD in Oedt 25, in Dülken 125 und in Süchteln 200 
Mitglieder, Vgl. HSTAD Reg. Düsseldorf, Politische Akten, Nr. 15630, Bl. 61 
Vgl. Niederrheinische Volkszeitung, Krefeld, 14.12.1922, in: HSTAD, Reg. 
Düssedorf, Politische Akten, Nr. 16896, Bl. 312 

ebenda, S.123 


HSTAD, Reg. Düsseldorf, Politische Akten Nr. 15409, Bl. 44, »Nach Angaben 
eines Arbeiters sollen in den Gebäulichkeiten der Firma Eisenwerk Jäger u. Co. 
Elberfeld größere Mengen an Waffen und Munition versteckt sein, daß sie selbst 
bei genauen Durchsuchungen nicht gefunden wurden. Bei der Firma Jäger sind 
schonverschiedene Durchsuchungen nach Waffen vorgenommen worden, jedoch 
ohne Erfolg. Es ist jedoch mit Bestimmtheit anzunehmen, daß sich dort Waffen 
befinden, da fast die gesamte Belegschaft des Werkes nur aus äußerst radikal 
gesinnten Leuten besteht.« 

Vgl. HSTAD, Reg. Düsseldorf, Politische Akten, Nr. 17101, Bl. 133 

Interview mit Herrn Erich Hellen (Wuppertal). Hellen war selbst nicht syndika- 
listisch organisiert, sondern im DMV; er gehörte nach eigner Aussage nicht zum 
radikalen Teil der Belegschaft. 


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Zu den Ereignissen in Mülheim, vgl. HSTAD, Reg. Düsseldorf, Politische 
Akten, Nr. 16759 und »Der Syndikalist«, Jg.5 (1923), Nr.17 

Der Syndikalist, Jg.5 (1923), Nr.17 

ebenda 

Vgl. das Flugblatt der FAUD »An die Arbeiterschaft Rheinland-Westfalens« vom 
Februar 1923, in: HSTAD, Reg. Düsseldorf, Pol. Akten, Nr. 16993, Bl. 53 
Schlageter-Rede 

Vgl. die regelmäßigen Lageberichte der Elberfelder Polizei an den Regierungs- 
präsidenten in HSTAD, Reg. Düsseldorf, Pol. Akten, Nr. 17101 

Enskat war in den Jahren 1920/21 einer der führenden Leute der Elberfelder KAPD 
und an der putschistischen Aktion 1920 in Velbert beteiligt. Dann trat er über zu 
den Syndikalisten. Von der politischen Polizei wurde Enskat folgendermaßen 
charakterisiert: 

»Als einzelnes Mitglied trat der frühere Kommunist Fritz Enskat in üble Erschei- 
nung. Infolge seiner Beredsamkeit und seines Eifers zur Erlangung seiner Ziele ist 
er einer der größten Hetzer des Wuppertals geworden, der vor allen Dingen die 
Erwerbslosenbewegung in sein syndikalistisches Fahrwasser zu treiben versucht.« 
HSTAD Reg. D., Pol. Akten, Nr. 16870 

Freie Presse Elberfeld, 17.3.1923 

Die Schöpfung, Jg.2 (1922/23), Nr.39, 29.3.1923 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.108, 22.11.1921 

HSTAD, Reg. D., Pol. Akten, Nr. 17101, Bl. 128 

siehe Anm.129 

Zu den Versammlungen der Erwerbslosen, vgl. HSTAD, Reg. D., Pol. Akten, 
Nr. 17101, Bl. 195/96, HSTAD, Landgericht und Staatsanwaltschaft Elberfeld, 
Nr. 5/ 614 und die Presse in Elberfeld-Barmen 

Vgl. HSTAD, Landgericht und Staatsanwaltschaft Elberfeld, Nr. 5/614 

Nach Aussage von Karl Drewes (Velbert), Sohn von Heinrich Drewes, war sein 
Vater zeitlebens einVertreter des gewaltlosen Widerstands; dies entspricht dem 
Eindruck, den die Verfasser aus den zahlreichen Artikeln Drewes gewonnen 
haben. 

Vgl. HSTAD, Landgericht und Staatsanwaltschaft Elberfeld, Nr.5/614 

Nach Aussage von Hans Schmitz jun. (Düsseldorf) 


107 


Kapitel III 
Radikaler gewerkschaftlicher Tageskampf 
oder revolutionärer Propagandazirkel 


Kontroversen über Strategie und Taktik 


Der Generalstreik und bewaffnete Aufstand gegen den Kapp-Putsch war die 
letzte große Massenbewegung der Arbeiterschaft, die eine Chance zu einer 
grundlegenden gesellschaftlichen Veränderung geboten hätte.(1) 

»Große revolutionäre Bewegungen setzen immer Hoffnungen frei, die über ihre 
äußeren Möglichkeiten hinausgehen.«(2) Umso bitterer war natürlich die Nie- 
derlage 1920, da durch den Terror der Freikorps die Verhältnisse noch bedrük- 
kender wurden als zuvor. Es ist fast zwangsläufig, daß in einer solchen Situation 
nach Schuldigengesucht wurde. Die Auseinandersetzungen über die Ursachen der 
Niederlage verschärften die ideologischen Gegensätze zwischen und innerhalb der 
Arbeiterorganisationen. Die USPD, die bis dahin das Schwanken der 
Massenbewegung zwischen parlamentarischer Demokratie und Rätesystem 
wieder-gespiegelt hatte, zerbrach; die Mehrheit der Mitglieder votierte Ende 1920 
für die Verschmelzung mit der KPD.(3) Die Linkskommunisten organisierten sich 
ab April 1920 in der KAPD.(4) 

Die Geschäftskommission der FAUD zog folgendes Resume&e aus der Nieder- 
lage: 

..daß wir von jetzt ab klar und eindeutig unsere eigenen Wege gehen und einen 
starken Trennungsstrich zwischen uns und den politischen Parteien ziehen. Bei 
solchen Aktionen, wie der Aufstellung einer Roten Armee handelt es sich um nichts 
weiter als um die Eroberung der politischen Macht durch eine andere Gruppe als die 
jeweils regierende. Da wir die Eroberung der politischen Macht grundsätzlich 
ablehnen, können wir uns als Syndikalisten auch an der gesamten Aktion dazu nicht 
beteiligen.(5) 
Obwohl sich ein großer Teil der Mitglieder in Rheinland-Westfalen mit der in 
diesemArtikel vertretenen Position der Gewaltlosigkeit nicht einverstanden 
erklärten, stimmten sie in Bezug auf die Trennung von den politischen Parteien 
der Geschäftskommission zu; auf einer Konferenz in Rheinland-Westfalen wurde 
beschlossen, den Passus aus den Leitsätzen zu streichen, der es den Mitgliedern 
freistellte, sich den politischen Parteien anzuschließen.(6) Die FAU-Elberfeld 


108 


erklärte im Januar 1921 die Mitgliedschaft in politischen Parteien 

fürunvereinbar mit den Prinzipien des Syndikalismus: 
Die politischen Parteien gründen sich auf der Grundlage des Zentralismus und 
stehen damit in schroffem Gegensatz zum Föderalismus, der Grundlage des 
Syndikalismus. Ferner: die Parteien sind der zersetzende Teil der Arbeiterbewe- 
gung, Syndikalismus dagegen bedeutet Einheitsbewegung der Arbeiter als ausge- 
beutete Klasse. Der Grundsatz der Parteien ist, die Arbeiter zu Knechtseelen des 
Staates zu erziehen, was nicht vereinbar ist mit dem Ziel des Syndikalismus, mit 
dem freien Sozialismus.(7) 

Auf dem 11. Kongreß der FAUD, im Oktober 1921 in Düsseldorf, wurde für die 

gesamte Organisation die Trennung von den politischen Parteien vollzogen.(8) 

Die parteikommunistisch orientierten Mitglieder der FAUD hatten sich schon 
Ende 1920 in der FAU-Gelsenkirchener Richtung, später »Union der Hand- und 
Kopfarbeiter«, einen anderen organisatorischen Zusammenhang geschaffen.(9) 

Auch auf internationaler Ebene wurde die Trennung von den Kommunisten 
vollzogen. Nach anfänglicher Solidarität mit Sowjet-Rußland und der Bereit- 
schaft, sich an der Gründung einer »Roten Gewerkschaftsinternationale« (RGI) 
zu beteiligen,(10) nahm die FAUD eine zunehmend distanzierte Haltung ein 
aufgrund der vom 2: Komintemkongreß beschlossenen 
Aufnahmebedingungen, in denen sie das »auf die Spitze getriebene 
Autoritätsprinzip«(11) sah; in einer Urabstimmung wurde beschlossen, auf den 
1. RGI-Kongreß keine FAUD-Delegierten zu entsenden.(12) 

Nach der Niederschlagung des Kronstädter Aufstandes, der der Machno- 
Bewegung(13) und der Verfolgung von Anarchisten in Sowjet-Rußland, ver- 
öffentlichte Rudolf Rocker eine Broschüre, in der er anführte, daß aufgrund der 
äußeren und inneren Bedrängnisse Sowjet-Rußlands Anarchisten und Syndika- 
listen bisher mit ihrer Kritik zurückgehalten hätten, aber jetzt nicht mehr länger 
schweigen könnten, denn wenn man die Mißachtung der individuellen 
Freiheitsrechte länger dulde, laufe man Gefahr, daß die gesamte Idee des 
Kommunismus diffamiert werde.(14) 

Unter maßgeblicher Intitiative Rudolf Rockers wurde im Dezember 1922 auf 
einem Kongreß in Berlin die Internationale Arbeiter-Association gegründet, die 
die Tradition der bakunistischen 1. Internationale fortsetzen wollte »zum end- 
gültigen Sturz von Staat und Lohnherrschaft, zur Errichtung einer staatenlosen 
Gesellschaft.«(15) Rocker verfaßte auch die Prinzipienerklärung der ITAA und 
wurde zusammen mit Augustin Souchy und dem in Berlin im Exil lebenden 
russischen Anarchisten Alexander Shapiro ins Sekretariat gewählt.(16)Die auf 
dem Kongreß anwesenden Delegierten vertraten nach eigenen Angaben 1,5 
Millionen Mitglieder in aller Welt.(17) 


109 
Interne Diskussionen 


Nach dem Abflauen der revolutionären Massenbewegung begann auch in der 
FAUD eine heftige Debatte über den zukünftigen Weg der Organisation. Grob 
gefaßt ließen sich zwei Strömungen unterscheiden: 

1. Eine auf radikale, den Verhältnissen angepaßte Gewerkschaftsarbeit und auf 
Mobilisierung der Organisation gerichtete Strömung, deren Wortführer vor 
allem Rudolf Rocker, Fritz Kater, der Vorsitzende der Geschäftskommission, 
Carl Windhoff, der Vorsitzende der Agitationskom mission Rheinland und der 
Mülheimer Anarcho-Syndikalist Heinrich Reuß waren. 

2. Eine aktivistische, auf die unmittelbare Durchführung der sozialen Revolution 
unter Vernachlässigung der gewerkschaftlichen Tageskämpfe gerichtete Strö- 
mung, die sogenannte Opposition in der FAUD. Deren Wortführer kamen vor 
allem aus dem Kreis der »Föderation kommunistischer Anarchisten Deut- 
schlands« (FKAD)(18) in Düsseldorf und Berlin. Die Redakteure der ab Juli in 
Düsseldorf erscheinenden Tageszeitung »Die Schöpfung«,(19) Heinrich 
Drewes(20) und Fritz Köster (21) machten sich zu Fürsprechern dieser 
Strömung. 

Die Kontroverse begann im Jahre 1921 mit einemgrundsätzlichen Artikel Fritz 

Katers »Was ist die FAUD und was sind ihre nächsten Aufgaben ?«.(22) Kater sah 

die wichtigste Aufgabe der FAUD in der Aktivität in den Tageskämpfen zur 

Verbesserung der Lohn-und Arbeitsbedingungen; nur dadurch könnten der FAUD 

neue Mitglieder zugeführt werden und verbunden mit deren Erziehung im 

syndikalistischen Sinne könne die Organisation stark genug werden, selbständige 

Aktionen durchzuführen; er kritisierte die mangelhafte Solidarität vieler neuer 

Ortsvereine, die ihre Beitragspflichten nicht erfüllten und sich nicht an Kongreß- 

beschlüsse hielten. In der »Schöpfung« erschien unmittelbar darauf ein Artikel 

des österreichischen Anarchisten Pierre Ramus(23),»Praktische Wirklichkeits- 

aktionen und der Syndikalismus«, worin er folgendes ausführte: 
Worin besteht in der Gegenwart die aktuelle, revoltionierende Betätigungsform des 
Syndikalismus? Programmatisch ausschließlich in der prinzipiellen anarchistischen 
Fundierung der »Streikresolution«. Und diese geleitet in ihrer praktischen 
Betätigung dazu, daß die FAUD notgedrungen die theoretisch längst verfehlte und 
wirkungslos durchschaute Alltagsstreikbewegung der Zentralverbände mitmacht, 
ohne diesen etwas Gehaltvolleres entgegenzustellen..Dadurch wird aber die 
kostbare Kraft des Syndikalismus vergeudet, seine Mitgliedschaft und Organisation 
eigentlich in den Dienst der Zentralverbände gestellt... Mit demResultat, daß die 
Syndikalisten ebenso wenig wie die Zentralverbände vom Lohnsystem losgelöst 
werden, dessen Beseitigung in Angriff genommen werden muß. Und auf letzteres 
kommt es an. Der Syndikalismus ist keine Bewegung der Ideen, dazu 


110 


haben wir die sozialistische und anarchistische Bewegung, die befruchtend aufdie 

Arbeiterbewegung einzuwirken hat und anspornen muß. Die Bedeutung des 

Syndikalismus liegt darin, eine revolutionierende Aktionsbewegung zu sein. 
(24) Kater stellte in seiner Replik fest, daß die Konsequenz aus Ramus' Position der 
Verzicht auf gewerkschaftliche Tageskämpfe bedeute. Der Redaktion der »Schö- 
pfung« warf er vor, mit solchen Artikeln würde die Organisation geschwächt, sie 
wollten aus der FAUD einen »Experimentierapparat und Diskutierclub« machen 
und würden damit der organisationsfeindlichen Tendenz in der FAUD Vorschub 
leisten; es sei Zeit zum Handeln und nicht zum »Spintisieren, Theoretisieren und 
Eigenbrödeln.«(25) 

Neben den ideologischen Gegensätzen bestanden zwischen den Konrahenten 
erhebliche persönliche Animositäten,(26) die durch einen Artikel Ramus' im 
Vorfeld des 13. Kongresses noch verschärft wurden, als dieser der 
Geschäftskommission Zentralismus vorwarf.(27)Der 13. Kongreß der FAUD im 
November 1921 in Düsseldorf befaßte sich überwiegend mit den 
innerorganisatorischen Auseinandersetzungen, die sehr persönlich ausgetragen 
wurden.(28)Erschwerend kam noch hinzu, daß auf dem Kongreß die 
sogenannten »Individualisten« auftraten, die gegen jegliche Organisation waren, 
Mitgliedsbücher und Beiträge ablehnten.(29) 

Die Auseinandersetzungen setzten sich im Verlauf des Jahres 1922 fort; auf 
dem 14. Kongreß im Novbember 1922 in Erfurt kam ein gewisser Ausgleich der 
Kontrahenten zustande und erst 1925 erreichte die FAUD eine organisatorische 
Stabilität. 

Im folgenden sollen nun die wesentlichen ideologischen und taktischen 
Differenzen der beiden Strömungen dargestellt werden. 


Interessengemeinschaft oder Ideengemeinschaft? 


Bei den Auseinandersetzungen in der FAUD flammte ein alter Streit zwischen 
Anarchisten und Syndikalisten wieder auf: die Frage, inwieweit sich der Syndi- 
kalismus als Weltanschauung selbst genüge.(30) Die Opposition kritisierte, daß 
die FAUD zu sehr den interessengemeinschaftlichen Aspekt betone und die Ideen 
vernachlässige. Oder, wie es ein Elberfelder FAUD-Mitglied ausdrückte, daß es in 
der Organisation zwei bis drei verschiedene Strömungen gebe, »von denen die 
eine einen reinen gewerkschaftlichen Charakter trage, während die Opposition 
mehr das geistige Element betone.«(31) 

In den Ortsvereinen, wo die Opposition dominierte, wurden für die Mitglieder 
sehr rigide Maßstäbe angelegt. Die Mitglieder durften sich beispielsweise zu 


111 


keiner gesetzlichen Institution wählen lassen.(32) Im selbständigen Bezirk Bilk 
der FAUD wurden die Mitglieder dazu verpflichtet, vier Blätter der anarchisti- 
schen und syndikalistischen Bewegung zu beziehen.(33) Von einem Mitglied 
der FAUD wurde diese Praxis folgendermaßen kommentiert: 
Man hört innerhalb der FAUD immer nur von Ausschließen ...Man kommt nicht 
als fertiger Syndikalist in die FAU hinein, sondern wird es in ihren Reihen... Hat 
man die Kollegen erst einmal,dann heißt es aufklären und nicht hinauswerfen... 
Man verschone mich mit dem Satz: Klein aber rein. Das ist gewöhnlich der 
Weisheit letzter Schluß.(34) 
Die Haltung der Opposition wird im folgenden Zitat deutlich. Im Zusammenhang 
mit der Unvereinbarkeit zwischen Kirche und FAUD-Mitgliedschaft führte ein 
Düsseldorfer FAUD-Mitglied aus: 
Die Massen sind aber bei so konsequenter Durchführung unserer Grundsätze 
schwer zubekommen. Es kommt mehr darauf an, daß die konsequenten Vertreter 
einer Idee den nötigen Einfluß auf die Masse haben, wie wir ihn trotz unserer 
kleinen Zahl im Rheinland haben.(35) 
In einem grundsätzlichen Referat auf dem 14. Kongreß der FAUD kritisierte 
Rudolf Rocker diese Haltung scharf, weil sie unweigerlich zum Weg in eine 
kleine Sekte führe.(36) Zur Frage, ob der Syndikalismus sich selbst genüge, 
bemerkte Rocker, daß sie rein akademisch gestellt sei, weil es keine Idee gäbe, 
die sich selbst genüge: 
Die syndikalistische Bewegung würde in dem Moment zur gewöhnlichen Ge- 
werkschaftsbewegung degradiert werden, wenn sie die großen Prinzipien des 
freiheitlichen Sozialismus, ... aus dem Auge verlieren würde... Der Anarchismus 
bleibt unfruchtbar, wenn er nicht in der Arbeiterbewegung wurzelt. Deshalb 
müssen beide Bewegungen einander ergänzen.(37) 
Wie weit sich die FAUD in Richtung Anarchismus entwickelt hatte, zeigt auch die 
Tatsache, daß sie sich ab 1922 FAUD [Anarcho-Syndikalisten (AS)] nannte.(38) 

Im Mai 1922 veröffentlichte die Opposition einen Aufruf, in dem sie die völlige 
Beseitigung jeglicher Zentralisation der Presse und der Organisation der FAUD 
forderte; im einzelnen wurde u.a. vorgeschlagen, den »Syndikalist« in eine 
wissenschaftliche Monatsrevue umzuwandeln, jeder Agitationsbezirk sollte von 
den Bezirken übernommen werden, die Geschäftskom mission sollte nur noch die 
Organisation nach außen vertreten, den »Syndikalist« herausgeben und die Zahl 
der Festangestellten sollte von 5 auf 2 reduziert werden.(39) 

Im Rheinland trat die Opposition auf der Konferenz der FAUD im Mai 1922 
für die Auflösung der Agitationskommission (A.K.) ein; die Agitation sollte 
nicht zentral, sondern von den jeweiligen Arbeiterbörsen betrieben werden, dies 
entspreche syndikalistischen Grundsätzen,(40) die Mitglieder würden durch die 
A.K. unselbständig gehalten. 

Der Debatte vorausgegangen waren heftige ideologische und 
persönlicheAuseinandersetzungen in der A.K. zwischen dem Vorsitzenden und 
den anarchi- 


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‚leeweekea, es ereehelnen, is Ihrerseits Jeder den'beleatragen u lei r,Eäan die 'REAett .aller ber+,' 
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. 111e Kapitalisten haben sieh lingsi die Iliade is;geelnigfe7Klas'se Aier;die .Sck 
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Demo-' 'krat. ob Gläubig oder Unglstibig ;ihr, spdrtihre Einigkeitjeden Tag.‘;, 

$o keen nneh bei nee jeder seine polltlsobe bder e6nstige. Rabtaog;behalten, ‚aber"als „Klasse 
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Flugzettel, aus: HSTA Düsseldorf, Reg. Düsseldorf, Politische Akten, Nr.15997 


113 


stisch orientierten Mitgliedern.(41) Windhoff warf diesen, wie er sie nannte, » 
Über-Anarchisten« vor, sie und die »Individualisten« wären für den Rückgang 
der Bewegung im Rheinland verantwortlich.(42) Schärfster Kontrahent Wind- 
hoffs auf dem Kongreß war der von Berlin nach Gerresheim gezogene 
Anarchist Rudolf Oestreich, der für den Streit alleine die Person Windhoff 
verantwortlich machte und feststellte, daß sich auch in der FAUD das 
'Bonzentum' breit mache; die Funktionäre der FAUD dürften nicht länger als ein 
Jahr freigestellt wer-den.(43) 

Die Mehrheit des Kongresses sprach sich für die Beibehaltung der A.K. aus; um 
zukünftige Streitereien zu vermeiden, wurde ihr Sitz nach Mülheim/Ruhr verlegt. 
Insbesondere die kleinen Ortsvereine in der Provinz sprachen sich für die A.K. aus, 
da sie nicht über die Mittel verfügten, ohne Hilfe Agitation zu betreiben. 

Die unterlegenen Gruppen erklärten, künftig keine Beiträge mehr an die A.K. 
abzuführen.(44) Erst nach den Inflationswirren gelang es im Rheinland, eine 
einheitliche Organisation durch die Gründung der Provinzbörse zu schaffen. 

Der rigiden, dogmatischen Haltung der Opposition innerhalb der Organisation 
entsprach eine aktivistische Haltung nach außen im Sinne des Syndikalismus als 
revolutionierende Aktionsbewegung. Die Redaktion der »Schöpfung« machte 
sich zum Fürsprecher der Einheitsfront des Proletariats; sie forderte die Einbe- 
rufung eines Allgemeinen Deutschen Arbeitertages, an dem alle Arbeiterorgani- 
sationen teilnehmen sollten und auf dem alle grundsätzlichen und parteipoliti- 
schen Gegensätze zu unterlassen seien.(45) Für den Kongreß wurde von der 
»Schöpfung« folgende Tagesordnung vorgeschlagen: 

1. Der Verzicht auf Profitwirtschaft, gemeinsames Tragen von Last und Leid 

2. Kontrollausschüsse zur Überwindung der Produktion und Betriebsräte gewählt 

aus den gesamten Gewerkschaftsorganisationen 

3. Fristeröffnung an Regierung und Untemehmerschaft 

4. Generalstreik des ganzen deutschen Proletariats im Falle der Ablehnung.(46) 
Besonders bei den Bergarbeitern wurde der Vorschlag der »Schöpfung« begrüßt; 
auf zwei Zechenversammlungen wurden alle Arbeiterorganisationen aufgefordert, 
den Vorschlag der »Schöpfung« in die Tat umzusetzen.(47) 

Im Bezirk Zoo in Düsseldorf wurde ein provisorischer Ausschuß zur Bildung 
der Einheitsfront von Funktionären aller Richtungen gebildet. Es wurde betont, 
daß die Einheitsfront des Proletariats nicht von oben geschaffen werden 
könnte, sondern nur, wenn alle 

Arbeitsbrüder von den Christen, den Sozialdemokraten aller Schattierungen, bis 
hin zu den Syndikalisten in den Versammlungen ihres Bezirks oder des Distrikts 
zeitweise zusammen kommen, über wirtschaftliche Dinge diskutieren, ihre par- 
teipolitische Meinung zu Hause lassen und sich als Arbeitsbrüder kennen und 
achten lemen.(48) 
Auch in Elberfeld wurde ein provisorischer Ausschuß zur Bildung der Einheits- 
front aus Funktionären aller Richtungen etabliert. Auf einer Versammlung am 


114 


2.10.1921, auf der 200 Personen anwesend waren, erging folgender Aufruf: 
1. Einheitliche Forderungen an die Unternehmer und an den Staat. 
2. Gemeinsame Forderungen zur Sicherung der Lebensbedingungen der Lohnarbei- 
ter, Befreiung der Arbeiter aus der Lohnsklaverei; Beseitigung jeglichen Profits 
3. Einberufung eines allgemeinen deutschen Arbeitertages, der Beschluß fassen soll 
über die Forderungen der Arbeiterschaft über Kampfbeginn und Kampfme- 
thode.(49) 
Der Ausschuß führte noch drei weitere Veranstaltungen durch mit folgenden 
Themen: am 6.11.1921 »Einigung der Arbeiterklasse«,(50) am 4.12. »Wie sichert 
sich die Arbeiterschaft der Zukunft?«(51) und am 8.2.22 »Ist das Recht der 
Arbeitsniederlegung in Gefahr?«(52) 

Die Aufrufe schienen in der Wuppertaler Arbeiterschaft keine große Resonanz 
gefunden zu haben, da bei den Veranstaltungen nie mehr als 200 Personen 
anwesend waren; einen Redner veranlaßte dies zu der Bemerkung, daß das 
Proletariat noch nicht genug gehungert habe, »sonst müßte der Saal voll sein. «(53) 

Miteintscheidend für die geringe Resonanz der Versammlungen war sicherlich 
die Tatsache, daß USPD und SPD vor dem Besuch der Veranstaltungen warnten. 

Die Bäuernfängerei größeren Stils versucht wiederum der sogenannte 'proviso- 
rische Ausschuß zur Bildung der Einheitsfront' ... Es gibt leider auch in unserer 
Partei unverbesserliche Schwarmgeister, die sich einbilden, auf diesem Wege 
könne die gewiß bitter notwendige Einheitsfront der Arbeiterschaft hergestellt 
werden. Die Partei als solche hat mit dem Unternehmen nichts zu tun. Es handle 
sich in Wirklichkeit um ein Schwindelmanöver der Kommunisten und Syndika- 
listen, die auf diese Weise versuchen wollen, ihre stark gelichteten Reihen 
durch Mitglieder der SPD und USPD aufzufüllen.(54) 
Die Geschäftskommission der FAUD stand der Einheitsfront ablehnend gegen- 
über. Im März 1921 war es zur Bildung eines Aktionsausschusses zwischen 
A.A.U. und FAUD gekommen, der von der Geschäftskommission heftig be- 
kämpft wurde, da in den Vereinbarungen die »Diktatur des Proletariats« als 
Übergangsstadium anerkannt wurde.(55) Die Geschäftskommission vertrat den 
Standpunkt, eine Kampfeinheit wäre nur in Zeiten des »aktuellen Klassen- 
kampfs« möglich, bis dahin sollte von syndikalistischer Seite immer auf die 
»Vergeblichkeit der Bemühungen aller Staatssozialisten von der SPD bis zur 
A.A.U. hingewiesen werden.(56) 


115 





es FIrBer: Aa be 116111101111111BZWiliMa ® 


Arbeiter! Arbeiterinnen! Männer und Frauen! 


Schon röcheln h den deutschen Zuchthilusern EureKameraden, die infolge des 


vo vulta erstrefals 


luf ihre letzte Stunde warten, die sie aus den Krallen der Klasscnlustiz entreisen soll. 


1. n,tihr_es zulassen, ohne Euch dagegen zu empören, daß die Besten und Edelsten Euch entrissen wefss, durch die 
Niedertracht Eurer Bedrücker. 


Kapitalisten und ihre schmarotzenden Sllidner rösten zum Tdumpfzng, der fiber die 


LeStCbeln Eurer Bruder 


hrcitet, rum sicheren Ziel der Ilnalersten Reaktion, Mir sie gilt es das letzte Hindernis zu diesem Ziele zu be- 
'Iugen. 


Brüder! Schwestern! Menschen! 


An Euch richten wir uns, die ihr noch ein pulsierendes Herz unter Eurem Arbeitskittel tragt. 
Wer wagt es noch — aus kleinlichem Partelboder — sich In die Reihen eines 


Nerzlosen Gesindels 
‚stellen? -- 


Seid Such bewußt, daß Euer Schicksal mit dem Furor schmachtenden Kameraden, mit 
Pausend landen verl nUpft äsf! 


Wenn Ihr Oeschick beendet. 
Dos Eure sich dann wended t 


37 Befreiung 
Mens 
chen 


an Euch verlassen, weil Ihr ale verlassen hakt. 
Noch Ist es Zell, wean Ihr entschlossen und geschlossen, Euch, den Tageszank vergessend, ihr die 


rt Kameraden einsetzt. 


rs 10110 Oiiu?, neesigji 113011 
110110f ’ 


hint In Massenf Gerechtigkeit besiegt Gowalll! 


Die Demonstrationsversammlung findet statt 


ItLii, all srEdfesluU egayküg 
UMDIT 


duog am Stndlthenter. Aulstellung am. Stadttheater,. 
A.A.U. K.A.P.D. 
P, A. U, D. (Syndikalistenl. Föderation der Metallarbeiter. 
Föderation der Dannrbever. Fürderallon der Holzarheiter. 
Pörderallon der Kommunalarheiler. Syndlikatlsilscher Frauenbund. 


Revolutionäre Jugend 


ZellungsdrudoUexeliechnil nt, b. H. DUsseldorf - 


116 
2.Die Diskussion über das Betriebsrätegesetz 


Im Februar 1920 wurde das Betriebsrätegesetz verabschiedet. Die inhaltlichen 
Bestimmungen des Gesetzes blieben weit hinter den Forderungen der Betriebs- 
rätebewegung zurück: 


Die FAUD lehnte das Gesetz ebenso wie das Tarif- und Schlichtungsssystem 
ab.(57) Uneinigkeit bestand darüber,inwieweit sich die Organisation aus taktischen 
Gesichtspunkten an den Betriebsratswahlen beteiligen sollte. Die Debatte darüber 
war auf allenKongressen der FAUD bis Ende der zwanziger Jahre Gegenstand 
heftiger Diskussionen. Auf dem 14. Kongreß wurde beschlossen, daß die 
Beteiligung an den Wahlen grundsätzlich abzulehnen sei, es aber den einzelnen 
Mitgliedern der FAUD freigestellt sei, sich zu beteiligen.(58) Die Diskussionen 
über die Wahlbeteiligung waren aber nicht nur rein prinzipieller Natur, sondern 
stark bestimmt von den konkreten Erfahrungen vor Ort. 
Heinrich Reuß (Mülheim) trat für eine flexible Regelung ein. In Betrieben, wo 
die FAUD stark genug sei, ohne Betriebsräte ihre Interessen durchzusetzen, sei 
eine Wahlbeteiligung abzulehnen. Sei dies nicht der Fall, spräche ersich für eine 
Wahlbeteiligung aus; der Betriebsrat könne Einfluß nehmen auf Entlassungen 
und Einstellungen, ihm sei es möglich gewesen, mit Hilfe der Betriebsräte 
Genossen Arbeitsstellen zu besorgen; syndikalistische Betriebsräte sollten auf die 
gesetzlichen Bestimmungen pfeifen und sich auch nicht freistellen lassen. Was 
die prinzipielle Seite anbelange, müsse zwischen gesetzgebender und gesetzlich 
sanktionierter Institution differenziert werden. Er sei der Meinung, daß in dieser 
Frage die taktische die prinzipielle Seite bedeutend überwiege.(59) 
Der Hamborner Delegierte auf dem 14. Kongreß nahm eine ähnliche 
Position ein: 
Wir müssen Theorie und Praxis unterscheiden. Das Betriebsrätegesetz hat aller- 
dings eine große Kornuption erzeugt. Wir in Hambomn haben sie dadurch abge- 
dämmt, daß unsere Betriebsräte nur ein Vierteljahr dem engeren Ausschuß ange- 
hören dürfen. Wenn wir die Beteiligung an den Betriebsräten überhaupt ablehnen, 
dann werden viele unserer Bergarbeitergruppen auf 10 Mann zusammenschmel- 
zen. Mit dreitausend Mitgliedern kann ich in Hambom aber mehr für die soziale 
Revolution leisten als mit zehn. Unsere international zusammengewürfelten, oft 
unbeholfenen Mitglieder in Hamborn brauchen den Betriebsrat zu ihrer Vertre- 
tung.(60) 

Von den Gegnern der Betriebsräte wurde eingewandt, das Betriebsrätegesetz 

lähme die Revolutionäre und führe zur Korruption. Alfred Metz (Duisburg) führte 

auf dem 14. Kongreß aus: 
Bei unseren Mitgliedern ist die Antipathie gegen die Betriebsräte so groß, daß ich 
einen anderslautenden Beschluß nicht vertreten könnte...Nicht umsonst nennt 
man bei uns die Betriebsräte Speck- und Schnapsräte.(61) 


117 


In Elberfeld war es wegen der Betriebsräte zur Zersplitterung der Metallarbeiter- 
Föderation gekommen. Nach Darstellung von Hans Schmitz (FAUD Elberfeld) 
hatte der Syndikalist und Obmann des Betriebsrates der Firma Jäger, Glittenberg, 
der Entlassung von 150 Arbeitern zugestimmt; der Betriebsrat der Firma bestand in 
der Mehrheit aus Syndikalisten. Auf einer Betriebsversammlung hatte er den 
Vorschlag von Hans Schmitz, die Entlassung mit allen Mitteln zu verhindern, als 
Phrase und Unsinn bezeichnet und sich gegen eine offene Abstimmung ausge- 
sprochen, mit dem Hinweis, daß dies von der Direktion nicht erwünscht sei. Nach 
den Entlassungen seien dann in der Firma Überstunden geleistet worden.(62) We- 
gen Veröffentlichung dieser Vorgänge im »Syndikalist«, die nach Darstellung 
seiner Kontrahenten »wahrheitswidrig und verleumderisch« seien, wurde Hans 
Schmitz aus der Metallarbeiter-Föderation Elberfeld ausgeschlossen.(63) Die 
Arbeiterbörse Elberfeld solidarisierte sich mit Schmitz. Kurze Zeit später wurde 
der Ausschluß revidiert; auf dem Kongreß der Metallarbeiter-Föderation der 
FAUD war es einer Kommission gelungen, eine Einigung der beiden Parteien zu 
erreichen. (64) 

Schmitz bezeichnete seine Kontrahenten als Reformisten; die Elberfelder 
Metallarbeiter hatten auch eine Arbeitslosenversicherung eingeführt, was gegen 
die Statuten der FAUD verstieß.(65) 

Diese Genossen bilden innerhalb des Syndikalismus eine reformistische 
Richtung, die wohl gute Sozialdemokraten sind, aber keine Syndikalisten.(66) 
In einem weiteren Artikel in der »Schöpfung« präzisierte Schmitz seine Kritik am 
Betriebsrätegesetz. Mit eigener Tatkraft müßten die Syndikalisten eigene Insti- 
tutionen in den Betrieben schaffen; in jeder Abteilung sollten Vertrauensmänner 
gewählt werden, die die Belegschaft mit den Verhältnissen im Betrieb vertraut 
machen müßten, syndikalistische Agitation betreiben und vor allem »in jeder 
Bewegung für die Interessen der Arbeiter ausschlaggebend eingreifen.«(67) 
Zwischen dem Betriebsrätegesetz und dem Syndikalismus bestehe ein prinzi- 
pieller Unterschied: 
DerFörderalismus, die Organisationsform des Syndikalismus, gründet sich auf der 
Individualität der Person, stärkt die Energie, den Charakter jedes einzelnen. Ohne 
dies ist der Syndikalismus nicht lebensfähig. Das Betriebsrätegesetz birgt das 
Vertrauenssysteme in sich und vernichtet die Individualität, wirkt lähmend, wie 
uns die Praxis zeigt, auf die revolutionäre Energie des Arbeiters und führt zur 
Korruption. Unsere Aufgabe muß es sein, jeden Arbeiter zur Persönlichkeit zu 
erziehen, damit er selbst den Mut findet, vor den Ausbeuter hinzutreten, ihm die 
Heuchlerfratze herunterzureißen. Wir dürfen nicht vordem Kriechertum, das vor 
dem Ausbeuter auf dem Bauche rutscht, Konzessionen auf die Preisgabe unserer 
Ideen machen; tun wir es, so liefern wir den Syndikalismus der Verfäulnis und der 
Korruption aus.(68) 
Obwohl die Beteiligung an den Wahlen zu den gesetzlichen Betriebsräten 
tendenziell in der FAUD abgelehnt wurde, gab es vor allem im Bergbau relativ 


118 


viele syndikalistische Betriebsräte. 
Im Jahre 1920 stellte die FAUD im Ruhrbergbau 340,(69) im Jahre 1921, 120 
Betriebsräte.(70) 
Der »Syndikalist« kommentierte das Ergebnis zu den Betriebsrätewahlen im 
Ruhrbergbau wie folgt: 
Wir müssen gestehen, daß uns das Wahlergebnis der Syndikalisten auch nicht 
gefällt. Nicht aber um deswillen, daß zu wenig, sondern viel zu viel sich an den 
Betriebsrätewahlen beteiligt haben. Volle Befriedigung und reine Freude hätte es 
bei uns ausgelöst, wenn nicht nur gar kein Syndikalist gewählt worden wäre, 
sondern wenn kein einziger Syndikalist sich an der Wahl beteiligt hätte.(71) 
In der Metallindustrie stellte die FAUD im Bereich des Bezirks Essen des DMV, 
der das westliche Ruhrgebiet und das bergische Land umfaßte, 1922: 125 und 
1923/24: 81 Betriebsräte.(72) In der Textilindustrie stellte sie in der untersuchten 
Region 1921: 45, 1922: 54 und 1924: 72 Betriebsräte.(73) 


3 .Die Organisation der FAUD 


Die organisatorische Entwicklung der FAUD war zunächst durch äußere Um- 
stände sehr erschwert. Infolge des Kapp-Putsches waren viele Ortsvereine zer- 
stört, viele führende Mitglieder der Organisation fielen im Kampf, wurden zu 
Gefängnisstrafen verurteilt oder mußten fliehen.(74) Erschwerend kam hinzu, 
daß die FAUD durch ihr rapides Wachstum bei weitem nicht über genügend 
propagandistisch und organisatorisch befähigte Mitglieder verfügte, um den 
komplizierten anarcho-syndikalistischen Organisationsaufbau in die Praxis 
umzusetzen.(75) 
Wir erwähnten, daß sich in der FAUD das Industrie- gegenüber dem Berufsver- 
bandsprinzip durchsetzte, gleichwohl bestanden bis 1933 Berufsföderationen. 
Vorgesehen waren in der FAUD zwölf Industrieföderationen auf Landesebene.(76) 
Zum Zeitpunkt des Gründungskongresses bestanden vier: (77) 

1.Föderation der Bergarbeiter 

2.Föderation der Bauarbeiter 

3.Föderation der Metall- und Industriearbeiter 

4.Föderation der Kommunal- und Verkehrsarbeiter 
1922 kamen noch zwei weitere hinzu:(78) 

5.Föderation der Holzarbeiter 

6.Föderation der Textil- und Bekleidungsarbeiter 
Die organisatorischen Schwierigkeiten zeigten sich u.a. darin, daß viele Orts- 
vereine ihren Verpflichten gegenüber den jeweiligen Föderationsleitungen und 
der G.K. nicht nachkamen, und keine Fragebögen über den Stand der Organisation 


119 


beantworteten. Teils lag dies an ideologischen Auseinandersetzungen zwischen 
den Ortsvereinen und der Geschäftskommission; in vielen Fällen war es aber auf 
mangelnde, organisatorische Fähigkeiten vieler Mitglieder zurückzuführen.(79) 

Für die geringe organisatorische Durchdringung der FAUD sprach auch die 
Tatsache, daß in vielen Ortsvereinen keine Industrieföderationen gebildet wur- 
den, sondern alle Mitglieder in der »Freien Vereinigung aller Berufe« zusam- 
mengefaßt waren. 

1922 hatte die FAUD 502 Ortsvereine in mehr als 400 Orten, es bestanden 
214 Freie Vereinigungen aller Berufe, 43 der Bauberufe, 126 der Bergarbeiter, 
80der Metallarbeiter, 5 der Holzarbeiter, 12 der Verkehrsarbeiter, 2 der 
Lagerarbeiter, je 1 der Kopfarbeiter, Glaser und Töpfer.(80) Die 
Metallindustriearbeiter-Föderation entwickelte sich wie folgt: 


1920 1921 1922(81) 
Ortsvereine 39 83 107 


Entsprechende Daten über die Verteilung im Rheinland liegen nicht vor; im Mai 
1922 existierten im Bereich der späteren Provinz Arbeitsbörse Rheinland 110 
Ortsvereine der FAUD. Dort bildeten die Metall- und Bergarbeiter die stärksten 
Ortsvereine. Organisatorisch am weitesten fortgeschritten waren die OrteDüs- 
seldorf und Mülheim mit jeweils 5 Industrie- bzw. Berufsföderationen.(82) 

Im Gebiet des heutigen Wuppertal bestanden jeweils »Freie Vereinigungen 
aller Berufe«; ebenso in Elberfeld, Barmen, Vohwinkel und Sonnborn, 
Metallarbeiter-Föderationen in Elberfeld, Barmen und Vohwinkel, Bauberufe in 
Elberfeld. Besondere organisatorische Schwierigkeiten ergaben sich bei der 
Streikunterstützung, die bis 1930 nicht zufriedenstellend gelöst wurde. 

Jedes Mitglied war verpflichtet, mindestens ein Prozent des Wochenverdienstes 
als Beitrag zu zahlen; die jeweilige Höhe der Beiträge wurde von den Ortsvereinen 
autonom geregelt. Im Falle eines Streiks galt zunächst eine Karenzzeit von drei 
Tagen. Mindestens zwei Wochen mußte der jeweilige Ortsverein für die strei- 
kenden Mitglieder Streikgelder zahlen. Waren nach dieser Zeit keine finanziellen 
Mittel mehr vorhanden, so waren alle der FAUD angeschlossenen Organisationen 
zur Unterstützung des Kampfes verpflichtet. 

Aus diesem Grunde waren alle Ortsvereine zur Bildung eines Solidaritätsfonds 
verpflichtet. Erging von der G.K. bzw. den Föderationsleitungen ein Aufruf zur 
Solidarität, so waren die Ortsvereine verpflichtet, der Föderationsgeschäftsleitung 
bzw. der G.K. im Falle der freien Vereinigungen aller Berufe, mindestens 1 
Prozent des Wochenlohns pro Mitglied zur Verfügung zu stellen.(84) 

Sowohl die Beitrags- wie auch die Solidaritätsleistung waren sehr unter- 
schiedlich. In vielen Ortsvereinenwurde der geforderte Mindestbeitrag nicht 
erhoben; 1922 schwankten die Beiträge einzelner Ortsvereine zwischen 10.- und 


120 


60.-RM.(85) Einen interessanten Einblick auf die von Ortsvereinen erhobenen 
Solidaritätsgelder ergibt eine Statistik der G.K. aus dem Jahr 1922. Einen 
Fragebogen bzgl. der Solidaritätsleistungen beantworteten 325 von 502 Orga- 
nisationen. Demnach brachten an Solidaritätsleistungen auf:(86) 


Zahl der Ortsvereine Mitglieder Solidaritäts- 

leistung pro 

Kopf in Mark 

Alle Berufe 113 15655 137 Mark 
Bauarbeiter 30 4620 102 Mark 
Metallarbeiter 73 21259 83 Mark 
Verkehrsarbeiter 16 2261 75 Mark 
Holzarbeiter 4 732 342 Mark 
Bergarbeiter 79 11594 22 Mark 





An der Tabelle ist folgendes bemerkenswert: 

— die größten Solidaritätsleistungen wurden von den Berufsgruppen 
erbracht, die schon vor 1914 in der Organisation waren und in denen die 
gewerkschaftliche Mentalität der Mitglieder wahrscheinlich sehr ausgeprägt war. 
Hier handelte es sich vor allem um Gruppen mit besonders hohem 
Handwerkeranteil.(87) 

— bei den nach 1918 hinzugekommenen Organisationen fallen vor allem 
die deutlich niedrigeren Solidaritätsleistungen der Bergarbeiter auf. Der FAUD 
gehörten vor allem die ungelernten Bergarbeiter im westlichen Ruhrgebiet an. 
Wie wir erwähnten, war die gewerkschaftliche Erfahrung dieser Mitglieder 
sehr gering. Erhard Lucas nennt in seiner Untersuchung über Hamborn u.a. 
zwei Charakteristika dieses "Arbeitertyps', Unsicherheit der 
Zukunftsperspektive und Zielgerichtetheit auf Unmittelbarkeit.(88) Beides 
Eigenschaften, die eine langfristige Gewerkschaftsarbeit sehr erschwerten. 

Der Ausbau der Arbeiterbörsen verlief mit ähnlichen Schwierigkeiten wie bei 
den Industrieföderationen. Auf der 1. Reichsarbeiter Börsen Konferenz der 
FAUD waren von rund 500 Ortsvereinen nur 200 einer Arbeiterbörse ange- 
schlossen.(89) Über die genaue Anzahl der Arbeiterbörsen im Rheinland stehen 
keine sicheren Daten mehr zur Verfügung. Soweit sich dies aus dem Vereinsan- 
zeiger des »S yndikalist« entnehmen ließ, bestanden Arbeiterbörsen inden Jahren 
1920-1924 in Aachen, Düsseldorf, Duisburg, Elberfeld,(90) Hamborn, Krefeld, 
Köln, Mönchengladbach und Solingen. Kreis-bzw. Bezirksarbeiterbörsen in 
Aachen, Düsseldorf, Köln, Elberfeld,(91)Mülheim und linker Niederrhein (Kre- 
feld, Mönchengladbach...). 

Eine Provinz-Arbeiterbörse Rheinland wurde erst 1924 gebildet, da in den 
jeweiligen Orten die organisatorischen Voraussetzungen noch nicht geschafft 
waren.(92) Die Funktion der Provinzbörse nahm die in der Organisation umstrittene 


121 


Agitationskommission Rheinland wahr. Zum Aufgabenbereich der Arbeiterbörsen 
gehörte vor allem die Regelung der Solidarität im Falle eines Streiks im jeweiligen 
Börsenbezirk, die Agitation und die Bildung der Mitglieder. Das Regulativ der 
Arbeiterbörse Düsseldorf sah zehn Kommissionen vor: 
1.Rechtsschutzkommission 
2.Pressekommission 
3.Unterstützungskommission für Inhaftierte und deren Angehörige 
4.Agitationskommission 
5. B ildungskomm i ssion 
6.Frauen- und Jugendkommission 
7.Kommission für freigeistige Bestrebungen 
8.Kommission zur Behandlung sozialer Gegenwartsfragen 
9.Kommission für freie Berufe und geistige Arbeiter 
10.Rätedurchbildungskommission.(93) 
Die Arbeiterbörse Elberfeld hatte 1923 eine Agitations-, Bildungs- und 
Inhaf-tiertenkommission. 

Die Agitationskommission war für die Herausgabe von Flugblättern verant- 
wortlich, führte Veranstaltungen zu aktuellen Themen durch, oftmit auswärtigen 
Referenten,(94) und warb für syndikalistische Ideen auf den Veranstaltungen 
anderer Organisationen.(95) Die Bildungskommission verwaltete die organisa- 
tionseigene Bibliothek, (96) führte regelmäßige »wissenschaftliche Vorträge und 
Vorlesungen« in Esperanto und Stenographie durch.(97) Zusätzlich wurden 
öffentliche Veranstaltungen zu Schul- und Frauenproblemen durchgeführt.(98) 
Die durchschnittliche Teilnahme von 100-150 Personen an den Veranstaltungen 
läßt auf die Zahl der am Organisationsleben Beteiligten schließen. 

Regelmäßig wurde auf Veranstaltungen über die mangelnde Beteiligung der 
Mitglieder geklagt. Im Vorstand der Arbeiterbörse Elberfeld waren in den 
Jahren 1920-23 ein Stamm von 5-10 Personen regelmäßig vertreten.(99) Dieser 
Mangel an organisatorisch und agitatorisch befähigten Leuten kam im 
Regulativ der Düsseldorfer Arbeiterbörse zum Ausdruck. Dort wurde 
ausdrücklich darauf hingewiesen, »daß nur genügend qualifizierte 
Genossen«(100) als Börsendelegierte gewählt werden sollten. 

Zum Zeitpunkt des Gründungskongresses hatte die FAUD im Bereich der 
späteren Provinz-Arbeiterbörse Rheinland nach eigenen Angaben 50.000, im 
ganzen Reichsgebiet 111.675 Mitglieder. Im Rheinland hatte die Bewegung zu 
diesem Zeitpunkt ihre numerisch größte Stärke erreicht, da sie durch die Grün- 
dung der FAU-Gelsenkirchener Richtung und der AAU viele kommunistisch 
orientierte Mitglieder verlor. 

Gleichwohl gelang es der FAUD in den Jahren 1920/21 noch neue Ortsvereine 
zu gründen, so z.B. im Aachener Steinkohlerevier, wo sie in ihrer Blütezeit4.500 
Mitglieder hatte.(101) Auf dem Höhepunkt ihrer zahlenmäßigen Entwicklung im 





















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Maiaufruf der »Schöpfung« aus dem Jahre 1923 


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123 


Jahre 1921 hatte die FAUD ca. 150-200.000 Mitglieder.(102) Ab Anfang 1922 
ging die Bewegung kontinuierlich zurück, im Mai 1922 waren auf dem 
Kongreß der rheinländischen Organisation 97 Delegierte, die 23.530 Mitglieder 
vertra-ten.(103) 

Die Mitgliederzahl sank rapide im Verlauf des Inflationsjahres 1923/24, 
demzufolge sank die Auflage des Verbandsorgans »Der Syndikalist« von 
120.000 im Jahre 1921, auf 21.000 im Jahre 1924.(104) 


4.Ursachen des Mitgliederrückgangs in der FAUD (AS) 


Die Ursachen für den rapiden Mitgliederverlust ab 1923 sind sehr vielschichtig. 
Wesentlichster Faktor war die Inflation; auch der ADGB erlebte einen 
Mitgliederexodus; er verlor fast die Hälfte seiner Mitglieder. Eine Tabelle über 
die Mitgliederentwicklung in Verwaltungsstellen des DMV zeigt, daß die 
Verluste der freien Gewerkschaften teilweise noch verheerender waren als für 
die FAUD:(105) 

Verwaltungsstelle Mitglieder / jeweils Ende des Jahres 


1918 1919 190 191 192 1923 1924 


Barmen 6.276 14.174 13.998 13.370 13.353 10.572 4.292 
Düsseldorf 16.597 27.467 28.122 29.122 26.937 19.840 4.327 
Duisburg 13.885 18.152 17.033 13.974 10.551 10.134 2.025 
Mülheim/R. 6.195 4.536 3.730 4.006 2.970 2.971 1.110 


7.Bezirk Essen 136.262 140.49 143.106 117.811 108969 29.865 


Zu der Tabelle ist folgendes zu bemerken: Die DMV-Mitgliederverluste im Jahre 
1922 sind wahrscheinlich auf den großen wilden Streik in Düsseldorf und in 
Essen bei Krupp zurückzuführen; die Mitgliederverluste für Düsseldorf 1921 
beruhen offensichtlich auf dem verlorengegangenen Streik desselben Jahres.(106) 
Die Verluste für Duisburg im Jahre 1921 sind zurückzuführen auf einen »wilden« 
Streik auf der August-Thyssen-Hütte in Hamborn.(107) In Mülheim ist deutlich 
der große Einfluß der FAUD zu erkennen, es ist die einzige Verwaltungsstelle, die 
nach 1918 keinen Zuwachs zu verzeichnen hatte. 

Mitverantwortlich für die katastrophalen Verluste in den Jahren 1923/24 waren 
neben der materiellen Verelendung während der Revolution die Einstellung der 
Erwerbslosenunterstützung durch die Gewerkschaften und die Enttäuschung, daß 


124 


die Gewerkschaften die Abschaffung des 8-Stunden-Tages nicht hatten 
abwehren können.(108) 

Es ist auch davon auszugehen, daß der größte Teil der 1923/24 ausgetretenen 
FAUD-Mitglieder nicht zu den freien Verbänden wechselten, sondern aus 
Resignation über die Niederlage sich keiner Gewerkschaft mehr anschlossen. 
Dies bestätigten die Verbandsstatistiken des DMV:(109) 


Übertritte von FAUD zum DMV 


1921: 1966 
1923: 1615 
1924: 339 


Im Zusammenhang dieser Übertritte steht eine weitere wesentliche Ursache für 
den Rückgang der anarcho-syndikalistischen Bewegung: der Druck seitens der 
Zentralverbände, die die FAUD-Mitglieder als Unorganisierte betrachteten 
undsomit aus den Betrieben drängten. Sowohl in der »Schöpfung« als auch im 
»Syndikalist« waren regelmäßige Rubriken »Vom Terror der Zentralverbände«. 
(110) Da von Entlassungen besonders radikale Arbeiter betroffen waren und in 
vielen Betrieben die FAUD sich nicht an den Betriebsrätewahlen beteiligte, verlor 
sie in vielen Fällen ihren innerbetrieblichen Einfluß. Der Ruhrkampf und die 
rheinische Separatistenbewegung hatten der FAUD ebenfalls stark zugesetzt: 

1. da sie sich weigerte, anläßlich der Ruhrbesetzung wie z.B. die KPD in das 
Geschrei gegen die französischen Imperialisten einzustimmen und deshalb 
als »Franzosenfreund« und »Verräter« angegriffen wurde. 

2. in einigen Orten FAUD-Mitgliederzurrheinischen Separatistenbewegung 
übergingen (111) und die Organisation als Ganzes als Separatistenbewegung 
denunziert wurde, obwohl sie diese entschieden ablehnte. 

Auf einer Konferenz der rheinländischen Organisationen wurde folgende 

Resolution verabschiedet: 
Zwingt schon die antistaatliche Einstellung die Syndikalisten, die rheinische 
Sonderbündlerbewegung abzulehnen, so zeigt sich auf wirtschaftlichem Gebiete 
erst recht, daß es sich um rein kapitalistische Machtinteressen handelt. Die 
Errichtung einer Rheinlandrepublik wird von den französischen Kapitalisten 
begünstigt und von seinem Schildknappen, dem französischen Militarismus 
unterstützt... Auf der anderen Seite sehen die deutschen Kapitalisten ihre 
Alleinherrschaft bedroht und unterstützten auf jede Weise die großdeutsche und 
nationalistische Bewegung. Die Konferenz erklärt, sich weder in das Schlepptau 
der einen noch der anderen nehmen zu lassen. Sie weiß die Abneigung gegen die 
sich immer mehrhäufenden Gewaltmethoden derreaktionären preußisch-deutschen 
Regierung, sowie gegen die Untätigkeit und nationalistische Politik der 
reformistischen Zentralverbände und der politischen Parteien zu würdigen, sie 


125 


sieht jedoch in der Beteiligung an der ewegung eine Preisgabe der Grundsätze des 
Syndikalismus. Syndikalistische Organisationen, die in ihren Reihen Mitglieder dulden, 
die sich für die Separatistenbewegung einsetzen, stellen sich außerhalb der 
FAUD.(112) 
Unter welchem Druck die FAUD im Rheinland auch von Seiten der Arbeiter- 
organisationen stand, zeigt u.a. ein Artikel des Oberhausener Generalanzeigers: 
Gewerkschaften und Kommunisten gegen Syndikalisten im Ruhrgebiet: Wie ich 
höre, haben die Kommunisten es abgelehnt, mit Syndikalisten im Ruhrgebiet 
gemeinsame Sache zu machen. Die Vertreter der Gewerkschaften fordern von der 
Regierung, daß die schärfsten Mittel gegen die Syndikalis ten angewendet werden; 
und wie ich höre, ist jetzt beschlossen worden, alle zu entlassen, die in französische 
Dienste treten. Man will die Führer der Bewegung verhaften und beabsichtigt, die 
Leiter zu beseitigen. Bei den Arbeitgebern ist in Aussicht genommen, über die 
syndikalistischen Anhänger einen strengen Boykott zu verhängen. Sie sollen fortan 
im Ruhrgebiet geächtet sein, da sie eigenen Kollegen in den Rücken fielen. Von der 
Regierung erwirken die Gewerkschaften, daß sie dem weiteren Treiben der 
Syndikalisten den Boden entzieht. (1 13) 
Infolge des militärischen Ausnahmezustandes vom November 1923 bis 
Anfang März 1924 war die FAUD verboten,(114) dies wird zu ihrer weiteren 
organisatorischen Destabilisierung beigetragen haben. Daß noch regelmäßig 
der »Syndikalist« erscheinen konnte, verdankte die FAUD der Solidarität der 
ausländischen Schwesterorganisationen.(115) 

Fritz Kater und Carl Windhoff machten alleine die »Individualanarchisten« und 
Teile der anarchistischen Opposition für den Niedergang der Bewegung 
verantwortlich. Dies war natürlich stark überspitzt, traf aber im geringen Ausmaße 
zu. In Köln ging die FAUD von 3000 auf 500 Mitglieder zurück, aufgrund des 
Einflusses der Individual-Anarchisten.(116) 

Die anarchistische Opposition stand zuvor fest auf dem Boden der Organisation, 
aber durch ihre Einstellung, »daß nicht nur in den großen Mitgliederzahlen die 
Macht und die Stoßkraft einer Bewegung, sondern der geistige Hoch- oder 
Tiefstand eines jeden einzelnen Mitgliedes der Bewegung das Barometer ihrer 
Kraft«(117) sei, verlor sie zwangsläufig viele Mitglieder. Nach dem verloren- 
gegangenen Streik 1921 warf ein FAUD Mitglied in einem Artikel die Frage auf, 
ob es überhaupt noch sinnvoll sei, sich an den Teilstreiks der Zentralverbände zu 
beteiligen. Die Streikunterstützung sollte generell wegfallen und die Mitglieder- 
beiträge für die Propagierung des Generalstreiks verwendet werden.(118) 

Aufgrund dieser Einstellung ergab sich, daß die FAUD in Düsseldorf in 
spontanen Erhebungen eine führende Rolle spielen konnte, aber nicht in der 
Lage war, viele Mitglieder an die Organisation zu binden. Für andere Orte 
wird dies ähnlich zutreffen. 

Die FAUD war ein Produkt der Revolutionsjahre 1918-1920, das Engagement in 
der Organisation war für viele Mitglieder verbunden mit der Hoffnung auf eine 


126 


baldige revolutionäre Umgestaltung. Als in den folgenden Jahren diese Hoffnungen 
enttäuscht wurden, war ein Großteil der Mitglieder nicht mehr bereit, die 
Entbehrungen materieller Art auf sich zu nehmen und zog sich resigniert aus dem 
politischen Leben zurück. 

Es ist auch davon auszugehen, daß das Engagement in der FAUD in vielen 
Fällen zu innerfamiliären Konflikten führte. Bei den Hauskassierungen(119) 
erhielten die Kassierer oft nur das Geld, wenn der Mann zu Hause war. Auf 
diesem Hintergrund ist der permanente Appell weitsichtiger FAUD-Mitglieder zu 
verstehen, die syndikalistischen Frauenorganisationen besonders zu fördern. 

Nicht zuletzt war der Rückgang der Bewegung auf organisatorische Fehler und 
Mängel zurückzuführen. So soll die Mitgliederzahl in einer Stadt des Ruhrgebiets 
wegen Abschaffung der Hauskassierung von 6000 auf 2000 Mann zurückgegangen 
sein.(121) 


1) 


2) 
3) 
4) 
5) 
6) 
7) 
8) 
9) 
10) 


11) 
12) 


13) 


14) 


15) 
16) 


127 
Anmerkungen Kapitel III 


Vgl. Feldman, Gerald D., Kolb, Eberhard, Rürup, Reinhard: Die Massenbewegung 
der Arbeiterschaft in Deutschland am Ende des Ersten Weltkrieges (1917-1920), 
S.103 

Lucas, Erhard, Märzrevolution, Bd.3, S.431 

Flechtheim, Ossip, K., Die KPD in der Weimarer Republik, S.152-158 

Vgl. Bock, Hans-Manfred: Syndikalismus... S.225-236 

Der Syndikalist, Jg.2 (1920), Nr.1 

Der Syndikalist, Jg.2 (1920), Nr.27 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.7 

Die Schöpfung, Jg.1 (1920/21), Nr.78 

Vgl. Bock: Syndikalismus... S.179-188 

Augustin Souchy (gestorben 1.1.1984) reiste als Vertreter der FAUD 1920 in die 
Sowjetunion. Vgl. seinen Bericht über diese Reise in ders.: Wie lebt der Arbeiter 
undBauer in Rußland und in der Ukraine. Zu seinem Gespräch mit Lenin, vgl. seine 
Memoiren: Vorsicht Anarchist! Reutlingen 1983, Grafenau 1985 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.35 

An der Urabstimmung beteiligten sich 108 Organisationen der FAUD mit 25.561 
Mitgliedern, von denen die Mehrheit gegen die Beschickung des Kongresses war. 
300 Organisationen mit ungefähr 75.000 Mitgliedern beteiligten sich nicht an der 
Abstimmung. Vgl. Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.25 — Das Ergebnis vermittelt 
auch einen Eindruck, inwieweit sich die Mitglieder der FAUD für Beschlüsse, die 
über ihre unmittelbare Interessenvertretung hinausgingen, interessierten. 

Nestor Machpo hatte in der Ukraine eine anarchistische Bauernarmee aufgestellt 
und zunächst mit den B olschewiki gegen die zaristischen Truppen gekämpft. Nach 
deren Sieg wurden sie von den Bolschewisten brutal unterdrückt. Machno floh 
zunächst nach Deutschland und wurde dann von dem Aachener Anarcho-Syndi- 
kalisten Curt Moeller illegal nach Belgien gebracht (Interview mit Curt Moeller), 
danach ging er ins Exil nach Paris, wo er 1934 starb. (Curt Moeller starb am 
14.1.1986, vgl. Nachruf von Peter Walter, in: Schwarzer Faden 2/86 Nr.21) Zur 
Machno-Bewegung, vgl. Stowasser, Horst: Die Machno-Bewegung; Serge, Victor: 
Memoiren eines Revolutionärs; Volin: Die unbekannte Revolution, 3 Bde. 

Vgl. Rocker, Rudolf: Der Bankrott des russischen Staats-Kommunismus, Berlin 
1921 

Der Syndikalist, Jg.5 (1923), Nr.1 

ebenda, Das Sekretariat der IAA blieb bis 1933 in Berlin. Rudolf Rocker ging es wie 
dem Propheten, der im eigenen Lande nichts gilt. Er blieb bis zu seinem Tode die 
überragende Gestalt des internationalen Anarcho-Syndikalismus. Seine teilweise nicht 
in deutscher Spracheerschienenen Bücher erreichten in Spanien und den 
lateinamerikanischen Ländern Massenauflagen. Sein Hauptwerk »Nationalismus und 
Kultur«, in deutsch zuerst 1949 erschienen unter dem Titel »Die Entscheidung des 
Abendlandes«, Hamburg 1949, wurde von so berühmten Männern wie Bertrand 
Russell, Thomas Mann und Albert Einstein in höchsten Tönen ge- 


128 


17) 


18) 


19) 


20) 
21) 


22) 
23) 


lobt. Vgl. Wienand, Peter: Rudolf Rocker, S.13 

Nach Ang aben der FAUD waren folgende Landesorganisationen auf dem Kongreß 
vertreten: Argentinien (200.000), Chile (20.000), Dänemark (600), Deutschland 
(120.000), Holland (22.500), Italien (500.000), Mexiko (30.000), Norwegen 
(20.000), Portugal (150.000), Schweden (23.000); vgl. Der Syndikalist, Jg.4 (1923), 
Nr.1 Die bedeutendste anarcho-syndikalistische Organisation, die spanische CNT, 
schloß sich 1923 derlAA an; vgl. Rudolf Rocker: Memoiren, S.230 

Die FKAD bestand neben der FAUD bis 1933 und gab die Zeitschrift »Der 
Freie Arbeiter« heraus. Zur Geschichte dieser Organisation, vgl. Linse, Ulrich: 
Die Transformation der Gesellschaft durch die anarchistische Weltanschauung. 
Zur Ideologie und Organisation anarchistischer Gruppen in der Weimarer 
Republik, In: Archiv für Sozialgeschichte, Bd.XI, 1971, S.289 

»Die Schöpfung, Sozialrevolutionäres Organ für das sozialistische Neuland«. 
Die Zeitung erschien von August bis Dezember 1921 als Tageszeitung, dann als 
Wochenzeitung bis Januar 1924. 

Drewes war wahrscheinlich auch schon Mitarbeiter der Elberfelder »Schöpfung« 
Fritz Kös ter war ein Veteran der anarchistischenund syndikalis tischen Bewegung 
in Deutschland. Er gehörte zur Bewegung der »Jungen« in der SPD und war 1912 
Redakteur der theoretischen Zeitschrift der »Freien Vereinigung«, weshalb es zu 
Auseinandersetzungen zwischen ihm und Kater gekommen war. Köster war stark 
von Gustav Landauer beeinflußt, der nach seiner Meinung als Einziger »den 
Durchgeistigungsprozeß« in der »Freien Vereinigung« hätte fördern können. (Vgl. 
Die Schöpfung Jg.1, 1921/22, Nr.549). Fritz Köster starb im Dezember 1933. 

Vgl. Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.35, Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.39 
Pierre Ramus (Pseudonym für Rudolf Großmann) wanderte als junger Mann in die 
USA aus; wegen führender Beteiligung an einem Streik wurde er dort zu 5 Jahren 
Gefängnis verurteilt, floh nach London und gab dort eine anarchistische Zeitschrift 
heraus. Ramus zerstritt sich mit den dortigen Anarchisten (u.a. Rocker) und ließ sich 
dann in Wien nieder. (Vgl. Rocker, Rudolf: Memoiren, Bd.II, S.456). Ab 1918 gab er 
in Klosterneuburg bei Wien die anarchistische Zeitschrift »Erkenntnis und Befreiung« 
heraus. Mit den deutschen Anarchisten stand er in engem Briefkontakt, insbesondere 
mit dem Redakteur der »Schöpfung«, Heinrich Drewes. (Vgl. Briefwechsel Drewes 
— Ramus, im Nachlaß Ramus IISG Amsterdam). Ramus galt in anarchistischen 
Kreisen als Intrigant. Rudolf Rocker lehnte es Ende der 20er Jahre ab, zusammen mit 
Ramus aufzutreten, da dieser den ehemaligen Anarchisten Siegfried Nacht als 
Untersuchungsbeamten der stalinistischen Geheimpolizei denunzierte (Vgl. Wienand, 
Peter: Rudolf Rocker, S.347). Insbesondere in den anarchistischen Kreisen der 
Düsseldorfer FAU hatte er eine starke Anhängerschaft. Die Elberfelder FAU schlug 
ihn als Referent für den 13. und 14. Kongreß vor. (Vgl. der Syndikalist, Jg.3 (1921), 
Nr.38, Jg.4 (1922), Die Schöpfung, Jg.2 (1922/23), Nr.19). Ende der 20er Jahre hatte 
Ramus in Elberfeld nicht mehr diese Sympathien; auf einer FAUD-Konferenz im 
Rheinland bat der Wuppertaler Delegierte Fritz Benner die Duisburger Genossen, 
Ramus nicht wie vorgesehen für eine antimilitaristische Kundgebung als Referenten 
zunehmen; Ramus wurde von 


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25) 
26) 


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30) 


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35) 
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37) 


129 


den Wuppertaler Anarcho-Syndikalisten aufgrund seiner strikt gewaltfreien Po- 
sition »Dr. Unblutig« genannt. 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.42 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.39 

Vgl. zu den persönlichen Spannungen zwischen Kater und Köster, Anm.21, 
zwischen Rocker und Ramus, Anm.23 

Zwischen Ramus und der Geschäftskommission war es zum Zerwürfnis gekom- 
men, weil dieser den Redakteur des »Syndikalist«, Franz Barwich, beschuldigte., 
ohne Angaben von Quellen aus einem seiner Bücher abgeschrieben zu haben. 
»Aus sachlichen Meinungsverschiedenheiten entsprießend, haben wir eine un- 
glaubliche persönliche Feindschaft kultiviert. Die hinter jeder Äußerung und 
Handlung des Gegners auf eine Unterstellung oder Schlechtigkeit schließt.« 
Später stellte sich heraus, daßderherausragendste Vertreter der Individualisten auf 
dem Kongreß ein besoldeter Spitzel der KPD war, mit dem Auftrag, die Orga- 
nisation zu zersetzen. Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 15. Kongresses 
der FAUD 1925 in Dresden, S.24. Ober den 13. Kongreß der FAUD berichtete 
das Korrespondenzblatt des ADGB (1921, S.652) wie folgt »Katers weitere 
Klagen, daß die Bewegung jetzt durch alle möglichen Spintisierer und 
Eigenbrödler überflutet worden war, wurde durch die Zusammensetzung des 
Kongresses bestätigt. Da saßen in wallenden Lodenmänteln und merkwürdigen 
Kostümen Typen, die an Gustav Nagel erinnerten, jene sonderbaren Sektierer, die 
sich Individual-Anarchisten, Siedlungskommunisten und noch anders nennen. Sie 
sprachen auch und vertraten dabei eine Art mystischen Klosterideals. Keine 
Agitation in der Masse! Die Masse ist unfruchtbar, sammelt weise, sorgfältig 
geprüfte Auserwählte, die nur durch das Beispiel wirken.« —Zum 
Zusammenhang zwischen den zahlreichen Sekten und dem Anarcho- 
Syndikalismus vgl. Linse, Ulrich: Barfüßige Propheten, S.129-136. 

Die Diskussion ging zurück auf die kontroverse Debatte zwischen dem französi- 
schen Syndikalisten Pierre Monatte und dem Anarchisten Enrico Malatesta auf 
dem internationalen Anarchistenkongreß 1908 in Amsterdam. (Vgl. die Redebei- 
träge in: Oberländer, Emil: Anarchismus, Dokumente der Weltrevolution, Frei- 
burg und Olten, 1972). Vor dem 1. Weltkrieg war es auch in Deutschland zu 
Zerwürfnissen der beiden Richtungen über diese Frage gekommen. (Vgl. Der 
Syndikalist, Jg.6 (1925), Nr.22) 

Die Schöpfung, Jg.2 (1922/23), Nr.4 

So in Wiesdorf, vgl. Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.4 

Der selbständige Bezirk Bilk hatte extrem anarchistisch, sektiererische Tendenz 
und wurde Ende 1922 aus der FAUD wegen organisationsschädigendem 
Verhalten ausgeschlossen, vgl. Die Schöpfung, Jg.2 (1922/23), Nr.26 

Die Schöpfung, Jg.l (121/22), Nr.66 

Protokoll über die Verhandlungen des 15. Kongresses der FAUD, S.53 

Vgl. Rocker, Rudolf: Das Prinzip des Föderalismus im Gegensatz zum Zentralis- 
mus, Frankfurt 1979, S.26 

ebenda 


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40) 
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22) 


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44) 


45) 
46) 
47) 


Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.51 

ebenda 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.136/37 

Windhoff hatte ein Rundschreiben an alle Organisationen verschickt, in dem er 
schwere Vorwürfe gegen das damalige Mitglied der A.K. und den späteren 
Separatistenführer Bertram Dietz erhob, der deshalb aus der A.K. ausscheiden 
mußte. Über den Inhalt des Schreibens existieren keine Quellen. Das feindselige 
Klima zwischen den Kontrahenten kommt in einem Brief des besagten Dietz an 
Pierre Ramus zum Ausdruck: »Der Genosse Karl Windhoff, ein Jünger Katers und 
Barwichs, ist augenblicklich in unseren Sitzungen der Gegenstand hitziger Aus- 
einandersetzungen und wird aus der Agitation hinausfliegen. Die vorwärtstreiben- 
den Geister bleiben Sieger.« Nachlaß Pierre Ramus, Mappe 6c; Brief von Bertram 
Dietz an Pierre Ramus vom 14.2.1922. 

In diesem Zusammenhang sei bemerkt, daß die Opposition in der FAUD sich 
scharf von den »Individualisten« distanzierte. In Mengede war die vollständige 
Abschaffung der Mitgliedsbücher beschlossen worden. Drewes kritisierte dies 
als Auswüchse falsch verstandenen Anarchismus. 

Rudolf Oestreich war schon vor dem Kriege einer der führenden Männer des 
deutschen Anarchismus und war lange Jahre Redakteur des »Freien Arbeiter«. 
Oestreich gehörte zu den schärfsten Verfechtern eines anarchistischen Kurses der 
FAUD und führte die Sektiererei des deutschen Vorkriegsanarchismus fort. 
Ähnlich wie Ramus schreckte er nicht vor Denunziationen zurück, um seinen 
Einfluß geltend zumachen; seinen »Erzfeind Windhoff« denunzierte er im »Freien 
Arbeiter« als Streikbrecher (vgl. Der Syndikalist, Jg.6 (1922). Aus der FAUD 
wurde er 1927 wegen »fortgesetzter organisationsschädigender und unkamerad- 
schaftlicher Handlungsweise« ausgeschlossen. Seine anarchistische Haltung hielt 
ihn nicht davon ab, 1928 Rudolf Rocker wegen Beleidigungvor einem bürgerlichen 
Gericht anzuklagen. Vgl. Wienand: Rudolf Rocker, $.346; Vgl. Die Schöpfung, Jg 
.1 (1921/22); Nr.136/137. Es spricht nicht für die Glaubwürdigkeit der Kritik 
Oestreichs, daß er selbst drei Jahre in Berlin freigestellt war (vgl. Der Syndikalist, 
Jg.4 (1922), Nr.20) 

Auf dem Kongreß traten die Vertreter von 21.950 Mitgliedern für die B 
eibehaltung der A.K. ein; für die Abschaffung die Vertreter von 1.050 Mitgliedern. 
Nach dem Kongreß trennten sich noch weitere Ortsgruppen von der A.K., u.a. auch 
die Elberfelder. Im Oktober 1922 waren ihr noch 14.204 Mitglieder angeschlossen 
(vgl. Die Schöpfung, Jg.2 (1922/23), Nr.21 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.7 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.43 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.16. Bei den Bergarbeitern waren die Grenzen 
zwischen den linksorientierten Organisationen von jeher fließend. Im Februar 1922 
schlossen sich die FAUD, FAU-Gelsenkirchener Richtung, AAU und AAU- 
Einheitsorganisation zu einer »Kampfgemeinschaft gegen die Arbeitsgemeinschaft 
und allen den sich aus der Politik derselben, gegen die oben genannten 
Organisationen ergebenden Maßnahmen« zusammen. (Der Syndikalist, Jg.4 (1922), 
Nr.12) 


48) 
49) 


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Die Schöpfung, Jg.l (1921/22), Nr.107 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.73. Im Ausschuß waren je zwei Vertreter von 
KPD, KAPD, SPD,USPD und FAUD vertreten (vgl. HSTAD, Reg. D., Pol. 
Akten, Nr. 15409, Bl. 270 

HSTAD, Reg. D., Pol. Akten, Nr. 15997, Bl. 84 

HSTAD, Reg. D., Pol. Akten, Nr. 15409, Bl. 269/70 

ebenda, S.277 

ebenda, S.270 

Freie Presse Elberfeld, 3.12.1921 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.17 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.38 

Vgl. den Kommentar nach der Verabschiedung des Betriebsrätegesetzes in: Der 
Syndikalist, Jg.2 (1920), Nr.9. Zum Betriebsrätegesetz allgemein, vgl. Korsch, 
Karl: Arbeitsrecht für Betriebsräte, Frankfurt 1964 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.51 

Vgl. die beiden Artikel von Reuß zur Betriebsrätefrage, in: Die Schöpfung Jg.1 
(1921/22), Nr.9 und Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.12 

Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.51 

ebenda. Die Bezeichnung als Speck-und Schnapsräte rührte daher, daß zu den 
Aufgaben der Betriebsräte auch die Beschaffung und Verteilung von Lebensmit- 
teln gehörte; in vielen Fällen hatten sich die Betriebsräte persönlich bereichert. 
Vgl. Die Schöpfung, Jg .1 (1921/22), Nr.10 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.19 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.21 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.29 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.21 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.19 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.28 

ebenda 

Vgl. Saurma-Jeltsch, Peter von: Der Syndikalismus in Frankreich und die syndi- 
kalistischen Tendenzen in der deutschen Arbeiterbewegung, Breslau 1920, S.53 
Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.24 

ebenda 

Vgl. Der deutsche Metallarbeiter im Jahre 1924. Jahr- und Handbuch für Ver- 
bandsmitglieder, Stuttgart 1925, S.103 

Vgl. Jahrbücher des Deutschen Textilarbeiterverbandes 1922, S.64 und 1922/23, 
S.143 

Vgl. Der Syndikalist, Jg.2, Nr.27. Durch den Zuzug von syndikalistischen Berg- 
arbeitern aus dem Ruhrgebiet wurde die Bewegung im Aachener Steinkohlerevier 
wesentlich belebt. Vgl. Theissen, R., Walter, P., Wilhelms, J.: Anarcho-syndika- 
listischer Widerstand an Rhein und Ruhr. 

Nach Carl Windhoff fanden sich unmittelbar nach Kriegsende in Düsseldorf 7, in 
Hamborn 10-15 und in Elberfeld 5 ehemalige Mitglieder der »Freien Vereinigung« 
zusammen. In Anbetracht dieser Tatsache ist trotz der besagten organisatorischen 
Schwächen der Aufbau der FAUD mit zeitweilig 50.000 Mitgliedern im 


132 


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Rheinland eine organisatorische Leistung gewesen. 

Vgl. die Broschüre »Die Arbeiterbörsen im Syndikalismus«, Berlin 0.). 

Vgl. Protokoll des 12. Kongresses der FVdG 

Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.28 

Vgl. das Referat Augustin Souchys auf dem 18. Kongreß der FAUD, in: Protokoll 
über die Verhandlungen des 18. Kongresses vom 29.5.-1.6.1930 in Berlin, Berlin 
1930, und die Rechenschaftsberichte der G.K. und Föderationsgeschäftsleitungen 
auf den Kongressen dieser Zeit. 

Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.47 

Der Syndikalist, Jg.2 (1920), Nr.2 und Jg.4 (1922), Nr.56 Das Differieren der 
Zahlen ergab sich aus den unzureichenden statistischen Unterlagen der G.K. 
und der Föderationsgeschäftsleitungen. 

In Düsseldorf: Föderation Alle Berufe, der Metall-, Bau-, Kommunal- und Ver- 
kehrsarbeiter, Holzarbeiter und Fliesenleger; in Mülheim: Alle Berufe, 
Bergbau-Metall-, Verkehrsarbeiter und Lederarbeiter. 

Die Aufgaben sind dem Vereinsanzeiger und den Listen über Solidaritätsgelder 
aus dem Syndikalist entnommen. 

Vgl. die Streikresolutionen der FAUD, in Oerter, Fritz: Was wollen die 
Syndika-listen, Berlin 1920, S.15 und die erweiterte, vom 14. Kongreß 
beschlossene Fassung im Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.52 

Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.48 

Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.47 

Die Bauberufe bildeten das stärkste Kontingent in der Freien Vereinigung; bei 
den Holzarbeitern waren die Berliner Musikinstrumente-Arbeiter organisiert, 
wie zu vermuten ist, eine finanziell privilegierte Berufsgruppe. 

Vgl. Lucas: Arbeiterradikalismus, S.280/81 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.142 

Der Syndikalist, Jg.2 (1920), Nr.34 

Die Kreisarbeiterbörse Elberfeld wurde am 21.5.1922 gegründet; vgl. Der Syn- 
dikalist, Jg.4 (1922), Nr.22 

Vgl. die Diskussion auf der rheinländischen Konferenz der Arbeiterbörsen im 
Oktober 1922, vgl. Die Schöpfung, Jg.2 (1922/23), Nr.21 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.73 

Rudolf Rocker sprach in Elberfeld 1921 über »Freie Erziehung, freie Schulen 
im Sinne Francisco Ferrers, vgl. Die Schöpfung Jg.1 (1921/22), Nr.6; Fritz 
Köster: »Der Faschismus in Deutschland« im April1923 (vgl. HSTAD, Reg. 
D.,Pol.Akten, Nr. 16993, Bl. 19-21 

Die Agitation der FAUD scheint teilweise recht erfolgreich gewesen zu sein: In 
einem Polizeibericht über eine Versammlung von Eisenbahnern in Elberfeld mit 
800 bis 1000 Teilnehmern hieß es: »... Dann folgte der Syndikalist Schmitz 
(Elberfeld). Er griff die Führer der Gewerkschaften an, die bisher immer »ge- 
bremst« hätten; man solle sie zum Teufel jagen. Nur durch Selbsthilfe sei einzig 
und allein noch etwas zu erreichen.« (HSTAD, Reg. D., Pol. Akten, Nr. 16409, 
Bl. 213) 

1930 hatte die B ibliothek der FAUD einen B es tand von ca. 1000 Bänden (Interview 


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mit A. Benner). 

Die Schöpfung, Jg.2 (1922/23), Nr.41 

Die Schöpfung, Jg.2 (1922/23), Nr.32 

In fast allen Vorständen der Orts- bzw. Kreisarbeiterbörse waren vertreten der 
Arbeiter Hans Schmitz, der Schlosser Otto Kocherscheidt, der Schlosser Julius 
Grunewald, der Bauarbeiter Reinhold Münch und der Schneider Hermann Stein- 
acker. 

Die Schöpfung, Jg.l (9121/22), Nr.73 

Interview mit Curt Moeller 

Nach Schätzungen der politischen Polizei; vgl. Bundesarchiv Koblenz R 134, 
Bd.5, S.119; Bd. 9, S.57; Bd.15, S.103. Rudolf Rocker nennt in seinen Memoiren 
die Zahl von 150.000 Mitgliedern für das Jahr 1921. 

Der Syndikalist, Jg.3 (1922), Nr.20 

Vgl. Der Syndikalist, Jg.2 (1920) und Protokoll über die Verhandlungen des 15. 
Kongresses der FAUD, S.17 

Die Zahlen sind entnommen aus den Jahr- und Handbüchern des DMV 1919,1920, 
1921, 1922, 1923, 1924, 1925; der 7. Bezirk Essen umfaßte das gesamte 
Ruhrgebiet von Düsseldorf bis Hamm. Die Verwaltungsstelle Barmen gehörte zum 
Bezirk Hagen. 

Vgl. Kap. V, Abschnitt 5 

Vgl. Kap. V, Anm. 113 

Ende 1923 wurde jegliche Erwerbslosenunterstützung von Seiten des DMV 
eingestellt. (Vgl. Der DMV im Jahre 1923), Ende 1923/Anfang 1924 gab es im 
ganzen Industriegebiet große Streiks gegen die Abschaffung des 8-Stunden-Tages. 
Vgl. Hand- und Jahrbücher des DMV, 1922, 1924, 1925 

Die freien Gewerkschaften veröffentlichten in der Düsseldorfer Arbeiterpresse 
1922 Erklärungen, daß alle Arbeiter, die nicht Zentralverbänden angehörten, als 
Indifferente betrachtet würden. Vgl. Die Schöpfung, Jg.2 (1922/23), Nr.10 

Die Gewerkschaftsbürokratie verbreitete auch des öfteren das Gerücht, daß nur 
Mitglieder der Zentralverbände den vollen Tariflohn erhalten würden. Vgl. Der 
Syndikalist, Jg.5 (1923), Nr.41 

In einzelnen Betrieben kam es sogar zu von Gewerkschaftsfunktionären angezet- 
telten Streiks, damit syndikalistische Arbeiter entlassen wurden. Vgl. Die Schö- 
pfung, Jg.2 (1922/23), Nr.48/50 

So in Düsseldorf, Krefeld, Mülheim/Ruhr, Mönchengladbach, Hamborn und 
Duisburg. Vgl. HSTAD Reg. D., Pol. Akten Nr. 17082, dem führenden Anarcho- 
syndikalisten Alfred Metz (Duisburg) wurde von separatistischer Seite der Ober- 
bürgermeisterposten angeboten, was dieser dankend ablehnte. (Vgl. Protokoll 
über die Verhandlungen des 15. Kongresses der FAUD, S.25) 

Ein Führer der rheinischen Separatistenbewegung war das ehemalige FAUD- 
Mitglied Bertram Dietz aus Düsseldorf. Dietz kam über den linksradikalen All- 
gemeinen Arbeiter Verband in die FAUD, war zunächst im Vorstand der Düssel- 
dorfer Metallarbeiter-Föderation, dann aber ab Mitte 1920 besoldeter Funktionär 
der Agitationskommission Rheinland-Westfalen in Dortmund. Er gehörte zum 
extrem anarchistischen Flügel der FAUD und wurde nach Auseinandersetzungen 


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112) 
113) 
114) 
115) 
116) 
117) 
118) 


119) 


120) 


mit Carl Windhoff aus der Agitationskommiss ion Anfang 1922 ausgeschlossen. 
Aus der FAUD wurde er kurze Zeit später ausgeschlossen, agierte aber weiter im 
selbständigen Bezirk Bilk in Düsseldorf. Während des Generalstreiks war er noch 
in der Generalstreiksleitung. Ende 1922 trat Dietz mit dem Separatistenführer 
Smeets in Köln in Kontakt. Aufgrund seiner genauen Kenntnis der FAUD im 
Rheinland gelang es ihm wahrscheinlich, eine Anzahl Anhänger zu gewinnen, 
zumal er damit warb, die Rheinische Republik könnte sich als Räteherrschaft auf 
syndikalistischer Grundlage bilden. Vgl. Der Syndikalist, Jg.3, (1923), Nr.50/51 
Nach dem 2. Weltkrieg tauchte B. Dietz wieder in der anarchistischen Szene 
Deutschlands auf. In der Föderation Freiheitlicher Sozialisten (FFS), in der sich 
die ehemaligen FAUD-Mitglieder nach dem 2. Weltkrieg sammelten, wird er 
1950 in einem Rundschreiben erwähnt. Dort wird vor ihm gewarnt, da er 
Düsseldorfer Genossen geschädigt habe. Weiter wird berichtet, daß er aus der 
»Ostzone« geflohen, dort eine zweifelhafte Rolle gespielt und eine hohe Funktion 
inne gehabt habe. Die Einschätzung im Rundschreiben, daß Dietz zumindest »ein 
Abenteurer« sei, beschreibt treffend auch sein kurzes und »engagiertes« Auftreten 
in der FAUD in den 20er Jahren. 

Der Syndikalist, Jg.5 (1923), Nr.41 

ebenda 

Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.32 

Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 15. Kongresses der FAUD, S.17 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.52 

Die Schöpfung. Jg.1 (1921/22), Nr.107 

Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.12 Auf dem 14. Kongreß der FAUD vertraten die 
Delegierten der Düsseldorfer Metallarbeiter die Meinung, Streikunterstützung 
sollte nicht mehr generell gewährt werden. Der eigentliche Kampf der Arbeiter- 
schaftbeginne erst, wennkeine Gelder mehr gezahlt würden. Vgl. Der 
Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.51/52 

Information von Hans Schmitz (jun.), Düsseldorf, der als Kind für die FAUD 
kassierte. 

Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 18. Kongresses der FAUD 1930, 
Berlin 1930 


135 
Kapitel IV 
Fisch ohne Wasser, 
— die FAUD von 1925-1933 


l. Orientierung auf gewerkschaftliche Tageskämpfe 


Die Stabilisierung der ökonomischen und politischen Verhältnisse nach der 
Inflation zwangen die FAUD zu Konzessionen an die herrschenden 
Verhältnisse. In der FAUD setzt sich eine stärkere Tendenz durch, die den 
Verhältnissen angepaßte Gewerkschaftsarbeit für sinnvoll hielt. 

Unter der Fragestellung gewerkschaftliche Kampforganisation oder Sekte 
begann Heinrich Reuß 1925 eine Diskussion im Syndikalist, die wegweisend für 
den Weg der FAUD sein sollte.(1) Reuß forderte scharf eine Beendigung der 
»Vogel-Strauß-Politik«, weil a) 90% der Mitglieder der FAUD als Gewerk- 
schaftler beigetreten seien, b) die gesellschaftliche Situation sich geändert habe. 

Die Macht des Syndikalismus beruhe und wurzle in der Propagierung seiner Ideen 
innerhalb der Betriebe. Aus diesem Grunde wird von einer syndikalistischen 
Bewegung nur solange geredet werden können, solange sie innerhalb der Betriebe 
noch die Möglichkeit einer direkten Betätigung hat.(2) 
Diese Betätigungsmöglichkeit habe sich die FAUD aber selbst genommen. 
Schuld daran trügen jene, »die glauben durch Resolutionen, Anträge und Ver- 
sammlungsbeschlüsse revolutionäre Idealmenschen fabrizieren zu können.«(3) 
Die Richtlinienzum Betriebsrätegesetz, Knappschaft, Kirchenaustritte, Beteili- 
gung am Rechtsschutz usw. seien die konkreten Maßnahmen gewesen, die 
bewußt oder unbewußt dem »Rubel« »in die Hand« gearbeitet, die Arbeiter der 
»Gewerkschaft ausgeliefert« und die FAUD von der Arbeiterschaft isoliert habe. 

Insbesondere die rigorose Ablehnung der Betriebsräte könne man »bei einem 
auf den 'Höhen' wohnenden Theoretiker allenfalls verstehen, bei einem praktisch 
im Betrieb arbeitenden, revolutionären Gewerkschaftler sei diese Betrachtungs- 
weise — gelinde ausgedrückt — mehr als oberflächlich.«(4) 

Reuß betonte die Notwendigkeit eines Stammes erfahrener Funktionäre in den 
Betrieben, nur dadurch könnten der Organisation neue Mitglieder zugeführt 
werden. Die Mitglieder müßten an die Organisation gefesselt werden, wenn die 
FAUD zur Massenorganisation anwachsen wolle. Insbesondere müßte der alte 
Ehrgeiz vermieden werden, »aus jedem Mitglied einen Theoretiker des 
Anarcho-Syndikalismus zu machen.«(5) 


136 


Indem wir in geistiger Hinsicht oft zu große Anforderungen an den Einzelnen 
stellten, erreichten wir, daß mancher Genosse sich in unserem Kreis recht einfältig 
vorgekommen sein muß und es infolgedessen vorzog unseren Veranstaltungen 
fernzubleiben.(6) 
Der 15. Kongreß der FAUD 1925 in Dresden unterstrich die Position von Reuß. 
Rudolf Rocker betonte in seinem grundsätzlichen Referat »Die prinzipielle 
Grundlage des Syndikalismus und der organisatorische Aufbau der FAUD« (7)die 
Bedeutung von Gegenwartskämpfen und hob ausdrücklich hervor, daß der 
Syndikalismus »keine individualistische sondern eine soziale Theorie« sei.(8) 

Der Duisburger Anarcho-Syndikalist Alfred Metz hielt ein Referat über »die 
gegenwärtigen Aufgaben der FAUD«.(9) Metz stellte fest, daß nach 1919 der 
gewerkschaftliche Charakter der FAUD etwas in den Hintergrund gedrängt 
worden sei. »Viele ehrliche Kämpfer« seien »in den verworrenen politischen und 
ökonomischen Verhältnissen« der Meinung gewesen, »es sei schon an die Zeit 
gekommen, die soziale Revolution durchzuführen.«(10) Mittlerweile hatte sich 
aber die »sogenannte Demokratie fundiert« und die Kapitalisten hätten »ihre 
Machtposition, stabilisiert«. Es könne jetzt nicht mehr von einer revolutionären 
Situation gesprochen werden, die Arbeiterschaft müsse sich »grundsätzlich mit der 
jetzt bestehenden wirtschaftlichen Reaktion befassen.« Die Tagesfrage sei für die 
FAUD akut, da sie »täglich eine nach der anderen von den kleinen Macht- 
positionen verliere,« die sie früher errungen habe.(11) 

Die FAUD müsse Fraktionen bilden in den Betrieben, »um auf Belegschafts- 
versammlungen und in eventuellen Kämpfen einen entscheidenden Einfluß 
auszuüben.« Die FAUD müsse die Arbeiterklasse mitden Methoden der direkten 
Aktion bekannt machen, teilweise sei es in der praktischen Gewerkschaftsarbeit 
notwendig, mitden Unternehmern in Verhandlungen einzutreten um die Gewerk- 
schaftsbürokratie in Verhandlungen auszuschalten. In der Frage der gesetzlichen 
Betriebsräte stimme er mittlerweile der Position des Genossen Reuß zu, dies sei 
»keine Prinzipien, sondern eine reine Zweckmäßigkeitsfrage.« In den Betrieben 
der Schwerindustrie sei die Beteiligung notwendig. Wenn nur einige Syndikali- 
sten in den Betrieben waren, hatten sie es nicht durchsetzen können, auf Betriebs- 
versammlungen zu reden. Säßen FAUD-Mitglieder aber im Betriebsrat, könnten 
sie mit »Broschüren, Zeitungen und anderem Agitationsmaterial oder durch 
Reden in Belegschaftsversammlungen den Einfluß der Gewerkschaftsbürokratie 
ganz unterbinden.(12) 

Auf dem Kongreß wurde zur Betriebsrätefrage eine Resolution 
angenommen, in der diese als nebensächlich für die Organisation bezeichnet 
wurden. Im Unterschied zum 14. Kongreß, wo die Beteiligung dem einzelnen 
Mitglied freigestellt wurde, sollte nun die Organisation vor Ort über die 
Zweckmäßigkeit entscheiden.(13) 

Die Orientierung des 15. Kongresses auf den gewerkschaftlichen Tageskampf 


137 


und die Herausbildung einer innerbetrieblichen Strategie war wesentlich für das 
Überleben der FAUD als Gewerkschaft bis 1933. Dadurch wurde, zwar im 
bescheidenen Maße, eine Basis im ökonomischen Bereich geschaffen. Gleich- 
wohl traten noch 1925 einige Ortsvereine vehement gegen die gesetzlichen 
Betriebsräte ein, so die Metallarbeiter in Wiesdorf und Düsseldorf.(14) Auf 
einer Konferenz der Bezirksarbeiterbörse Köln und Elberfeld sprach sich nur 
der Vohwinkeler Delegierte aus taktischen Gründen für eine Beteiligung aus. 
Die Konferenz erklärte: 
— In Anbetracht dessen, daß wir als Syndikalisten, die wir nicht lediglich eine 
Interessengemeinschaft sind, sondern in höherem Maße eine Ideengemeinschaft 
darstellen und somit unsere anzuwendende Taktik unter allen Umständen mit dem 
Prinzip und den Grundsätzen der Organisation in Einklang zu bringen haben, 
werten wir die Beteiligung an den Betriebsräten nicht nur als ein Verstoß, sondern 
als direkter Verrat an den Grundsätzen und Prinzipien des revolutionären 
Syndikalismus.(Herv. d.d.Verf.) Desweiteren wurde von den Gegnern der ge- 
setzlichen Betriebsräte erklärt, daß für sie in Fragen der Taktik, die mit dem Prinzip 
in direktem Widerspruch stehen, keine Toleranz am Platze sei.(15) 
Eine flexiblere Einstellung zu den gesetzlichen Betriebsräten setzte sich in der 
rheinischen FAUD als Ganzes erst Ende der zwanziger Jahre durch. Eine Kon- 
ferenz beschloß, allen Ortsgruppen die Beteiligung an den Betriebsratswahlen zu 
empfehlen, »um der FAUD mehr Einfluß unter den Belegschaften zu schaffen und 
das Rückgrat der Zentralverbände in den Betrieben zu brechen.«(16) 

Auch in der Frage der Tarifverträge war die FAUD gezwungen, Konzessionen 
an die herrschenden Verhältnisse zu machen. In zwei Berufsgruppen, bei den 
Fliesenlegern und Bandwebern, waren nach Streiks Verträge mit den Unterneh- 
mern abgeschlossen worden. In der Organisation hatte dies zu heftigen Debatten 
geführt. Von den Befürwortern der Verträge wurde argumentiert, »daß die 
Fliesenlegergenossen und einige Textilarbeitergruppen sich ihren Einfluß durch 
lange zähe Kämpfe errungen haben und um nicht umsonst gekämpft zu haben, 
daran gehen wollen ihre Arbeitsverträge selbst abzuschließen und zu regeln, um 
nicht durch ihre Gegner dessen beraubt zu werden, was sie sich erstritten haben.« 
Selbstverständlich sei, daß die FAUD nicht wie die Zentralverbände im Reichs- 
maßstabe Tarifverträge oder sonstiges, wie nach revolutionären Wirtschafts- 
kämpfen gestalten wolle, dies müßten die kämpfenden Arbeitergruppen selbst 
tun. Prinzipiell sei klar, daß die FAUD an Stelle des 

zentralverbändlerischen Tarifmonopolismus keinen syndikalistischen setzen wolle, 
und daß wir jeden Gedanken an eine Arbeitsgemeinschaft verwerfen und die 
reformistischen Organisationen allezeit und mit aller Kraft bekämpfen werden, daß 
wir für eine völlige Ausschaltung der Staatsbehörden aus der Regelung der Lohn- 
und Arbeitsbedingungen eintreten und wirken.(18) 
Ab 1927 versuchte die FAU auch die Vertretung ihrer Mitglieder vor dem 
Arbeitsgericht durchzusetzen. Vom Reichsarbeitsgericht wurde die FAUD nicht 


138 


er Syndikalist 


rgan der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (Anarcho-Syndikallstan) 


Angeschlossen der Internationalen Arbalter-Association 












„Dar Syndikallat", ‚Abonnamantsprsis 
g.eomeganga .m Ara .Emllkeir, dl. .ml.Angat 1914 Mr dl. .oge.cbloaeom Ger,nrkech.hm pro ecbbelllga Exam. 
each II09kdgern Bamboo verboten wind.), plat 0,10 Goldmark, dumb die Expedition vot.r Knuobmd 
„.Kbdot »de Wort. Annal Jonn.benda s S u moo.dich 0,60 Goldmark. Audsttd 0,60 Goldavh 


v and Expedition! s vr Eiuelezempier 0,15 Goldmark. 
brrftz Katar, Be In 0.34, Kapamlikueatr.20, 11 ’ 
y Telegramma: -:.JrudRAbr Bedin. 






Vi, Jahrgang — Nr. 17 


um 1. Mad 1925 


Weckruf! 

Dia Sagen Intl Erwed)en la Reihen, Kameraden! Ana Werk! Die Kinder od relm 

Drudr und Zwang und Steal! Die ihr die Arbeit Daft, Nat Brot und Bett nod Meld! 

Armen and Ihr S4wad)en, Mit der man eub belade,, — Ans Werk, ale zu befreien 
gesinnt end) Mut die Tat! . Werft von end) eure Last! Am ihrem Weh und Leid! 
Die 117r dem Herrn den Spaten fahrt, Werft ale, wohler ale fallen magi line Werk, 1!)r Manner and il)r Fronen! 
Die Hauser bent, das Feuer ad)Brt, — Sd)afft selbst end) enera Arbeitstags Den Bindern gilts die Welt an bauen! 
tehot O)r end) nicht no Brot und Land? Pfeift oaf des Herren Diemtgebotl Men sch, fahl' did) Meusd) und sei kelnBmd! 
Jeu eignen Spaten in die Handl Kitt 11)m — end) selb.t bock! euer Brot! Freil)elt auf freiem Aoergruodi 
tort mit der Feast', die end) band! Hitt 11)m — end) selbst »elft sus der Noti Dem Volk den Boden! Sot)lleft den Bunds 


Erich MOOam. 


R\ N 
a ER 


3 





139 


als tariffähige Organisation im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes angesehen, mit 
dem Verweis auf die prinzipielle Haltung der FAUD zum Tarifsystem. Einzelnen 
Ortsvereinen gelang es aber, durch Änderung ihrer Satzung anerkannt zu werden. 
Die Nichtanerkennung der Tariffähigkeit hatte für die FAUD noch weiter- 
gehende Konsequenzen. Dadurch war es gesetzlich möglich, von Organisationen 
der FAUD abgeschlossene Arbeitsverträge für ungültig zu erklären und damit 
gleichzeitig die Arbeitsnachweise, die bei den Töpfern, Fliesenlegern und teil- 
weisebei den Bauarbeitern durchgesetzt worden waren, außer Kraft zu setzen.(19) 
Die taktischen Konzessionen der FAUD waren das Eingeständnis, daß ihr 
Prinzip der »direkten Aktion« angesichts der zunehmenden Formalisierung und 
Institutionalisierung des industriellen Konfliktes in Form von Tarifverträgen, 
staatlichem Schlichtungssystem und Betriebsräte- und Arbeitsrecht und der 
Übermacht der gewerkschaftlichen Zentralverbände nicht realisierbar war, und 
daß die praktischen Auswirkungen der direkten Aktion, z.B. der Sabotage 
publizistisch nicht ausgewertet werden konnten, da sie durch gesetzliche 
Beschränkungillegalisiert war. Zwar war die direkte Aktion spontan aus 
Arbeiterkämpfen entstanden, wurde aber größtenteils massenhaft nur in 
revolutionären Phasen angewandt. 
Angesichts der realen Verhältnisse ab 1925 bot sie für das Gros der Arbeiter- 
schaft »zu wenig Sicherheit, zu großes Risiko, zu wenig Erfolg. Als Verhaltens- 
muster im innerbetrieblichen Alltag ließ es an Momenten jenes Pragmatismus 
fehlen, der sich vornehmlich an der eigenen Reproduktion orientierte. Im Grunde 
erhielt die direkte Aktion ein stark avantgardistisch bestimmtes Moment.«(20) 
Die Orientierung der FAUD auf reformistische Teilziele hatte eine organisa- 
torische Durchstrukturierung zur Folge. Auf dem 16. Kongreß wurde die »Pro- 
grammatische Grundlage« dahingehend verändert, daß bei der Gliederung nicht 
mehr von Berufen, sondern nur noch von Industrien gesprochen wurde. Die 
Bildung einer Industrieföderation wurde nicht mehr von einer Mindestzahl von 25 
Mitgliedern abhängig gemacht, sondern der Kräfteeinschätzung des Ortsvereins 
überlassen. Die Aufgaben der Industrieföderation wurden präziser gefaßt: 
Die Industrieföderationen erkunden in erster Linie mit Hilfe ihrer Geschäftskom- 
mission die in ihrer Industrie herrschenden Arbeitsmethoden, Arbeitszeiten und 
Lohnverhältnisse. Sie suchen zu ergründen die Art der Produktionsweise, die 
Bezugsquellen der Rohprodukte und deren Gewinnung, die Absatzgebiete der 
Fertig- und Halbfertigfabrikate usw. und suchen an Hand gemachter 
Erhebungenund Studien den Mitgliedern durch Wort und Schrift das nötige 
Wissen zu vermitteln, bei ihnen das Klassenbewußtsein zu fördern und 
gegebenenfalls die zweckentsprechende Kampfestaktik zu empfehlen.(21) 

Eine wesentliche Änderung wurde bei der Streikunterstützung beschlossen. Die 

Verteilung der Solidaritätsgelder wurde vollständig in die Hände der 

Arbeiterbörsen bzw. der Geschäftskommission gelegt. Dies wurde begründet: 

1) aus rein praktischen Erfahrungen, da nur 1/3 der Mitglieder Industriefö- 


140 


derationen angeschlossen waren und dadurch von den Föderations- 
Ge-schäftsleitungen bei Solidaritätsrufen nicht erreichbar wären. 
2) aus prinzipiellen Gründen wurde argumentiert, in der Solidaritätsbe- 
kundung liege auch ein »erzieherisches«, ein pädagogisches Moment. 
Die Ausübung der Solidarität solle in die Hand der Arbeiterbörsen 
gelegt werden, da diese das Mitglied nicht als Berufsangehörige, 
sondern als Klassengenosse erfasse. 
Die weltanschauliche Propaganda ist nach unserer Auffassung in der Hauptsache die 
Aufgabe der Arbeiterbörsen, die die Arbeiter allgemein als Klassengenossen 
zusanunenschweißt, während die mehr beruflichen und industriellen Fragen von den 
Industrieföderationen zu regeln und zu klären sind... Auch bei der Tätigkeit der 
Solidarität wollen wir mit unseicm Regulativ den Börsen die Aufgabe zuweisen, den 
Gedanken der Klass enzusammenfassung zu dokumentieren und in den Reihen 
unserer Mitgliederschaft immer weiter auszuweiten. Wir anerkennen den hohen 
erzieherischen Wert der Solidarität unter Klassengenossen.(22) 
Der Tagessatz der Streikunterstützung wurde vom fünffachen auf den dreiein- 
halbfachen Wochenbeitrag reduziert auf Grund des starken Lohngefälles inner- 
halb der Organisation. 
Es kann nicht angehen, daß die Streikunterstützung der einen Berufskategorie 
höher ist als der Lohn einer anderen. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß die 
minderbezahlten Arbeiter, deren Lohn in manchen Fällen nicht einmal die Höhe 
der an manchen Orten gezahlten Streikunterstützung erreichte, gezwungen 
waren, zu der Streikunterstützung noch von ihrem kargen Arbeitsverdienst durch 
Extrabeiträge beizusteuern. Eine solche Solidaritäts- und Unterstützungsregelung 
ist unsozial.(23) 
Gegen die neuen Solidaritätsregelung opponierte eine kleine Gruppe der Bauar- 
beiter, der auch die alte Geschäftsleitung angehörte. Diese Gruppe bildete nach 
dem Kongreß eine eigenständige Föderation und gab monatlich das Organ »Der 
syndikalistische Bauarbeiter« heraus.(24) Versuche der Einigung zwischen den 
nunmehr zwei Bauarbeiter-Föderationen scheiterten an der Nichtanerkennung der 
Solidaritätsregelung durch die Opposition, die den Beschluß als Eingriff in ihr 
Selbstbestimmungsrecht betrachteten. Zu der Opposition gehörten vor allem die 
Maler und Zimmerer, Berufsgruppen, »die stark von zünftlerischen und fachar- 
beiterlichen Leistungsidentifikationen«(25) geprägt waren. Die neue Solidaritäts- 
regelung hätte für sie eine partielle Zurückstellung ihrer Berufsegoismen zu 
Gunsten der Gesamtbewegung bedeutet. Von den rheinländischen Bauarbeiter- 
gruppen gehörten nur vereinzelt Mitglieder aus Krefeld und Duisburg der Oppo- 
sitionsgruppe an.(26) 

Die Beschlüsse über die organisatorische Strukturierung auf dem 16. Kongreß 
waren konsequent gekoppelt mit der Diskussion über die Rationalisierung der 
Wirtschaft, die 1926 in Deutschland begann. Gegenüber der »wirklichen Entwick- 
lung des Fließbandsystems und der Monopolisierung« wurde von anarcho- 


141 


syndikalistischer Seite festgestellt, war »die Berufsföderation überflüssig« 


gewor-den.(27) 


Der Anarcho-Syndikalismus teilte nicht den naiven Fortschrittsglauben der 
Gewerkschaften und marxistischen Parteien an die industrielle Entwicklung, den 
Michael Vester als »Dampfmarxismus« bezeichnet.(28) In der von Rudolf Rocker 


verfaßten Resolution über die Rationalisierung hieß es: 


Der Kongreß ist der Meinung, daß der Weg zum Sozialismus nicht lediglich 
durch eine stetig gesteigerte Ertragsfähigkeit der Produktion bedingt ist, sondern 
in erster Linie durch eine klare Erkenntnis der gesellschaftlichen Zustände und 
dem festen Willen zu konstruktivem, sozialistischem Handeln, die beide in dem 
Streben nach persönlicher Freiheit und sozialer Gerechtigkeit ihren geistigen 
Niederschlag finden. Der Sozialismus ist nicht bloß ein wirtschaftliches, sondern 
auch ein psychologisches und kulturelles Problem und erstrebt in diesem Sinne, 
den Menschen wieder geistig mit seinem Werke zu verbinden, indem er bestrebt 
ist, die Arbeit möglichst vielseitig und attraktiv für den einzelnen zu gestalten — 
ein Streben, das mit den Methoden der modernen Rationalisierung niemals zu 
vereinbaren ist.(29) 


Als Strategie gegen die zunehmende Monopolisierung und Rationalisierung 
schlug die FAUD erstens die Gründung internationaler revolutionärer 
Wirtschaftsorganisationen vor und zweitens den Kampf für den 6-Stunden- 
Tag, um der drohenden Arbeitslosigkeit zu begegnen.(30) 


Ergebnisse von Betriebsratswahlen 


Ein Indikator für den gewerkschaftlichen Einfluß der FAUD sind die 
Ergebnisse der Betriebsratswahlen. 


Bergbau — 
Wahlergebnisse der FAUD im Ruhrbergbau(31) 


1925 1926 197 1928 1929 1930 1931 


abgegebene 
Stimmen 9,9 7,9 6,0 5,5 3,2 4,3 1,4 
1T.inv.H. 
der Stimmen 3,0 2,9 2,0 1,8 1,8 1,5 0,6 


142 
Metallindustrie — 
Anzahl der Betriebsräte der FAUD 
im Bezirk Essendes DMV(32) 


1925 196 1927 198 1929 1930 1931 


35 18 14 13 19 12 2 


Textilindustrie — 
Anzahl der Betriebsräte der FAUD im GAU Barmen 
des Deutschen Text darbe iter-Verbandes(33) 


1925 1926 1927 1928 1929 1930 
männlich 36 13 3 15 14 21 
weiblich 3 1 1 1 


Die Ergebnisse zeigen, daß die FAUD, wenn auch in geringem Maße bis in die 
30er Jahre eine betriebliche Basis hatte. Um selbständig Aktionen durchzuführen 
oder Arbeitskämpfe im anarcho-syndikalistischen S inne zu beeinflussen, war die 
Organisation nicht mehr stark genug. 

Wie die innerbetriebliche Arbeit praktisch aussah, Könnte an Hand von Fir- 
menarchiven beurteilt werden. Die Schwankungen in der Textilindustrie im 
Jahre 1927/28 waren wahrscheinlich auf die differierende Zahl der erfaßten 
Betriebe zurückzuführen und auf den Textilarbeiterstreik 1927 inKrefeld. In der 
Textilindustrie war es der FAUD gelungen, Frauen zu organisieren. Es ist davon 
auszugehen, daß die Weberin und Protagonistin der syndikalistischen Frauen- 
bünde im Rheinland Trautchen Caspers die einzige syndikalistische 
Betriebsrätin war. 

Die Wuppertaler FAUD stellte Anfang der 30er Jahre einen Betriebsrat, 
den Riemendreher Fritz Benner.(34) 

Für die Bauindustrie, in der die FAUD am stärksten verankert war, liegen 
keine Statistiken vor, wahrscheinlich auf Grund der kleinen Betriebsgrößen 
in dieser Branche. 

In drei Berufsgruppen war die FAUD stark genug, um selbständig Aktionen 
durchzuführen, bei den Fliesenlegern in Düsseldorf und bei den Bandwebern 
und Riemendrehern in Krefeld. 





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143 


144 
2. Die Düsseldorfer Fliesenleger 


Die Düsseldorfer Fliesenleger waren schon vor dem 1. Weltkrieg mehrheitlich in 
der »Freien Vereinigung« organisiert. Die Organisation war 1901 unter maßgeb- 
licher Initiative Carl Windhoffs gegründet worden.(35) In der Agitationskom- 
mission Rheinland, die 1904 etabliert wurde, waren drei von sieben Mitgliedern 
Fliesenleger.(36) Auf Reichsebene waren 1906 achthundert Fliesenleger in der 
Freien Vereinigung organisiert.(37) Der Kampf derFliesenlegerorganisation war 
vor dem 1. Weltkrieg stark auf die Verkürzung der Arbeitszeit gerichtet: 
Undnichtdamitistunsere Aufgabeerfüllt, daß wir unseren Stundenlohn um 5 oder 10 
Pf. in jedem Jahr erhöhen, im übrigen aber stumpfsinnige Arbeitstiere bleiben, nein 
als Menschen müssen wiruns höhere Ziele stecken. Wir müssen bestrebt sein, 
teilzunehmen an allen Errungenschaften der Kultur, und müssen verstehen lernen, 
das Leben im edlen Sinne zu genießen. Kunst und Wissen soll nicht ein Privileg 
bleiben für eine kleine, besitzende Minderheit sondern die Arbeiterschaft muß daran 
ihre Rechte geltend machen, und ihren Teil davon beanspruchen. Und wird ihr dies 
dauernd vorenthalten, muß sie es sich erkämpfen. Um aber die Schönheiten der 
Kunst zu genießen und sich Wissen aneignen zu können bedürfen wir der Muße. 
Wer 10-12 Stunden täglich arbeitet, wird nicht mehr die Kraft und den Trieb in sich 
fühlen, sich geistig weiter zu bilden, und evtl. das nachzuholen, was der Klassen- 
staat mit seiner Jugend an ihm versäumt hat. Drum ist eine der Hauptpflichten 
unserer Organisation die Verkürzung der Arbeitszeit.(38) 
Die Arbeitszeit der Düsseldorfer betrug vor dem Kriege 8 1/2 Stunden, damit 
dürften sie eine Ausnahme gebildet haben innerhalb der gesamten Arbeiter- 
schaft.(39) Die Fliesenleger waren von jeher gegen langfristige Tarifverträge 
eingetreten. In der Revolutionsphase 1918/19 setzten sie einen Tarifvertrag mit 
24-ständiger Kündigungsfrist durch, auf Grund desssen sie von der Inflation 
weniger betroffen waren, als die anderen Arbeiterschichten.(40) 

Da die Löhne der Fliesenleger in Düsseldorf 30% höher lagen als in benach- 
barten Städten, wurden auf Düsseldorfer Baustellen häufig auswärtige Firmen 
angestellt. Die syndikalistischen Fliesenleger regten daher 1924 die Gründung einer 
Interessengemeinschaft aller organisierten Fliesenleger in Rheinland-Westfalen an, 
der sich fast alle Fliesenleger des Rhein-Ruhr-Gebietes anschlossen. In 
Düsseldorfbestand eine solche Interessengemeinschaft schon seit 1921.(41) 

Auf einer Konferenz 1925 wurde folgendes Regulativ für die Interessenge- 
meinschaft verabschiedet, das deutlich die Handschrift Carl Windhoffs trug: 

1. Die Fliesenleger des rheinländisch-westfälischen Industriebereichs schließen sich 
zu einer wirtschaftlichen Interessengemeinschaft föderativ zusammen unter Aus- 
schaltring aller Parteipolitik. 

2. Die organisatorische Selbständigkeit und Selbstverwaltung der einzelnen Orts- 


145 


gruppen bleibt bestehen. 

Jedem einzelnen Fliesenleger muß volle Organisationsfreiheit gewährt werden, 
das heißt, jeder Kollege schließt sich an diejenige Organisation an, die ihm 
seiner Überzeugung gemäß am besten zusagt. 

Der Zweck der Interessengemeinschaft ist: Die Hebung der sozialen und wirt- 
schaftlichen Lage der Fliesenleger. 

Dies soll erreicht werden: 

a) durch Errichtung von Arbeitsnachweisen in jedem Ort und für den 
ganzen Industriebezirk und Regelung des Lehrlingswesens. 

b) durch Ausschaltung unlauterer Elemente (Lohndrücker, Streikbrecher, 
Zwischenmeister) unter Anwendung geeigneter Maßnahmen und stän- 
diger gegenseitiger Information. 

c) durch Erziehung der Kollegen in allen Orten zur weitgehenden 
Solidarität (gegenseitige Hilfe) 

d) durch Anwendung wirtschaftlicher Kampfmittel, wie Streiks, Boykotts, 
passive Resistenz und so weiter. 

e) durch Haftbarmachung der einzelnen Unternehmer für die durch ihre 
Schuld verursachten Lohnausfälle bei Streiks und Sperren. 

f) durch moralische und wo notwendig auch materielle gegenseitige Unter- 
stützung bei Lohnbewegungen und Streiks 

g) durch Einwirkungen auf die Unternehmer und Plattenfabriken zwecks 
Lieferung nur guten Materials 

h) durch gegenseitige Belehrung, Abhaltung von Vorträgen, Stellung und 
Austausch von Rednerm, Lieferung geeigneter Flugblätter, 
Broschüren,Bücher und Zeitungen. 

i) durch Herausgabe eines periodisch (etwa 14-tägig) erscheinenden 
Mitteilungsblattes.(42) 


Die Unternehmer schlossen sich nach der Bildung der Interessengemeinschaft 
enger zusammen und versuchten 1926 nach der Kündigung des Tarifvertrages 
folgende Bedingungen durchzusetzen: 


1. 


2: 


3. 


Abschluß eines einheitlichen Bezirktarifes für das Rheinland und Lohn- 
verhandlungen nur mit der Spitzenorganisation des Unternehmerver- 
bundes. 

Lohnabbau von 30-40% und Abbau von Zulagen für Nachtarbeit, 
Sonntagsarbeit und auswärtige Arbeiten. 

Abbau der Ferien.(43) 


Die rheinländischen Fliesenleger traten in den Abwehrstreik und konnten 
durchsetzen, daß nur örtliche Tarife vereinbart wurden. Die Düsseldorfer 
Fliesenleger streikten 7 Wochen und es gelang ihnen als einzigem Verband, 
den Lohnabbau abzuwehren.(44) Von den rund 120 Düsseldorfer Fliesenlegern 
waren rund 90 syndikalistisch organisiert. Fliesenlegergruppen hatte die FAUD 
ebenfalls in Essen, Mönchengladbach und Krefeld.(45) 

Die Interessengemeinsdchaft wurde energisch und in vielen Fällen auch durch 


146 


denunziatorische Angriffe auf Carl Windhoff von der Gewerkschaftsbürokratie 
bekämpft. Um wieder Einfluß auf die Fliesenleger zu gewinnen, zahlten sie in 
Düsseldorf 45.-Mark pro Woche Streikunterstützung, in Elberfeld-Barmen und 
Köln hingegen nur zwischen 12.- bis 23.-Mark.(46) 

Der solidarische Geist der Düsseldorfer kam besonders zum Ausdruck, als 
sie mit der beginnenden Arbeitslosigkeit 1929/30 einen Tarifvertrag 
durchsetzten, der die Fünftage-Woche und die abwechselnde Beschäftigung der 
Erwerbslosen vorsah. Weil der Tarifvertag von den Unternehmern nicht 
eingehalten wurde, streikten sie noch im Herbst 1932 sieben Wochen.(47) 

Die Stundenlöhne der Fliesenleger waren im Vergleich zum Durchschnitt 
extrem hoch.(48) 

1925: Durchschnittslohn 65,9 Mark; Fliesenleger 150 Mark 

1928: Durchschnittslohn 109,2 Mark; Fliesenleger 180 Mark 
Bei den Zahlen muß noch berücksichtigt werden, daß die Fliesenleger im Akkord 
arbeiteten und dadurch die Löhne noch höher waren.(49) In Streiks wandten die 
Düsseldorfer Fliesenleger verschärft die »direkte Aktion« an. Wurden Streik- 
brecher auf den Baustellen eingesetzt, kam es entweder vor Ort zu direkten 
Konfrontationen oder nachts wurden die Fliesen abgeschlagen. 

Wir hatten immer so einen kleinen Fäustel dabei, den mußte man immer am 

Schnittpunkt von vier Fliesen treffen, dann waren mit einem Schlag gleich vier 

kaputt.(50) 
Die Anwendung solcher Kampfformen setzte natürlich ein unbedingtes 
Vertrauen in der Berufsgruppe voraus. Dies wurde durch folgende 
Bedingungen ermöglicht: 

1. Die Fliesenleger hatten einen Arbeitsnachweis und bestimmten 
dadurch über Einstellung und Entlassungen.(51) 

2. Die Fliesenleger mußten für die Ausbildung ihrer Lehrlinge (meist eigene 
Kinder) selbst aufkommen, wodurch sie eine doppelte Kontrolle ausübten, 
nämlich zum einen über die Einstellung der zukünftigen Gesellen, und 
zum anderen über die Anzahl und über die Gesinnung.(52) 

3. Die Düsseldorfer Fliesenleger entfalteten eigene kulturelle Aktivitäten. 
Am 1. Mai unternahmen sie zusammen mit ihren Familien, die Kinder 
wurden an diesem Tag nicht in die Schule geschickt, gemeinsame Aus- 
flüge und Feiern. Ein Fliesenleger erinnerte sich an einen Maiausflug, wo 
Erwachsene und Kinder schwarze Fähnchen mit weißem zerbrochenen 
Gewehr trugen.(53) 

4. Das Fliesenlegen setzt eine hohe Geschicklichkeit voraus, die nicht für 
jeden erlernbar ist; durch das besondere Ausbildungssystem war 
gesichert,daß die zukünftigen Gesellen den Arbeitsanforderungen 
entsprachen. Die Fliesenleger waren nach Lohn und Bewußtsein, die 
»Elite« der Bauarbeiter. 


147 
Die Krefelder Textilarbeiter 


In Krefeld hatte die FAUD in zwei Berufsgruppen die Mehrheit, bei den Namen- 
bandwebern und den Riemendrehern. Schon vor dem 1. Weltkrieg war die Hälfte 
der Krefelder Bandweber in der »Freien Vereinigung« organisiert. Nach dem 
Kriege verloren sie zunächst ein wenig an Einfluß auf Grund ihrer Ablehnung des 
Tarifsystems und der gesetzlichen Betriebsräte.(54)Die FAUD hatte ab 1927 
wieder einen starken Einfluß bei den Bandwebern, nachdem der Deutsche 
Textilarbeiterverband in einem Tarifvertrag über die Einführung des 3-4 Stuhl- 
systems zugestimmt hatte und somit einer verschärften Ausbeutung der Textil- 
arbeiter. Bis dato hatten die Bandweber nur 2 Stühle gleichzeitig bedient. Ähnlich 
wie die Fliesenleger gründeten die syndikalistisch organisierten Bandweber eine 
Interessengemeinschaft um tarifberechtigt zu werden.(55) 
Am 3. Januar traten sie in einen Streik mit folgenden Forderungen: 

1.keine Einführung des 3-4 Stuhlsystems 

2.Die 48-Stundenwoche 

3.20% Lohnerhöhung/Garantielohn und 14 Tage Ferien 

4.Anerkennung des von der Interessengemeinschaftgeschaffenen Arbeits- 

nachweises.(56) 
Der Streik dauerte 18 Wochen und endete mit einem Sieg der Arbeiter. In dem 
langen Arbeitskampf hatten die Bandweber nicht nur gegen das vereinte Unter- 
nehmertum zu kämpfen, sondern standen unter massivem Druck der Gewerk- 
schaftsbürokratie und der Öffentlichkeit. Die sozialdemokratische »Freie 
Presse« druckte Inserate der Unternehmer ab, in welchem zum S treikbruch 
aufgefordert wurde.(57) 

Der Textilarbeiter-Verband unterstützte die Anwerbung von Erwerbslosen in 
Barmen, die als Streikbrecher eingesetzt wurden. Den Barmer Erwerbslosen 
wurde mit der Streichung der Unterstützung gedroht, falls sie nicht die Arbeit 
annähmen.(58) 

Die Riemendreher in Krefeld hatten ebenfalls eine Interessengemeinschaft 
gegründet und waren Anfang Januar 1927 wegen Lohnerhöhung und der Aner- 
kennung eines Arbeitsnachweises in den Streik getreten. Ihr Kampf endete mit 
einer Niederlage; 60 Streikende wurden gemaßregelt.(59) Der Kampf der Rie- 
mendreherblieb erfolglos, weil in diesem Beruf Arbeitswillige leichter angelernt 
werden konnten und die Streikbrecherarbeit nicht verhindert werden konnte. Wie 
bei den Bandwebern wurden auch hier vom Textilarbeiterverband die Streik- 
brecher offen unterstützt. Die Bandweber galten wie die Fliesenleger bei den 
Bauarbeitern, als »Elite« der Textilarbeiter. Sie hatten innerhalb ihrer Berufs- 
gruppe einen starken Zusammenhalt.(60) 

Der Erfolg des Streiks war aber nicht zuletzt auf die große Unterstützung durch 


148 


die gesamte Organisation der FAUD zurückzuführen, die über 30.000 Mark 
spendete.(61) 


3. Zur Agitation der FAUD im Rheinland 


Trotz der Orientierung auf konkrete Gewerkschaftsarbeit war ein Großteil der 
Aktivitäten der FAUD auf die Agitation ihrer Ideen gerichtet. Besonders in 
kleinen Ortsvereinen, die keinen gewerkschaftlichen Einfluß hatten, war die 
FAUD eine reine Ideengemeinschaft. In seinem grundsätzlichen Referat »Die 
Stagnation in der syndikalistischen Bewegung und deren Überwindung« auf dem 
18. Kongreß der FAUD kritisierte Augustin Souchy die zu starke Betonung der 
öffentlichen Agitation: 
Im Verhältnis zu ihrer Zahl treibt die FAUD sicherlich mehr mündliche Agitation 
durch Wanderredner als andere Organisationen der Arbeiterbewegung. Dies soll 
keineswegs verworfen werden, denn man kann nie zu viel tun. Doch öffentliche 
Reden und Versammlungen genügen nicht. Für eine reine Ideenbewegung würde 
diese Art der Werbung zureichend sein; für eine wirtschaftliche Kampforganisation 
aber sind öffentliche Versammlungen nurein Zubehör. Die Haupttätigkeit muß auf 
dem Gebiet der Organisation entfaltet werden. Wollen wir die Reihen unserer 
Organisation stärken, dann müssen wir in Zukunft mehr Organisation als Agitation 
ins Land schicken.(62) 

Die Agitation im Rheinland wurde von der 1924 gegründeten Provinzial-Arbeiter- 
Börse (PAB) Rheinland organisiert. 1926 wurde ein Regulativ beschlossen, daß 
neben der Agitation die Regelung der Solidarität und organisatorischer Fragen als 
Aufgabengebiet für die PAB vorsah.(63) Die PAB hatte zunächst ihren Sitz in 
Mülheim, ab 1926 in Düsseldorf(64) und ab 1929 in Krefeld.(65) Die PAB hatte 
eine Geschäftsleitung, bestehend aus: 

1.dem Obmann 

2.dem Kassierer und 

3.dem Schriftführer. 
Obmänner der PAB waren der Bauarbeiter Heinrich Melzer (Mühlheim), die 
Metallarbeiter Johann Gerlach (Düsseldorf) und Tümmers (Krefeld). Für das Jahr 
1925 liegen Daten über die Tätigkeit der PAB vor. Sie stellte demnach fiir:(66) 


— öffentliche 
Versammlungen: 66 Referenten 

— Mitgliederversamml 
ungen: 8 Referenten 
—-Belegschaftsversammlungen: 15 Referenten 
—-Erwerbslosenversammlungen: 6 Referenten 

— Vorträge: 11 


Referenten 
Dazu kamen noch die Veranstaltungen der Ortsvereine und Börsen mit eigenen 


Referenten. Regelmäßig wurden Veranstaltungen und Demonstrationen durch- 
geführt, zum 1. Mai, zu Antimilitarismus und Klassenjustiz. Vor allem die 


149 


15 Pfennig 
DicB ore iu„iderArbei/erh/ctter vt 


In Walkatneräreseile 






Organ dEr Freien Arbeiter--UNION Deutschlands (Anereho.syndik.11eten) 
Angeschloeeen an die Internationale Arbeiter.A.eazl.tlon 








B .n .enef* er. _ .ere..e. 
.rb 
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1\.. Jahrgang Berlin. den 23. April 1927 





Auf zur Maidemonsfrafion 1927! 








1 i :] rarbidcheiide, Gentime: Yb. 
Dem Proletariat zum 1. Mai. |de side 1 eibea Ihe, bawie ‚en 


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150 


Solidaritätskampagne für die Freilassung der in den USA unschuldig zum Tode 
verurteilten Anarchisten Sacco und Vanzetti wurde von der FAUD unterstützt.(67) 





Unser Photo zeigt einen Demonstrationswagen der 
Berliner FAUD mit Augustin Souchy 


Die FAUD nahm natürlich zu aktuellen Fragen im anarcho-syndikalistischen 
Sinne Stellung, so zum Volksentscheid gegen die Fürstenabfindung. Ausdrück- 
lich wurde auf einer Konferenz der PAB darauf hingewiesen, »daß der Volks- 
entscheid kein parlamentarischer Akt, sondern eine Willenskundgebung des 
Volkes zu einer bestimmten Sache sei.«(68) 
Ein Beweis für die rührige Agitation der kleinen Organisationen war die 
Tatsache, daß sie während der großen Metallarbeiteraussperrung 1929 alleine im 
Bereich der Kreisbörse linker Niederrhein 23 Metallarbeiter-Versammlungen und 
im gesamten Börsengebiet über 300.000 Flugblätter verteilten.(69) 
Ab 1929 propagierte die FAUD verstärkt die Einführung des 6-Stunden- 
Tages zur Behebung der Massenarbeitslosigkeit: 
Die Ortsgruppen der gesamten Freien Arbeiter-Union jetzt mit der Propagierung 
der Arbeitszeitverkürzung einsetzen... Die Bewegung soll an einem bestimmten 
Tage ihren Höhepunkt erreichen. Wir haben dann zu sehen, wie die Parteien und 
Gewerkschaften sich zu dieser Frage stellen. Wird dies auch keinen unmittelbaren 
Erfolg haben, so wird es uns einen moralischen Erfolg sichern und der Anarcho- 
Syndikalismus wird einen größeren Aufschwung nehmen.(70) 

Der letzte Satz war das Eingeständnis, daß die FAUD zu diesem Zeitpunkt 

keinen entscheidenden Einfluß mehrauf das wirtschaftliche und politische 

Geschehen nehmen konnte. 


151 
Landagitation im Westerwald 


In den Jahren 1929/30 unternahm die FAUD Versuche zur Organisierung der 
Kleinbauern im Westerwald. In Kuchhausen-Leuscheid im Westerwald war 
Ende der 20er Jahre eine Ortsgruppe der FAUD von dem aus Köln 
zugezogenen Anarcho-Syndikalist Schulder gegründet worden,(71) die sechs 
Mitglieder hatte.(72) 

In Verbindung mit dem Kölner Ortsverein unternahmen Hans Schmitz und 
Trautchen Caspers im Sommer eine Agitationstour in den Westerwald. Die erste 
Versammlung fand am 31.8. in Herchen (Sieg) statt und war gut besucht, trotz 
der kurzfristigen Umdisponierung des Versammlungslokals; der Wirt in Herchen 
hatte den ursprünglich zugesagten Saal nicht mehr zur Verfügung gestellt, so daß 
die Versammlung im Saal des Bahnhofslokals stattfand, der20 Minuten vom Dorf 
entfernt war. Auf der Versammlung sprachen Hans Schmitz (Elberfeld) über 
»Staat. Kapitalismus und Gemeinde«, Trautchen Caspers (Süchteln) über die 
Ausbeutung der Frau in Industrie und Landwirtschaft und Schulder über die 
Gemeindepolitik in der Bürgermeisterei Herchen. In der Veranstaltung waren 
auch Stahlhelm-Mitglieder und Nazis. Daß die Veranstaltung dennoch fast 
ungestört verlaufen konnte, führten die Anarcho-Syndikalisten a) auf die Kölner 
Jugendgruppe zurück, die wie üblich ihre Brotmesser am Gürtel trug, was einen 
Versammlungsteilnehmer zu folgender Frage animierte: »Wenn die Syndika- 
listen doch Kriegsgegner sind, wie kommt es, daß eure Jugend dann mit Dolchen 
und Revolvern herumläuft.«(73) b) auf die Redebegabung von Hans Schmitz, der 
anscheinend auf die Anwesenden einen großen Eindruck machte: 

Wiederum setzten die 100 %-Nationalen mit höhnischen Zwischenrufen ein und 
glaubten, damit den Genossen Schulder aus dem Konzept zu bringen. Hatten wir 
nun mit einer stürmischen Diskussion gerechnet, so begnügten sich diese Helden 
mit bescheidenen Anfragen. Denn sich mit dem Genossen Schmitz in eine 
sachliche Diskussion einzulassen, war ihnen doch zu gefährlich, kennt er doch das 
Landproblem aus eigener Erfahrung; war er doch auf dem Dorf als Landbewohner 
geboren und hatte als Knecht bei den Bauern gearbeitet. Zudem kennt er den 
Landraub des Fürsten zu Wied an den Kleinbauern auf dem Westerwald aus dem 
40-jährigen Kampf dieser Bauern gegen Fürsten aus vielen Schilderungen dieser 
Landsleute.(74) 
Die zweite Veranstaltung fand am nächsten Tage in dem 10 km entfernten Dorfe 
Leuscheid statt. Die Anarcho-Syndikalisten waren vorher demonstrativ durch die 
umliegenden Dörfer mit Musik der Kölner Jugendgruppe und dem Singen ihrer 
Kampflieder gezogen. Die Veranstaltung war wiederum gut besucht und die 
anwesenden Anarcho-Syndikalisten glaubten feststellen zu können, »daß diese 
Kleinbauern mehr die Staatsbehörden hassen als das Industrieproletariat.«(75) 
Und der Genosse Schmitz unternahm es in seinem Vortrag, den Bauern den 


152 


Schmarotzer Staat in ihrer nächsten Umgebung an ihrem eigenen Leibe bis in 
die höchsten Spitzen des Staates klar zu machen. Man konnte feststellen: Was 
die Bauern instinktiv fühlen, wurde ihnen eindeutig klar, indem der Referent die 
Raubund Gewaltgrundbesitzer und Kapitalisten in ihrem ganzen Wesen und 
Zweck drastisch vor Augen führte.(76) 
Bei den anwesenden Bauern soll die Rede auf Zustimmung gestoßen sein und 
ebenso das energische Auftreten von Hans Schmitz gegenüber zwei 
Gendarmen, die sich als Schutz für die Versammlung angeboten hatten. 
Genosse Schmitz sagte ihnen, daß sie nichts zu suchen hätten, daß wir auf ihren 
Schutz verzichteten und sie, um die Versammlung nicht zu stören, den Saal zu 
verlassen hätten, was sie dann auch unter dem ironischen Lächeln der 
Kleinbauern taten.(77) 
Ihre Erfahrungen aus der Landagitation brachten H. Schmitz und T. Caspers in 
der PAB ein. In der Organisation wäre man sich über die grundsätzliche 
Behandlung der Landfrage noch nicht einig, sie würde aber zu sehr vom Niveau 
der Großgrundbesitzer und besitzlosen Landarbeiter beurteilt. Die Klein- und 
Mittelbauern gehörten aber auch zur ausgebeuteten Klasse und lebten teilweise 
unter dem Niveau der Industriearbeiter. Für diese Bauern müßte eine 
Landföderation gegründet werden. Mittels Autos und Fahrrädern müßten 
Sonntags Agitations-fahrten unternommen werden. Vornehmlich sollten die 
Bauern und Landarbeiter in Gegensatz »zum Staat « und ihren »Ausbeutern« 
gebracht werden, auf antireligiöse Propaganda sollte verzichtet werden. Diese 
Taktik zeigt, daß Schmitz die Mentalität der Bauern kannte. Auf seinen 
Vorschlag wurde von der PAB folgende Resolution verabschiedet: 


Syndikalismus und Landproblem! 


In Erwägung dessen, daß der Syndikalismus nicht allein Organisation des industriellen 
Proletariats sein kann, sondern vielmehr die revolutionäre Gewerkschaftsorganisation 
der industriellen wie landwirtschaftlichen Produzenten ist und somit die Aufgabe des 
Syndi-kalismus sein muß, die Ausgebeuteten in der Industrie sowohl wie auf dem Lande 
zu organisieren; in weiterer Erwägung, daß die soziale Revolution und der freiheitliche 
Sozialismus ohne die Lösung der Landfrage nicht möglich ist, machen es sich die 
Ortsgruppen, Orts- und Kreisbörsen der PAB Rheinland zur Aufgabe, sich mit der 
Landpropaganda und der Organisation zu beschäftigen. Die erstere Aufgabe, die für den 
Syndikalismus darin besteht, die besitzlosen Landproletarier zu organisieren, tritt auf 
Grund wirtschaftlicher Verhältnisse innerhalb des Bereiches der PAB Rheinland fast 
nicht in Erscheinung, weil es Großgrundbesitz in der Provinz Rheinland fast nicht gibt; 
so kommtfür die Tätigkeit der PAB in Frage die Agitation und Organisation unter den 
Klein- und Mittelbauem. 

Wenn der Syndikalismus auch das Privateigentum an Grund und Boden ablehnt und im 
Monopol des Besitzes sowie im Monopol der Macht (Staat) die wesentlichen Ursachen 
menschlicher Sklaverei und Ausbeutung erkennt, so gehören die Klein- und Mittelbauern 


153 


trotz ihres landwirtschaftlichen Eigenbetriebs zur Klasse der Ausgebeuteten. Monopol- 
besitzer an Grund und Boden, Hypothekengläubiger, Industriemagnaten und der Staat 
mit seinen Steuereintreibungsbehörden sind die Feinde und Ausbeuter dieser Schicht der 
landwirtschaftlichen Bevölkerung. 

Die Klein- und Mittelbauem gehören zur Klasse der Ausgebeuteten; und somit macht es 
sich die PAB Rheinland zur Aufgabe, mittels der Propaganda in Wort und Schrift diese 
Landleute für die Ideen de Syndikalismus zu gewinnen. Die PAB Rheinland schlägt deshalb 
vor, die Schaffung einer Landarbeiter und Bauernföderation im Rahmen der FAUD in 
Erwägung zu ziehen und auf ihrem nächsten Kongreß mit auf die Tagesordnung zu setzen 
und zu behandeln. Bis zu dieser Zeit wird es Aufgabe der Orts-, Kreis- und Provinzbörsen 
im Lande sein, zu dem Landproblem Stellung zu nehmen und ihre Stellungnahme und 
Vorschläge zur Bildung der Landföderation dem Kongreß zu unterbreiten. 


Vorschlag der PAB Rheinland zum Namen, Zweck und den Aufgaben einer 
Landföderation 

1. Die Föderation der Landarbeiter und Bauern 

2. Die Föderation hat den Zweck, die Landarbeiter und Bauern geistig aufzuklären, 
um sie für die Ideen des Syndikalismus zu gewinnen und zu organisieren. 

3. Die Aufgabe der Landföderation muß eine zweifache sein, um die Interessen dieser 
Schichten der landwirtschaftlichen Bevölkerung wahrnehmen zu können, einerseits 
eine gewerkschaftliche und andererseits eine genossenschaftliche. Die 
gewerkschaftliche Tätigkeit wird vornehmlich darin bestehen, bessere Arbeits-und 
Lohnbedingungen sowie kulturelle Lebensmöglichkeiten für die Landarbeiter zu 
erkämpfen und die Expropriation des Großgrundbesitzes durch die Landarbeiter zu 
propagieren sowie die genossenschaftliche Bewirtschaftung der großen Güter 
planmäßig vorzubereiten. Die Klein- und Mittelbauern werden sich außer ihrer 
genossenschaftlichen Tätigkeit mit den gewerkschaftlichen Kampfmitteln vertraut 
machen müssen, um sie gegebenfalls gegen die Pacht- und Hypothekengläubiger 
sowie gegen den Steuerraub des Staates anzuwenden. Durch die genossenschaftliche 
Tätigkeit muß in der Gegenwart bereits der private Handel ausgeschaltet und der 
Einkauf undTausch von Industrie- und Landproduktion organisatorisch vorbereitet 
werden.(78) 

Von der PAB wurden im Jahre 1930 zehntausend Flugblätter mit dem Titel 
»Landvolk aufgewacht« für die Landagitation herausgebracht.(79) Hans 
Schmitz war auf einer weiteren Agitationsreise in Leuscheid von den Nazis 
schwer mißhandelt worden.(80) 

Insgesamt gelang es der FAUD nicht, Kleinbauern für ihre Organisation zu 
gewinnen. NachAussagen eines Leuscheider Bürgers waren in der FAUD nur 
Arbeiter organisiert, die in den benachbarten Gruben und im Walzwerk in Wirges 
arbeiteten, wo ebenfalls eine Gruppe der FAUD existierte. Er erinnerte sich, daß die 
Leuscheider Gruppe des öfteren Veranstaltungen organisierte und mit der 
schwarzen Fahne voran durch die Dörfer marschierte.(81)Dennoch erscheint der 
Bericht über die vollen Versammlungsäle und die Zustimmung der Bauern zu den 
Referenten glaubhaft, denn: 


154 


1. Versammlungen dieser Art gehörten in Leuscheid nicht zum kulturellen 
Alltag und waren eine gelungene Abwechslung für die Bauern. 

2. Hans Schmitz war ein fesselnder Redner; auf Grund seiner Herkunft aus 
der Eifel kannte er die Mentalität der Kleinbauern und war rhetorisch in der 
Lage sich darauf einzustellen. 

3. bei der Landbevölkerung existierte meist eine instinktive Abneigung 
gegen den Staat, der ihnen in Form von Gendarmerie und Steuerbehörden 
entgegentrat. Die anerkannte Autorität in den Dörfern war meist nicht der 
Staat sondern der Pfarrer. 


Die FAUD in Wuppertal 


Die FAUD in Elberfeld-Barmen hatte seit 1925 keinen nennenswerten Einfluß in 
den Betrieben mehr und nahm den Charakter einer reinen Ideengemeinschaft an. 
Zwar wurde 1928 auf Initiative von Hans Schmitz kurzfristig eine Bauarbeiter- 
Föderation ins Leben gerufen, die aber höchstens 10 Mitglieder hatte. Schmitz war 
der Leiter der Informationsstelle der Bauarbeiter-Föderation in Rheinland- 
Westfalen.(82) Der Rückgang der Bewegung in Wuppertal war wahrscheinlich 
zurückzuführen auf die starke Reduzierung der Belegschaft der Firma Jäger und 
die rigorose Haltung der FAUD-Elberfeld-Barmen in prinzipiellen Fragen. Mitte 
1924, nachdem die FAUD schon einen großen Teil ihrer Mitglieder verloren hatte, 
schrieb der Barmer Anarcho-Syndikalist Kocherscheidt: 


...Mit diesem starken Zustrom an Mitgliedern tauchten aber auch gleichzeitig die 
verschiedensten Meinungen und Gedankengänge innerhalb unserer Organisation 
auf, welche wiederum unter den größten Reibereien und Auseinandersetzungen mit 
Naturnotwendigkeit zu dem Gärungs- und Klärungsprozeß führen mußten, in 
welchem sich unsere Organisation heute befindet. Aus diesem Klärungsprozeß wird 
abernicht nur die Organisation als solche, sondernvor allem die hohe Idee des 
Anarcho-Syndikalismus rein und geläutert hervorgegehen. Gegenüber diesem zwar 
auf den ersten Blick wahrnehmbaren Erfolg bedeutet der durch besondere 
Umstände durch militärischen und zivilen Ausnahmezustand mit all seinen Folgen, 
Organisationsverboten, Verfolgung und Verurteilung der bes ten Propagandisten, 
sowie auch durch die Geldinflation hervorgerufene Mitgliederschwund rein gar 
nichts... Gewiß müssen wir uns dem Zeitgeist anpassen. Dies bedeutet aber nicht, 
dem Herdengeist der breiten Masse Rechnung zu tragen und in den schlimmsten 
Opportunismus zu verfallen, sondern den gemachten Erfahrungen gemäß in 
pädagogisch, erzieherischer Weise auf die Masse einzuwirken.(83) 
Aus dieser Haltung geht hervor, daß der FAU-Elberfeld-Barmen nur die Mit- 
glieder verblieben, die der Bewegung stark ideel verbunden waren. Daß die FAU 
aber nicht auf einen Diskutierclub gesellschaftskritischer Arbeiter beschränkt 
blieb, verdankte sie vor allem den agitatorischen Fähigkeiten von Hans Schmitz, 


155 


der unermüdlich auf eigenen wie auf gegnerischen Versammlungen die Idee 
des Anarcho-Syndikalismus vertrat. Schmitz war 1926 Mitglied des 
Erwerbslosen-rates in Elberfeld, der vorwiegend kommunistisch orientiert 
war.(84) Er wurde von den ehemaligen Mitgliedern der syndikalistisch- 
anarchistischen Jugend (SAJD) Wuppertals folgendermaßen charakterisiert: 
Wenn der gesprochen hat, der ganze Körper, der ganze Mensch hat gesprochen. 
Dem glaubte man, was er sagte und er glaubte selber dran. Er strahlte aus, das 
konnte die Massen mobilisieren.(85) 
Oder. 
Hans Schmitz konnte sogar alleine auf jeder KPD-Versammlung reden. Er war zu 
bekannt als Sozialist, die hätten's mit den eigenen Genossen zu tun gekriegt, 
wenn sie ihn zurecht wiesen.(86) 
Ein ehemaliges Aachener Mitglied der FAUD: 
Ein Typ, der fesseln konnte in öffentlichen Veranstaltungen, mehr als im internen 
Kreise der Organisation; in einer kommunistischen Versammlung in Aachen 
gelang es ihm, die Zuhörer auf seine Seite zuziehen, was normalerweise für 
Gegner der KPD nicht möglich war.(87) 
Daß Schmitz natürlich nicht bei den kommunistischen Funktionären, sondern nur 
bei kommunistischen Arbeitern Sympathien hatte, zeigt auch ein Artikel aus dem 
Jahre 1926: 
Rote und grüne Polizei in heiliger Allianz 


Am 26.9. veranstaltete der Rote Frontkämpferbund Elberfeld einen Roten Tag. 80.000 
»Soldaten der Revolution« sollten an diesem Tage die Kapitalisten und Staatsschmarotzer 
in Angst und Schrecken versetzen. Schon flüsterten sich die Arbeiter ins Ohr. »Am Sonntag 
geht's los! « Als wir Syndikalisten den Arbeitern sagten, daß derRummel nichts weiter sei als 
ein Fackel-und Paradezug mit Pauken und Trompeten, wollte man uns nicht recht glauben. 
Doch die Tatsachen sprachen für uns. Es wurde mit Fackeln, Pauken und Trompeten durch 
die Straßen gewackelt, zum Gaudium der Reaktion. Keinem Ausbeuter noch Henker des 
Proletariats wurde ein Haar gekrümmt. Die grüne und rote Tscheka arbeiteten brüderlich zus 
ammen, um die Syndikalis ten dem Polizeibüttel auszuliefern. Bei der Morgenveranstaltung 
auf demNeumarkt stand der Genosse H. Schmitz mit einem Haufen Arbeitern zusammen und 
diskutierte mit ihnen die Fragen der Leibeigenschaft und der modernen Lohnsklaverei. Mit 
moskowitischer Disziplin rückte daraufhin der Vorsitzende W. Düsselmann mit einem 
Haufen wildgewordener Frontkämpfer heran, rannte Schmitz und die übrigen Arbeiter über 
den Haufen. Als sich die Arbeiter über solche gemeine Lumperei der roten »Front« Kämpfer 
empörten und ihnen ob ihres Gebarens manche bittere Wahrheit sagten, kam die Schupo 
dazwischen. Nun erklärte Düsselmann, der »rote Polizeioffizier«, daß Genosse H. Schmitz 
ein Provokateur sei und die Veranstaltung der roten »Front«Kämpfer sprengen wollte. 
Daraufhin wurde Schmitz von der von den roten Frontkämpfern herbeigeholten Schupo 
verhaftet. Ob dieser gemeinen Schurkerei der »Kommunisten« gingen eine Anzahl Arbeiter 
zum Polizeipräsidium und traten energisch für die Freilassung unseres Genossen ein. Nur 
diesem Akt der Solidarität ist es zu verdanken, daß Genosse Schmitz freigelassen wurde. 
Genosse Schmitz ist als Agitator 


156 


unserer Bewegung ein von den »Kommunisten« am meisten gehaßter Arbeiter, der ihnen 
manch bittere Wahrheit ins Gesicht schleudert. An Geist arm, doch in der Gemeinheit groß, 
provozierte die Moskauhorde eine Schuftigkeit, um den Genossen Schmitz hinter Schloß 
und Riegel zu bringen. Das ist die ruhmvolle Tat der »Soldaten der Revolution« vom 
»Roten Tag« in Elberfeld. Moskau mag beruhigt sein, die Moskowiter sind ihrem Ziel, der 
Weltrevolution, wieder einen Schritt näher gekommen. Macht nur so weiter ihr Moskauer 
Regierungsagenten! Die Arbeiterschaft wird eure Judasrolle bald erkannt haben. 
Stromer(88) 

Der FAUD gelang es, wenn auch in geringem Maße, durch ihre Agitation neue 
Mitglieder zu gewinnen, so im Jahre 1927/28 die Brüder Willi und Fritz 
Benner, die nach dem Tode von Hans Schmitz die Agitatoren der FAUD in 
Wuppertal waren.(89) 1929 bildete sich noch eine sehr rührige Gruppe der 
syndikalistisch-anarchistischen Jugend in Wuppertal. 

Im internen Kreis der FAUD war eine andere Person, der Schneidermeister 
Johann Baptist (Hermann) Steinacker für den Weiterbestand der Organisation 
bedeutend. Steinacker, der schon vor dem 1. Weltkriege Mitglied anarchistischer 
und syndikalistischer Organisationen war, wirkte weniger als Versammlungsred- 
ner als im internen Kreis. Seine Schneiderstube in der Paradestraße war ein 
informeller Treffpunkt der FAUD-Mitglieder. Steinacker saß auf dem Schnei- 
dertisch und unterhielt sich mit seinen zahlreichen Besuchern. Besonders für die 
Jugendlichen erfüllte er eine wichtige Funktion auf Grund seiner aufrechten 
Persönlichkeit, seiner langen politischen Erfahrung und seines Wissens.(90) 

In Zeiten der Stagnation und des Rückgangs sozialer Bewegungen wächst 
die Bedeutung von einzelnen Personen, die durch ihre ganze Persönlichkeit die 
nicht realisierten Ziele der Bewegung verkörpern. Sie stärken bei anderen die 
übriggebliebene Energie und den Mut, für die Ziele weiterzukämpfen. 
Steinacker und Schmitz waren jeder auf seine Art solche Persönlichkeiten. 
Rudolf Rocker charakterisierte diese Personen wie folgt: 

Es kommt stets darauf an, ob sich eine Idee im einzelnen Menschen als inneres 
Erleben auswirkt, das allen Handlungen seines Lebens geistig durchgeht, oder ob 
es sich um ein Lippenbekenntnis handelt, das in Schlagworten seinen Ausdruck 
findet, ohne das innere Wesen des Menschen zu befruchten.(91) 
Michael Vester bezeichnet diese Personen als strukturelle Avantgardisten »und 
doch gibt es wirkliche Helden, d.h. Menschen, denen ihr persönlicher Vorteil 
tatsächlich weniger wichtig ist. Sie entstehen in Situationen des Kampfes oder 
waren vorher so. Wenn auch die Mehrheit der Menschen in der alltäglichen Routine 
und Selbstbezogenheit aufgeht, so gab es schon immer eine Minderheit von 
nichtanpassungsfähigen: Anomische, Grübler, Abweichler, Träumer, Künstler, 
Rebellen — jede Gesellschaft bringt sie hervor als Preis für ihre Normalität. Ich 
nenne die historisch Weiterblickenden unter diesen Menschen strukturelle Avant- 
gardisten. Sie sind nicht selbsternannt, sondern von der Gesellschaft hervorge- 
bracht; und sie sind nach Schichten getrennt, d.h. ein autodidaktischer Arbeiter, 


157 


bei dem sich andere Rat und Hilfe holen, kann diese Rolle nur in seiner 
eigenen Schicht spielen... Avantgarden können aber nur akzeptiert werden, 
wenn sie Bestandteil der Kultur der breiten Masse bleiben — und sich nicht 
als Elite, Bürokratie usw. absondern und abdünkeln.«(92) 


Mitgliederentwicklung der PAB Rheinland 


Die Zahl der Ortsvereine und Mitglieder derFAUD ging von 1925 
kontinuierlich zurück. Auf Reichsebene hatte die Organisation: 


Jahr Ortsvereine Mitglieder 

1925 ca.400 ca. 25000 (93) 
1927 ca.300 (94) 
Anfang 1930 230 9584 (95) 
Ende 1930 6634 (96) 
1931 4000 (97) 
1932 ca. 3000 (98) 


Im Bereich der PAB Rheinland hatte die FAUD 1927 noch 58 Ortsvereine(99) mit 
ca. 2000-3000 Mitgliedern(100), Ende 1930 noch 46 Ortsvereine mit 1380 
Mitgliedern. Bis 1932 ging die Bewegung im Rheinland stark zurück. Auf dem 19. 
Kongreß derFAUD 1932 in Erfurt waren aus dem Bereich der PAB Rheinland nur 
noch Düsseldorf, Wuppertal und Remscheid, Aachen(101) und die Fliesenleger- 
gruppen aus Düsseldorf, Essen und Krefeld vertreten. Am stärksten wurde die 
Organisation durch die 1929 beginnende Massenarbeitslosigkeit geschwächt, 
wodurch viele Mitglieder von ihrem Arbeitslosengeld nichts mehr für die Orga- 
nisation erübrigen konnten. 

Anders als 1918/19 konnte sie nicht von der beginnenden Radikalisierung der 
Arbeiterschaft profitieren. Nicht die Räteverfassung und die Sozialisierung stan- 
den seit 1929 auf der Tagesordnung, sondern für viele der nackte Kampf ums 
Überleben. Als Gewerkschaftsorganisation bot die FAUD den Erwerbslosen 
kein Betätigungsfeld. Die Erwerbslosen organisierten sich in der KPD, die einen 
Erwerbslosenanteil von 78% (1931) und von 85% (1932) hatte.(102) Rudolf 
Rocker analysierte die gesellschaftliche Lage 1932 und die Arbeit der FAUD 
wie folgt: 

Ich komme überhaupt mehr und mehr zu der Überzeugung, daß es die Theorie nicht 
macht. Wo kein inneres Freiheitsbedürfnis vorhanden ist, da bringt die freieste 
Theorie nichts hinein. Die jungen Leute sind arbeitslos, erhalten vom Staat gerade 
genug, um nicht verhungern zu müssen. Dieses elende Betteldasein tötet jeden 
natürlichen Stolz, jedes wahre Freiheitsgefühl...Wenn man bedenkt, daß hier in 


158 


Deutschland dreiviertel der gesamten Bewegung gänzlich arbeitslos sind und 
unter den schwersten physischen und seelischen Depressionen zu leiden haben, 
so ist es geradezu ein Wunder, daß noch eine Wochenzeitung, eine Monatsrevue 
und andere Dinge erscheinen können, dazunoch große Versammlungen in allen 
Teilen des Landes abgehalten werden.(103) 


4. Die Anarcho-Syndikalisten im Kampf 
gegen den Faschismus 


Die FAUD begann etwa um 1930 eine intensive Propaganda gegen den Faschis- 
mus in Publikationen und öffentlichen Versammlungen. Auf dem 19. Kongreß 
1932 in Erfurt propagierten sie den Generalstreik im Falle einer nationalsozia- 
listischen Machtergreifung und den Boykott faschistischer Geschäftsleute und 
Ladeninhaber, »um den Kampf nicht allein auf die faschistische Bewegung oder 
auf die faschistische Betriebsorganisation zu beschränken, sondern auch auf die 
faschistischen Elemente des Mittelstands wirksam auszudehnen.«(104) 
Die Organisation war aber zu diesem Zeitpunkt zu schwach, um diese Forde- 
rungen wirksam in die Tat umzusetzen. Im Rheinland bildete sich 1931 eine 
»Arbeits- und Kampfgemeinschaft für revolutionären Anarcho-Syndikalismus«, 
der nach eigenen Angaben 10 Ortsvereine der PAB angeschlossen waren. Dem 
Aufruf der Kampfgemeinschaft wurde folgende Analyse vorangestellt: 
Die Arbeiterklasse, durch einen niemals gekannten Aderlaß auf wirtschaftlichem 
Gebiete fast restlos den Stempelstellen und Wohlfahrtsbehörden überantwortet, 
wartet auf ein höheres Glück und taumelt von einer Hoffnung und Ilusion zur 
anderen. Nicht daß die Reaktion allein Kreise erfaßt, auf die sie immer rechnen 
konnte, nein, ihre in alle Poren dringenden Bazillen im gesamten, gesellschaft- 
lichen Leben haben den noch vor Jahren ziemlich gesunden Geist der Arbeiter- 
klasse zersetzt und diese Hydra steckt siegesbewußt ihren Kopf, triumphierend 
über den Geist des gesunden Menschenverstandes und der Freiheit. Es scheint die 
Menschheit hat den Gedanken des Anarcho-Syndikalismus noch nicht begriffen 
und verkennt vollkommen, daß der Faschismus bei jedem einzelnen anfängt. Die 
Autorität, der Kadavergehorsam, das zentralistische Prinzip sind die Vorbedin- 
gungen der allgemeinen Faschisierung, auch wenn sie den Arbeiterorganisationen 
entstammen.(105) 

Bemerkenswert an diesen Ausführungen ist, daß der Faschismus nicht nur als 

einökonomisches und politisches Herrschaftssystem interpretiert wird, sondern 

auch die psychologischen Voraussetzungen miteinbezogen werden. 

Im Verlauf der Jahre 1931/32 führte die PAB Rheinland mehrere zentrale 
antifaschistische Demonstrationen im gesamtenBörsengebiet durch, zu denen sie 
durchschnittlich 400-500 Personen mobilisieren konnte.(106) Besonders aktiv im 
Kampf gegen den Faschismus waren die kleinen Wuppertaler Gruppen der 





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159 














Verlag und Expedition ErwerbsInsenrnt 
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Veranlworllich Ide den loball: 


Preis 10 Pig. 


Was eine Mutter leiden kann! 


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schalllicle und pulillache Aklionen 
und, wenn nitlglich, Generalstreik 
Sabotage und Boykott. 

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ihre-GBeseitigung. 


Massenelend und Erwerbslosig- 
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Probleme, welches schon jahrelang 
einer Losung harrt. Wer .sah Sie nie, 
die gramzerlurdden Geslallen, den 
Stempel des Elends und Leids Ini 
Gesielde, wer besuchte‘ Sie in ihren« 
Wohnungen,‘ un zu sehen, wie 


=|Lumpen und Hunger das da* sein 


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mil ihren him- und- 
lenden Auswirkungen. 
Und wenn das Proletariat elnalena 
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die un. 


160 


FAUD und SAID. 

In Wuppertal waren die Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten 
und Arbeiterorganisationen besonders heftig und forderten in Saal- und S traßen- 
schlachten viele Verletzte und Tote auf beiden Seiten.(107) 

In Elberfeld bestand schon seit 1923 eine starke Gruppe der NSDAP, von der 
aus die Organisierung der nationalsozialistischen Bewegung im Ruhrgebiet 
ausging, unter der Geschäftsführung von Josef Goebbels, der bis 1926 in 
Elberfeld blieb.(108) 

Obwohl die Arbeitslosigkeit in Wuppertal sehr hoch war, 1932 waren 
60.000 Arbeitslose registriert, konnte die NSDAP in Wuppertaler 
Arbeiterkreisen nicht Fuß fassen. Die traditionelle Verankerung der 
Arbeiterparteien spielte hierbei eine große Rolle.(109) 

Dem zunehmenden SA-Terror, der besonders von der SA-Kaserne in der 
Kniestraße (heute Haspelerstraße) in Unterbarmen ausging, wurde von der 
Arbeiterbevölkerung ein harter Widerstand entgegengesetzt. Bis 1933 wagte es 
die SA, nicht in die Arbeiterviertel einzumarschieren.(110)Zu einer Kundgebung 
Goebbels’ im Stadion während der Reichstagswahl 1932 wollte die SA eine 
Demonstration von Oberbarmen zum Stadion durchführen, die von den Arbeitern 
aber schon nach wenigen 100 Metern gestoppt wurde.(111) Während der Wahl- 
kampfes trat Hitler am 24.7. zum ersten Mal inWuppertal auf. Im Zooviertel 
wurde die S A aus Arbeiterhäusern mit Blumentöpfen und Steinen beworfen. 
(112) Die Nazis versuchten am 30.7.1932 eine Versammlung im Stadion mit 
dem soeben amtsenthobenen, sozialdemokratischen Berliner Polizeipräsidenten 
Ge-zesinski mitlränengasbomben zu sprengen.(113) Am Tage der 
Machtergreifung, am 30.1.1933, zogen die Antifaschisten mit Sprechchören und 
Protestparolen durch Barmen und Elberfeld. Die SA wagte sich erst am nächsten 
Tag aus ihren Kasernen zu einem Fackelzug durch Elberfeld. »Schüsse fielen aus 
dem Zug heraus und in ihn hinein, zwei Verletzte wurden auf Bahren 
davongetragen.«(114) Während dieses Fackelzugs überlegten sich vornehmlich 
jugendliche Anti-faschis ten eine originelle Kampfform. Da sie für eine offene 
Auseinandersetzung mit den Nazis zahlenmäßig zu schwach waren, drückten sie 
mehrere Male vom Rommelspütt in Elberfeld bis zur Luisenstraße am 
Straßenrand der SA zujubelnde Nazianhänger in den Fackelzug hinein, die 
daraufhin von der SA verprügelt wurden.(115) 

Die Wuppertaler Anarcho-Syndikalisten bildeten nach den sich häufenden 
Übergriffen der SA eine Selbstschutzgruppe, die »Schwarze Schar«. Bis Ende der 
20er Jahre war eine vorwiegend gewaltfreie Haltung in der Wuppertaler FAUD 
dominierend gewesen; sie scheuten sogar nicht die Diskussionen mit den Nazis. 
Hans Schmitz soll mehrere Tage hintereinander auf einer nationalsozialistischen 
Versammlung mit Goebbels diskutiert haben. Nachdem er und weitere Anarcho- 
Syndikalisten von der SA verprügelt wurden, war dies natürlich das Ende der 


161 


verbalen Auseinandersetzungen mit den Nazis. 

Die Gründung »Schwarzer Scharen« war in der FAUD sehr umstritten. Wie 
auch in Wuppertal ging die Bildung solcher Selbstschutzgruppen 
vormnehmlich von der SAJD aus. Schwarze Scharen gab es noch in Suhl, 
Kassel, Berlin und Ratibor.(116) 

Besonders die Uniformierung der Gruppen wie Reichsbanner und Rotfront- 
kämpferbund auf der einen Seite, SA und SS auf der anderen Seite stieß in der 
FAUD auf heftigen Widerspruch, weil »es zu einer Militarisierung unserer Jugend 
führen würde, wodurch unser jahrelanger Kampf gegen Militarisierung der Jugend 
zur Farce werde.«(117) 

Die Wuppertaler »Schwarze Schar« war ebenfalls uniformiert, schwarze Stiefel, 
Hemd und Hose; außerdem hatte die Gruppe noch eine Fahne mit der Aufschrift 
»Tod dem Faschismus« und ein vom FAUD-Mitglied Willi Benner verfaßtes 
Kampflied. Die Uniformierung war nicht einheitlich, da den Mitgliedern dazu die 
fianziellen Mittel fehlten. Im Rückblick wird die Uniformierung von den 
ehemaligen Mitgliedern sehr kritisch betrachtet. Der »Schwarzen Schar« gehörten 
20-25 Mitglieder an, der überwiegende Teil gehörte der SAJD an, dazu kamen 
noch jüngere Mitglieder der FAUD. Die Gruppe war bewaffnet (mehrere 
Revolver) und hatte auch einen Karabiner. Die Bewaffnung wurde von den älteren 
Genossen, wie Hermann Steinacker, abgelehnt.(118) 

Im Bereich derPAB Rheinland gab es nur in Wuppertal eine »Schwarze Schar«. 
Auf zentralen, antifaschistischen Demonstrationen ging die Gruppe mit der Fahne 
voran, dahinter eine Schalmeienkapelle der FAUD aus Duisburg, auch die einzige 
ihrer Art im Börsengebiet. 


Die in der Literatur vertretene Auffassung, die FAUD sei in Wuppertal am 
kommunistisch orientierten »Kampfbund gegen den Faschismus« beteiligt ge- 
wesen, trifft nicht zu.(119) Die FAUD bildete vielmehr 1932 zusammen mit der 
Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (S APD),(120) der 
kommunistischen Partei-Opposition (KPO) und den sogenannten »Partisanen«, 
einer Abspaltung des damals verbotenen Rotfrontkämpferbundes der KPD, eine 
»Kampfgemeinschaft gegen Faschismus und Reaktion«. Ziel dieser 
Kampfgemeinschaft war es »in der Periode der faschistischen Gefahr über 
Partei- und Organisationsschranken hinweg die proletarischen Klasseninteressen 
in den Vordergrund zu stel-len.«(122) 

Es war die Tragik der deutschen Arbeiterbewegung, daß fast ausschließlich die 
kleinen Gruppen realistische Einschätzungen der faschistischen Gefahr hatten. So 
schrieb im Jahre 1929 eine Anarcho-Syndikalistin im Syndikalist: 

Überlassen wir dochnicht wie bisher dem Klerus das Feld, der die Hirne der Frauen 
fesselt und knebelt, ihnen ein Nirwana vorgaukelt, um sie abzulenken von ihrem 
Elend! Denn gewinnen wir die Frau nicht als Kämpferin, so wird sie der Pfaffe als 
Mittel zum Zweck benutzen, auch den Mann vom Kampf um seine Befreiung 
abzuhalten. Schon ist das Konkordat fertig, es fehlt nur noch die gesetzliche 


162 


Sanktionierung. Und was dann noch übrig bleibt, erledigt der Faschismus, der 
wie das Raubtier auf dem Sprunge steht. Dann wird man uns hängen als Rebellen 
und Aufrührer, wenn die Zuchthäuser nicht langen, denn die Methode des 
Aushun-gems, wie heute, ist diesen Henkersknechten zu langweilig; man 
verhängt den Belagerungszustand und mordet nach Herzenslust. Das ist das 
Wetterleuchten der kommendenZeit.(123) 
Die stalinistische Politik der KPD(124)(Spaltung der Gewerkschaften durch den 
Aufbau einer Roten-Gewerkschaftsopposition, Sozialfaschismustheorie) und das 
Festhalten am Legalitätsprinzip von SPD und Gewerkschaften(125) gegenüber 
einem Gegner, der diese Spielregeln schon längst nicht mehr beachtete, verhin- 
derte eine Einigung der Arbeiterklasse, die als einzige gesellschaftliche Kraft den 
Nationalsozialismus hätte verhindern können. 

In diesem Zusammenhang istauch die Tatsache zu bewerten, daß der ADGB 
der Kampfgemeinschaft den schon zugesagten Saal im Gewerkschaftshaus 
wieder entzog mit der Erklärung: »Die Syndikalisten sind unsere schlimmsten 
Fein-de.«(126) 

Zu den Kommunisten hatte die FAUD offiziell ein sehr gespanntes Verhältnis 
in Wuppertal. Auf einer Versammlung wurde den Anarcho-Syndikalisten von 
einem Funktionär der KPD gesagt, daß sie die ersten wären, die nach der 
Revolution an die Wand gestellt würden. In einer Veranstaltung der FAUD mit 
dem russischen Anarchisten Lazarewitsch im Jahre 1932 mußten ein Saalschutz 
eingerichtet werden, da die Kommunisten die Störung der Veranstaltung ange- 
droht hatten. Gleichwohl kam es auf Stadtteilebene in Unterbarmen zu einer 
solidarischen Zusammenarbeit und freundschaftlichen Kontakten zwischen 
Kommunisten und Anarcho-Syndikalisten. Durch die nahegelegene SA-Kaserne 
in der Kniestraße war die Bedrohung des Lebenszusammenhangs der dort 
lebenden Arbeiterbevölkerung zu groß, als daß ideologische Differenzen noch eine 
Rolle gespielt hätten. Die Verteidigung des Stadtteils wurde von allen Strömungen 
der Arbeiterbewegung organisiert. Bei Verhinderungen von Zwangsräumungen 
bei Arbeitslosen-Familien wurde ebenfalls zusammengearbeitet. 

In diesem Zusammenhang sei noch auf die autobiographische Erzählung »Die 
Stadt im Tal«,(127) des Wuppertaler Kommunisten Werner Eggerath hingewie- 
sen, die atmosphärisch die Situation in Wuppertal im Jahre 1932 wiedergibt. Der 
Wert der Erzählung wird aber stark getrübt, durch die einseitige Glorifizierung der 
Politik der KPD.(128) 

Plünderungen in Elberfeld bezeichnet Eggerath in seinem Buch als Provokation 
der Anarchisten und Trotzkisten und diffamiert diese der Kollaboration mit der 
politischen Polizei.(129) 

Wir müssen den Trotzkisten und Anarchisten eine ganz gründliche Abfuhr erteilen. 
Jeder Arbeiter muß erkennen, daß es sich um Taten von Konterrevolutionärenhan- 
delt, die im Interesse der Imperialisten unsere Partei vernichten wollen. Jeder muß 
sehen, daß diese Bande die Positionen der Arbeiterklasse längstverlassen hat.(1 30) 


163 


Diese Form der Diffamierung von Anarchisten und »Trotzkisten« war 
durchaus üblich und nicht erwähnenswert. In diesem konkreten Fall muß aber 
bemerkt werden, daß Eggerath nicht von irgendwelchen abstrakten politischen 
Gegnern schrieb, sondern viele der Wuppertaler Anarcho-Syndikalisten 
persönlich sehr gut kannte und diese ihn oft bewaffnet als Schutz vor der SA 
vom Gewerkschaftshaus zu seiner Wohnung begleitet hatten. 

In Eggeraths Buch ist noch eine bewußte Geschichtsklitterung enthalten, die nicht 
unerwähnt bleiben sollte. Die Nazis hatten im Jahre 1932 von ihrer Kaserne in der 
Kniestraße einen Fesselballon gestartet, an dem eine riesige Hakenkreuzfahne 
hing.(131) Der Wuppertaler Altkommunist Willi Spicher spricht von einem roten 
Ballon mit weißem Hakenkreuz.(132) Eggerath und Spicher schreiben, daß der 
Abschuß der Ballons eine bewußte Aktion der KPD war. 

Nach Darstellung eines ehemaligen Mitgliedes der SAJD existierten auch zwei 
verschiedene Ballons. Der erste wurde u.a. von dem FAUD-Mitglied Fritz Millnat 
und dem Leiter des Kampfbundes in Unterbarmen Franz Mitulsky herunterge- 
schossen, vom Bismarck-Turm auf der Hardt aus. Es handelte sich aber nicht um 
eine bewußte Aktion der KPD sondern war eine spontane Aktion der Arbeiter über 
die Parteigrenzen hinweg. Der zweite Ballon war von selbst heruntergekommem 
und wurde, bevor die SA ihn in der Kaserne mit der Winde wieder hochziehen 
konnte von zwei Anarcho-S yndikalisten vom Fenster eines Hauses in Unterbar- 
men durchstochen. Das Material des Ballons diente nachher einigen Familien des 
Viertels als Bettunterlage und hatte damit eine angemessene Verwendung gefun- 
den. Wegen dieser Aktion unternahm die SA am selben Abend noch Übergriffe 
gegen die Bewohner des Viertels.(133) 

Die kämpferische Einstellung der Wuppertaler Anarcho-Syndikalisten 
kommt in einem Artikel Fritz Benners zum Ausdruck, den er unmittelbar 
vor der nationalsozialistischen Machtergreifung verfaßte: 

In den letzten Monaten hat das Proletariat Anfänge gemacht, die Parolen der 
Anarcho-Syndikalisten, wenn auch unbewußt, anzuwenden. Als vor einigen 
Monaten an dem berüchtigten Schwarzen Sonntag im Wuppertal die Faschisten wie 
überall den Versuch machten, die Arbeiterviertel zu erobern, stand das Proletariat in 
unerwarteter Einheitsfront zusammen. Proleten, die schon viele Jahre in der SPD 
oder im Reichsbanner waren, vergaßen plötzlich die Parolen ihrer Führer, sich nur 
ruhig auf die Staatsmacht zu verlassen. Sie trieben Schulter an Schulter mit 
Kommunisten und Syndikalisten die braune Pest zu Paaren. Und das in einer Stadt, 
wo die Nazis 110.000 Stimmen hatten, bedeutend mehr als SPD und KPD 
zusammen. Das war die Etappe, die manche SPD-und KPD-Proleten zum 
Nachdenken über die Stimmenzählerei brachte. Als dann von Papen mit seinem 
Ankurbelungsprogramm kam, versuchte die SPD ihre Anhänger nach alter, raf- 
finierter Manier durch ihre Volksbegehren vom direkten Kampfe abzuhalten. Kein 
Wort in ihrer Presse von Streik und Widerstand. Aber die Massen, die mehrere 
Lohnraubzüge fast kampflos hingenommen hatten, begriffen plötzlich, daß die 
Notverordnungen nur Gültigkeit haben, wenn sieals Arbeiter die Sache dulden. 


164 


Das Kabelwerk Ronsdorf wurde hier im Bezirk von den Unternehmern als 
Versuchskarnickel vorgeschickt. Sonnabends kam der Anschlag ans schwarze 
Brett. Montags ruhte der Betrieb. Nach fünftägigem Streik mußte die Firma die 
Forderungen der Streikenden restlos bewilligen. Bei den Arbeitern der anderen 
Betriebe brach ein wahres Streikfieber aus. Sie warteten bloß auf den Anschlag 
der Unternehmer, um die Buden stillzulegen. »Das hätten wir doch beim ersten 
Lohnabbau gleich machen sollen, anstatt auf Gewerkschaftsbonzen und Schlich- 
ter zu hören«, so sagten sie. 

Aber erfahren im Volksbetrug, wie Parteien und Gewerkschaften sind, tragen sie 
in letzter Zeit der Stimmung der Massen scheinbar Rechnung. Wenn bis vor 
kurzem ein Syndikalist auf einer Versammlung oder einer Konferenz das Wort 
ergiff und von Boykott sprach, wurde seine Forderung immer als »syndikalisti- 
scher Wahnsinn«hingestellt. In der Angst vor der Naziflut gaben die SPD und 
KPD auf einmal Klebezettel heraus mit dem Text: »Dieser Geschäftsmann ist 
ein Nazi, merkt es euch! « 

Auch unsere Parole des Mieterstreiks war bei den Kommunisten erst Wahnsinn, bis 
sie die Forderung von den Anarcho-Syndikalisten stehlen mußten, um die Massen 
beider Stange zuhalten. Vorkurzem versuchte man in Wuppertal, einen Gasboykott 
zu organisieren. Ganz syndikalistisch! Wir sehen also, daß die Ideen der Anarcho- 
Syndikalisten im Proletariat immer mehr um sich greifen. Daß sich das noch nicht 
organisiert auswirkt, liegtnatürlich zum Teil an der anerzogenen Denkfaulheit des 
deutschen Arbeiters. Aber zum größten Teil, und das soll hier mit aller Schärfe 
gesagt werden, liegt es an der LauheitmancherAnarcho-Syndikalisten. Wir haben in 
Deutschland Tausende, die auf unseremBoden stehen, aber aus den lächerlichsten 
Gründen der Organisation nicht mehr angehören. Mit den Anhängern der 
Organisationslosigkeit und ähnlichen Schwätzern brauchen wir uns ja 
glücklicherweise nicht mehr herumzustreiten. Aber es werden Dutzende andere 
Gründe vorgebracht. Wirhaben im Rheinland mehrere geistig arbeitende Genossen, 
die in verschiedenen Kultur-und Freidenkerorganisationen derart tätig sind, daß sie 
die Arbeit für ihre Organisation ganz vergessen haben. Zum Teil sind sie sogar 
ausgetreten. Ganze Ortsgruppen sind dadurch aufgelöst worden. Begreifen diese 
Genossen denn nicht, daß man die eigene Organisation erst recht stärken muß, wenn 
man in anderen Organisationen dafür werben will? 

Andere Genossen sind zum Teil schon vor Jahren wegen kleinlicher persönlicher 
Differenzen ausgetreten, agitieren eifrig fürden Syndikalismus,verkaufenZeitungen 
auf eigene Faust und wundem sich, daß sie keine Erfolge haben. Aber wie kann ich 
einen ehrlich denkenden Arbeiter für die Organisation gewinnen, wenn ich 
zugeben muß, daß ich der Organisation selbstnicht angehöre? Wir haben in letzter 
Zeit im Rheinland Fälle erlebt, daß Genossen, die mehreren Organisationen 
angehörten und uns den Rücken gekehrt haben, weil sie angeblich die Beiträge 
nicht mehr aufbringen konnten, in erster Linie von uns Solidarität verlangten, 
wenn sie auf Grund ihrer Tätigkeit für irgendeine Organisation mit der Justiz in 
Konflikt gerieten. 

Die Genossen müssen einsehen, daß Freidenker- und Kulturorganisationen wohl 
wertvolle Bestandteile im Klassenkampf sind, daß aber die Gewerkschaft die 


165 


entscheidende Organisation ist. Nur der org anisierte Anarcho-Syndikalismus 
kann die notwendigen Kämpfe, wie Massenstreik und Boykott vorbereiten. Nur 
die ökonomische Organisation ist imstande, am Tage der sozialen Revolution 
die Produktion und Konsumption zu organisieren. Darum, Genossen, schließt 
die Reihen! Es lebe der Anarcho-Syndikalismus!(134) 


166 


1) 
2) 
3) 
4) 
5) 
6) 
7) 


8) 
9) 
10) 
11) 


12) 
13) 
14) 
15) 
16) 
17) 
18) 
19) 


20) 
21) 


22) 
23) 


24) 


Anmerkungen Kapitel IV 


Die beiden Artikel von Reuß, in: Der Syndikalist, Jg.7 (1925), Nr.3 und 15 
ebenda 

ebenda 

ebenda 

Der Syndikalist, Jg.9 (1927), Nr.4 

ebenda 

Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 15. Kongresses der FAUD 1925, 
S.36-48 

ebenda, S.40 

ebenda, S.54-60 

ebenda, S.55 

ebenda. An anderer Stelle kritisierte Metz hart die reinen Anarchisten in der 
FAUD: »Einzelne Ortsgruppen sind überhaupt nichts anderes als eine Vereinigung 
sozial denkender Philantropen, die da glauben, durch ihrer Diskussionsabende den 
harten, realen Tatsachen des proletarischen Klassenkampfes aus dem Wege gehen 
zu können... Was nützt es uns, wenn wir eine Gruppe von Gesellschaftskritikem 
bleiben und keinen Resonanzboden bei der Arbeiterschaft finden.« (Der Syndi- 
kalist, Jg.7 (1925), Nr.9) 

ebenda, S.56 

ebenda, S.75 

Der Syndikalist, Jg.7 (1925), Nr.7 

Der Syndikalist, Jg.7 (1925), Nr.9 

Der Syndikalist, 4.11 (1929), Nr.9 

Der Syndikalist, Jg.10 (1928), Nr.41 

Der Syndikalist, Jg.10 (1928), Nr.44 

Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 18. Kongresses der FAUD 1930, B 
erlin 1930,5.70/71 

Vogel, Angela: Der deutsche Anarcho-Syndikalismus, S.290 

Vgl. Protokoll der Verhandlungen des 16. Kongresses der FAUD 1927, Berlin 
1927, S.35 

ebenda, S.40 

ebenda, S.42; 1930 schwankten die Beiträge der FAUD zwischen 0,60 und 2.- 
Mark wöchentlich; vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 18. Kongresses 
der FAUD, S.73 

»Der syndikalistische Bauarbeiter« erschien ab 1925 zweiwöchentlich als Organ 
der Bauarbeiter-Föderation der FAUD. Nach der Abspaltung wurde von beiden 
Gruppen die Zeitung mit gleichem Namen herausgegeben. Monatlich erschienen 
die Organe der Metall- und Holzarbeiterföderation, »Der Holzindustriearbeiter« 
und »DerMetallindustriearbeiter«, unregelmäßig erschien »Die Schiffspost«, das 
Organ des Verbandes der Binnenschiffer. Das»Mitteilungsblatt der Interessen- 
gemeinschaft aller organisierten Fliesenleger in Rheinland-Westfalen« war zwar 


25) 
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nicht offiziell syndikalistisch, aber FAUD-Mitglieder arbeiteten federführend 
mit (vgl. Der Syndikalist, Jg.11 (1929), Nr.27). Die Organe der Industrie- 
Föderation waren inhaltlich stark berufsbezogen. 

Vogel, Angela: Der deutsche Anarcho-Syndikalismus, S.214 

Der Syndikalist, Jg.8 (1926), Nr.40 

Gleichwohl behielten einzelne Berufsgruppen wie Fliesenleger eine organisato- 
rische Selbständigkeit. Zur neuen Gliederung führte Windhoff auf dem 16. 
Kongreß aus. »Die Berufsorganisation ist außerordentlich notwendig... Ich habe 
gar nichts dagegen, daß wir Fliesenleger mit den übrigen Bauberufen zusammen 
eine Organisation bilden, aber für die einzelnen Berufe muß dann großeBewe- 
gungsfreiheit geschaffen werden. Der Syndikalist, Jg.8 (1926), Nr.40 

Vgl. Vester, Michael: Proletariat und neue soziale Bewegung, in: Grottian, Peter, 
Nelles, Wilfried (Hg.): Großstaat und neue soziale Bewegung, Basel 1983, S.14 
Protokoll über die Verhandlungen des 16. Kongresses der FAUD 1927, S.59. Das 
vollständige Referat Rockers wurde unter dem Titel: »Die Rationalisierung der 
Wirtschaft und die Arbeiterklasse« als Broschüre von der FAUD herausgegeben. 
ebenda 

Tabelle zitiertnach: Martiny, Martin: Arbeiterbewegung an Rhein und Ruhr. 
Vom Scheitern der Räte- und Sozialisierungsbewegung bis zum Ende der 
letzten parlamentarischen Regierung der Weimarer Republik, S.253 

Zu den Zahlen,vgl. Der deutsche Metallarbeiterverband. Jahr- und 
Handbücher für Verbandsmitglieder 1925-193, Stuttgart 1926-1932 

Zu den Zahlen: Jahrbücher des deutschen Textilarbeiter-Verbandes 1926-1930 
Berlin 1926-1931 

Interview mit August Benner (Wuppertal) 

Der Syndikalist, Jg.10 (1928), Nr.1 

VGI. HSTAD, Reg. D., Pol. Akten, Nr. 15986 

Vgl. Protokoll über die Verhandlungen der 5. Konferenz der freien Vereinigung 
der Fliesenleger Deutschlands 1906 in B armen-Elberfeld, Berlin 1907, S.6 
ebenda 

Der Syndikalist, Jg.8 (1926), Nr.15 

ebenda 

Der Syndikalist, Jg.7 (1925), Nr.17 

Der Syndikalist, Jg.7 (1925), Nr.43 

Der Syndikalist, Jg.8 (1926), Nr.15 

ebenda 

Vgl. die Delegiertenliste im Protokoll über die Verhandlungen des 16. Kongresses 
der FAUD 

Windhoff waren vor dem 1. Weltkrieg mehrmals Angebote gemacht worden 
sowohl besoldeter Funktionär der SPD und der Gewerkschaften zu werden, die 
er immer ablehnte. Seitdem war er die Zielscheibe denunziatorischer Kritik der 
Gewerkschaftspresse. 1927 wurde von deren Seite über Windhoffgeschrieben: 
»Dieser Mensch beweist schon seit Jahrzehnten seine notorische Unfähigkeit; 
trotzdem läuft ihm immernoch ein Häuflein nach.« (Der Syndikalist, Jg.10 
(1928), Nr.1) 


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m) 
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Vgl. Der Syndikalist, Jg.13 (1931), Nr.20 und Der Arbeitslose, Organ der 
FAUD (AS), Jg.3, Nr.20. Vom Landesarbeitsamt wurde den Fliesenlegern 
die Erwerbs-losenregelung unter Strafandrohung verboten. 

Zahl für Fliesenleger nach Der Syndikalist, Jg.8 (1926), Nr.20 Vergleichszahlen 
zitiertnach: Castellan, Georges: Zur sozialen Bilanz der Prosperität 1924-1929, in: 
Momrmsen, Hans, Petzina, Dietmar, Weisbrod, Bernd (Hg.): Industrielles System 
und politische Entwicklung in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1974, 5.108 
1932 gab Windhoff in einem Artikel einen durchschnittlichen Wochenverdienst 
(44 Stunden) von 111,84 RM an. (vgl. Der Syndikalist, Jg.14 (1932), Nr.15). Die 
hohen Löhne der Fliesenleger führte Windhoff auf deren Kampfstrategie und 
Organisation zurück und so lange der »Lohn eines Fliesenlegers noch niedriger 
sei, wie der Lohn eines Ministers« seien sie und alle anderen Arbeiter »vollauf 
berechtigt Lohnforderungen zu stellen.« (Der syndikalistischeBauarbeiter, (1929), 
Nr.3) 

Interview mit E. Wüsthoff (Düsseldorf) 

Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 18. Kongresses der FAUD, S.65 
Interview mit E. Wüsthoff (Düsseldorf) 

ebenda 

Der Syndikalist, Jg.9 (1927), Nr.10 

ebenda 

ebenda 

ebenda 

Der Syndikalist, Jg.9 (1927), Nr.23 

Der Syndikalist, Jg.9 (1927), Nr.10 

Interview mit Helmut Kirschey 

Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 16. Kongresses der FAUD, S.29 
Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 18. Kongresses, S.60 

Der Syndikalist, Jg.8 (1926), Nr.32 

Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 16. Kongresses der FAUD 

Der Syndikalist, Jg.11(1929), Nr.9 

Der Syndikalist, Jg.8 (1926), Nr.12 

Schon 1921 hatte die FAUD in Düsseldorf eine große Protestversammlung zu 
Sacco und Vanzetti durchgefihrt, vgl. Die Schöpfung, Jg.1(1921/22), Nr.48 

Der Syndikalist, Jg.8 (1926), Nr.12 

Der Syndikalist, Jg.12 (1930), Nr.1 

Der Syndikalist, Jg.12 (1930), Nr.1 

Nach Mitteilung von Herrn Waltans (Leuscheid) 

Vgl. Bundesarchiv Koblenz, R 58, Nr. 321, Bl. 21 

Der Syndikalist, Jg.11(1929), Nr.42 

ebenda 

ebenda 

ebenda 

ebenda 

Der Syndikalist, Jg.12 (1930), Nr.2 

Der Syndikalist, Jg.12 (1930), Nr.25 





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Interview mit Hans Schmitz (jun.) 

Mitteilung von Herrn Waltens (Leuscheid) 

Der Syndikalist, Jg.10 (1928), Nr.12 

Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.26 

Vgl.HSTAD, Reg. D., Pol. Akten, Nr. 16841, Bl. 5 

Interview mit August Benner (Wuppertal) 

Interview mit Hans Schmitz (jun.) 

Interview mit Curt Moeller 

Der Syndikalist, Jg.8 (1926), Nr.46 

Interview mit August Benner 

Interviews mit den ehemaligen Mitgliedern der SAJD-Wuppertal 

Rocker, Rudolf: Aufsatzsammlung, Bd.1, S.63 

Vester, Michael: Proletariat und neue soziale Bewegungen, S.10/11 

Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 15. Kongresses der FAUD, S.19 

Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 16. Kongresses der FAUD, S.23 
ebenda, S.25 

Vgl. Bundesarchiv Koblenz, R 58, Nr.321, Bl. 24 

Wienand, Peter. Rudolf Rocker, S.338 

ebenda 

Vgl. Der Syndikalist, Jg.9 (1927), Nr.43 - Die Mitgliederzahl wurde an Hand 
erbrachter Solidaritätsleistungen geschätzt. 

Vgl. Bundesarchiv Koblenz, R 58, Nr.321, B1.21 

Vgl. Delegiertenliste des 19. Kongresses der FAUD, in: Bundesarchiv Koblenz, 
R 58, Nr. 318, Bl. 167-170 

Vgl. die Einleitung von Hermann Weber zu Flechtheim, Ossip K.: Die KPD in 
der Weimarer Republik, S.64 

Brief von Rudolf Rocker an Max Nettlau vom 24.3.1932, in: Nachlaß Nettlau, 
Briefwechsel Rocker-Nettlau, IISG Amsterdam. 

Der Syndikalist, Jg.14 (1932), Nr.14 

Der Syndikalist, Jg.13 (1931), Nr.14 

Interview mit August Benner 

Vgl. Klein, Ulrich: SA-Terrorund Bevölkerung in Wuppertal 1933/34, in: Peukert, 
Detlef, Reulecke, Jürgen (Hg.): Die Reihen fest geschlossen. Beiträge zur Ge- 
schichte des Alltags unter dem Nationalsozialismus, Wuppertal 1981, S.47 

Vgl. Marßolek, Inge: Arbeiterbewegung nach dem Kriege (1945-1948) Am 
Beispiel Remscheid, Solingen, Wuppertal, S.34 

ebenda, S.35 

Vgl. Werner, Gerhard: Aufmachen Gestapo, Über den Widerstand in Wuppertal 
1933-45, Wuppertal 1974, S.13 

Interview mit August Benner 

Interview mit G. Krüschedt 

Vgl. Werner, Gerhard: Aufmachen Gestapo, S.12 

ebenda 

Interview mit Hans Schmitz (jun.) 

Vgl. Linse, Ulrich: Die anarchistische und anarcho-syndikalistische 


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Jugendbewegung 1918-1933, Frankfurt 1976, S.96 und Der Syndikalist, Jg.13 
(1931), Nr.26 

ebenda, S.96 

Interviews mit Wuppertaler Anarcho-Syndikalisten. 

Vgl. Werner, Gerhard: Aufmachen Gestapo, S.12; Gerhard, Dirk: 
Antifaschisten. Proletarischer Widerstand 1933-1945, Berlin 1976, S.13 

Zur SAPD, vgl. Drechsler, Hanno: Die Sozialistische Arbeiterpartei 
Deutschlands, Hannover 1983 

Zur KPD, vgl. Tjaden, Karl-Heinz: Struktur und Funktion der KPD-Opposition 
(KPO). Eine organisationssoziologische Untersuchung zur »Rechts- 
Opposition« im deutschen Kommunismus zur Zeit der Weimarer Republik, 
Meisenheim am Glan 1964 

Der Syndikalist, Jg.14 (1932), Nr.14 

Der Syndikalist, Jg.11 (1929), Nr.14 

Zur Politik der KPD vor 1933, Flechtheim, Ossip K.: Die KPD in der 
Weimarer Republik 

Zur Politik der SPD und Gewerkschaften vor 1933, vgl. Matthias, Erich: Die 
Sozialdemokratische Partei Deutschlands, in: ders., Morsey, Rudolf (Hg.): Das 
Ende der Parteien, Düsseldorf 1960; Mommsen, Hans: Die deutschen 
Gewerkschaften zwischen Anpassung und Widerstand, in: Vetter, Heinz Oskar: 
Vom Sozialistengesetz zur Mitbestimmung, Festschrift zum 100. Geburtstag 
von Hans Böckler, S.275-303 

Der Syndikalist, Jg.14 (1932), Nr.14 

Eggerath, Werner: Die Stadt im Tal, Berlin (Ost) 1952 

Ein Beispiel für die Glorifizierung des stalinistischen Kurses der KPD: »Seht wir 
sind allen anderen Parteien haushoch überlegen. Nicht nur weil unsere Interessen 
die Interessen der überwiegenden Mehrheit unseres Volkes sind—weitmehr: weil 
unsere Politik eine wissenschaftliche Politik ist. Seht euch doch mal Stalin an, was 
er bisher beschrieben hat oder was er sagt. Es ist längst von der Geschichte als 
richtig bestätigt. (ebenda, S.181) 

Vgl. ebenda, S.139; Eggerath bezeichnete die erwähnte Gruppe »der 
Partisanen« als Trotzkisten. Treffpunkt dieser Gruppe war ein Lokal am 
Rommelspütt in Elberfeld, das einem Mitglied der Gruppe gehörte. 

ebenda, S.161 

ebenda, S.257 

In der Zelle zum Abgeordneten gewählt — Willi Spicher; nach Interviews und 
Gesprächen bearbeitet von Klaus Hammerstein, Wuppertal 1981, S.27 
Interview mit H.S. 

Vgl. Arbeiterecho, Jg.15 (1933), Nr.3 


171 


Kapitel V 


Der Widerstand gegen den 
Nationalsozialismus 


Auf dem 19. Kongreß der FAUD waren schon inoffizielle Pläne für die illegale 
Arbeit im Falle einer nationalsozialistischen Machtergreifung beschlossen wor- 
den.(1) 

Die Geschäftskommission der FAUD hatte aber wie die anderen Arbeiteror- 
ganisationen die Gefährlichkeit der Nazis unterschätzt. Schon Anfang März 
durchsuchte die Gestapo die Geschäftskommission, beschlagnahmte die Bestände 
des anarcho-syndikalistischen ASY-Verlages und das Gesamtarchiv der IAA. Die 
anwesenden Mitglieder der Geschäftskommission wurden verhaftet. (2) Nur 
soeben gelang es in Berlin, eine Adressenliste mit rund 700 Namen der Gestapo 
zuentziehen.(3)Dem Schriftführer der Geschäftskommission Dr. Gerhard 
Wartenberg gelang die Flucht nach Erfurt, wo er die Leitung der 
Geschäftskommission dem Schlosser Emil Zehner übergab; im Herbst 1933 trat an 
dessen Stelle der ehemalige Obmann der PAB Sachsen Ferdinand Götze, der sie 
nach seiner Flucht 1934 nach Holland dem Elektromonteur T. übergab, der sie 
seinerseits bis zu deren Auflösung im Jahre 1935 weiterführte.(4) 


1. Widerstand im Rheinland 


Im Rheinland übernahm der Duisburger Schlosser Julius Nolden die Koordina- 
tion der illegalen FAUD. Nolden war bis 1933 Kassierer der PAB Rheinland 
gewesen und kannte dadurch viele FAUD-Funktionäre. Durch seine 
Nebentätigkeit als Kassierer und Grabredner der deutschen 
»Feuerbestattungskasse« war es ihm möglich, getarnt Kontakte zu FAUD- 
Mitgliedern aufzunehmen.(5) Die Gestapo nahm ihn wegen des Verdachts der 
illegalen Arbeit am 19.4.1933 in Schutzhaft,ließ ihn aber wegen Mangels an 
Beweisen vier Tage später wieder frei.(6) 

Im Juni 1933 nahm ein Mitglied der illegalen Geschäftskommission 
Kontakte zu Nolden auf und besprach mit ihm die Organisation des 
Widerstandes und den Aufbau eines Fluchtweges nach Holland für gefährdete 
Organisationsmitglie-der.(7) 


112 
Fluchthilfeorganisation 


Schon auf dem 19. Kongreß der FAUD war ein Fluchtweg für gefährdete FAUD- 
Mitglieder von Duisburg über Viersen, Dülken und Kaldenkrichen ausersehen 
worden.(8) Nolden nahm Kontakt auf zu FAUD-Mitgliedern von denen sich 
Heinrich Hillebrandt für die Begleitung der Flüchtlinge nach Holland zur Ver- 
fügung stellte. Im April 1933 hatte Hillebrandt schon den erwähnten Wartenberg 
nach Holland gebracht, der dort über die Unterstützung der illegalen Arbeit mit der 
holländischen syndikalistischen Organisation konferierte.(9) Wartenberg wurde 
von Hillebrandt auch wieder zurückgebracht. Die Gestapo ermittelte ca. 10 
Personen, die über diesen Fluchtweg nach Holland gebracht worden waren;(10) die 
Dunkelziffer lag aber weitaus höher.(11) Selbst nach der Zerschlagung der illegalen 
Organisation 1937 wurden noch Anarcho-Syndikalisten von Frauen der 
Inhaftierten nach Holland gebracht.(12) 

Als Anlaufstelle für die Flüchtlinge fungierte Nolden in Duisburg, teilweise 
wandten sich die Flüchtlinge direkt an FAUD-Mitglieder in Dülken, soweit sie mit 
diesen schon vor 1933 bekannt waren.(13) Von der Aachener Gruppe der FAUD 
wurden ebenfalls ca. 80-100 Flüchtlinge bis 1940 über die Grenze nach Belgien 
und Holland gebracht. Dabei handelte es sich meist um Mitglieder der FAUD aus 
Süd- und Mitteldeutschland die auf Grund persönlicher Bekanntschaften die 
Kontaktadresse der Aachener kannten. Die Aachenerhatten aus Sicherheitsgründen 
keine feste Verbindung zu Nolden.(14) 

Unabhängig von der FAUD bestand in Aachen noch eine kleine anarchistische 
Gruppe um Simon Wehren, die ebenfalls eine Anzahl von Flüchtlingen nach 
Belgien und Holland brachte.(15) Eine Anlaufstelle dieser Gruppe war das 
FAUD-Mitglied Anton Rosinke aus Düsseldorf-Gerresheim.(17) 


Verteilung illegaler Schriften 


Über die gleiche Route, die die Flüchtlinge ins Ausland nahmen, gelangten auch 
die illegalen Schriften nach Deutschland. Der Holländer Albert de Jong, Leiter des 
»Antimilitaristischen Büros der TAA« in Amsterdam besuchte im August 1933 
Nolden. Sie vereinbarten, daß de Jong aus Amsterdam Pakete postlagernd nach 
Venlo schickte, wo sie von Hillebrandt aus Dülken abgeholt wurden, der sie zum 
Teil zwischen Mantel und Schlauch seiner Fahrradreifen nach Deutschland 
brachte.(18) Von Nolden wurden die Pakete abgeholt und im Keller eines FAUD- 
Mitglieds in Duisburg deponiert.(19) 
Die Verbreitung der Schriften wurde folgendermaßen vorgenommen: Inner- 


173 


halb von Duisburg und den Städten des Ruhrgebiets übernahmen Duisburger 
FAUD-Mitglieder die Verteilung.(20) Den Vertrieb in den rheinländischen S 
täd-ten übenahm Nolden, er belieferte im einzelnen auf seinen Fahrradtouren 
die Städte Köln, Düsseldorf, Wuppertal und Krefeld.(21) 

Die Verteilung für die Städte Mönchengladbach, Dülken und Viersen 
übernahm der Kurier Hillebrandt aus Dülken.(22) 

Die Kontaktmänner Noldens erhielten bei Broschüren 8-10 Exemplare, bei 
seltenen Broschüren 1-2 und bei Flugschriften, die in größerer Auflage eintrafen 
entsprechend mehr. Diese verteilten sie dann auf ähnlichem Wege weiter. Nach 
den konspirativen Regeln sollte jeder Leser sein Exemplar nach der Lektüre an 
einen anderen weitergeben und den Inhalt auch mündlich verbreiten.(23) 

War eine solche Schrift beim letzten zuverlässigen Genossen angelangt, so gab es 
für diesen laut Anweisungen zwei Möglichkeiten: Entweder vernichtete er die 
Schrift, oder aber — was wohl der Regelfall war — sie wurde mit einem kleinen 
»Lesegeld«, dessen Höhe sich nach den finanziellen Möglichkeiten der Leser 
richtete, auf dem selben Wege wieder ins Duisburger Depot zurückgeleitet. Dort 
wurden die stark zerlesenen Exemplare aussortiert und verbrannt; der Rest erneut 
gebündelt und an die noch nicht belieferten Ortsgruppen übergeben. Mit den 
Lesegeldern wurde zum einen die Fluchthilfe finanziert, zum anderen flossen 
siezur Unterstützung der Flüchtlinge nach Amsterdam.(24) 
Ab Anfang 1935 wurde die Belieferung mit Schriftenmaterial aus Amsterdam 
eingestellt. Vor der Gestapo wurde von den Anarcho-Syndikalisten angegeben, 
daß der Schmuggel von Schriften zugefährlich geworden wäre. Wahrscheinlich 
spielte aber die Resignation vieler Anarcho-Syndikalisten über die zunehmende 
Stabilisierung der Nazi-Herrschaft eine Rolle. Ein baldiger Sturz des Nazi- 
Regimes war 1935 nicht mehr zu erwarten. 

Im Rheinland wurden auf diesen Wegen neben rein anarcho-syndikalistischen 
Schriften auch sozialdemokratische Exil-Zeitschriften vertrieben.(26) Die am 
weitesten verbreitete Schrift war die getarnte Broschüre »Eßt deutsche Früchte 
und ihr bleibt gesund«, von der etwa 100 Exemplare Ende 1933 ins Rheinland 
gebracht wurden.(27) Die Broschüre enthält eine kurze Zusammenfassung der 
anarcho-syndikalistischen Ziele sowie einen Aufruf, sich im Widerstand zusam- 
menzuschließen. In einem Abschnitt hießt es: 

Wir Anarchosyndikalisten fordern: ...Radikale Abschaffung des Militarismus, 
weil der Militarismus nicht dem Leben dient, sondern dem Tode, 
weil der Militarismus den Menschen nicht adelt, sondern verdirbt, 
weil der Militarismus die Jugend nicht zu Menschen erzieht, sondern zu Sklaven 
macht, 
weil der Militarismus die Menschlichkeit mit Untergang bedroht 
Ordnung Wohlstand 
Frieden Freiheit 
Gleichheit Brüderlichkeit 


174 


Sind wir daher Verbrecher? Hat man das Recht, uns aus den Betrieben zu 
stoßen? Ins Gefängnis, Zuchthaus und Konzentrationslager zu sperren, daß man 
uns martert und unser Blut auf dem Schafott verspritzt? (28) 
Ab 1934 wurden von der Exil-Gruppe der FAUD in Amsterdam die Zeitschrift 
»Die Internationale — Neue Folge« und der Pressedienst der IAA herausgege- 
ben.(29) Die »Internationale« sollte vornehmlich als theoretisches Organ dienen 
für die illegal arbeitenden Anarcho-Syndikalisten. Unter dem Tarntitel »Deutsch- 
turn im Ausland — Blätter zur Pflege deutscher Art«(30) wurden fünf Nummern 
von 1934 bis 1935 ins deutsche Reich eingeschmuggelt. Von Nr.1 gelangten ca. 
20-30 Exemplare, von Nr.2 ca. 20, und von Nr.3 und 4, die als Sonderband 
erschien ca. 5 Exemplare ins Rheinland.(31) 
In Nr.2 dieser Zeitschrift wurden konkrete Anweisungen für die illegale 
Arbeit gegeben: 
Was der revolutionäre Arbeiter unterläßt — 
Er hofft nicht auf die Reaktion und den Krieg, er träumt nicht von der Revolution 
ohne Risiko, er lebt nicht von Phrasen. Er tritt niemals freiwillig in eine Nazi- 
Organisation ein. Er gibt keinen Pfenning für den Bettelsozialismus der Nazi- 
sammlungen. Er grüßt nicht die Mörderfahnen des nationalsozialistischen Regi- 
mes. Er trägt keine nationalsozialistischen und patriotischen Abzeichen. Er grüßt 
nicht mit Spalier bei Nazi-Aufmärschen. Er läßtsich nicht antreiben im Betrieb. Er 
schickt seine Kinder nicht in die nationalsozialistischen Jugendorganisationen. Er 
läßt seine Kinder nicht taufen und konfirmieren. Er tritt nicht wieder in die Kirche 
ein, wenn er einmal ausgetreten ist. Er abonniert keine Nazi-Zeitungen. Er übt 
keine nur negative Kritik an der Gestaltung der illegalen Arbeit. 


Und was er tut! 
Er organisiert sich illegal und zahlt pünktlich seine Beiträge. Er sagt bei jeder 
Gelegenheit: Der Nationalsozialismus ist Deutschlands Unglück. Er verbreitet die 
Erkenntnis »Die Befreiung der Arbeiterschaft kann nur das Werk der Arbeiter 
selbst sein«. Er liest aufmerksam seine illegale Zeitung, deren Inhalt er mündlich 
verbreitet und gibt sie weiter. Er kümmert sich um die Angelegenheiten seines 
Betriebes und seines Industriezweiges und bildet sich volkswirtschaftlich, um 
einmal in der Lage zu sein, an der Überahme des Betriebes durch die Arbeiter und 
an der sozialistischen Reorganisation der Güterverteilung aktiv teilnehmen zun 
können. Er kämpft für die Sache aller Arbeitenden, ohne für sich selbst Sonder- 
rechte oder Dank zu verlangen. Erübt Solidaritätund gegenseitige Hilfe und denkt 
zuletzt an sich, er ist bestrebt, ein Mensch zu sein.(32) 
Im Rheinland wurden mehrere Exemplare, davon 10 Stück in Wuppertal, eines 
Briefes des SA-Manns Kruse an Hindenburg verbreitet. In diesem Brief behauptet 
Kruse, daß Göring und Goebbels die Anstifter des Reichstagsbrandes wären und 
daß die SA in Zusammenarbeit mit van der Lubbe den Reichstag angezündet 
hätten. In dem Brief befinden sich noch weitere Details zur Ermordung Röhms. Im 
letzten Absatz des Briefes heißt es: 


175 


..Göring und Goebbels waren die Anstifter des Brandes, in ihrem Auftrage 
wurde alles getan. Goebbels wollte alles schonpropagandistisch ausschlachten, 
daß das Volk alles glaube und dann entsprechend stimme. Das ist die Wahrheit 
über alles. Verzeihen Sie mir, wenn es vielleiht etwas konfus herauskam, aber oft 
übernimmt mich die Aufregung und der Zorn und dann verliere ich den Faden. 
Gott ist mein Zeuge, daß ich hier die Wahrheit gesprochen habe. Ich werde jeder 
Zeit, und jeder Regierung stehen dafür, wenn man mich schützt vor den Mördern 
da draußen im lieben armen deutschen Reich. 
Mit tiefster Verehrung Ihr allzeit treuer deutscher Soldat und SA Mann a.D. 

E. Kruse 
Wir geben diesen Brief in genau dem gleichen, etwas holprigen Stil wieder, in 
dem er uns im Wortlaut vorliegt. 
Nach den neuesten Meldungen soll der SA Mann Kruse am B. September 1934 
auf Veranlassung der englischen Regierung vor dem Völkerbund nochmals 
vernommen werden.(34) 


Die Gruppe DAS 


Die meisten flüchtigen Anarcho-Syndikalisten emigrierten nach Spanien, wo sie 
von der einflußreichen anarcho-syndikalistisc hen Organisation der CNT und der 
JIAA unterstützt wurden.(35) Die in Amsterdam Verbliebenen gründeten Ende 
1933 mit tatkräftiger Unterstützung von Albert. de Jong eine Auslandsabteilung 
der FAUD in Amsterdam. Auf einer Konferenz 1934 wurde die Errichtung eines 
offiziellen Büros - unter dem Namen - »Zentralstelle der Deutschen Anarcho- 
Syndikalisten« beschlossen.(36) Der Gruppe gehörten 30-40 Personen an: 
Namentlich bekannt sind u.a.: Paul Brunn (Berlin), Georg Ackermann (Kassel), 
Gustl Doster (Darmstadt), Karl Löshaus (Köln), Karl Sieveck (Berlin) und Fritz 
Benner, Helmut Kirschey (Wuppertal).(37) 

Die Gruppe DAS stand in Verbindung mit der illegalen Geschäftskommission 
und weiteren Anarcho-Syndikalisten in Deutschland. Ab 1934 gab die Gruppe 
den »Deutschen Pressedienst der IJAA« und die Zeitung »Die Internationale«, 
Organ der deutschen Anarcho-Syndikalisten in Amsterdam heraus. Über Kuriere 
wurden diese Zeitungen 1934/35 nach Deutschland gebracht.(38) 

Eine weitere Aufgabe war die Versorgung der deutschen Flüchtlinge in Holland, 
die sich dort meist illegal bewegen mußten, da ihnen bei der Entdeckung durch die 
Polizei die Abschiebung nach Deutschland drohte. Die Emigranten erhielten ein 
kleines Taschengeld aus dem Solidaritätsfonds der ITAA und der holländischen 
Schwesterorganisation und wurden tageweise bei holländischen Genossen 
beköstigt.(39) Zu einer offiziellen Zusammenarbeit mit anderen Exil-Gruppen 
kam es nicht, jedoch wurde eine Wuppertaler Kommunistin, die Solidaritätsgelder 
holländischer Kommunisten für die im Ausland Aufsehen erregen- 


176 


den Wuppertaler Gewerkschaftsprozesse(40) 1936 in Amsterdam abholte, über den 
Dülkener Fluchtweg nach Deutschland gebracht. Diese Zusammenarbeit wurde 
durch die Bekanntschaft der Frau mit Helmut Kirschey und Fritz Benner 
ermöglicht. (41) 


2. Solidarität mit Spanien-Verhaftungen 


Die Einstelllung der Schriftenlieferungen aus Amsterdam führten zu einem 
Rückgang der Widerstandstätigkeit und der Kontakte zwischen den 
einzelnen Gruppen. Dennoch befand sich Nolden mit Gruppen in Duisburg, 
Köln und Wuppertal in Kontakt.(42) 

Der Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs 1936 verstärkte aber wieder die 
Widerstandstätigkeit. Von der ITAA und der DAS waren zwei Kuriere nach 
Deutschland geschickt worden, der schwedische Journalist Rudolf Berner, der 
über seine Erlebnisse in Deutschland einen Erlebnisbericht veröffentlichte(43) 
und der erwähnte Simon Wehren aus Aachen.(44) Wehren hatte den Auftrag, 
Techniker für die freiwilligen Brigaden in Barcelona anzuwerben und Geld 
zusammeln für die kämpfenden spanischen Anarcho-Syndikalisten.(45) Über 
Anton Rosinke aus Düsseldorf, der die Geldsammlungen organisierte,(46) bekam 
Wehren Kontakte zu der Gruppe Nolden, so u.a. auch zu August Benner und 
Hermann Steinacker in Wuppertal,(47) denen er aus Spanien berichtete. 

Doch zu dieser Zeit schloß sich schon der Ring der Gestapo um die Gruppe 
Nolden. In Mönchen-Gladbach war es der Gestapo gelungen, einen Spitzel in 
einen Widerstandskreis einzuschleusen. Dieser Kreis bestand nicht nur aus 
Anarcho-Syndikalisten, sondern auch aus Mitgliedern der KPD und KPO.(48) 
Hinweise auf diese Gruppe hatte die Gestapo von einem Spitzel erhalten, der 
schon einen anderen Widerstandskreis der KPO im Rheinland hatte hochgehen 
lassen.(49) 

Durch ihre brutalen »Verhöre« und Folterungen war es der Gestapo gelungen, im 
Dezember die Widerstandskreise in Möchen-Gladbach, Süchteln, Viersen und 
Dülken auszuheben und es ergaben sich für sie erste Verdachtsmomente gegen 
Nolden in Duisburg. 

Der Mönchen-Gladbacher Anarcho-Syndikalist Delißen war während der 
Verhöre von den Nazis ermordet worden.(50) Die Gestapo schrieb, er hätte sich 
in der Zelle aufgehängt. Dies wurde mit der zynischen Bemerkung 
kommentiert: »Er wußte, was für ihn auf dem Spiel stand und hat den Freitod 
vorgezogen, um so weitere Anarchisten nicht zu verraten.«(51) 

Im Januar wurde Nolden verhaftet. In seinem Arbeitsrock fand die Gestapo 
noch folgende Mitteilung von Simon Wehren: 


177 


Sender Barcelona: 

(Kurze Welle) 42.88 

Sendungen in Deutsch 

Dienstags 101/2 Uhr nachts 

Donnerstags 12 Uhr nachts 

Sonntags 121 /2 Uhr nachts 

Er soll in Dland unbedingt zu hören sein; wenn nicht, dann mit Zusatzgerät für 
Kurzwellenempfang. Sonstig näheres bei Anton in D. oder bei L. 
ebendortselbst. Schönen Gruss: S.(52) 


Daraufhin verhaftete die Gestapo innerhalb eines Zeitraums von 3 Monaten ca. 100 
Anarcho-Syndikalisten,(53) von denen 88 vor Gericht gestellt wurden. Das nächste 
Todesopfer des Gestapo-Terrors war der Eisendreher Emil Mahnert aus Duisburg, 
der »von einem Polizeibeamten über das Innengeländer des zweiten Stockes des 
Polizeigefängnisses in die Tiefe gestossen worden war.«(54) 

Im Februar 1937 wurde der Düsseldorfer Anarcho-Syndikalist Anton Rosinke 
zu Tode verhört. Ein Dokument über die besonders aktive Widerstandsarbeit 
Rosinkes ist der Brief seines Schwiegersohnes Ernst Binder aus Düsseldorf an 
Rudolf Rocker aus dem Jahre 1946: 


Anton (Rosinke) entwickelte eine fieberhafte Tätigkeit. Aus der Not heraus wurden 
wir unsere eigenen Schriftsteller und Verleger. Alles uns erreichbare Material 
sammelten wir, und besonders Anton wurde außerordentlich aktiv in der Verbreitung 
dieses Materials zu Artikeln. Ich korrigierte diese und schrieb sie in unserer 
Druckerei auf der Schreibmaschine zu druckfertigen Manuskripten ab. (Die 
Druckerei wurde von unserem Genossen Paul Hellberg noch weitergeführt. Er stellte 
Geschäftspapiere und Vereinsdrucksachen her und war beherzt genug, 
zwischendurch immer noch ein Flugblatt für die KPD herzustellen). Wir selbst aber 
hattendurch den treuen und zuverlässigen Genossen Simon Wehren aus Aachen 
Gelegenheit, ein Mitteilungsblatt in Vals in Holland, unweit der Grenze bei Aachen, 
drucken zulassen. — Die Manuskripte in der Druckerei abzuschreiben wurde 
mittlerweile zu gefährlich. Kam ich doch eines Tages dort an, nachdem gerade fünf 
Minuten vorher Max Brosig, der berüchtigste Düsseldorfer Gestapobeamte eine 
Durchsuchung angehalten hatte. So wurden dann auch Hellberg und sein getreuer 
Helfer, der Bauarbeiter Joseph Könen, bald Opfer der Spitzeltätigkeit der in 
Düsseldorf unrühmlich bekannten Gebrüder Huppertz. Beide wanderten auf zwei 
Jahre ins Konzentrationslager Börgermoor, ohne Prozeß und ohne Urteil, man hatte 
ihnen nichts nachweisen können. »Schutzhaft«... Das Mitteilungsblatt gaben wir bis 
1934 heraus. Dazu erhielten wir noch illegale Schriften, die von emigrierten 
Genossen in Belgien hergestellt wurden, unter anderen auch eine Schrift, die 
unserem Prozeß 1937 als einziges handgreifliches Belastungsmaterial gegenuis 
figurierte. Das Außenblatt wareinerPropagandaschrift des Reichsnährungsstandes 
nachgeahmt und trug die Aufschrift: »Eßt deutsche Früchte«. Der Text beschäftigte 
sich mit der Schändlichkeit der Hitlerdiktaturund ihre Auswirkungen auf die Zukunft 
des deutschen Volkes. Gerichtsnotorisch wurde nachher festgestellt, daß diese Schrift 
eine derartige Verbreitung gefunden 


178 


habe, daß sich die Kumpels im Ruhrgebiet in beziehungsvollen Scherzen auf 
dem Wege zum Pütt zuriefen; »Hast Du auch deutsche Früchte gegessen?« 
Nebenher hatten wirfortgesetztFlüchtlinge zuversorgenund zur Grenze weiterzube- 
fördern. Meist Genossen die wegen illegaler Tätigkeit heftig gesucht wurden... Bei 
der nächsten Haussuchung rebellierte Anton. Man nahm ihn kurzerhand mit und nun 
erlebte er acht Tage auf dem Präsidium, die er bei seiner Rückkehr mit den Worten 
beschrieb: »Wenn die mich noch mal holen, lassen sie mich lebendig nicht mehr 
heraus.« Wie entsetzlich wahr! Acht Tage unter schlimmsten Druck, nächtlichen 
Vemehmungenbei denen dieser starke Mann Schlägen und schlimmsten 
Ermiedrigungen wehrlos ausgesetzt war, ließen ihn ahnen, daß es das nicht ein 
zweites Mal ertragenwürde. 

Wir nahmen uns vor, unsere Vorsicht zu verdoppeln. Aber was will man machen. 
Entweder man muß die Hände in den Schoß legen und nichts tun, oder man muß 
die Gefahr des Entdecktwerdens mit allen Konsequenzen in kauf nehmen. Für das 
erstere eignete sich Anton am allerwenigsten. Wenn in unserem kleinen Kreis sich 
die Mutlosigkeit breit machen wollte, er pulverte die Verzagten wieder auf. 
Rückdenkend muß ich sagen, die Situation war nicht sehr hoffnungsvoll und doch 
wußte er immer wieder aus den kleinsten Anlässen die Hoffnung anzufachen und 
uns das baldige Ende der Nazis zur Gewißheit zumachen. —Ein einfacher Schmied, 
aber ein innerlich und äußerlich sauberer Mensch, den die Flamme der innerlichen 
Überzeugung über sich selbst hinaushob und ihm Einfluß auf seine Arbeitsbrüder 
verlieh, der nicht durch die unterschiedlichen Doktrinen in der Arbeiterbewegung 
begrenzt war... 

Der Kampf der spanischen Genossen gab im Jahre 1936 nicht nur uns, sondern 
allgemein der illegalen Arbeit in Deutschland einen neuen Auftrieb. Viele Genossen 
wurden sowohl von Dülken aus wie auch über unsere alte Stelle, durch Simon 
Wehren in Aachen über die Grenze geleitet und schlugen sich nach Spanien durch, 
um aktiv an dem so entscheidenen Geschehen teilzunehmen. Hier war der Platz, wo 
die in Deutschland verpassten Gelegenheiten noch einmal wahrgenommen werden 
konnten und es war gewiß, daß der Sieg der rotspanischen Bewegung von unge- 
heurer Tragweite für die revolutionäre Entwicklung in Europa werden würde ... Mit 
gesteigerter Energie entfalteten wir eine rührige Sammeltätigkeit für Rotspanien und 
überwiesen bis zum Herbst aus unserem kleinen Kreis trotz allgemeiner 
Erwerbslosigkeit mehrmals Beiträge von mehreren hundert bis tausend Reichsmark. 
— Nun, die Entwicklung der Dinge ist bekannt, und wir selbst erlebten das traurige 
Ende einerhoffnungsvollen Bewegung bereits hinter Schloß und Riegel. Ungeheure 
Massenverhaftungen gleich denen des Jahres 1933 setzten ein. Weihnachten 1936 
erhieltenwir die Nachricht, daß in Mönchen-Gladbach, Viersen und Dülken eine 
Reihe unsererGenossenverhaftet seien. Derrührige Genosse Michael Delissen aus 
Mönchen-Gladbach war bereits von der Gestapo erschlagen... Anton und ich 
konnten uns nicht so leicht lösen. Wir berieten uns mit unseren Genossen und 
glaubten noch eine Chance zu haben, für dieses Mal ungeschoren davonzukommen. 
Leider eine Selbsttäuschung, die verhängnisvolle Folgen hatte. Als wir am 27.1.1937 
abends nach Hause kamen, hörten wir, daß die Gestapo dagewesen war und sich 
nach uns erkundigt hatte. Die fadenscheinigen Versiche- 


179 


rungen unseren Frauen gegenüber, daß nichts besonders vorliege, konnten uns 
nicht täuschen und wir beschlossen, zunächst einmal die Nacht irgendwo anders 
zuzubringen. — Aber es war schon zu spät.(55) 
Über den Tod Rosinkes im Düsseldorfer Polizeigefängnis liegt ein Zeugnis 
von dem damals ebenfalls inhaftierten Rudolf Treiber vor: 
Rosinke ist in jenen Tagen ständig zu »Vernehmungen« in die Kellerräume des 
Polizeigefängnisses befördert worden, und konnte sich der dabei erlittenen Tor- 
turen wegen immer nur sehr mühsam die Eisentreppen hinauf und hinunter 
schleppen. An einem dieser Februartage 1937 war der Düsseldorfer Gestapo- 
kommissar Max Brosig mal mit einigen seiner Folterknechte erschienen und 
befahl dem diensttuenden Polizeibeamten, ihm den Untersuchungshäftling 
Rosinke zwecks »Vernehmung« vorzuführen. Der Polizeibeamte (anscheinend 
vom mitleiderre-genden körperlichen Zustand des schon seit Tagen mißhandelten 
Gefangenen nicht ganz unberührt) meldete dem Gestapo-Kommissar, der 
Gefangene liege regungslos auf seiner Pritsche und sei offensichtlich unfähig sich 
aufzurichten und fortzubewegen. Daraufhin brüllte Gestapo-Kommissar Brosig 
lauthals durch den Bau, wenn Rosinke nicht in zwei Minuten vor ihm stehe, werde 
er ihn persönlich in den Keller herunterholen. Daraufhin schleppte sich der 
Gefangene mühsam und stöhnend, gestützt von dem offen Mitleid empfindenden 
Polizisten, die Treppe hinunter.(56) 
Die FamilieRosinke bekam eine lakonische Mitteilung, daß Rosinke am 
14.2.1937 verstorben wäre. Bei der Besichtigung der Leiche riß der Bruder 
Rosinkes das Laken weg, mit dem er zugedeckt war »der ganze Körper war mit 
Schlagwunden, wie von Seitengewehrhieben bedeckt«.(57) Die Gestapo machte 
der Familie zur Bedingung, den Toten in aller Stille beizusetzen und keine 
Todesanzeige aufzugeben. »Sogar bei den Einäscherungsfeierlichkeiten ließ uns 
die Gestapo keine Ruhe. Die politische Polizei bewachte die Feier und nahm 
hierbei einige Genossen in Haft.«(58) 


Die Ermittlungen für den Prozeß gegen die Anarcho-Syndikalisten erstreckten 
sich über die Dauer eines Jahres. Im Januar(59) und Februar 1938(60) erfolgte 
ihre Verurteilung wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem II. Strafsenat 
des Oberlandesgerichts Hamm. Insgesamt standen 88 Angeklagte vor Gericht, 
unter denen sich zwei Frauen befanden. Die Verurteilten erhielten Strafen von 
6 Monaten Gefängnis bis zu 12 Jahren Zuchthaus. Auf die einzelnen Städte 
verteilten sich die Angeklagten wie folgt:(61) 

Düsseldorf 25 


Dülken 4 Mönchen-Gladbach 14 
Duisburg 22 Süchteln 2 
Erfurt 2 Viersen 1 
Köln 1 Wattenscheid 3 
Krefeld 3 Wuppertal 11 


Über den Prozeß im Februar 1938 wurde in der holländischen Presseberichtet. Die 


180 


Informationen kamen von einem bewachenden Polizeibeamten, dessen Bruder im 
Prozeß angeklagt war.(62) Das Verfahren gegen Nolden war abgetrennt worden. 
Nolden wurde im Oktober 1937 vor dem Volksgerichtshof zu 10 Jahren Zucht- 
haus verurteilt.(63) 


3. Speziell: Widerstand in Wuppertal 


Die kleinen Gruppen der FAUD und SAJD in Wuppertal begannen sofort nach 
der Machtübernahme mit der Widerstandstätigkeit, bedingt durch ihre dezentrale 
Organisationsform und aufgrund ihrer an selbständiges Denken und Handeln 
gewöhnten Mitglieder waren die örtlichen Gruppen der FAUD schneller in der 
Lage, auf die neue Situation zu reagieren, als die großen Arbeiterorganisationen. 

Noch im Februar 1933 wurde eine öffentliche Veranstaltung unter dem 
Namen »Freie Jugend Morgenröte« durchgeführt, auf der das SAPD-Mitglied 
Max Löwenstein und der FAUD-Propagandist Harry Bartsch (Oberhausen) spra- 
chen.(64) 

Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand wurde der erste Wuppertaler Anarcho- 
Syndikalist verhaftet. Helmut Kirschey, der in Unterbarmen als Antifaschist 
bekannt war, wurde von der SA auf offener Straße bedrängt. Dem Zuruf der 
Mutter von Genossen verdankte er, daß sich sofort eine Menschenmenge ansam- 
melte und dadurch die SA ihn nicht abführen konnte. In einer benachbarten Schule 
wurde er festgesetzt, bis die Polizei ihn abführte. Das Gefängnis bot zur damaligen 
Zeit noch relativen Schutz, denn wäre Kirschey in die nahe gelegene SA-Kaserne 
abgeführt worden, hätte dies seinen Tod bedeuten können, da dort viele Anti- 
faschisten brutal mißhandelt wurden. Kirschey blieb einige Zeit in Polizeige- 
wahrsam und wurde dann ins KZ nach Dinslaken überführt. Nach seiner Entlas- 
sung aus dem KZ im November floh Kirschey über Dülken nach Amsterdam, wo 
erin der Gruppe DAS mitarbeitete. 

Die Brüder Fritz und Gustav Krüschedt konnten Anfang März der drohenden 
Verhaftung durch die SA, durch Umzug nach Barmen entgehen. In der Marien- 
straße in Elberfeld waren sie bei der SA als Antifaschisten bekannt; aus ihrer 
Wohnung hing oft eine schwarze Fahne. Einer der Brüder hatte zudem einen SA- 
Mann der Polizei angegeben, der auf Passanten geschossen hatte. Die SA hatte in 
unmittelbarer Nähe ihrer Wohnung ein Versammlungslokal. In der Nacht ihrer 
Flucht verwüstete die SA ihre Wohnung und entwendete die schwarze Fahne und 
500.- Mark, die die Mutter der beiden als eiserne Reserve gespart hatte. 

Im Mai 1933 wurde Fritz Benner verhaftet, weil er auf einer Betriebsversamm- 
lung bei der Firma Villebrandt und Zehnder gegen die neuen Machthaber Stellung 
genommen hatte.(65) Da ein korrekter Untersuchungsrichter keinen Haftbefehl 
gegen Fritz Benner ausstellen wollte, führte die Gestapo eine Hausdurchsuchung 
bei seinem Bruder Willi Benner durch, bei dem Fritz polizeilich gemeldet war. 


181 


Wegen einer antifaschistischen Broschüre der FAUD »Über Hildburghausen ins 
dritte Reich«(66) auf deren Titelseite Hitler als Polizist karikiert war, 
beschlagnahmte sie alle Bücher, außer zwei Bänden von Kropotkin, die 
sieirrtümlich als landwirtschaftliche Literatur betrachteten. Um weitere Gründe für 
die Verhaftung zu haben, beschlagnahmten sie Kunstdüngervorräte im Keller und 
erklärten diese zu Sprengstoff. Einen im Schuh verborgenen Revolver und den im 
Garten vergrabenen Karabiner fanden sie zum Glück der Verhafteten nicht. Bei 
der anschließenden Hausdurchsuchung bei den Eltern der Brüder fanden sie in 
einem Buch den Brief eines Jugendlichen an ein FAUD-Mitglied in Solingen, in 
dem dieser über die schlechte Behandlung im Arbeitsdienst schrieb. Im Keller der 
Benners fanden sie eine Flasche Zyankali, das als Rattengift verwendet wurde. Die 
Nazis konstruierten daraus, die Anarchosyndikalisten hätten das Trinkwasser 
damit vergiften wollen. Wegen dieser »Tatbestände« wurden August Benner und 
der Vater der drei Brüder verhaftet. Der Vater, der politisch nicht organisiert war, 
wurde nach wenigen Wochen freigelassen, sein Arbeitgeber hatte bestätigt, daß 
das Zyankali aus seinem Betrieb stammte. 

Die Brüder Benner wurden zunächst im Polizeipräsidium inhaftiert und kamen 
von dort ins Gefängnis Bendahl. Fritz und August Benner wurden ins KZ 
Börgermoor (67) eingeliefert, ihr Bruder Willi ins Wuppertaler KZ Kemna.(68) 
Anfang 1934 kam auch er ins KZ Börgermoor. F. Benner wurde Ende 1933 von 
Börgermoor ins KZ Oranienburg eingeliefert. Dort befreundete er sich mit dem 
anarchistischen Dichter Erich Mühsam, der ihm vor Benners Entlassung im April 
1934 sagte: 

Wenn die Meldung von meinem Tode kommt, ich habe mich nicht selbst umgebracht. Nach 
dem Bekanntwerden des Todes von Erich Mühsam verfaßten F. Benner und 
Walter Tacken einen Nachruf auf Mühsam für die Exilpresse. F. Benner konnte 
sich einer erneuten Verhaftung Anfang 1935 nur knapp entziehen. Bei der 
Wuppertaler Firma Imhoff hatte er Kontakte zu kommunistischen Arbeitern.(69) 
Nach seiner Flucht nach Amsterdam arbeitete er ebenfalls in der Gruppe DAS. 

Der ehemalige Redakteur der Schöpfung, Heinrich Drewes, wurde auch ins KZ 
Kemna eingeliefert. Drewes war seit Mitte der zwanziger Jahre politisch kaum 
noch in Erscheinung getreten und hatte vorwiegend literarisch gearbeitet. Seine 
Verhaftung erfolgte wahrscheinlich wegen seiner politischen Aktivitäten Anfang 
der zwanziger Jahre. 

Die nicht inhaftierten FAUD- und SAJD-Mitglieder in Wuppertal setzten auch 
nach den Verhaftungen ihre Arbeit fort. Das Zentrum des Widerstandes war der 
alte Hermann Steinacker, der schon als Jugendlicher die Illegalität während des 
Sozialistengesetzes erlebt hatte. Steinacker gab den Jugendlichen den Rat, die 
SAJD offiziell aufzulösen, was dann auch geschah. 

Die Wuppertaler hatten seit März 1933 Kontakt zu Nolden in Duisburg und 
Rosinke in Düsseldorf. Die Widerstandstätigkeit fand auf drei Ebenen statt. 


182 


a) Es fanden regelmäßige Treffen statt, meist in kleineren Gruppen. Die 
Jugendlichen trafen sich bei Steinacker. Daneben traf sich noch eine 
Gruppe um Walter Tacken, dies war ein Freundeskreis, dessen Mitglieder 
nach dem 1. Weltkriege der Organisation beigetreten waren. Die Jugend- 
lichen unternahmen 1933/34 regelmäßige Fahrten nach Urdenbach am 
Rhein, wo sie mit Mitgliedern der Kölner Gruppe zusammentrafen; dort 
entwickelten sich auch Kontakte zu bündischen Jugendgruppen. Mit Julius 
Nolden fanden regelmäßige Treffen im Gelpetal statt. 

b) Für die Inhaftierten wurden Gelder gesammelt. Der Kreis der Spender 

blieb nicht auf die Organisation beschränkt. Ein Mitglied der SAJD war 

Obst- und Gemüsehändler und hatte dadurch Kontakt zu Wuppertaler 

Geschäftsleuten. Der Geschäftsführer des großen Kaufhauses Tietz in 

Elberfeld, der Jude war, spendete mehrfach Geldbeträge bis zu 50.- Mark. 

Neben der Exilliteratur stellte die Wuppertaler Gruppe auch eigenes 

Propagandamaterial her. Für den Druck von Flugschriften wurde eine alte 

Wringmaschine im Keller von Hermann Steinacker benutzt. Auf Linoleum 

wurden die Vorlagen geschnitten, diese dann nachts auf der Wring- 

maschine vervielfältigt. Da der Einkauf größerer Mengen Papier zu diesem 

Zeitpunkt schon gefährlich war, wurde weißes Packpapier benutzt. 

Die Flugschriften wurden in Briefkästen geworfen oder an Häuserwänden 

angeklebt. Bis 1934 wurden nachts noch Parolen an Häuserwände gemalt. 

Nachdem das Drucken auf der Wringmaschine zu gefährlich erschien, schon 

ein kleiner Farbspritzer hätte bei Hausdurchsuchungen gefährlich werden können, 
ging man etwa 1934 dazu über, mit Kinderdruckkästen, die Rückseite von Bildern 
von Zigarettenpackungen, die von Kindern gesammelt wurden, mit Parolen zu 
bedrucken wie: 

— »Tode dem Faschismus« 

— »Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihren Schlächter selber« 

— »Sabotiert die Kriegsproduktion« 

— »Die Fahne hoch, der Fettpreis ist gestiegen. Der Hunger der SA 

wird eben noch gestillt.« 

— »Leute dreht eure Gasuhren um.« 

Eine Aktion besonderer Art wurde folgendermaßen durchgeführt. Ein Wupper- 

taler SAJD-Mitglied trug für den Bruder, der SA-Mitglied war, Nazi-Zeitungen 

aus, dadurch gelangte er an die Adressen von führenden Wuppertaler SA- 

Mitgliedern. In Köln und Duisburg sammelten zwei FAUD-Mitglieder 

ebenfalls Adressen von SA-Mitgliedern. Von Julius Nolden und Hans Saballa 

(Köln) wurden dann fiktive Briefe verfaßt, in denen z.B. der SA- 

Standartenführer aus Köln, seine Meinung über politische Vorgänge, wie z.B. 

die Röhm-Affäre nach Wuppertal bzw. Duisburg übermittelte. Innerhalb der 

SA dürften diese Briefe sicherlich zu viel Verwirrung geführt haben. 


c 


— 


183 


Organisierte Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen existierten in Wuppertal 
nicht, jedoch wurden zwei Mitglieder der KPD über den anarcho-syndika- 
listischen Fluchtweg nach Holland gebracht. So der ehemalige Vorsitzende des 
Kommunistischen Jugendverbandes in Wuppertal Alfred Kirschey, der über seinen 
Bruder Helmut Kontaktezu den Anarcho-Syndikalisten hatte. Der Versuch, die 
bekannte, Kommunistische Funktionärin Cläre Quast (Muth) über die Grenze zu 
bringen, scheiterte. Sie wurde kurz vor der Grenze abgefangen, aber von den 
Zollbeamten wieder freigelassen.(70) In ihren Erinnerungen schreibt Cläre Quast 
von einem unbekannten Genossen, der sie über die Grenze bringen sollte. Dieser 
unbekannte Fluchthelfer war das Wuppertaler SAJD-Mitglied Alfred Schulte, der 
zu dieser Zeit in Dülken wohnte. In diesem Fall waren die Kontakte hergestellt 
worden über ihren Schwager Heinrich Muth, der wie ihr Mann Willi Muth Anfang 
der zwanziger Jahre Mitglied der anarchistischen »Freien Jugend Morgenröte« 
war. Willi Muth war in der Illegalität Hauptkassierer der KPD in Wuppertal(71) 
und wurde auf bestialische Weise mit glühenden Eisenstangen von der Gestapo 
gefoltert und ermordet.(72) 

Zu erneuten Verhaftungen Wuppertaler Anarcho-S yndikalisten kam es im 
Oktober 1934. Das SAJD-Mitglied S. hatte einem Kollegen zwei Broschüren 
gegeben, eine Ausgabe der Internationale zum Tode Erich Mühsams und den 
Brief des SA-Mannes Kruse an Hindenburg.(73) Kurz darauf denunzierte der 
Kollege ihn bei der Gestapo. Da S. die Schriften durchnummeriert hatte wußte er 
beim Gestapo-Verhör, wer ihn denunziert hatte. Es wurden noch vier weitere 
Anarcho-Syndikalisten verhaftet. S. und Hermann Steinacker wurden zu je zwei 
Jahren Zuchthaus verurteilt, die anderen drei wegen Mangels an Beweisen 
freigelassen. 

Nach ihrer Entlassung aus dem Zuchthaus nahmen die beiden Ende 1936 die 
Widerstandstätigkeit durch Sammlungen für die spanischen Genossen wieder auf. 
Steinacker wurde im Zusammenhang mit der Verhaftung Noldens im Januar 1937 
erneut festgenommen. Bis März 1937 wurden dreizehn weitere Wuppertaler 
Anarcho-Syndikalisten verhaftet sowie die Haushälterin Steinackers. Elf von 
ihnen wurden während des Prozesses 1938 zu Zuchthausstrafen zwischen zwölf 
und zwei Jahren verurteilt.(74) 

Es sprach für die unerschütterliche Haltung Steinackers, daß er vor Gericht die 
Kurierdienste zu Anton Rosinke auf sich nahm. Das Geld für Spanien hatte nicht 
er, sondern der Vater der Brüder Benner zu Rosinke gebracht, der zwar nicht 
Mitglied der illegalen Organisation war, aber die Nazis haßte. Ebenso war Stein- 
ackers Tochter als Kurier zu Rosinke eingesetzt worden. Zum weiteren Schicksal 
der Wuppertaler Anarcho-Syndikalisten sei noch bemerkt: 

Hermann Steinacker wurde zunächst ins Zuchthaus nach Münster eingeliefert. 
Dader alte Mann die Arbeitsleistung nicht mehr erbringen konnte, wurde er im 
Januar 1944 ins KZ Mauthausen eingeliefert und dort am 14.4.1944 ermordet. 


184 


Von einem Mitgefangenen, einem KP-Mitglied aus Solingen wurde den Ange- 
hörigen später berichtet: »Er hatte Kupfervitriol gespritzt bekommen und wußte, 
daß er an dem Tage dran war.« In seiner Gestapoakte befindet sich die lapidare 
Bemerkung, er sei an Bronchopneumie verstorben, eine Leichenbesichtigung sei 
nicht gestattet.(75) Die Brutalität des Nazi-Regimes zeigte sich auch daran, daß 
seiner Tochter seine blutverschmierte Brille zugeschickt wurde. 

Ein weiterer Wuppertaler Anarcho-Syndikalist, der Arbeiter Hermann Hahn 
wurde in der psychiatrischen Anstalt Grafenberg als »unwertes Leben« zu Tode 
gespritzt. Hahn hatte sich nach seiner Verhaftung geweigert Anstaltskleider 
anzuziehen; seine einzigen Worte vor Gericht waren: »Quark, ihr könnt mich am 
Arsch lecken.« Deswegen wurde er im Polizeigefängnis brutal mißhandelt. 
Danach zog er sich in die »innere Emigration« zurück und sprach über ein Jahr 
kein einziges Wort mehr. Vom Zuchthaus Münster wurde er in die psychiatrische 
Anstalt Grafenberg überwiesen und dort im Jahre 1940 ermordet. 

Fritz Krüschedt wurde nach Beendigung seiner Zuchthausstrafe ins KZ 
Sachsenhausen eingeliefert. 

H.S., der die längste Haftstrafe von 12 Jahren erhielt, floh im Herbst 1944 
wegen der drohenden Einziehung auf ein Minensuchboot aus der Strafanstalt 
Lüttring-hausen. Zunächst schlüpfte er für eine Nacht bei einem Genossen in 
Düsseldorf unter, die Flucht ging weiter über Duisburg und dann wieder zurück 
nach Wuppertal. Unter den härtesten Bedingungen gelang es bis zum Kriegsende 
zu überleben. 

Andere mußten Wehrdienst leisten, u.a. in dem berüchtigten Strafbatalion 999. 
Fritz Benner und Helmuth Kirschey arbeiteten bis 1936 in der Gruppe DAS in 
Amsterdam mit. Nach dem Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges reisten beide 
sofort von Amsterdam dorthin. Sie kämpften an der Front in anarchistischen 
Freiwilligenverbänden, der Columna Durruti und arbeiteten in der Gruppe DAS in 
Barcelona.(76) Nach den Auseinandersetzungen zwischen Anarchisten und 
Kommunisten im Mai 1937 wurde Helmuth Kirschey erneut in einem Gefängnis 
in Valencia von der stalinistischen Geheimpolizei (GPU) inhaftiert, wo er kurz vor 
dem Einmarsch der Franco-Truppen von Anarchisten befreit wurde. Er und Fritz 
Benner emigrierten 1938 nach Schweden. An den Spätfolgen der Haft und der 
Folterungen durch die Gestapo starb Walter Tacken Anfang der 50er Jahre. 

Die Bilanz des anarcho-syndikalistischen Widerstands in Wuppertal sieht 
folgendermaßen aus: Wegen aktiven Widerstands verbüßten sie zusammen 
Zuchthausstrafen von ca. 50 Jahren und 10 Jahren KZ. Im Verhältnis zu ihrer 
Mitgliederzahl von knapp 40 vor 1933 hatten sie neben den Kommunisten die 
größten Opfer im Widerstandgegen den Nationalsozialismus in Wuppertal zu 
erbringen. 


185 





Helmut Kirschey als Angehöriger der anarcho-syndikalistischen Columna Durruti 
in Katalonien, Spätherbst 1936 


186 


1) 
2) 


3) 
4) 
5) 
6) 
7) 
8) 


9) 
10) 
11) 


12) 


13) 
14) 
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18) 
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21) 
22) 
23) 
24) 
25) 
26) 
27) 
28) 
29) 
30) 
31) 
32) 


33) 
34) 


Anmerkungen Kapitel V 


Vgl. Volksgericht (VG-)Urteil 1869] 267/37, S.5 /21146 ; in: HSTAD, 
Gestapo, Nr.13059,$.9-24 

Vgl. Theissen, R., Walter, P., Wilhelms, I.: Anarcho-Syndikalistischer 
Widerstand an Rhein und Ruhr, S.45 

Wienand, Peter. Rudolf Rocker, S.339 

Vgl. VG-Urteil 9] 267/37, S.45 

ebenda, S.7 

ebenda, S.8 

ebenda, S.9 

Theissen/Walter/Wilhelms: Anarcho-Syndikalistischer Widerstand an Rhein und 
Ruhr, S.71f 

ebenda, S.75f. 

ebenda, S.66f 

Helmut Kirschey schätzt, daß zwischen 50-100 Flüchtlinge über diese Route 
nach Holland gebracht wurden. 

Theissen/Walter/Wilhelms: Anarcho-Syndikalistischer Widerstand an Rhein 
und Ruhr, S.141-143 

Vgl. OLG Hamm 6.JS 1/37 (Urteil), S.32, In: HSTAD, Gestapo, Nr. 2761 
Theissen/Walter/Wilhelms: Anarcho-Syndikalistischer Widerstand... S.141-143 
ebenda 

Brief von Antonieund Ernst B inder an Rudolf Rocker vom 24.8.1946, im 
Nachlaß Rocker, IISG Amsterdam 

VG-Urteil 9 J 267/37, S.10 

OLG-Hamm (Urteil), 6.+JS 1/37, S.33, in: HSTAD, Gestapo, Nr. 2761 
VG-Urteil 9 J 267/37, S.12 

ebenda, S.20 

ebenda, S.20-23 

ebenda, S.23 

ebenda, S.19 

Theissen/Walter/Wilhelms: Anarcho-syndikalistischer Widerstand...S.69 
OLG-Hamm (Urteil), 6.0. JS. 1/37, S.34, in: HSTAD, Gestapo, Nr. 2761 
VG-Urteil, 9 J 267/37, S.12 

ebenda 

ebenda 

ebenda 

ebenda, S.16 

ebenda, S.12 

Die Internationale, Neue Folge, Nr.2, Oktober-November 1934, 
Barcelona-Amsterdam-Stockholm-Paris, letztes Blatt Innenseite. 
Interview mit H.S. 

SIAM, Generalstaatsanwalt (GSTA), Hamm, Nr. 5006, B1.4 


35) 
36) 
37) 
38) 
39) 
40) 


41) 
42) 
43) 


44) 
45) 
46) 
47) 
48) 
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Wienand, Peter. Rudolf Rocker, S.340 

ebenda, S.339 

Interview mit Helmut Kirschey 

Wienand, Peter: Rudolf Rocker, S.339 

Interview mit Helmuth Kirschey 

Zu den Wuppertaler Gewerkschaftsprozessen, vgl. Gerhard, Dirk: 
Antifaschisten, Proletarischer Widerstand 1933-1945, S.88f. 

Interview mit Helmut Kirschey 

VG-Urteil, 9 J 267/37, S.12 

Vgl. Tireur, Frank (Pseudonym für Paul Berner), Den osynliga fronten, Stockholm 
1940, Auf Seite 16-19 schildert der Autor den Besuch bei der Schwester Helmut 
Kirscheys in Wuppertal, (InterviewmitHelmutKirschey). DerBerichtwurde 1990 
von Helmut Kirschey ins Deutsche übersetzt und liegt als Manuskript im Trotzdem- 
Verlag vor. 

VG-Urteil, 9 J 267/37, S.26 

ebenda 

Vgl. Brief Antonie und Ernst Binder an Rudolf Rocker vom 24.8.1946 
Interview mit August Benner 

OLG Hamm (Urteil) 6.0. JS. 1/37, S.48-51, in: HSTAD-Gestapo, Nr. 2761 
ebenda und Interview mit Rudolf Treiber 

Interview mit Theodor de Haan und E. Wüsthoff (Düsseldorf) 

Bundesarchiv Koblenz, R 58, B1. 182 

VG-Urteil, 9 J 267/37, S.26 

Vgl. die Bestände von Gestapo-Akten im HSTAD 

zitiert nach Bludau, Kuno: Gestapo-Geheim/Widerstand in Duisburg, Duisburg 
1973, S.74 

Brief von Antonie und Ernst B inder an Rudolf Rocker vom 24.8.1946, in: 
Nachlaß Rocker, IISG Amsterdam 

VVN-Düsseldorf (Hg.): Ungesühnte Nazi-Morde in Düsseldorf, Düsseldorf 
0.J., S.27 

Brief von Antonie und Ernst Binder an Rudolf Rocker 

ebenda 

Vgl. OLG Hamm (Urteil), 6.0. JS 1/37, in: HSTAD, Gestapo, Nr. 2761 

ebenda, Nr. 13302 

Tabelle nach Angaben im Urteil 

Interview mit H.S. 

Vgl. VG, 9 J 267/37 

Die folgenden Ausführungen basieren soweit nicht anders angegeben auf Inter- 
views mit den ehemaligen Wuppertaler Anarcho-Syndikalisten 

Vgl. HSTAD, Gestapo, Nr. 31199, B1.2 

Die Broschüre wurde von Dr. Gerhard Wartenberg verfaßt (Neuauflage, Berlin 
1981) und beinhaltete eine Analyse des Faschismus. Der Titel der Schrift war eine 
Anspielung auf Hitlers Einbürgerung ins Deutsche Reich. Im NS-regiertenBraun- 
schweig wurde er in dem Dorf Hildburghausen eingebürgert und pro forma Landrat. 
Die kleine Wuppertaler Gruppe verkaufte ca. 200 Stück dieserB roschüre 


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vor 1933. 

Zum KZ-Börgermoor, vgl. Langhoff, Wolfgang: Die Moorsoldaten, München 
1946. 

Zum KZ Kemna, vgl. Ibach, Karl: Kemna-Wuppertaler Lager der SA, 
Wuppertal 1978 

Vgl. STAM, OLG Hamm, 6.0. JS. 412/36, B1.3 

Vgl. Quast, Cläre: Wie die Partei in Wuppertal den antifaschistischen Kampf 
organisierte, in: Voßke, Heinz (Hg.): Im Kampf bewährt, Erinnerungen 
deutscher Genossen an den antifaschistischen Widerstand von 1933-1945, 
Berlin (Ost), 1977 

ebenda, S.49, S.53/56 

Vgl. Dirk, Gerhard: Antifaschisten. Proletarischer Widerstand 1933N 1945, S.176 
Vgl. SIAM, GSTA Hamm, Nr. 5006 

Vgl. Anm. 60 

Vgl. HSTAD, Gestapo, Nr. 28787, B1.12 

Zu den Aktivitäten der deutschen Anarcho-Syndikalisten im spanischen Bürger- 
krieg,vgl. Haug, Wolfgang: Deutsche Anarchisten im Spanischen Bürgerkrieg, in: 
Schwarzer Faden 2/83 Nr.11 sowie ders., Deutsche Anarchisten im Spanischen 
Bürgerkrieg, eine 1. Fortsetzung, in: Schwarzer Faden 1/84 Nr.13. Vgl. Zur 
Mühlen von, Patrick: Spanien war ihre Hoffnung — Die deutsche Linke im 
spanischen Bürgerkrieg, Bonn 1983, S.7. Bei zur Mühlen und bei Bludau (S.74- 
77) wird einem gewissen Wilhelm Winkelmann aus Duisburg eine führende Rolle 
in der Gruppe DAS zugestanden, u.a. soll er militärischer Delegierter der 
anarchistischen Freiwilligenbrigade »Columna Durruti« gewesen sein und seinen 
Amtssitz hatte er angeblich im ehemaligen deutschen Generalkonsulat und wurde 
daher der »Rote Consul von Barcelona« genannt. — Nach Aussagen von Helmut 
Kirschey und Martha Lewin, die zu dieser Zeit in Barcelona waren, trifft dies nicht 
zu. Winkelmann hatte keine besondere Funktion in der Gruppe DAS und war auch 
nicht sehr bekannt in Emigrantenkreisen, wie es in den erwähnten Veröffent- 
lichungen behauptet wird. Dieser Sachverhalt verdeutlicht das Dilemma des 
Historikers, der ausschließlich Polizeiakten, wie in diesem Fall die Gestapo-Akte 
Winkelmann als Quelle zur Verfügung hat und nicht die Möglichkeit mit den 
Augenzeugen selbst zu sprechen. Warum Winkelmann in den Gestapo-Verhören 
sich selbst so eine bedeutende Rolle zugeschrieben hat, wird nicht mehr zu klären 
sein. Vgl. dazu ausführlich, das für 1991 von Hans-Jürgen Degen, Wolfgang 
Haug,Ulrich Linse und Dieter Nelles vorbereitete Buch »Deutsche Anarchisten im 
Spanischen Bürgerkrieg und im Exil«. 


189 


Kapitel VI 
Die syndikalistisch-anarchistische Jugend 
zwischen »Jugendautonomie« und 
Klassenkampf 


l. Anarchistische Jugendliche in der Jugendbewegung 


Die syndikalistisch-anarchistische Jugendbewegung entsprang zwei gegensätz- 
lichen Entwicklungstendenzen: Einerseits den — historisch älteren — 
Selbstorga-nisationsversuchen anarchistischer und syndikalistischer Jugendlicher, 
andererseits der Initiative erwachsener Anarcho-S yndikalisten in den 
Arbeiterbörsen der FAUD. 

Das Streben nach jugendlicher Selbstorganisation entsprach zeitgenössischen 
Strömungen in der gesamten Jugend, ab 1918 — mit der Aufhebung der jugend- 
politischen Restriktionen des preußischen Vereinsgesetzes — auch in der Arbei- 
terjugend. Diese suchte verstärkt »sich selbst« und ihre eigenen Widerstands- und 
Lebensformen angesichts von Kriegserfahrung, Arbeitslosigkeit, Ausbeutung, 
Verstädterung und fortdauernderBevormundung und Unterrepräsentiertheit in den 
Arbeiterorganisationen. »Verspätet« gegenüber der bürgerlichen Jugendbewegung 
— aufgrund völlig unterschiedlicher materieller, bildungsmäßiger und (vereins- 
rechtlicher Voraussetzungen — entwickelte sich auch in der Arbeiter- 
jugendbewegung die Wertschätzung autonomer »Jugendkultur«(1) und generell 
der Gedanke der UnabhängigkeitgegenüberErwachsenen schlechthin. In diesem 
Punkt bestehen eindeutige Parallelen zur bürgerlichen Jugendbewegung, die 
jedoch nicht einfach kopiert wurde, sondern in einem komplizierten, über prole- 
tarische Abgrenzung und Klassenideologie vermittelten indirekten Rivalitäts- 
prozeß auf die Arbeiterjugendlichen wirkte, zumal häufig kaum direkter Kontakt 
zu bürgerlichen Jugendlichen und ihren Vereinigungen bestand. 

Ein Ausdruck solcher organisatorischer Versuche der gesamten »linken« 
Arbeiterjugend war etwa die Gründung der »Freien Sozialistischen Jugend« (FSJ) 
im Oktober 1918 unter Anwesenheit von Karl Liebknecht, in der sich revolutionäre 
Arbeiterjugendliche, die dem »Spartakus« und der USPD nahestanden, mit 
organisatorisch »Freischwebenden« radikalen Jungarbeitern und Lehrlingen 
verbanden, u.a. auch mit anarchistischen und syndikalistischen. Die darauffolgende 
Spaltung und Differenzierung, die wieder in unterschiedlichen Sozialismus- 


190 


auffassungen und in der Einflußnahme der rivalisierenden Parteien USPD, 
KPD und KAPD begründet ist, beschreibt Linse so: 

Im Gefolge des inneren Differenzierungsprozesses in der FSJ muß auch die 

Entstehung einer anarchistischen Jugendbewegung gesehen werden: 1920 war die 

FSJ bereits in vier proletarische Jugendorganisationen zerfallen: Die Kommuni- 

stische Jugend (KPD), die Kommunistische Arbeiter-Jugend (KAPD), die Sozia- 

listische Proletarierjugend (USPD) und die wiederum in sich zerspaltene anarchi- 

stisch-syndikalistische Jugend.(2) 
Im Unterschied zu den übrigen radikalen Arbeiterorganisationen zeigte sich die 
anarchistische Jugendbewegung als Ergebnis 

einer Sezession derjenigen Kräfte in der FSJ..., welche an 3 Prinzipien 

festhielten: 

1)an der Autonomie der Jugend 

2)an der Dezentralisation als Organisationsprinzip 

3)an der Nichtzugehörigkeit zu einer revolutionären Arbeiterpartei(3) 

So ging die anarchistische Jugendbewegung auch ursprünglich nicht von einer der 
beiden Erwachsenen-Organisationen des Anarchismus und des Anarcho-Syndi- 
kalismus in Deutschland—FKAD und FAUD —- aus. Vielmehr gab den Anstoß vor 
allem ein anarchistischer Jugendlicher selbst, Ernst Friedrich, der sich Mitte 1919 
von der FSJ löste und in Berlin eine eigene Zeitung »Freie Jugend« herausgab. 
Friedrich betrieb den Aufbau einer anarchistischen »Föderation der revolutionären 
Jugend deutscher Sprache«. In seiner Zeitschrift wandte er sich scharf von den Ideen 
des »Spartakusbundes« ab, propagierte »herrschaftslosen Sozialismus«, 
»Verabscheuung der Gewaltanwendung«, »Freiheit« und »Liebe«. Ende 1919 hatte 
Friedrichs »Föderation« angeblich 40 Ortsgruppen.(4) 

Demgegenüber betrieben kurz nach der Gründung der FAUD deren Berliner 
Geschäftskommission und eine dafür eingerichtete »Jugendkommission« der 
Berliner Arbeiterbörse den Aufbau eigener syndikalistischer Jugendgruppen. Sie 
gabendeshalb auch eine eigene Jugendbeilage des FAUD-Organs »Der Syndi- 
kalist« heraus, die den Titel »Die junge Menschheit« trug. Eine von Rudolf Rocker 
verfaßte Resolution des 12. Reichskongresses der FAUD (Dez. 1919) verpflichtete 
alle lokalen Arbeiterbörsen, »besonders Jugendorganisationen ins Leben zu rufen, 
um eine Erziehung der Jugend im Sinne des Syndikalismus und des freiheitlichen 
Sozialismus anzubahnen.«(5) Im Folgenden zeigte sich, daß damit reine 
»Nachwuchsorganisationen« gemeint waren; die Jugendlichen hätten sich 
demnach vor allem in syndikalistischen Berufsgruppen organisieren sollen. 

Während Ernst Friedrich davon ausging, daß »die anarchistische und syndi- 
kalistische Jugend unbedingt organisatorisch zusammengehörten«, leugneten die 
Berliner FAUD-Vertreter ein spezielles Jugendinteresse und die Berechtigung 
einer autonomen Jugendorganisation. Sie traten damit, ebenso wie die USPD, die 
KPD, die KAPD und deren Gewerkschaftsorganisationen, die »Allgemeine 
Arbeiterunion«, in diesem Punkt »deutlich in die Fußstapfen der Sozialdemo- 


191 


kraten um die Jahrhundertwende«.(7) Der erwähnte 12. Kongreß der FAUD ging 
mit keinem Wort auf die bestehende anarchistische Jugendföderation Ernst 
Friedrichs ein. War es schon problematisch, angesichts der vielen sozial »ent- 
wurzelten« jungen proletarischen Kriegsheimkehrer und jugendlichen Dauerar- 
beitslosen, die dem Anarchismus und Syndikalismus nahestanden, auf strikte 
Berufsorganisationen zu dringen, so führte dieser Affront gegenüber bestehenden 
Jugendgruppen zunächst zu einer nachhaltigen Isolierung der Berliner FAUD- 
Vertreter von großen Teilen der anarcho-syndikalistischen Jugend im ganzen 
Reich. 

Die anarcho-syndikalistische Jugendbewegung bestand nun aus mindestens 
zwei Richtungen, einer zahlenmäßig größeren um ErnstFriedrich, deren örtliche 
Gruppen sich »Freie Jugend« oder »Freie Jugend Morgenröte« nannten — und 
wenigen Gruppen der »Syndikalistischen Jugend«, die, wie z.B. die Fliesenleger- 
Jugend in Düsseldorf, den Arbeiterbörsen angeschlossen waren. Ernst Friedrichs 
Anhänger wamten in dieser Phase energisch vor der geplanten Gründung einer 
rein syndikalistischen Reichsjugendorganisation durch die »Alten und jungen 
Alten«(8) der FAUD. Friedrich erwähnt als Verbündete hierbei u.a. auch eine 
anderweitig nicht belegte Jugendgruppe in Barmen. 


2. Die frühe rheinische Jugendkultur — 
Nacktkultur, Freidenkertum und 
revolutionärer Wissensdurst 


Der Widerstand gegen den Gedanken der jugendlichen »Nachwuchsgewerkschaft« 
umfaßte neben der persönlichen Anhängerschaft Friedrichs im Raum Berlin vor 
allem die Bezirke »Rheinland/Westfalen« und »Sachsen«.(9) Die anarchistischen 
und syndikalistischen Jugendlichen hatten sich hier nicht nur mit den zentralen 
Organisationsplänen der Berliner »Jungen Menschheit« auseinanderzusetzen, 
sondern mit ähnlichen Haltungen bei den regional führenden Syn-dikalisten 
Windhoff (Düsseldorf) und Reuß (Mülheim). Ende 1920 erschien im »Syndikalist« 
ein Artikel des Berliner-GK-Mitglieds Franz Barwich unter der Überschrift »Was 
will unsere Jugend?«, wo nochmals der gewerkschaftliche Kern auch der 
Jugendorganisation gefordert wurde. Barwich kritisierte darin u.a. selbst die »Junge 
Menschheit«, die, obwohl in der Hand derBerliner Redaktion des Syndikalist, zu 
viele Zugeständnisse an den jugendlichen Separatismus mache. Ein wütender 
Gegenartikel einer jungen Duisburger Anarchistin war die Reaktion, der — wie zu 
zeigen — typisch für die Haltung der rheinisch-bergischen Gruppen war, und trotz 
aller Rebellion offenbarte, welche Hoffnungen in die »Junge Menschheit« als 
gemeinsames Organ der anarchistisch-syndikalistischen 


192 


Jugend gesetzt wurden. Dort heißt es: 
Wenn Du meinst, die junge Menschheit in Deinem Sinn ummodeln zu dürfen, so 
bist Du im Imtum. Die »Junge Menschheit« ist das Blatt der Jugend und 
gehörtuns; gehört jener Jugend, die sich jung fühlt und noch imstande ist, jung zu 
denken, und nicht jenen verärgerten älteren Genossen, zu denen auch Du gehörst, 
die die Jugend schulmeistern wollen, selber den Flug in andere Welten nicht 
wagen, nicht lachen und nicht weinen können im Kampfe um eine neue Welt... Du 
sagst in deinem Artikel, daß die Föderationen der Mutteiboden seien, in dem die 
Jugend wurzle. Ganz recht! Über diesen Mutterboden wollen wir hinauswachsen, 
wir müssen flügge werden wie junge Vögel, wir müssen selbständig werden, sonst 
wird der Mutterboden zum Moorboden, indem wir den richtigen Weg — unseren 
Weg — verlieren... Wir dürfen unser eigenesSehnen und Drängen nicht streitig 
machen,... wollen nicht Marionetten sein und uns nur in Spiel und Sport austoben, 
wir wollen miteinander am Bau der neuenWelt arbeiten, in der auch die Jugend 
Rechte haben wird.(10) 

Die Autorin Franziska Krischer kritisiert dann die jugend- und kinderfeindliche 

Sprech- und Denkweise »vieler älterer Genossen« und zitiert dazu die Reaktion von 

Kindern ihrer Duisburger Kindergruppe (!) auf einen Vortrag den ein erwachsenes 

FAUD-Mitglied den Kindern auf einem Kinderfest gehalten hatte. 
»Na, ich sage Dir, dieser »gelehrte« Mann ließ von seinem hohen Turm der 
Weisheit eine Rede vom Stapel, »piekfein« mit Fremdwörtern gespickt, die die 
meisten älteren Genossen nicht verstanden ...: »Seg, Scheng, ek wönschne, de Käl 
deht obhöre, an die Brödkes (auf berlinerisch: Schrippen) köme an die Reih, wet 
de Deuwel, wat de do bubbelt, ek kann nex begriepe.« 

Als weiteres Beispiel aus der alltäglichen Auseinandersetzung mit den »Alten« 

berichtet sie: 
An einem wunderbaren Sonntag,... gingen fünf Burschen und drei Mädels von der 
syndikalistischen Jugend zum Rhein, um zu baden. Die Mädels konnten leider 
nicht schwimmen..., die Buben... badeten nackt. Wir Mädels haben uns richtig 
gefreut, daß wir einmal einen Mann in Natur sehen konnten, so wie er wirklich 
war (ohne Kulturfetzen) ... Unsere Freude wurde nur getrübt durch einige 
(syndika-listische Genossen) ältere Leute, die hinzukamen und meinten, so etwas 
hätte die Welt noch nicht gesehen, wir wären Schweine usw. ... Waren wir 
Schweine, weil wir eine Mann ohne Schwimmhose gesehen hatten? Nein, die 
Schweine waren diese alten »Böcke«, die ineinemnackten Körperetwas gemeines 
sehen... Hierüber wurde die Jugend vom Vorstand noch einmal extra 
ausgescholten. Na, uns soll es wenig kümmern, wir sind noch nicht sexuell 
überreizt. Wir werden weiter Nackt-Kultur treiben, trotz alledem. Und solche 
Menschen willst Du auf uns hetzen, pfui schäm dich! 
Anhand dieser Beispiele magst Du sehen, daß die Alten noch dieselben 
geblieben sind, nur ihre Namen gewechselt haben, daß es rote Paffen sind. Und 
deshalb setzt uns keine Schranken, gebt die »Junge Menschheit« der Jugend 
zurück. Wir wollen nicht nur »im weitgehenden Maße« zur Mitarbeit 
herangezogen werden, wir wollen unsere Zeitung selber schreiben....« 


193 


Wollten die Jugendlichen einerseits Autonomie, so waren sie doch andererseits 
auf fmanzielle Unterstützung für ihre Organisation und Propagandaarbeit ange- 
wiesen. Es bestand grundsätzliche Einigkeit, »daß Jugendgruppen politische 
Bildungsarbeit zu leisten hätten, daß einer bloßen Bestätigung des jugendlichen 
Spieltriebs durch Geländespiele, wandern und Musikpflege entgegenzuwirken sei 
und diese geselligen Betatigungen als Bildungsmittel für die politisch- 
gesellschaftlichen Aufgaben einzusetzen seien.«(12) Von daher regte sich Wi- 
derspruch in den rheinisch-bergischen Jugendgruppen, als führende FAUD- 
Mitglieder sich dafür aussprachen, nur solche Jugendorganisationen fmanziell zu 
unterstützen, die der FAUD angeschlossen waren. Dazu ein Artikel von Walter 
Tacken, Heizer, Mitglied der Elberfelder »Freien Jugend Morgenröte«, in der 
»Schöpfung« vom 12.7.1921: 
Ich sehe mich gezwungen, die... Ausführungen der Genossen Rocker und Windhoff 
hier zu behandeln. (Sie)... laufen dahingehend, daß... zur finanziellen Unterstützung 
der Jugend nur solche Gruppen in Frage kommen, die der FAUD angeschlossen 
sind. Nun ist aber zu verzeichnen, daß Gruppen bestehen, denen es unmöglich ist, 
mit den älteren Genossen zusammenzuarbeiten, weil eben versucht wird, ihnen 
einen gewissen Zwang aufzuerlegen, dem sie sich als Revolutionäre nicht fügen ... 
wollen, also um ihre Freiheit kämpfen wie die älteren Genossen auch. Anstatt zu 
versuchen, die Jugendzu verstehen (kann man ja auch nicht, weil man nicht jung 
ist!) schneidet man ihnen dadurch, daß man sie nicht unterstützt, jede 
Lebensmöglichkeit ab und macht es wie der Kapitalist, der den Arbeiter, der ihm 
nicht zu willen, sondern Revolutionär ist, einfach auf die Straße wirft... (Das) ist 
aber eine ganz autoritäre, kapitalistische Deutungsweise... und widerspricht der 
gegenseitigen Hilfe (als Vorbild für die Jugend) für alle nach Freiheit Ringenden, da 
doch die Jugend ebenfalls den herrschaftslosen Sozialismus will, und durch diesen 
Kampf gegen alles Alte nicht reaktionär, sondern revolutionär ist. Anstatt nun froh 
zu sein, daß die Jugend auflehnend sich gegen jede Art von Autorität wendet, selbst 
wenn esdie Eltern sind, will man immer hinter der Jugend stehen, um nur gut 
aufzupassen, daß sie keine Sprünge macht, damit sie nicht einmal fehl springt, oder 
sich die Hörner einrennt, wodurch sie gerade Erfahrungen sammeln soll, dadurch 
auch nie selbständig wird und niemals klaren Bildes die Welt schauen lernt. 
Dagegen soll die Jugend immer die Erfahrungen der Alten in sich aufnehmen, die 
doch was ganz Altes, Morsches sind, die aus einer ganz alten Zeit stammen, wo wir 
uns doch jetzt in einer revolutionären Epoche befinden, woraus wir unsere 
Erfahrungen schon sammeln werden. Darum ihr alten Genossen, laßt die Finger von 
der Jugend, laßt sie frei stürmend revolutionär sein. »Erkennende Jugend ist 
Revolution! « 
Erwähnenswert ist die kritische Replik der »Schöpfung«-Redaktion (die doch 
selbst ein oppositionelles Element gegen »Nur-Syndikalismus« und die Berliner 
GK war. »Die großen Worte tun es nicht, sondern die Tat«, heißt es da und der 
Autor klagt darüber, daß die Jugendlichen ihr Geld für Tabak ausgeben, »sowie 
auch sonst im Banne kapitalistischer Afterkultur stehen, wofür viel Geld unnütz 


194 


verpulvert wird.« Im übrigen könnten die Jugendlichen »mit ihren 16 bis 25 
Jahren doch unmöglich behaupten, daß sie die ganze »soziale Frage« intus 
haben, wozu die ältere Generation ein ganzes Leben brauchte...« 


Jugendgruppen 


Im Rheinland und im bergischen Land entstanden im Jahre 1920 in 
verschiedenen Städten syndikalistische, syndikalistisch-anarchistische oder 
anarchistische Jugendgruppen. Polizeiberichte von Februar und März 1921 
erwähnen Jugendgruppen in Düsseldorf, Barmen, Elberfeld, Elberfeld-Sonnborn, 
Mülheim/Ruhr und Moers, wobei die letzten beiden nach Polizeieinschätzung je 
»etwa 50 Mitglieder« zählten und Elberfeld-Sonnbom, die kleinere der beiden 
Elberfelder Gruppen »ca. 20-30« Mitglieder. Die Polizeispitzel wußten auch zu 
berichten, daß »Krefeld, Duisburg, Mönchengladbach, Sterkrade, Hamborn in 
Kürze organisiert werden soll.«(13) Tatsächlich entstanden bis Oktober 1921 
Gruppen in Krefeld, Duisburg, Hamborn und Essen — die Mönchengladbacher 
Jugend brauchte etwas länger als die Polizei erlaubt: Sie brachte es erst 1923 zu 
einer syndikalistischen Gruppe. 

Die rheinisch-bergischen Jugendgruppen organisierten sich Ende 1920/An-fang 
1921 regional in einer 2-monatlich einberufenen Bezirkskonferenz, in der im Jahre 
1921 folgende Orte vertreten waren: Elberfeld, Essen, (Sterkrade), Düsseldorf, 
Düsseldorf-Eller, Düsseldorf-Bi Ik, Duisburg, Friemersheim, Hochemmerich, 
Mülheim/Ruhr, Solingen-Ohligs, Sonnborn und Wiesdorf.(14) Sie nannten sich 
»Freie Jugend« (Friemersheim),»Freie Jugend Morgenröte« (Elberfeld und 
Hochemmerich), »Syndikalistisch-anarchistische Jugend« (Ohligs und Sonn-born) 
oder »Syndikalistische Jugend« (Düsseldorf, Duisburg). 

Hierbei war die Freie Jugend Morgenröte Elberfeld »eine der stärksten Grup- 
pen«.(15) Die Düsseldorfer Gruppen spiegeln verschiedene z.T. dort schon vor 
dem Kriege wirksame Strömungen des Anarchismus und Syndikalismus wider: 
Da gab es die — rein syndikalistische — Düsseldorfer Fliesenlegerjugend und die 
anarchistischen Gruppen in den »selbständigen Bezirken« der FAU Eller und Bilk, 
diein scharfer Opposition zu dem Fliesenlegerführer Carl Windhoff und der 
Berliner Geschäftskommission standen. 

Aus undurchsichtigen Gründen brach die »rheinisch-westfälische« Bezirksju- 
gendkonferenz (unter Einschluß von Gruppen aus Dortmund und Umgebung, die 
Ernst Friedrich nahegestanden und vermutlich überstimmt wurden) im April 1921 
mit der Person Ernst Friedrichs. (»Friedrich ist für uns erledigt«)(16) Friedrich hatte 
eine gemeinsam geplante, gegen die BerlinerFAUD-Geschäftskommission 
gerichtete Reichsjugendkonferenz kurzfristig abgesagt und legtesich den Be- 
mühungen der rheinisch-westfälischen Gruppen, selbst ein Reichstreffen zu 


195 


organisieren, in den Weg. Die geplante Reichsjugendkonferenz fand schließlich 
nicht — wie ursprünglich vorgesehen — in Düsseldorf statt, sondern in der freien 
Natur in der Tieftaler Schweiz bei Erfurt, am 15./16. Mai 1921. »Ca. 30 Delegierte 
aus 14 Ortsgruppen, welche 235 Jungen und 79 Mädchen vertraten«, berieten über 
den »Reichszusammenschluß durch Bildung einer Union anarchistischer und 
syndikalistischer Jugendbünde Deutschlands.«(17) Es fällt die Wahl der Be- 
zeichnung »Bünde« auf, welche in der syndikalistischen Bewegung selten, jedoch 
häufig in den Schriften Landauers sowie bei der bürgerlichen Jugendbewegung 
gebraucht wurde. Die Konferenz betonte die Notwendigkeit, die »Gesamtbewe- 
gung auf eigene Füße zu stellen.«(18) Dies richtete sich nicht nur gegen die 
Anbindung an die FAUD, sondern auch gegen Ernst Friedrich. Man kam überein, 

das Schwergewicht der Bewegung aus den Händen (besser gesagt Köpfen) 

einzelner Personen in die Orts- und Bezirksgemeinschaften zu verlegen.(19) 
Jeder Gruppe und jedem Einzelmitglied wurde es freigestellt, sich zum kom- 
munistischen oder individualistischen Anarchismus, zur FAUD, zur FKAD oder 
zur Richtung Ernst Friedrichs zu bekennen. 

Die GK der FAUD, die ebenso wie die mit ihr sympathisierenden süddeutschen 
Jugendgruppen an der Erfurter Konferenz nicht teilgenommen hatte, reagierte mit 
heftiger Kritik: 

Eine Selbständigkeit der Jugend im Gegensatz zu den syndikalistischen Organi- 
sationen gibt es aber nicht... Die syndikalistische Bewegung hat natürlich nur an 
einer syndikalistischen Jugendbewegung Interesse.(20) 
Abermals ergriffen die rheinisch-westfälischen Jugendgruppen die Initiative. 
Auf ihrem nächsten Bezirkstreffen hieß es: 
Die gesamte Jugend Rheinland-Westfalens... erkennt die Notwendigkeit einer 
Einigung innerhalb unserer Jugendbewegung an und erklärt sich für den Unions- 
vorschlag...(21) 
Die rheinischen Gruppen wollten allerdings nicht den endgültigen Bruch mit der 
FAUD — sie argumentierten, »daß sowohl die FAUD und die Jugend sich ergänzen 
müßten, damit der föderalistiische Gedanke sich schneller durchsetzt.«(22) 
Außerdem wurde, zugleich einlenkend und herausfordernd, die nächste Reichs- 
Jugendkonferenz erst im Anschluß an den bevorstehenden 13. Kongreß der FAUD 
(Oktober 1921) anberaumt. Auf diesem forderten die Jugendlichen einen Tages- 
ordnungspunkt »Jugendfrage« und das Rederecht für einen Vertreter der Jugend. 


Die Düsseldorfer Gründung der SAJD 


Die Düsseldorfer Konferenz fand unmittelbar nach dem ebenfalls in Düsseldorf 
tagenden 13. FAUD-Kongreß vom 14. bis 16. Oktober 1921 statt. »Die am 
stärksten mit Ernst Friedrich sympathisierenden Gruppen,... so die Jugendgrup- 
pen aus Dortmund und Umgebung und Sachsen«(23) boykottierten das Treffen 


196 


von vornherein. Dennoch, und dies zeigte den stark anarchistischen Einfluß der 
rheinisch-bergischen Gruppen, die in Düsseldorf naturgemäß überwogen, wurde 
die Konferenz zu einem »Sieg des Jugend-Anarchismus als Lebensform über die 
gewerkschaftliche Jugendorganisation.«(24) Der Leipziger Konferenzvorsitzende 
Alfred Dresse! faßte Stimmung und Beschlüsse des Treffens so zusammen: 
Wir Anarchisten sind Gegner von Gesetzen, Richtlinien oder Grundlagen (die 
FAUD-GK hatte eine gewerkschaftlich orientierte Prinzipienerklärung der Reichs- 
jugendkonferenz gefordert)... die Prinzipien des Anarchismus (wollen wir) leben 
und dadurch am besten propagieren... Wir brauchen keine Organisation und die 
damit verbundenen Organisationsgewaltigen schon gar nicht! «(25) 
Auf diesem Kongreß der Jugend war neben Alfred Dressel und Rudolf Rocker 
(dessen Rederecht zunächst umstritten war, da er »die freie Meinung der Jugend 
beeinflussen«(26) könne!) dritter Hauptreferent der Künstler (»Johannes der 
Jugend« und spätere »Jesus-Revolutionär«,(27) Max Schulze-Solde. In Hamborn 
unter die Bergarbeiter gegangen, streifte er nach dem Scheitern seines syndika- 
listischen Engagements im Rheinland auf Jugendtreffen und Sonnwendfeiern 
umher. Er vertrat zu diesem Zeitpunkt ein mystisches, »klassenloses« Konzept 
reiner Jugendlichkeit, das zusammengefaßt in seinem Aufruf »ZurReich-Jugend- 
konferenz!« sichtbar wird, der in der Düsseldorfer »Schöpfung« erschien: 
Ihr Jungen! Im Oktober soll nun endlich Euer langgehegter Wunsch in Erfüllung 
gehen.... Nun beweist, daß ihr jung seid. Machts anders als die Alten. Sorgt 
dafür, daß daraus etwas mehr werde als das übliche Geschwätz hinter 
Biertischen bei Zigarettenqualm. 
Jung sein, heißt schöpferisch sein, neue Ideen sprühen, neues Leben gebären. 
Jung sein, heißt protestieren gegen den Schlendrian der Alten. 
Jung sein, heißt besser machen, fun, nicht schwätzen. 
Jung sein, heißt nicht von anderen erwarten... 
Kommt nicht mit Euren langweiligen Tagesordnungen, die Ihr jetzt schon ver- 
öffentlicht und die genauso stumpfsinnig sind wie die Programme der Alten. 
Kommt programmlos! Überlagt alles dem Augenblick, dem lebendigen Erleben! 
Und dann noch eins: seid duldsam, nicht borniert vereinsmeierisch. Ladet zur 
Konferenz die Jugend ein deren Ihr habhaft werden könnt (Parteikommunisten, 
Jungsozialisten, Bürgerliche, Wandervögel usw.)... Jugend ist eben Jugend. Es 
kommt gar nicht auf das Firmenschild an...«(28) 
Entsprechend waren die Ausführungen Schulze-Soldes auf der Konferenz. 
Rudolf Rockers Referat hielt sich allgemein, sprach die Streitpunkte nicht 
direkt an, philosophierte aber beziehungsreich über den Begriff »Freiheit«: 
Und dann: Freiheit darf niemals zur Frechheit werden. Frei ist nur der Mensch, der 
persönliches Verantwortungsgefühl hat. Freiheit ohne Verantwortlichkeit führt 
entweder zur Tyrannei oder zur Sklaverei. Aber beide sind dasselbe.(29) 
Dies richtete sich gegen die individuell-anarchistischen und organisationsfeind- 
lichenStrömungen in der Bewegung. 


197 


Im Gegensatz zu Rockers Ausführungen bewirkte Schulze-Söldes Rede eine 
heftige Diskussion, in der die Berliner Vertreter der jugendgewerkschaftlichen 
Richtung sich in der hoffnungslosen Minderheit befanden. Im übrigen 
distanzierte sich der Kongreß noch einmal von Ernst Friedrich »Wir kennen den 
Menschen nicht! « Auf Schulze-Söldes Empfehlung wurde Alfred Dressel von 
den Teilnehmern der Tagung zum Vorsitzenden einer neuzuschaffenden 
»Reichsinformationsstelle (Rist) der deutschen syndikalistisch-anarchistischen 
Jugendbewegung« bestellt. Bevor das Lokal verlassen wurde, um »im Freien... in 
der Siedlung Freie Erde Düsseldorf-Eller weiter zu tagen«, wurden u.a. noch 
folgende Anträge verabschiedet: 

Die Stellung zur FAUD (Syndikalisten) überlassen wir jeder einzelnen Gruppe 

selbst. 

Jede Gruppe behält ihren eigenen Namen und somit ihre Eigenart... 

Wir ersuchen die FAUD, uns monatlich 3000.- Mark zur Verfügung zu stellen... 

Die Bestrebungen der »Freien Schule« finden stets unsere vollständige Unter- 

stützung. 

Die »Junge Menschheit« kann weiter als Beilage des »Syndikalist« erscheinen. 

Sie gilt aber nicht als Reichsorgan der syndikalistisch-anarchistischen Jugend 

Deutschlands. 

Unseren Gruppen empfehlen wir die Erlernung der Welthilfssprache Esperanto.« 
Zur Verdeutlichung der Zusammensetzung des Düsseldorfer Reichstreffens 
hier die Delegiertenliste. Die Delegiertenzahlen lassen die Größenverhältnisse 
zwischen den rheinisch-westfälischen Gruppen ahnen, wobei zu 
berücksichtigen ist, daß vermutlich ein strenger Delegiertenschlüssel nicht 
eingehalten wurde und viele Gruppen aus entlegenen Regionen nicht ihrer 
Stärke entsprechend, sondern aus Kostengründen nur mit einzelnen Delegierten 
vertreten waren. Für die rheinisch-bergische Region bestätigen die Zahlen, was 
in einzelnen, vagen Erinnerungen mündlich überliefert wird: Die 
Jugendgruppen in Düsseldorf, Elberfeld und Mülheim zählten zu den stärksten 
in der Region. Darüberhinaus zeigt die Liste der Reichsjugendtagung neue 
Jugendgruppen, so in Bochum und Krefeld. 

Aus der Gruppenaussprache sind für unsere Zwecke einige Hinweise auf 
örtliche Verhältnisse von Interesse: Von Berlin wird berichtet, es bestünden dort 
Jugendgruppen mit »ungefähr 130 Burschen und Mädels und »Kindergruppen mit 
ca. 70-80 Kindern«. Der Konferenzbericht hebt—ein Zeichen für eine starke S 
ym-pathie des Kongresses mit Siedlungs- und freien Schulideen, die Arbeit der 
Jugendgruppen in Hamburg-Altona hervor: 

Wirkliche Tatmenschen scheinen in Hamburg-Altona zu leben. Es bestehen zwei 
Gruppen. Eine Gruppe hat sich Land gekauft und siedelt. Sie wird finanziell von 
denen unterstützt, die der Gruppe angehören und noch in der Stadt arbeiten. Die 
andere Gruppe widmet sich der Kindererziehung. In Form einerFreien Schule 
werden Kinder gesammelt und unterrichtet, aufgebaut auf Solidarität und gegen- 
seitiger Hilfe. 


198 


Beginn der eigentlichen Reichstagung. 


Es sind zirka 80, jugendliche Vertreter anwesend. Nach 
näherer Umfrage und Adressensammeln ergibt sich ungefähr fol- 


gendes: 


Vertreter sind anwesend von 


(? )- Delegiertenzahl. 


Mühlheim a. Ruhr (3) 
Bochum essen 12) 
Elberfeld . 5 ; (3) 
Elberfeld-Somborn . 

Düisbursn nad ieaentanen 
Duisburg-Miindcrich .(3) 
Duisburg-Hochfeld. 
München-Gladbach .D) 
Essen-Ruhr. .................. (2) 
VUmarD nern: (1) 
11leerscheid b.Ohligs (Ithld) (I 
Hochemmerisch-Rhld. . ..... (1) 
Mengede, Kreis Dortmund (1) 
Radbod b. Hamm. !. .......... (1) 
Solingen ..........nnnneneneen (D) 


Izlenbuch, Kreis Köthen ..... (1) 


Kramen (Westpr.) .. (1) 
Rasdorf-Rhld. ® .................. (1) 
Wiesdorf .............enn. (2) 
Hamburg ........................... (1) 
Hamborn.............................. (1) 


Dortmund .............eeeen (1) 
Düsseldorf ........................... (0) 
Kreteld...2.2.2. 822. (2) 
Krefeld-Bochum ................ 


eipziS....n este (2) 
Berlin NO ............... 
Berlin-Weißensee . (3) 
Berlin-Spandau ................. 
Dresden-A. ...........cenee (1) 


Ratibor-Oberschlesien . (1) 

Volkshochschule Meiningen (1) 
Friemershei m ............e: (1) 
Lütgendortmund... . ............ &D 


Ein Jugondkamorad aus Haag- 
Holland. 

Zwei Bezirksvertreter der Kom- 

munistischen Jugend Deutsch- 

lands. 

Jugendliche dor Freien prole- 
tarischen Jugend Düsseldorf 


Anwesenheitsliste aus: Protokoll der Reichsjugendtagung 


199 


In der rheinischen Region sind als Beispiele erwähnenswert der Bericht der 
Duisburger Gruppe, der aus dem Protokollsatz besteht: »Hier kaufte die FAUD 
Mandolinen und Gitarren,um eine Jugend ins Leben zu rufen«, und der Bericht 
der Bochumer Vertreter, den der Protokollant vorab kommentiert. »In Bochum 
sind fünf großartige Menschen«: 
wir sind eben überhaupt nichts mehr. Erst waren wir Kommunisten, dann 

Syndikalisten, Anarchisten, Individualisten und jetzt sind wir Stromer.(30) 
Bereits für den Druck des hier zitierten Kongreßberichtes sowie grundsätzlich 
verweigerte die GK der FAUD der neuen »Reichsinformationsstelle« (Rist) jede 
finanzielle Unterstützung. Der Konflikt verschärfte sich, als auch die Berliner 
Jugendgruppen ihren Willen signalisierten, »Sezession aus der bisherigen (ge- 
meinsamen) Jugendbewegung in Kauf zu nehmen, um der Berliner Richtung zum 
Siege zu verhelfen.«(31) In welchem Spannungsfeld sich die gesamte Debatte um 
die Jugendautonomie bewegte, wird daran deutlich, daß zu allem Überfluß die 1. 
Reichskonferenz der Arbeiterbörsen (Pfingsten 1922 in Erfurt) sogar die 
gewerkschaftlichen »Jugendsektionen« ablehnte, wie sie von der loyalen Berliner 
Jugend vorgeschlagen wurden und kategorisch erklärte, 

daß es innerhalb des Syndikalismus eine besondere Jugendfrage gar nicht geben 

könne, da sich die Jugendlichen ebenso wie die Erwachsenen den Berufs- bzw. 

Industrieorganisationen anzuschließen haben.(32) 
Dies war 01 ins Feuer der autonomen Richtungen und so führte die 2. Reichsju- 
gendkonferenz der »deutschen syndikalistisch-anarchistischen Jugend« (ebenfalls 
Pfingsten 1922 in der Tieftaler Schweiz) zu einer Stärkung der Rist, »zur 
Regelung der wichtigen organisatorischen Angelegenheiten.«(33) Der Widerstand 
gegen die »Alten« mobilisierte seinerseits die jugendliche Organisations- 
bereitschaft, es wurden Zwangsbeiträge der Ortsgruppen für die Rist beschlossen, 
sowie die Herausgabe einer eigenen Jugendzeitung.(34) (Diese sollte allerdings 
erst 1924 unter dem Titel »Junge Anarchisten« zustandekommen.) 

Heftige Auseinandersetzungen über die Jugendfrage bestimmten den 14. 
Reichs-kongreß der FAUD (Nov. 1922 in Erfurt). Gegen den Berliner Gedanken 
gewerkschaftlicher Jugendsektionen vertrat Alfred Dressel als Rist-Obmann der 
SAJ deren Unabhängigkeit. Linse faßt Dressels Position folgendermaßen zusam- 
men: 

Dressel... bekannte sich zwar zur Kooperation mit der FAUD, wollte aber den 
Syndikalismus nicht in erster Linie als Gewerkschaftsbewegung, sondern als 
Bewegung zur geistigen Erneuerung des Proletariats verstanden wissen, (setzte) 
»Kulturbewegung« gegen... bloße »Gewerkschaftsbewegung«... (und) verwies 
die Jugend auf eine utopische Transformation der Gesellschaft mittels der »direk- 


ten Aktion«.(35) 
Der 14. Kongreß der FAUD führte erstmals zur Anerkennung der jugendlichen 
Autonomieforderungen — die Resolution der Berliner GK wurde abgelehnt 


und stattdessen beschlossen: 


200 


Die FAUD sieht in der SM eine Organisation junger, nach Freiheit ringender 
Menschen. Sie erkennt, daß eine freie, selbständige Jugendbewegung eine unbe- 
dingte Notwendigkeit für die Fortentwicklung der antiautoritären sozialistischen 
Bewegung ist. Die syndikalistische Arbeiterjugend hat sich schon mehrmals zu der 
Prinzipienerklärung der Syndikalisten, sowie zu der der Anarchisten (der FKAD) 
bekannt, und bekundet dadurch, daß sie gewillt ist,... mit ihren älteren Kampf- 
genossen einheitlich gegen ihre gemeinsamen Feinde: Kapitalismus, Nationalismus 
und Marxismus vorzugehen. Um nicht noch länger die Jugend in geistiger 
Verelendung zu halten und um nicht die positive Entwicklung der antiautoritären 
Bewegung zu gefährden, tritt die FAUD für eine freie, selbständige Jugendbe- 
wegung ein, die in einer Linie geordnet neben der FAUD, sowie der FKAD als 
gleichberechtigte Organisation dasteht.(36) 

Wenn auch die Berliner GK in Mißachtung dieses Beschlusses weiter den Aufbau 

ihrer »Jugendgewerkschaften«(37) betrieb, so war die formelle Selbständigkeit der 

SAJD damit dennoch besiegelt. 

Linse deutet den »Jugend-Anarchismus als Lebensform«, der diese Phase der 
anarcho-syndikalistischen Jugendbewegung bestimmte, als »Integration des Erbes 
der bürgerlichen Jugendbewegung.« Er zitiert zum Beweis dafür den Leipziger 
Jugendgenossen Dressels, Johannes Stein, der den Standpunkt der SAJD im Jahre 
1922 folgendermaßen umriß: 

Die Syndikalisten ziehen einen falschen historisch-psychologischen Schluß, wenn 
sie mit Barwich sagen, die Jugend sei ein Übergangsstadium. Nein, die Jugend ist 
ein konstantes Element in der gesellschaftlichen Entwicklung... Wir als syndika- 
listisch-anarchistische Jugend wollen jetzt beide Säulen, den romantischen Idea- 
lismus und den wirtschaftlichen Kampfgeist durch einen Bogen verbinden...(38) 
Es ist aber nur in zweiter Linie der »romantische Idealismus« der bürgerlichen 
Jugendbewegung gemeint, sondern zunächst der wesentlich ältere der anarchis- 
tischen Ideen selbst, in denen Individuum, Wille, Utopie und »Geist« betont 
werden. So bestand zwar unter den anarcho-syndikalistischen Jugendlichen eine 
große Offenheit gegenüber Ideen und Lebensformen der bürgerlichen Jugendbe- 
wegung, jedoch nur insoweit, als diese den eigenen Ideen ähnlich zu sein schienen. 
In der Praxis herrschte scharfe Abgrenzung von den bürgerlichen Jugendlichen. 
Max Schulze-Stildes erwähnter Vorschlag, mit »Bürgerlichen, Wandervögeln« 
zusammenzugehen, wurde trotz des kurzfristig starken Eindrucks seiner Persön- 
lichkeit nirgendwo umgesetzt. Die anarcho-syndikalistischen Jugendlichen der 
rheinischen und bergischen Region zogen wohl in dieser Zeit mit schwarzen 
Fahnen, Musikinstrumenten und Propagandamaterial zu den großen Jugendtreffen 
etwa am Karort bei Wetter (jeden 1. Sonntag im Mai von 1918 bis 1933) oder auf 
den Rheinwiesen in Düsseldorf, jedoch hauptsächlich, um die vielen proletarischen 
Jugendlichen, die dort neben Bündischen, Völkischen und religiösen Gruppen 
zusammenkamen, für ihre Ideen zu gewinnen. Insoweit war das Zuge- 
hörigkeitsgefühl zur Arbeiterklasse und die scharfe Trennung von »den Bürger- 


201 


lichen« für diese Jugendlichen »selbstverständlich«.(39) Man geriet selten mit den 
bürgerlichen Jugendgruppen aneinander, ließ sie her »rechts liegen« und versuchte 
höchstens, deren Lieder und Reigen mit den »eigenen« zu »überbieten« oder 
wenigstens zu übertönen. 


Aus dem frühen anarcho-syndikalistischen Jugendleben 


Nach Linse hatte die anarcho-syndikalistische Jugendbewegung in den frühen 
Jahren ihres Kampfes um Jugendautonomie »stark realitätsverleugnenden Cha- 
rakter«.(40) Er spielt damit auf die Ablehnung oder Vernachlässigung der 
wirtschaftlichen und politisch-rechtlichen »Tageskämpfe« der Arbeiterjugend 
an. Tatsächlich wurde zu Anfang z.B. vertreten, aus prinzipiellen Gründen 
keine Lehrverträge mit den »Kapitalisten« zu schließen. Unter der Rubrik »Aus 
der Jugendbewegung« erschienen in dieser Zeit im »Syndikalist« und der 
»Schöpfung« so gut wie keine Artikel, die sich mit konkreten Problemen der 
proletarischen Jugend in Betrieb und Ausbildung beschäftigten. Doch sehen 
wir uns die Realität der anarcho-syndikalistischen Jugendlichen etwas näher an. 
Die wenigsten von ihnen hatten zu Beginn der 20er Jahre Lehrstellen. Minimal 
vergütete Ausbildung gab es damals noch sehr selten und überdies reichte in 
vielen Arbeiterfamilien selbst dafür das Geld nicht. 

In Düsseldorf war die Fliesenleger-Innung fest in syndikalistischer Hand. In 
zünftiger Tradition wurden hier die Jungen von den älteren Arbeitern (meist den 
Vätern) selbst eingearbeitet und angelernt. Die erwachsenen Arbeiter kontrol- 
lieren damit streng die »Einstellung« künftiger Gesellen, im doppelten Sinn: 
Sowohl die Zahl, als auch die Gesinnung. Die Bauunternehmer waren dabei ganz 
ausgeschaltet, was für die Jugendlichen hieß, daß ihr Gegenüber zunächst vor 
allem die proletarischen »Alten« selbst waren. 


Weiterhin muß für die Realität der anarcho-syndikalistischen Jugendlichen dieser 
Zeit berücksichtigt werden, daß viele von ihnen ohne Arbeit waren, sei es, weil 
auch sie von der allgemeinen (Jugend-)Arbeitslosigkeit der frühen 20er Jahre 
betroffen waren, oder weil sie als bekannte und durchweg »bekennende« Anar- 
chisten auf »Schwarzen Listen« der Firmen standen. Endlich gab es viele, die es 
prinzipiell ablehnten, sich in einem kapitalistischen Unternehmen zu verdingen. 
(»Ich laß mich nicht ausbeuten«.(41) Dies führte etwa in der Elberfelder Freien 
Jugend Morgenröte (FJM) zu heftigen Konflikten einiger Mitglieder mit ihren 
Eltern, die — selbst Arbeiter und oft Sozialdemokraten oder Syndikalisten — sich 
ihrerseits nicht »ausbeuten« lassen wollten und das Verhalten ihrer Kinder als 
»Faulenzerei«x ansahen, die sie nicht finanzieren konnten und wollten. In der 
späteren Generation der SAJD Wuppertal Ende der 20er Jahre wurde dieses »den 
Eltern-auf-der-Tasche-liegen« als scharfer W iderspruch zur anarchistischen Idee 


202 


verurteilt: »Die wollten sich nicht ausbeuten lassen und haben ihre Eltern und 
Geschwister ausgebeutet!« Frühzeitg wurden daher einige Mitglieder der Elber- 
felderFreien Jugend Morgenröte zu »prinzipiellen Wohlfahrtsempfängern«. Von 
einem von ihnen, Heinz Widitz, wird berichtet: »Der hat's sogar bei den Nazis noch 
fertig gebracht, um die Arbeit rumzukommen.« So spielte der Beruf oder 
Arbeitsplatz in der Freien Jugend Morgenröte praktisch keine Rolle — allerdings 
wird betont, daß diese Gruppe »nur aus proletarischen Jugendlichen« bestand. Es 
wird als außergewöhnlich berichtet, daß in späteren Jahren auch zwei »bürger- 
liche« Jugendliche im »Spiel« waren, als von einigen ehemaligen »Morgenröte«- 
Mitgliedern, so Heinz Widitz, den Brüdern Heinrich und Willi Muth u.a. nach der 
Auflösung der Gruppe ca. 1926 in Elberfeld eine »Rheinische Sing- und Spiel- 
schar« ins Leben gerufen wurde. »Das waren die Musikmeister, die konnten Geige 
spielen und Noten und schöne, mehrstimmige Lieder. Die anderen konnten auch 
gut musizieren, die haben immer miteinander geübt, aber diese beiden haben 
Neues in die Gruppe gebracht.« 

Die Realität, die Linse meint, bestand in der konkreten Erfahrung dieser 
anarcho-syndikalistischen Jugend in den frühen 20er Jahren nicht oder nur am 
Rande. Was sie jedoch nicht verleugneten, war die Realität ihrer allgemeinen 
proletarischen Klassenlage und die innere Realität ihrer Überzeugung. Hierfür im 
Folgenden einige Beispiele. 


Die Elberfelder Gruppen 


Die Spitzelberichte aus Elberfeld zeigen Verwirrung bei der Polizei, was den 
Namen und die Tätigkeit der dortigen Jugendgruppen anbelangt. Als Versamm- 
lung der »Syndikalistischen Jugend« wird eine Barmer Zusammenkunftbezeich- 
net, die von der Elberfelder Freien Jugend Morgenröte organisiert war und von 
deren Kontaktmann Wilhelm Fuchs(42) geleitet war. Die Behörden hatten wohl 
Schwierigkeiten, die zeitweilig nebeneinander existierenden Gruppen »Morgen- 
röte« und »Syndikalistisch-anarchistische Jugend Elberfeld-Sonnbom« 
auseinanderzuhalten. Tatsächlich arbeiteten sie stark zusammen, wobei die 
SAJElberfeld-Sonnborn vermutlich mehr von der starken Präsenz der FAU in der 
Sonnborner Firma Jäger geprägt war. Beide Jugendgruppen hatten von 1921- 
1923 kein grundsätzlich unterschiedliches Verhältnis zur örtlichen Arbeiterbörse 
der FAUD. Der Polizeibericht von der Barmer Versammlung verdient 
Erwähnung, weil er wesentliches über die Ansichten der Jugendlichen und über 
die Polizei aussagt: (43) 

Barmen, den 13.6.21 

Versammlung der syndikalistischen Jugend im Lokale Niesenfels, 


Barmen, Alleestr. 


203 


In der am 12.6. vorm. 10 Uhr tagenden Versammlung der Syndikalisten ist 
vollgendes beschlossen worden: 


Die syndikalistischen Jugendgruppen sind ins Leben gerufen worden, um die 
Jugend neben Spiel und Wanderung mit dem Geiste des Anarchismusses und 
Syndikalismusses vertraut zu machen. Es ist beschlossen worden, regelmässige 
Diskussionsabende zu veranstalten, wobei sich jeder Genosse und Genossin zu 
beteiligen hat. Gerade Diskussion bietet eine gute Gelegenheit, sich durch gegen- 
seitigen Gedankenaustausch weiter zu bilden. Es sei entschieden zu verwerfen, 
diese Jugendveranstaltungen als Unterhaltungs- und Spielvereine anzusehen und 
diejenigen der Mitglieder und Genossen, die diesen Standpunkt vertreten, seien aus 
der Partei auszuschliessen. Der Syndikalismus brauche selbstdenkende und 
wollende Proletarier. Er braucht nicht Massen, sondern nur Menschen, alles 
übrige schade der Bewegung und der ganzen Sache. Besser ein guter Kern als eine 
faule Masse, mit der nichts anzufangen ist. Die letzte Bezirkskonferenz in 
Elberfeld habe gezeigt, dass noch ein sehr grosses Feld bearbeitet werden muss 
und die Jugendorganisationen und Ideen werden noch von vielen älteren Genossen 
nicht begriffen, oftmals bekämpft. Alle, die Fähigkeithaben, die Jugend zum 
Kampfe zu begeistern, sie zu schulen und zu bilden, müssen sich zu Vorträgen zur 
Verfügung stellen, damit die Jugendbewegung eine ideenstarke Verbreitung findet. 
Leiter dieser Versammlung: Wilhelm Fuchs, Elberfeld, Steinbeckerstr. 87. Mit der 
syndikalistischen Bewegung ist in dieser Zeit besonders zu rechnen, da sie für die 
sofortige Besetzung der Betriebe ist. Diese Besitzergreifung wird von drei sozia- 
listischen Parteien jetzt scharf gefordert. 

Neuerdings hat sich speziell die Anarchobewegung mit Chemikern und ehema- 
ligen Feuerwerkern, die ihrer Partei zur Seite stehen, in Verbindung gesetzt, um 
speziell bei durchaus zuverlässigen Mitglieder der Jugendgruppe Vorträge und 
Erläuterungen usw. über den Gebrauch von Gift und Sprengstoffmitteln zu geben. 
Es haben sich bereits zu diesem Zwecke 2 Chemiker der Firma Bayer & Co. in 
Elberfeld gegen gutes Honorar bereit erklärt, deren Name aber bis jetzt noch nicht 
bekannt ist. Sämtliche Mitglieder der Jugendorganisation sind zu gleicher Zeit der 
illegalen K.O. zugeteilt. Die geheime Aufstellung erstreckt sich folgendermassen: 
Rubrikweise eingeteilt 

Rubrik I und II. Ortsgruppe und Städte. 

Rubrik II. Wohnbezirk 

Rubrik 4. Unterbezirk. 

Rubrik 5. der jeweilig zugehörenden Zehnergruppe auf 10 laufende Nummern. 
Rubrik 6. Führer der Zehnergruppe. 

Rubrik 7. Führer der betreffenden Kampfstrasse. 

Rubrik B. Blockführer. 

Zu Rubrik 5 sei erwähnt, dass nur 10 Kämpfer mit ihrem Führer im Ernstfalle 
der Organisation sich kennen, derweil der Führer im Ernstfalle durch einen 
unbekannten Führer ersetzt oder versetzt wird. 

Rubrik 9. geheime Nachrichtensammlung. 

Ausforschung wichtiger sowie militärisch wichtiger Ereignisse. Revolutionäre 
Kräfte der KPD und SPD der parteilosen Persönlichkeiten in jedem einzelnen 


204 


Hause, wenigstens einmal monatlich ihrem politischen Gedankengang über die 
politischen Zeitläufe zu prüfen. Genaue Ueberwachung der konterrevolutionären 
Persönlichkeiten, ob solche im Besitz von Waffen, Mitglieder der Orgesch oder 
Sipo oder Mitglieder irgend einer Selbstschutzorganisation sind. Bearbeitung der 
indifferenten Reichswehr und Schupobeamten, Nachforschungen, evtl. über 
Lagerplätze, ob Waffen oder Sonstiges vorhanden ist. Die Leitung dieses ganzen 
Nachrichtenapparates liegt in den Händen des jetzigen Gruppenchefs und dieser 
ist der jetzige Führer des Bezirkes F. Es werden insgesamt 10 Gruppen und 
Bezirke aufgestellt. 


Aus: HSTA Düsseldorf, Pol. Akten, Nr.15810 


Die Ausführungen des Polizeibeobachters zur »sofortigen Besetzung der Be- 
triebe« und zum »Gebrauch von Gift und Sprengstoffmitteln« und der illeaglen 
Kommandoorganisation (KO) sind m.E. nicht zufällig erst im Anschluß an den 
eigentlichen Versammlungsbericht placiert: Sie haben eher den Charakter einer 
Einschätzung durch den Spitzel. Die »illegale K.O.« ist in dieser Form mit hoher 
Wahrscheinlichkeit eine Erfindung — es gab unter Anarcho-Syndikalisten keine 
Kommandostrukturen. Daß sich junge Anarcho-Syndikalisten im Sinne der 
»direkten Aktion« auch mit dem Umgang mit Dynamit u.ä. beschäftigten, ist 
durchaus möglich — jedoch nicht in derart strategischer Bedeutung, wie das der 
angebliche Zusammenhang mit der »sofortigen Besetzung der Betriebe« nahe- 
legt. Die Anarcho-Syndikalisten wußten, daß eine sofortige Besetzung der Be- 
triebe nicht möglich war und orientierten daher überwiegend auf Bildung, 
Propaganda des Generalstreiks und wirtschaftliche Massenkämpfe, in denen 
Sprengstoff und Gift in der Regel nicht die geeigneten Kampfmittel waren. Die 
einzige »Betriebsbesetzung« war in Elberfeld die Aktion des populären anarcho- 
syndikalistischen Rechtsanwalts Lamp! 

Darüberhinaus war besonders in den frühen Jahren die Gewaltfrage unter den 
jungen Anarcho-Syndikalisten stark umstritten: nicht nur Ernst Friedrichs An- 
hanger propagierten den prinzipiellen Pazifismus — auch in der Elberfelder Freien 
Jugend Morgenröte überwogen solche Auffassungen. Sie beteiligte sich im Jahre 
1922 oder 1923 an Einzelaktionen sozialistischer Arbeiterjugendlicher, die in der 
Elberfelder »Alten Freiheit« die Straßenbahnschienen blockierten (in einem Fall 
mit 5 Jugendlichen) und sich von der anrückenden Polizei widerstandslos ver- 
haften ließen. Gemeinsam mit den jungen Sozialdemokraten sangen die jungen 
Anarcho-Syndikalisten dabei das verbreitete Lied: 

»Nie, nie woll'n wir Waffen tragen, 
nie, nie zieh'n wir in den Krieg. 
Laßt doch die hohen Herrn sich selber schlagen, 
Wir machen das nicht mit.« 
Mitglieder der späteren SAJD Wuppertal erinnern sich namentlich an viele 


205 


Mitglieder der Freien Jugend Morgenröte. Ihre Einschätzung: »Das waren 
keine Leute, die sich in größere Gefahr begaben oder militant waren. Im 
Widerstand gegen die Nazis waren die nicht dabei.«(43) 


Fahrten, Nacktkultur und Sonnwendfeiern 


Die Aktivität der Freien Jugend Morgenröte schien sich auf den ersten Blick »nur« 
in Formen der bürgerlichen Jugendbewegung zu äußern. Man las, diskutierte, 
unternahm sonntags ausgedehnte Wanderungen, sang Jugendbewegungs- und 
Arbeiterlieder, tanzte Reigen in der »freien Natur« usw. Eine besondere Bedeutung 
hatten auch für diese Jugendlichen die Gemeinschaftserlebnisse auf Fahrten, mit 
denen die bürgerliche und proletarische Jugend »aus grauer Städte Mauern« 
hinauszog, um die »Welt« oder »Sich selbst« kennenzulernen. Daß dies für junge 
Arbeiter oder Lehrlinge ein ganz anderer Schritt war, als für Gymnasiasten oder 
Studenten, ist klar. Falls sie noch eine Arbeits- oder Lehrstelle hatten, setzten sie 
diese mit jedem längeren »auf die Walz-Gehen« auf's Spiel, wurden oft nicht nur 
entlassen, sondern auch in späteren Jahren von ihrem ehemaligen Arbeitgeber 
boykottiert(44) und riskierten harte Auseinandersetzungen in ihren Familien, da sie 
dort wichtige Funktionen als Mitverdiener oder Helfer/-innen im Haushalt hatten. 
Ein besonderes Beispiel hierfür ist die Mitteilung, daß eines der wenigen 
weiblichen Mitglieder der FJM, Christine Tacken, zusammen mit ihrer Freundin 
Rose Bergmann (die bei der sozialdemokratischen SM war) im Jahre 1922 
heimlich von zuhause »abhaute«, um als »Tippelschickse« per Anhalterauf Fahrt 
zu gehen. Die beiden Mädchen kamen bis Passau und ernährten sich vom 
»Schallern« (Singen auf der Straße), und vom »Fechten« (Betteln). Roses Stem- 
pelkarte in einer Elberfelder Papierfabrik wurde solange von einer Kollegin 
»bedient«; Christine fiel für das Wäschewaschen in ihrer Familie aus, für das sie 
jeden Montag allein verantwortlich war. »Was die Jungs konnten, das konnten wir 
auch« war die Devise. Auch die »Jungs« unternahmen viele Fahrten und übten sich 
dafür in den bergischen Hinterhöfen und Straßen im »Schallern« und 
Pflastermalen, wovon man eine Fahrt überleben konnte. 

Neben größeren, oft monatelangen Fahrten (die etwa die spätere »Rheinische 
Sing- und Spielschar« bis nach Schweden und Norwegen führte), wanderte die 
Freie Jugend Morgenröte häufig ins nahegelegene Deilbachtal, wo Düsseldorfer 
Künstler um Max Schulze-Sölde sich in einer »Landkommune« versuchten, und 
von wo die Jugendlichen literarische und weltanschauliche Anregungen erhielten. 

Besonderen Wert legten die anarcho-syndikalistischen Jugendlichen in dieser 
Zeit auf die z.T. sehr offensiv gepflegte Nacktkultur. Die Nacktheit wurde nicht 
nur als Provokation gegenüber den »prüden« Erwachsenen verstanden, sondern 
war zugleich für diese Jugendlichen ein Symbol für»Freiheit«: Sie meinten so im 


206 


wörtlichen Sinn, »die ganze alte Kultur abstreifen« zu können. 
Nachstehend ein Bericht von der»Sonnwendfeier der Jugend Rheinlands« 1922 'im 
Neandertal: 


Neandertal — ruft der Schaffner. Fröhlichen Herzens steigen wir aus. Hier will die 
Jugend Rheinlands und Westfalens das Fest der Sonnenwende feiern. In einer 
langen Schlangenlinie wälzt sich der Zug über Berg und Tal. Voruns liegt der letzte 
Berg. Ein Teil der Jugendlichen übersteigt ihn, von der sinkenden Sonne gegrüßt. 
Ein anderer Teil steigt in Hades ein, geht durch einen hundert Meterlangen Tunnel, 
der einem Bach als Bett dient, hinein in die Unterwelt. Als Wegweiser durch die 
plätschernden Wellen dient ihnen eine stinkende Tranlampe. Im Tal werden wir 
von 150 Erwachsenenen und Jugendlichen lebhaft begrüßt. Wir sind auf der 
Liebesinsel, die von Bergen, von Gestrüpp und B äumen lieblich umzäunt wird. 
Wir breiten unsere Decken aus. Einige Burschen und Mädel aber steigen an den 
steilen Anhängen empor. Bald breitet die Dämmerung ihre Fittiche über uns. Feuer 
werden angezündet und Kochgeschirre darin aufgehängt. Von den Höhen aus 
überblicken wir das bunte Lagerleben drunten im Tal. Seht nur— spricht einer— so 
mögen auch die Auswanderer gelebt haben, die an ihren Feuem backten und 
kochten. Unserer Zwei entdeckten wir an der Bergspitze eine Höhle, die so 
versteckt lag, daß die Vorüberklettemden unser nicht gewahr wurden. Wir holten 
uns eine Decke und eine Klampfe und richteten ein Lager her. Andere aber waren 
unterdessen fleißig tätig, um einen großen Holzstoß aufzurichten. Gegen 11 Uhr 
abends ruft uns ein Horn aus unseren Träumereien auf. Die Feier soll beginnen. 
Wie war euer Programm? So etwas kennen wir nicht. Jeder gab sein Bestes. Noch 
ehe der Holzberg angezündet wurde, hatten sich schon über fünfzig Jugendliche 
ihrer Kleider entledigt. Im Namen der Agitationsleitung begrüßt ein Elberfelder 
Jugendgenosse die ungefähr 250 Jungen und Alten. Nach ihm hält ein anderer 
Jugendgenosse die Festansprache, der er Mackays »Selbstfindung« voransetzte. Ein 
älterer Genosse spricht den Goetheschen »Prometheus« und richtet zündende Worte 
an die Jugend. Und im gleichen Sinne sprach noch ein anderer Genosse zu uns. 
Gemeinsam sangen wir die Internationale. Als die Flammen an vier Meter hoch 
schlugen, da tanzten die nackten Jugendgestalten um die feurige Lohe. Nicht alle, 
die zum Gelingen des Festes beitrugen, können hier genannt werden. Sehr schön 
brachte ein alter Genosse Heinrich Heines »Weber« zum Vortrag, und ein junges 
Mädchen das Gedicht »Noch glüht in uns das Leben«. Die Feier fand ihren 
Abschluß mit einem Lied der »Freien Sanger Elberfelds«. Da machte ein Jugend- 
genosse den Vorschlag, die parteikommunistische Jugend, die im Nachbartal ihre 
Sonnenwende feierte, zu besuchen. Als wir ankamen, hättet ihr den Skandal hören 
sollen: »Ihr schämt euch nicht, nackend hierher zu kommen?« Wir hatten zum 
Schämen wenig Zeit. Wir konnten uns höchstens darüber schämen, daß »Revo- 
lutionäre« uns dies sagten, während die unserer Feier beiwohnenden bürgerlichen 
Jugendlichen nur den besten Eindruck von unserer Feier hatten. Wir blieben den 
Kommunisten die Antwort nicht schuldig. Als wir zurückkehrten, fanden wir die 
meisten Jugendlichen in Decken eingehüllt um die Lagerfeuer liegen. Ein feiner 
Sprühregen setzte ein. Wirsuchten deshalb wieder unsere idyllisch gelegene Höhle 
auf. Der Tag küßte uns wach und in dem plätschernden Bach wuschen wir den 
Schlaf aus den Augen. Um 1/2 6 morgens hatten wir dann eine Aussprache, an der 
teilnahmen die Gruppen: Bochum, Mengede, Düsseldorf, Düsseldorf-Eller, El- 
berfeld, Elberfeld-Sonnborn, Friemersheim, Ohligs, Hamm, Lütgendortmund, 
Rotthausen und Hochemmerich... 


Hans Gaidies (HochemmerichX45) 


207 


In dem Bericht folgt die Stellung der Jugendlichen zur FAUD und zur bevor- 
stehenden Gründung der SAJD — hier ist Jugendleben und Bezirksjugendkon- 
ferenz verbunden worden. Erwähnenswert vor allem im Zusammenhang mit der 
Polizeiversion von dieser Feier, ist auch eine Notiz des ElberfelderFJM-Mitglieds 
Otto Lünenschloß: 
Ein Tag für Spitzel. 
Die Tage des 18. und 19. Juni waren für die Polizei undihre Helfershelfer 
aufregende Tage. Da feierte die revolutionäre Jugend Ihre Sonnenwende, zog 
hinaus in die freie Natur, um der Kraftspenderin Sonne zu huldigen. Am flam- 
menden Feuer wollte sich unsere Jugend ergötzen, im frohen Spiel und Tanz um 
die Sonnenwendfeier sich ihrer unbändigen Kraft bewußt werden. Die Jugend- 
lichen wollten Menschen werden, wie sie die Natur geschaffen hat. Aber das ist 
gefährlich für den Staat und seine Söldner. Am Tage schon vorher hieß es, daß 
die syndikalistische Jugend eine Nachtübung abhält. Die Straßenpolizei mußte 
eifrig Umschau halten nach den Wandervögeln, Spitzel waren aufgeboten, an 
den Versammlungen teilzunehmen. Und man konnte auch manches fremde 
Gesicht bei unserer Zusammenkunft sehen. Wie werden sie zu Hause über 
unsere Lieder, Tänze und Gespräche simuliert haben, umeinen Bericht an ihre 
Vorgesetzten fertigzubekommen. 
Es ist ja ganz gut, wenn sich die Regierung mit der Jugend beschäftigt, es ist nur 
schade, daß sie es auf falsche Weise macht. Und bei der nächsten Sonnenwendfeier, 
die am 17. Dezember stattfinden wird, schickt sie uns hoffentlich solche Spitzel, die 
nicht vorher erzählen, warum sie da sind.«(46) 





der Freien Jugend Morgenröte Heinz Widitz (2.v.1.) und Willi Muth (3.v.r.) 


208 
Entschiedenes Freidenkertum 


Die Sonnwendfeier vermittelt einen Eindruck von der Stimmung und dem Niveau 
des anarcho-syndikalistischen Jugendlebens. Ergänzend sei hier darauf 
hingewiesen, daß der Anlaß selbst ein »gegenkultureller« war: Den christlichen 
Festen wurde in der radikaleren Arbeiterbewegung, vor allem beeinflußt von ihren 
Freidenkerorganisationen, der Versuch eigener ritueller Festveranstaltungen 
entgegengesetzt. So waren auch die Anarcho-Syndikalisten engagiert in der 
Gestaltung von Feuerbestattungen, wie sie die proletarischen Freidenker in Europa 
wiederbelebt hatten: Ein führender rheinischer Anarcho-Syndikalist, der gelernte 
Duisburger Autoschlosser Julius Nolden, war — wie schon erwähnt — in 

den 20er Jahren von Beruf Feuerbestattungsredner. 

Auch die Sommer- und Wintersonnwendfeiern nahmen einen wichtigen Platz 
in der freidenkerischen Gegenkultur ein, das christliche Weihnachtsfestwar unter 
den antikirchlichen und antichristlichen revolutionären Arbeitern verpönt. 

Die Düsseldorfer Fliesenleger organisierten z.B. alljährlich für ihre Kinder und 
die anderer Anarcho-Syndikalisten einen »alternativen« St. Martinszug: Sie 
übernahmen dabei den Brauch, Laternen zu tragen, die aber häufig schwarz-rote 
Farben hatten bzw. die Kinder bekamen schwarze Fähnchen mit rotem Stern, — so 
der frühere Fliesenleger Karl Wüsthoff aus Düsseldorf. 

Die Anarcho-S yndikalisten entwickelten darüber hinaus die eigenen Traditionen 
sogenannter Kropotkin-Feiern und Gedenktage an den 1909 in Spanien er- 
schossenen revolutionären Pädagogen Francisco Ferrer. Möglicherweise war das 
Datum dieser FAUD-Kongresse und der Düsseldorfer Reichsjugendkonferenz 
(jeweils um den 13. Oktober) bewußt zu Ferrers Todestag gewählt. Versuche der 
SAJD, im Zusammenhang mit dem Aufbau der sogenannten »Anarchistischen 
Jugend-Internationale«, den 6. Juli, den Todestag Bakunins, zum 
Internationalen Jugendtag zu machen, blieben jedoch erfolglos. 

Ein Beispiel für den energischen Kampf gegen Kirche und. christliche 
Religion, der von den erwachsenen Freidenkern angeregt war, gibt im Jahre 
1923 der Duisburger Jung-Anarcho-Syndikalist Georg Radlbeck. Er berichtete 
vom »Rheinischen Jugendwerbetag« am 28. September 1923, die die anarcho- 
syndikalistischen Jugendlichen vor allem aus Duisburg und Düsseldorf in Oedt 
abhielten: 


Als Thema hatten wir »Anarchie und Kulturbewegung« gewählt. Die Tagung scheint 
dem braven Spießer mächtig in die Knochen gefahren zu sein. Denn der Herr Pastor 
wetterte von der Kanzel, um seine Herde vom Lichte und der Wahrheit fernzuhalten. 
Als Bundesgenosse ging der Herr Ordnungshüter von Haus zu Haus und warnte vor 
den Anarchisten. Es ist ihnen jedoch nur zum Teil gelungen. Trotz alledem waren 
viele Besucher erschienen. Darüber sind sie heute schwarz vor Wut und zittern vor 
Schmerz. Als Beweis ihres Hasses diesen folgenden, von echt 


209 


christlicher Schimpf- und Schmähworten strotzenden Artikel: 


»Oedt, den 7. Oktober. Man schreibt uns: eine gemeingefährliche Sippschaft 

aus Rheinhausen suchte an dem verflossenen Samstagabend und Sonntagmorgen 
unsere gute katholische Gemeinde Oedt heim. Halbwüchsige grüne Jungen und 
minderjährige kaum dem Kindesalter entwachsene Mädchen zogen am Samstag- 
abend barhäuptig und zum Teil mitnackten Füßen in unseren Ortunterdem Gesang 
ordinärer Freidenkerlieder, die jedem christlich empfindenden Menschen die 
Zornesröte in das Antlitz trieben. Das arme mißratene und von roten Teufelsdie- 
nern im Freidenkerhabit belogene und betrogene jugendliche Gesindel hat die 
Nacht bei hiesigen Gesinnungsgenossen kampiert. Ob die Unterkunftsmöglich- 
keiten den Anforderungen, die Anstand und gute Sitte beanspruchen, gerecht 
geworden sind, darf billig bezweifelt werden. Bei der moralischen Einstellung 
dieser Elemente und ihren Weltanschauungsbegriffen gemäß, sind die Worte 
Anstand und Moral für diese Sorte Menschentum eben überlebte Begriffe. Die 
Höhe der Gemeinheit erreichte das Treiben der zuchtlosen Bande am Sonntag- 
morgen, wo dieselben planmäßig den Gottesdienst zustören und das katholische 
Gefühl ehrlicher Christenmenschen verächtlich zu machen bestrebt waren. An der 
Kirche, worin der Priester am Altare das heilige Meßopfer darbrachte, vorbeizie- 
hend, brüllte die jugendliche kommunistische Freidenkerhorde in taktmäßigem 
Marschtempo die Verse: »O heilige Elisabeth, ein jeder deutsche Priester hat vor 
dem Kopf ein Brett und diese zu veräppeln ist unsere größte Lust«. Ferner wurde 
der heilige Bonifatius geschmäht und verhöhnt. Den Sonntag über hielt sich die 
braune Gesellschaft, deren hervorstechende Merkmale Bubenköpfe und ordinäres 
Benehmen waren, in verschiedenen Häusern von Gesinnungsgenossen auf. Am 
Abend war Oedt nach dem verschwinden der Rotte Korah wieder seuchenfrei. Wir 
müssen von unserer Polizeiverwaltung bei einem weiteren derartigen Anlasse 
dringend und kategorisch ein energisches Einschreiten verlangen. Das Treiben 
derartiger Elemente charakterisiert sich zur Evidenz als kompletter grober Unfug 
und Verächtlichmachung der christlichen Religion bzw. Störung des Gottes- 
dienstes in der hiesigen katholischen Pfarrkirche. Alle diese vorstehend aufge- 
führten Delikte aber verlangen und bedingen eine strafrechtliche Ahndung. 
Videant consules.« 
Der gut katholische Artikelschreiber hat vor lauter Wut beim Schreiben dieser 
Zeilen den Federhalter gefressen. Im übrigen scheint er sehr mit Taubheit 
geschlagen zu sein, denn sonst hätte er gehört, daß die Verse nicht so lauten. 
Aber seine Schimpfworte, die er aus dem christlichen Wörterschatz entnommen 
hat, rühren uns gar nicht, dagegen sind wir... längst geimpft... 


Radlbeck(47) 


»Wissen ist Macht« 


Immer wieder stoßen wir auf Aktivitäten und Aktionen, die intensive ideologische 
und Bildungsbemühungen der Jugendlichen zeigen. Welche Formen dies in 
Elberfeld hatte, und was dabei über das Verhältnis der Freien Jugend Morgenröte 
zur örtlichen Arbeiterbörse zutagetritt, zeigen die folgenden Beispiele: In den 
wichtigsten »Kommissionen« der Arbeiterbörse Elberfeld saßen Vertreter der 
FJM! Es existierten 1923 drei Kommissionen: Für Agitation, Bildung und für 


210 


»Inhaftierte Genossen«. In der Agitationskommission saßen im Jahre 1923 Willi 
Huppach, der zugleich Delegierter der Bauarbeiterföderation auf der Reichs- 
konferenz der Arbeiterbörsen 1923 war, und Fritz Millnat(48), Hans Barylla, 
ebenfalls Mitglied der FJM, war zugleich Vorsitzender der »Freien Vereinigung 
aller Berufe« und Schriftführer (!) der Arbeiterbörse.(49) Er war auch zusammen 
mitdem schon erwähnten Heinrich Muth in der Bildungskommission der AB tätig 
und Bibliothekar der Elberfelder FAUD-Bibliothek,(50) die als gemeinsam 
finanzierte Leihbibliothek allen Anarcho-Syndikalisten kostenlos offenstand. (Sie 
wurde später ins Haus der Familie Benner verlegt und umfaßte nach deren 
Angaben zu Beginn der 30er Jahre über 1000 Bände, worunter »alle Werke des 
freiheitlichen Sozialismus, Werke von Marx, Heine, Upton Sinclair, Jack Lon- 
don....« waren. Die Bücher wurden größtenteils vor den Haussuchungen ab 1933 
ausgelagert und sind verschollen — lediglich Kropotkins »Eroberung des Brotes« 
und »Landwirtschaft, Industrie und Handwerk« überstanden zahlreiche Haus- 
suchungen. (Die Nazis hielten sie infolge der Jugendstil-Einbände von Heinrich 
Vogeler für Schriften der Reichslandwirtschaftskammer.) 

Mitglieder der FJM übernahmen also durch ihre Rede- und Schriftgewandheit 
bedeutende Aufgaben in der Organisation der älteren Genossen. Einzelne re- 
ferierten bei FAUD-Versammlungen, so der bereits genannte W. Felsch und 
Arthur Widitz,(Bruder des oben genannten Heinz W.) »welcher jeden Dienstag 
Abend bei DEBUS wissenschaftliche Vorträge« (51) hielt. Letzterer unterwies die 
interessierten und älteren Genossen auch in Esperanto, das damals in der Arbei- 
terbewegung als Weltsprache des proletarischen Internationalismus pro-pagiert 
wurde. Esperanto sei, als künstliche Synthese aus mehreren Sprachen nicht so an 
das Erbe des Kolonialismus geknüpft, wie die Weltsprachen Englisch, Französisch 
oder Spanisch. Vor dem Hintergrund solchen »Bildungshungers« ist ohne weiteres 
glaubwürdig, wenn von Willi Felsch berichtet wird, er habe 1923/24 »bei 
Petroleumlicht Nacht für Nacht« ein komplettes Lexikon abgeschrieben, da er sich 
keines kaufen konnte. Es bestätigt sich für Elberfeld, was Linse generell über den 
Kampf um Jugendautonomie schreibt, nämlich daß 

..bei der Mehrzahl der ...Gruppen das Verhältnis zu den älteren Syndikalisten 

am Ort als gut bezeichnet wurde — die Forderung nach Selbständigkeit war also 

vor allem gegen die Berliner GK gerichtet. (5 2) 
Angesichts dieser engen Verbindung zur Elberfelder AB war die Freie Jugend 
Morgenröte zumindest in den Jahren 1921 bis 1923 nicht in stärkerem Maß 
»realitätsverleugnend« als die FAUD selbst, wenn sie auch zusätzlich auf ju- 
gendlichen Lebensformen bestand. Angehörige der späteren S AJD Wuppertal 
erinnern sich: »Die waren am Anfang noch sehr politisch!« Die Jugendlichen der 
FJM nutzten die Arbeitslosigkeit als Chance für Bildung und Aktion: »Wenn wir 
auch sonst nichts hatten — aber Zeit hatten wir, und die ham wir genutzt.« 


211 





Anarchosyndikalistische Jugendliche, 1. und 2. v. links: Willy Benner, Hermann Hahn 


Identität 


Die anarcho-syndikalistischen Jugendlichen der frühen 20er Jahre übernahmen 
wohl Formen,Ttrachten und z.T. Lieder der bürgerlichen Jugendbewegung— etwa 
den Schillerkragen, das Barfußgehen oder »Jesus-Sandalen« und weiter Loden- 
capes (»Die waren zum Plakatkleben ungeheuer praktisch, da konnte man den 
Kleistereimer gut drunter verstecken!«), 

Die Mädchen trugen mitunter — wie beim Wandervogel oder der Bündischen 
Jugend — »sonnengebleichte Kleider« und Messingstirnreifen. 

Aber diese Jugendlichen standen zugleich in völlig anderen theoretischen und 
praktischen Zusammenhängen als die bürgerliche und die übrige proletarische 
Jugendbewegung, auch wenn Freundschaften und Bekanntschaften zu jungen 
Sozialisten und Kommunisten nichts Seltenes waren. »Die linken Jugendlichen in 
Elberfeld kannten sich alle, die haben sich gegenseitig auf ihren Versammlungen 
besucht und dann ging es heiß hin und her ...« 

Häufig wurde diese bewußte »Andersartigkeit« von den »Morgenröte«-Ju- 
gendlichen auch durch abweichende Kleiderzusätze ausgedrückt, z.B: einen 
schwarzen »Anarchistenschlips« (»Das war meine Haarschleife, die hat mein 
Bruder mir geklaut! «), schwarze Hüte (auch »Ententeich« genannt) oder schwar- 
ze Stiefel. 





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Anss h@syraseinstischß uoffie üboikes ‚lcichB ffiuz ElttmifllRd wad amm.11923 


Midbsgllieherweise wheaten dEjg©z Amar h®-Syndlkalnsgen nn den firMemu J n-tim 
gerade desilleii die Bertülhuruwgen mit 1b°-°u>rrgerD’nc£Thi Dugendbewegcen 
Bowmen net, wen sie sieh ihrer Bigenheit; SO ibewu k wairene Diese innere Ilcdc4 Ida 
gerie£ erra dann in Cieffailbrs wenn Me Verbiwdungsserenge zum prolletarrischen 
Affitag durchschnitten wurden; doh. dem Zeitpunkt, w© d;esen Jugendlichen gat mehr 
der Kontakt Apbents- Ind Ausbildungskollegen flehites modem such deg' zur 
ktmpffenden Aribeitter©rgainisagn©n (dite die MUD nach 1924 zummnndestr, nır- 
Elllerffelld nicht mehr sein konnte). Wenn O1 nn much noch Verbindungen - _s 
FEnill°ne Abrissen (zoBo infolge des Lebensstils, der Fa>hr= wurde die 
ildlentitr ains radikale Arbeiterjugend Nlei6l% hohl und IoIIOB. mMaullffeehticeren«o 
l- ivilberraseht daher nicht, wenn vide Mitgliedes der IR IIbxerffellder Preien Jugend 
MÖrgenrd4ge und der Syndikalistrsclb-anarchistischen Jugend p):itrer nicht tnn dler 
türtlielhien MUD exderimm ainarelhim=syndiPeadisttischen Jugendbereich 1bl°netvaemlo 
Mnige ginr cnwurr IC.PID Onleinme h Mudln) geinige zogen sieh ins Privadelbew zurucko 
wit der aindere aktive Freidenker in der alMfeh©-syndamiäsaelhi beak- 
ft77uBeen GpPoAt le in Elberfeld unto 1930 »ca. 2,tmt Mitglieder« haute. Bis aid’ wenige 
Aus [IA hmmen (Walter Tacken, Ritz Minus) gab es iseiwe pers©nelllle KOndnunttg mu 
der spSt;eren SAID Wuppertal ab 1929. 

Die Aibyrc. izumng der beiden fallen Merffellder Jugend-,-r uppen gegeneiwwndert 
seheing loeiw schwerwiegendes Problem gewesen zu selle. a fist wieio OiD-' "'e, rsine 


213 


aktive Gegnerschaft oder Konkurrenz bekannt. (Derartiges wäre bei der sonst 
üblichen eifersüchtigen Abgrenzung in der »Schöpfung« oder im »Syndikalist« 
aufgetaucht). Zu Anfang (zumindest bis 1922) war die Mitgliedschaft sowieso 
nicht verbindlich geregelt. Nach allem, was wir wissen, scheint die FJN die ältere 
und größere Gruppe gewesen zu sein. Da in allen anarcho-syndikalistischen 
Jugendgruppen Gruppen- oder Fraktionszwänge verpönt waren, weil sie nicht mit 
der individuellen Freiheit vereinbar seien, haben wir uns beide Gruppen als lose 
und sich durchdringende Vereinigungen vorzustellen, die oft gemeinsam auftraten, 
besonders, wenn es um ihre Identität als Jugendliche ging. Die vielfältigen Formen 
ihres Auftretens erfaßten daher auch nicht immer alle Gruppenangehörigen: die 
einen wanderten mehr, die anderen lasen mehr, wieder andere waren besonders 
aktive Organisatoren; einige waren für gewaltsame Aktionen, die (meisten) 
anderen dagegen. Die Elberfelder Jung-Anarcho-Syndikalisten scheinen aber in 
jedem Fall zeitweise zu den aktivsten örtlichen Jugendgruppen gehört zu haben, 
denn die Elberfelder Polizeiverwaltung meldet dem Düsseldorfer 
Regierungspräsidenten am 19.8.21: 

In der Jugendbewegung am rührigsten die syndikalistisch-anarchistische Ju- 

gend... Sie ruft in grellen Plakaten zu einer Versammlung auf.(53) 
Wir wissen nichts Genaues über den Inhalt dieser und ähnlicher 
Versammlungen und ebensowenig, ob die Polizei in diesem Fall die 
»Syndikalistisch-anarchi-stische Jugend Elberfeld/Sonnborn« meint, oder ob 
ihre Spitzel hier aus Unklarheit eine vage Sammelbezeichnung verwendeten. In 
jedem Fall dürften größere Veranstaltungen in Elberfeld und Barmen von beiden 
Gruppen getragen, organisiert und besucht worden sein. 

In den späteren Jahren lockerten sich — vermutlich parallel zur sinkenden Zahl 
und Bedeutung der Industrieföderationen der FAUD — die Bindungen an die 
älteren Syndikalisten. Die FJM scheint 1924 oder 1925 zerfallen zu sein. Einige 
ihrer arbeitslosen Mitglieder bauten sich im Gebiet der heutigen Nüller-Straße auf 
städtischem unbesiedelten Gelände Holzhütten, in einem Fall auch ein Steinhaus: 

Die haben sich billig Bretter von Reklametafeln besorgt. Die wurden als Abschir- 
mung aufgestellt uind dann konnte man dahinter ungestört hochmauem. Am 
Schluß wurde die Verschalung abgemacht — die Strafe war viel billiger als die 
Baugenehmigung! 
Ehemalige Morgenröte-Mitglieder trafen sich bis 1933 regelmäßig in einem 
»Debattierzirkel« am Arbeitsamt oder auf der Straße am Elberfelder Neumarkt. 
Sie waren dort unter den Arbeitern bekannt und belächelt als die Wuppertaler 
»Kakaophilosophen«. »Die hatten ihre eigene Philosophie und versuchten, da- 
nach zu leben«, faßt ein späteres SAJD-Mitglied zusammen. Vielfach näherten 
sich die Lebensformen denen von Landstreichern und »Tippelbrüdern« an, die 
zeitweilig von Anarchisten und Anarcho-Syndikalisten als potentielle Rebellen 
angesehen, prinzipiell geschätzt und vereinzelt umworben wurden, so von Erich 
Mühsam. Dieser war unter den Anarcho-Syndikalisten des Wuppertals hochver- 


214 


ehrt(54) und war nach langen Streitigkeiten mit seiner Anarchistischen Vereini- 
gung kurz vor seiner Ermordung indie FAUD eingetreten.(55) Mühsam hatte 
pathetisch und provokativ formuliert: 
Verbrecher, Landstreicher, Huren und Künstler — das ist die Boh@me, die einer 
neuen Kultur die Wege weist.(56) 


Aus den Düsseldorfer Gruppen 


Auch in Düsseldorf gab es »Jjugendbewegte« Formen unter den jungen Anarchi- 
sten und Anarcho-Syndikalisten. Die Syndikalistisch-anarchistische Jugend 
hatte sogar in den späten 20er Jahren (1926) noch den Plan, ein proletarisches 
Gegenstück zum »Zupfgeigenhansl« herauszubringen. Dies läßt Rückschlüsse 
auf die Nachhaltigkeit der Bräuche »des Wanderns, Singens und Springens« und 
auch des Kampfliedes in Düsseldorf zu, da um diese Zeit viele ursprüngliche 
Jugend-bewegungsformen schon abzubröckeln begannen, z.B. das 
Reigentanzen. Die Düsseldorfer Jugendlichen handelten dabei 
interessanterweise ebenfalls in Zusammenarbeit mit älteren Syndikalisten: 
Die Syndikalistisch-anarchistische Jugend Düsseldorfs und die Arbeiterbörse 
Düsseldorfs haben die Absicht, ein proletarisches Kampf-, Wander- und Reigen- 
liederbuch herauszugeben. Material mit Liedern und Reigen an Hubert Pootmann. 
SAJD D'dorf ArbeiterbörseD'dorf(57) 
Ob dieses Vorhaben verwirklicht wurde, ist nicht bekannt — es existiert 
unseres Wissens kein gedrucktes Exemplar. Die Idee dürfte zumindest bei dem 
einfluß-reic hen Fliesenlegerführer Carl Windhoff auf wenig Gegenliebe 
gestoßen sein. (In Düsseldorf wurden die Syndikalisten von den Gegnern auch 
»Windhoff-Gewerkschaft« genannt.) 

In dieser Stadt gab es die meisten verschiedenen anarchistischen, syndikali- 
stisch-anarchistischen und syndikalistischen Gruppen und Jugendgruppen. So 
führte die Fliesenlegerjugend lange ein Eigendasein, über das keine Berichte 
vorliegen. Sie stieß erst 1926 zur »Syndikalistisch-anarchistischen Jugend Rhein- 
lands«, scheint aber aktiv und zahlenmäßig nicht unbedeutend gewesen zu sein, 
denn die Düsseldorfer Vertreterin erklärte auf der »Konferenz der SAJ Rheinlands 
in Elberfeld« im Juli 1927: 

Die Hollandfahrt hat uns sehr heruntergebracht... Aber durch den Zugang der 

Fliesenlegerjugend haben wir einen großen Aufschwung zu 
verzeichnen.(58) Bis mindestens 1924 bestand neben den schon erwähnten 
Jugendgruppen in Düsseldorf-Eller und -Bilk noch eine vergleichsweise starke 
»Freie Jugend-Gruppe«, die Kontakt zu Ernst Friedrich und Max Schulze-Sölde 
hatte. Mit letzterem als »Feuerredner« führte sie 1923 in den Wäldern bei Ratingen 
eine Sonnwendfeier durch. Sie umfaßte zwischen 1921 und 1924 »durchschnittlich 
30 oder 35« Jugendliche, »in unsern besten Zeiten waren wir 50.« 


215 


Die Gruppe lehnte den »gewerkschaftlichen Syndikalismus überwiegend ab«, war 
aber u.a. an der gemeinsamen Sonnwendfeier der rheinisch-westfälischen Jugend 
1922 im Neandertal beteiligt. Diese Gruppe geriet des öfteren wegen öffentlicher 
Nacktbade-Aktionen mit der Polizei aneinander. Sie bestand ȟberwiegend aus 
Arbeiterjugendlichen«, von denen ebenfalls viele jedes Jahr »auf die Walz« 
gingen, »oft vom Frühling bis zum Wintereinbruch«. Dies schloß natürlich all die 
Mitglieder aus, die wegen Arbeit oder Familie nicht so lange abkömmlich waren— 
so berichtet ein ehemaliges Mitglied, der spätere Düsseldorfer Kommunist Rudolf 
Treiber, der damals eine Ausbildung zum technischen Zeichner machte und fast 
der einzige Lehrling in dieser Gruppe war: »Da war zum Beispiel ein Freund von 
mir drin, der war Rottenarbeiter bei der Reichsbahn, der konnte »in'n Sack hauen«, 
wann er wollte. Und viele hatten eben gar keine Arbeit....« 

Die Freie Jugend Düsseldorf war streng gegen Alkohol und Nikotin — von daher 
kamen »Kneipen« als Tagungsorte »nicht in Frage.« (Die Jugendlichen dürften dafür 
auch nicht das Geld besessen haben.) Ihre »Heimabende« 1 x wöchentlich fanden in 
den Räumen der Düsseldorfer AB der FAUD (!) in der Schirmerstraße statt. Beiträge 
wurden abgelehnt, »wir nahmen nur Spenden, besonders von der FAUD«. Rudolf 
Treibererinnert sich, daß »oft Diskussionsredner von der FAUD bei uns auftauchten, 
so Carl Windhoff und Anton Rosinke.« 

Wie verschieden die Ansichten der Jugendlichen in dieser Gruppe waren, und 
wie wenig der Name »Freie Jugend« etwa geschlossene Anhängerschaft für Ernst 
Friedrichs Pazifismus bedeutete,zeigt die Gegenüberstellung zweier, miteinander 
eng befreundeter Mitglieder: 

Rudolf Treiber, aus dem Hause eines gebildeten, selbständigen Friseurmeisters 
(SPD), der mehrere Tageszeitungen, u.a. auch die anarchosyndikalistische 
»Schöpfung« bezog und »den Kunden schon mal sagte: wartet mal, ich muß erst 
mein Buchkapitel zu Ende lesen...«, hatte eine Lehrstelle, was damals noch die 
Ausnahme war. Er war früh literarisch interessier— »Meine ersten Bücher waren 
Tolstois »Auferstehung« und »Mein Leben«, und ich fing auch mit 16 Jahren 
selbstzu schreiben an.«(59) Erwarnach eigenen Worten stark von den gewaltlosen 
Ideen Tolstois und von Gustav Landauer beeinflußt. »ich war damals Vegetarier aus 
prinzipieller Gewaltlosigkeit und habe am Mittagstisch meiner Eltern jahrelang das 
Fleisch verweigert...« Unter dem starken Eindruck von Landauers »Aufruf zum 
Sozialismus« ging Treber im Frühjahr 1924 für 2 Jahre in eine anarchistische 
Siedlungskommune auf dem Solberg im Schwarzwald. »Wir hatten dort 27 
Obstbäume, eine Kuh, 3 Ziegen und Hühner—die haben wir aber nie geschlachtet, 
nur die Eier haben wir gegessen...« (Die dortige Gruppe verlor sich anscheinend 
nicht nur in der Landidylle — »wir hatten mehrmals Haussuchungen durch die 
Polizei, z.B. weil wir antimilitaristische Plakate an die Kirchen geklebt haben.«) 

Treibers älterer Freund Philipp Urban dagegen war ungelernter, häufig arbeits- 
loser Arbeiter. (»Ich arbeite so mit der Schippe...«)(60) Auch er hatte starke 


216 


literarische Interessen, las aber vor allem Nietzsche (»Der hatte Nietzsches 
Gesammelte Werke zu Hause — sonst hatte er nicht viel...«), daneben auch 
Bakunin und Kropotkin. »Philipp Urban trug immer eine geladene Pistole, 
propagierte die »direkte Aktion« und die »Expropriation der Expropriateure«. 
Urban meinte das wörtlich und augenblicklich: Er spannte an der Ortsausfahrt 
zwischen Düsseldorf und Ratingen des öfteren nachts Drahtseile, womit er die 
Autos zum Anhalten zwang. (»Autos waren damals noch höchst selten — das war 
das Symbol des Bourgeois«) Gegen die Herausgabe von Wertgegenständen oder 
Geld ließ er die Insassen weiterfahren. Von diesen »Einkünften« finanzierte Urban 
z.T. seinen Lebensunterhalt (und vermutlich auch die gesammelten Werke 
Nietzsches), den anderen Teil steckte er in Flugblätter und Plakate, die er »z.T. in 
Einzelaktionen« oder mit der Jugendgruppe verbreitete. 

Philipp Urban wurde im Jahre 1925 verraten, verhaftet und zu 2 Jahren 
Gefängnis verurteilt, die er in Lüttringhausen absaß. In seinem Prozeß soll er 
eine beeindruckende politische Verteidigungsrede gehalten haben. (Über diese 
Vorgänge ist schriftlich lediglich eine im selben Jahr geschriebene Darstellung 
Treibers erhalten, die unter dem Titel »Amnestie« in der Jugendbewegungszeit- 
schrift »Junge Menschen« erschien, und neben ihrem Inhalt auch ihrer Form 
halber erwähnt zu werden verdient, die politischen Aufruf, zeitgeschichtliches 
Stimmungsbild, Dokumentation und Kurzgeschichte in einem ist.) 

Die »friedliche Koexistenz« bzw. sogar Freundschaft so heterogener Menschen 
ist ein wichtiges Charakteristikum jener Frühzeit der anarchistischen und syndi- 
kalistischen Jugend. Hier ging es zum wenigsten um Dogmen und deutlich 
gegeneinander abgegrenzte »politische Linien«. Ähnlich wie in der bürgerlichen 
Jugendbewegung ging es vor allem um Freundschaft (und auch um Feindschaft) 
von Personen, die aber nicht zufällig in der Regel der eigenen Klasse entstammten. 
Entsprechend persönlich wurden auch alle Auseinandersetzungen ausgetragen. 


Amnestie! Amnestie! 


vie :hon 


So schallt es in allen Tonarten, aus all en 
Ecken, wc wenigstens noch etwas I m p- 
rinlen für Recht und Wahrheit lebt - - 
dmnestie! Die Eraktimren des Rcirhstngrs 
fingen mehr oder weniger weugchrnde Anri 
. e cin, die Kommuuistru schreien sich die 
liaise wund, und Erich Miihsani, der eben 
erst selbst aus dem bayerischen Ked.er 
entlassen wurde, reist von Stadt zu Sta.t, 
um Ihr seine nach in Gefang. nschaft 
Rhniacirtenden Brüder zu wirken Heraus 'd 
den Politischen (icfangenen! — Ame neaie! 
Und welcher Mensch der wirklichen 
Jugendbewegung stimmte nicht mit ein in 
diesen Ruf. Fechenb.rch, der nach din 
Anrichte., von Fachjuristen belbst nach 'be 
rgerlichen Gesetzen zu U urecht verurteilt 
ist, wurde „begnadigt" - Freiheit für die 
7010 politischenVerbrecher" wird laut 
gefordert, da ihre „Verbrechen" doch nur 
rel.nive sind in Bezug auf die jeweiligen 
Shaws- und Regierungsformen — und, 


gesagt, die Jugenu trau das Recta, 
es am ersten und lautesten zit fordern. 
Aber unzählbar rind die anderenOpfer 
unserer Justiz, die nichtpolitischen, die „ge- 
meinen" Verbrecher und wer hat 
dasireseelle Auge dines Otto Zirker, um 
auch in ihnen noca den Stenscli zu sehen -- 
noch den Grader. .. Die den verwaschenen 
hLm.O Kiltrl mit den grauen Streifen an- 
"enrgen haben, mögen sich hinter den 
(ütteru damit abfinden, daß sich draußen — 
außer einem weinenden Weib vielleicht — 
ihrer keiner mehr erinnert. Lider doch? 

- Seine Mutter war eine, über die der 
ehrsame Ifürger die Nase rnm pft -- sie 
gebar ihn unehelich. Und» da sie, allein- 
stehend, unfähig war, ihr Kind von ihrem 
kargen Dienstbotenlohn zu niihren, gab sie 
es in die Fanlilie eines ländlichen Arbeiters. 
Don wuchs er auf mit seiner zahlreichen 
Pllegehrüdern. Es war ein keines Dörfchen 
noch, in dem er zur Schuh 


ging, in dem er am plätschernden Brunnen 
spielte, wo er mit seinen Kameraden die 
üblichen Jungenstreiche ausführte, und wo 
er auch später bei Bauern arbeitete. Ein 
Dörfcirenwar es, wo die Hauser sich noch i 
erst eckten hinter den griinen Kronen der 
Obstbäume, so 'die' windbewegten Wogen 
der Getreidefelder es umratunlen, und Blu» 
nieselesen duftend in den f !Mime! lachten. 
Dora !chic er mit seinen Brüdern. Als er 
idiler wurde, trieb's ihn auch zeitweise in 
die Stadt. Denn eue seiner Mutter hatte er 
wohl etwas geerbt, was ihn auf die Dauer 
uubetriedigt hielt im Kreise der Bauern. tr 
las Bücher, und er hörte und ah ant den 
Buhnen Wesen und Worte und lauschte in 
stuminen großen Sälen rau-unbend 
klingenden lanen, die alle seiner Seele 
irgendwie bekannt z'i sein schienen — wer 
weiß woher. Dann kam der Krieg. Dieses 
entsetzliche Ungeheuer, das unter 
Millionen anderen auch ihn hineinriß in 


den Schlamm von Schmutz und Blut und 
feldgrauen Uniformen — verschüttet — 
verwundet - gefangen. Und vor ein paar 
Jahren ward er dann entlassen — 
hingewor-en ... „Nun sieh', wie du fertig 
wirst." Der Krieg war ihm, aber zum 
Erlebnis geworden, Er blieb fortan in der 
Stadt. Er konnte nicht mehr bei den stillen 
Landleuten leben, die in ewiger Ruh und 
Gottesdemut ihren Acker pflügen. Er blieb 
jetzt in der Stadt — bei den tausend andern, 
die gleich Ihm ein unruhig pochendes Herz 
vor sich hertrugen, die da dumpf sinnen — 
aufspringen - vorstürmen — zurückge- 
schlagen werden und wieder sinnend vor 
sich hergehen. Es muhte doch kommen — 
das Große — Umwandelnde. Fabriken 
fragen täglich an seinem Leib, und wildes 
Rattern eiserner Walzen und Zischen glü- 
hender Eisenblicke zerdrückte fast seine 
Seele. Und dann hieß es wieder eines Tages 
„fers Vaterland", und die Arbeiter verließen 
die Betriebe Und wirklich, solange es im 
Interesse dieses Staates ging, scheute er 
sich nicht, die Leute auch fürs Nichtstun zu 
bezahlen. Als aber der passive Widerstand 
zusammenbrach, da drückte man den 
arbeitslos gemachten Proletariern die 
Stempelkarte in die Finger. — Auch die 
Familie, bei der er ein mabtiertes Zimmer 
bewohnte, hatte einen erwerbslosen Ernäh- 
rer. Darum gab er den Leuten auch wei- 
terhin seine Miete, und was dann noch Übrig 
blieb, von der wöchentlichen Unter-stützune 
— wer wüßte es nicht. Und so monatelang 
— eine kalte Stube — regennasses Pflaster 
_ zu den Füßen windgepeitschte 
Wasserpfützen, darin — lichtgeblendet — 
bunte Fenster sich spiegeln — hinter hellen 
Scheiben hundert Dinge tausendfach — aus 
offenen Türen flattert warmer Duft 
verschwenderischer Speisen und leises 
Singen ferner, rauchverhangener Geigen — 
und satte Barger — Damen, pelzumkleidet 
— und alles — alles da, nur 


e — nicht für all die Ausgestoßenen der 
Not. — Doch draußen — hinter den letzten 
Vor-stadlhäusern — wo auch der letzten 
Laterne trübes Dämmern versprüht im 
Finstern der Nacht — wo die Straße stumm 
hinauszieht zwischen langen Reihen 
schwarzer Bäume, die noch Schatten 
werfen in den tiefsten Schatten — dort — 
dort —fliegt nicht ein Auto die Straße hin'— 
Lichtkegel streichen .lauernd far Sekunden 
die seitlichen Stä'pme — schwere Koffer 
sind mit Riemen ‚efestigt —Schneeschuhe 
Iugen aus dem Führersitz. Damen und 
Herren genießen schon im voraus die Wine 
terfreuden — Schneegestöber und 
Ballmusik wirbeln in ihrem Hirn mit Duft 
von Sekt und finsterem Tannengrün — 
Winterfreude juhelt selbstzufrieden — 
hahaha! Ein Schuß - das Auto halt. Und die 
Koffer müssen sich öffnen, und 
Ledertaschen speien widerwillig 
Dollarnoten aus in Hände, die es nicht 
gewohnt sind, solche Fetzen zu besitzen. 
Und dann taucht Nacht die schwarze 
Maske über alles, und die Straße gleitet 
wieder lautlos in die Ferne. Nur die Bäume 
rauschen leise hinter den Lichtern her, die 
eilend in die Nacht verschwinden. — 
Als ich zu Weihnachten, dem Fest des 
Friedens und der Liebe, nach hier kam, 
durfte ich meinen Freund im Untersu- 
chungsgefängnis besuchen. Man halte ihn in 
seinem stillen süddeutschen Heimatdörf- 
chers,.in das er sich zurückgezogen hatte, 
verhaftet. Sein kranker Pf'egevater, den er 
nun die letzten Wochen gepflegt hatte, starb 
am folgenden Tag. — Und nun konnte ich ihn 
hier zweimal besuchen, Zweimal im Monat 
fünf Minuten unter Aufsicht mit ihm 
sprechen. Einen Brief, den ich ihm schrieb, 
bekam er nicht. Einen seiner Mutter erhielt 
er nur zum Teil. Als ich 


ihn das zweite Mal besuchte, sah er mere- 
lich' schlechter aus. Ein Herzleiden, das 
ihn bisher wenig belästigt halte, begann 
jetzt — monatelang der Sonne beraubt — 
zu wählen in seiner Brust. Er meldete sich 
krank, und darauf steckte man ihn in 
Einzelhaft. Diese sei ihm aber 
unerträglich, sagte er, und er wollte sich 
dann lieber wieder gesund melden, um in 
seine alte Zelle zurückzukommen, die sie 
zu dreien sich teilten, er, ein Geldfälscher, 
und ein Dritter, der zwei leere Sacke 
gestohlen haben soll. Ja, die Gefängnisse 
sind wohlbesetzt, und wenn Besuchstag 
ist, dann hocken die Leute dichtgedrängt 
auf den 'Holzbänken des Wartezimmers 
und warten auf den Aufruf ihres Namens. 
Dech fast nur Menschen der arbeitenden 
Klasse sieht man dort. Und wenn dann ein 
Name aus des Beamten Mund laut wird — 
dann steht wohl eine Frau auf — ein 
Kindchen auf ihrem Arm — und folgt dem 
Warter durch den langen Gang — und ein 
kleines Mädchen trippelt hinterher — an 
einer losen Kordel einen Pappkarton 
tragend für seinen gefangenen Vater. 


Und — Jugend! — wieviel solcher Ktr- 
kerpaläste gibt's? 


Du ziehst des Sonntags hinaus — streifst 
mit Klampfe und Singsang durch die W51- 
der — folgst dem klarb'auen Fluß durchs 
Tat und steigst auf Berge. hoch in die 
sonnendurchwebte Luft. lind da schaust du 
— Jugend — weit über ebenes Land und 
über die Erdwogen der Berge. wo kleine 
Pünktchen weiß und bunt die Wohnstätten 
guter Menschen bedeuten. und — weißen 
Bändern gleich — die»Straßen verbindend 
von Ort zu Ortchen ziehen. Und im fernen 
Nebel des Horizontes den Oberglänzenden 
Lauf des grcßen Stromes. . Und dennoch 
wachsen umjeden Berg die öden Gemäuer 
roten Steines hoch — mit den doppelten 
Mauern, fünf Meter hoch, und den 
schweren eisenbeschlagenen Toren. Außen 
kleben an den Mauern die kleinen Häuschen 
der Aufseher; mit den winzigen 
Vorgärtchen, aus deren hartem Boden 
dürftig Hälmchen sprießen, wenn — wie 
jetzt — der Frühling kommt. Hinter den 
Mauern aber starren tausend blinde 
Fensterluken in den Tag mit unbarmherzig 
harten, kalten Eisengittern. Und hinter 
jedem Gitter hocken drei Menschen — 
Menschen, die warten — warten, warten 
auf die zweimal fünf Minuten im Monat, in 
denen sie einen Lieben sehen, sprechen 
können. Warten — warten auf die Frei- 
heit.— Vorige Woche bekam er sein Urteil. 
Richter, gebunden an grausige Paragraphen 
und erkaltet in der Gewohnheit ihres 
Berufs, sprachen es aus und Schälten, fern 
jedem Verstehen, sagten „Ja und Amen" ... 
Dreieinhalb Jahre! — Als der Angeklagte in 
seiner Verteidigung auf die schreienden 
Gegensätze der Zeit hinwies, erklärte der 
Vorsitzende mit der grauen, kältesten 
Miene, das gehöre nicht zur Sache und 
entzog ihm das Wort. Und ein 
Jugendlicher, der dagegen protestierte, 
wurde von diensteifrigen Beamten an die 
Luft befördert. — 

Und wahrl.ch — Protest ist zwecklos. 

Amnestie! ruft das Proletariat — Am- 
nestie! ruft die Jugend; doch, denkt daran, 
daß auch die meistengemeinen" Ver- 
brecher nur Opfer einer Weltordnung sind, 
die nur Kinder und Greise „göttlich" nen- 
nen können. 

Darum ruft: Amnestie für alle Opfer der 
Justiz! Doch hofft nicht, sie von den Macht- 
habern erbetteln zu können. 


Rudolf Treiber. 


217 


218 


3. Die Freie Schule und die Freiheitliche Kindergruppe 


Die Erziehungsinitiativen der Anarcho-Syndikalisten stützten sich vor allem auf 
das Wirken des spanischen Anarchisten und Pädagogen Francisco Ferrer (1859- 
1909). Dieser gründete unter dem Eindruck der vom Katholizismus 
beherrschten Schulen Spaniens sowieangeregt durch pädagogische 
Experimente im Umkreis des französischen Syndikalismus (Paul Robin) im 
Jahre 1901 in Barcelona eine eigene Schule, die »Escuela Moderna«. (Ferrer 
war 1907 auch Mitbegründer der »Solidaridad Obrera«, des späteren Organs 
der anarcho-syndikalistischen CNT.) Über das alte Schulsystem schrieb Ferrer: 
Ein Wort wird genügen, es zu charakterisieren: Gewalt! Die Schule beherrscht die 
Kinderphysisch, moralisch und intellektuell ... Sieberaubt sie jeden Kontaktes mit 
der Natur (!), um sie bilden zu können, wie die bestehende Ordnung es verlangt ... 
Die Lehrer sindbewußt oder unbewußt bloße Organe des Willens der herrschenden 
Klasse... Von ihren frühesten Jahren an und mehr als irgend jemand sonst haben 
sie Disziplin und Autorität über sich gefühlt. Und wenige sind es, die dieser 
despotischen Bestimmung entronnen sind; im allgemeinen sind sie machtlos 
dagegen, denn sie sind von den Schulorganisationen in einer Ausdehnung 
unterdrückt, daß sie nichts anderes als zu gehorchen wissen.(61) 
Ferrer sah konsequenterweise einen Nachteil darin, bereits ausgebildete 
professionelle Lehrer in seiner Schule einzusetzen, »einen noch größeren Nachteil 
aber sah er darin, Freiwillige zu beschäftigen, die keine Erfahrung hatten.«(62) 
Deshalb gründete er zusätzlich eine Schule für Lehrer, die von den Behörden 
zugleich mit der »Escuela Moderna« geschlossen wurde. In Ferrers »Moderner 
Schule« lernten zunächst 30, im Jahre 1903 266 Jungen und Mädchen. Sie waren 
Arbeiter- und Mittelschichtskinder und hatten koedukativen Unterricht—eine für 
damals und für Spanien sensationelle Neuerung. Dazu Ferrer: 
Nach meiner Meinung war die gemeinschaftliche Erziehung von wesentlicher 
Bedeutung... Die Naturwissenschaften, die Philosophie und die Geschichte 
vereinigten sich im Gegensatz zu allen Vorurteilen in der Lehre, daß Mann und Frau 
zwei ergänzende Faktoren der menschlichen Natur sind... Die Frau darf nicht auf 
das Haus beschränkt werden. Das Gebiet ihrer Fähigkeiten muß weit über das Haus 
hinausgreifen—es muß sich bis zu den letzten Grenzen des Gesellschaftslebens 
ausdehnen... Die Frau muß sowohl hinsichtlich der Quantität als auch der Qualität 
das Gleiche lernen wie der Mann. Wenn die Wissenschaft ihren Einzug in den Geist 
derFrauhält, wird diese es sein, die ihrreiches Gefühlsleben, dieses charakteristische 
Element ihrer innersten Natur, den frohen Vorboten von Frieden und Glück unter 
den Menschen bestimmt.(63) 
Radikale Sätze für einen spanischen Mann. Allein schon die Einführung der 
Koedukation war zur damaligen Zeit ein revolutionärer Akt, der besonders in 
Spanien auf erbitterten Widerstand stieß. Die koedukative Idee teilt Ferrer mit 


219 


vielen anderen Reformpädagogen dieser Zeit in Europa und den USA. Seine Sicht 
des Verhältnisses von Mann und Frau zeigt aber bereits zugespitzte Positionen des 
frühen Feminismus und verrät u.a. den Einfluß der anarchistischen Theoretikerin 
Emma Goldman, wenn er schreibt: 
Es ist durch unwiderlegliche Beweise klargelegt und tausendmal wiederholt 
worden, daß die Männer die Gesetze zu Gunsten ihres Geschlechts und gegen 
das andere gemacht haben; ebenso, wie der Gesetzgeber, reich und priviligiert, 
immer gegen den Armen und Enterbten Gesetze schaffte und schaffen wird — 
denn das Gesetz ist immer der Mißbrauch der Macht. Was aber die Frauen 
anbelangt, so haben diese noch ärgere Fesseln als die Gesetze: Die Kleidung, die 
durch die althergebrachte Unwissenheit und deren Folgen, die Vorurteile , 
festgestellt wird, und vor allem die Vorurteile der Frauen selbst, die gleichzeitig 
Opfer und Mitschuldige ihrer eigenen Skalverei sind. 
Über die gemeinschaftliche Erziehung von Jungen und Mädchen hinaus versuchte 
Ferrer in seiner Schule Prüfungen, Belohnung und Strafe abzuschaffen: 
Wir, die wir die gemeinschaftliche Erziehung von Knaben und Mädchen, von 
Reichen und Armen (!) propagiert und in die Tat umgesetzt haben,... sind natürlich 
nicht gewillt, eine neue Ungleichheit zu schaffen. Darum wird es in der Modernen 
Schule weder Lohn noch Strafe geben; es wird keine Prüfungen geben, die einigen 
Kindern das schmeichelhafte Prädikat »vorzüglich« geben... andere unglücklich 
macht durch ein Bewußtsein der Unfähigkeit... Wenn wir eine Wissenschaft, eine 
Kunst, ein Gewerbe oder irgendetwas lehren würden, das an besondere Bedingungen 
geknüpft ist, dann mag eine Prüfung nützlich... sein, ...aber in der Modernen Schule 
gibt es solche Spezialisierung nicht.(64) 
Ferrers Kampf galt in besonderem Maße dem »Patriotismus, dem Kapitalismus 
und der Religion«, die er ein »Netz« nannte, »das die Persönlichkeit des Menschen 
erstickt und verkümmern läßt.« Ebenso wie Kropotkin verfocht er einen 
optimistischen, humanistischen und noch von Zweifeln ungetrübten Begriff der 
Wissenschaft. Sein Erziehungsziel waren »Männer und Frauen..., die selbständig 
und frei denken und die Wahrheit und Gerechtigkeit lieben. Um dieses Ziel zu 
erreichen, ersetzt die Schule die dogmatische Methode der Theologie durch die 
vernunftgemäße Methode der Naturwissenschaft...« Auch das Menschenbild 
Ferrers ähnelte dem optimistischen von Kropotkin: Es leugnete die egoistischen, 
aggressiven und »unvernünftigen« Seiten der Menschen nicht, hielt sie aber für 
überwindbar durch die Mobilisierung der ebenso im Menschen vorhandenen 
Fähigkeiten zur Vernunft und »gegenseitigen Hilfe«: 
Der Unterricht ist auf der fortschreitenden Entwicklung des Kindes aufgebaut 
und vermeidet alle atavistischen reaktionären Instinkte—Religion, 
Rassenfeindschaft, Klassenvorurteile, Kriegsleidenschaft und Vergeltungssucht 
— die im Kinde das tote Gewicht der Vergangenheit darstellen und jeden freien 
und zielbewußten Versuch zur Verwirklichung einer besseren Zukunft für die 
Menschheit vereiteln.(65) 
Keines der vorhandenen Schulbücher konnte solchen Ansprüchen genügen. Auf 


220 


Ferrers Anfrage nach einem geeigneten Geographielehrbuch antwortete z.B. der 
bedeutende französische Geograph und Anarchist Elisee Reclus, er kenne kein 
Buch, »das nicht mit religiösem oder politischem Gift durchtränkt sei, oder was 
noch schlimmer war, mit Behördenroutine.«(66) Ferrer und seine Mitpädagogen 
arbeiteten deshalb zum einen ganz ohne Bücher, zum anderen nahm Ferrer Kontakt 
zu vielen Reformpädagogen seiner Zeit auf, ließ sich Bücher übersetzen oder neu 
schreiben. Zu eigensinnig war die Konzeption der »Escuela Moderna, als daß sie 
sich den üblichen Schulsystemen oder auch nur den anderen progressiven 
Schulexperimenten hätte anpassen können: 
Die charakteristische Note unserer Schulen, die sie sog ar von Instituten unterscheidet, 
die als fortschrittlich gelten, ist es, daß die Fähigkeiten der Kinder in ihr sich vollständig 
frei entwickeln sollen ohne Anpassung an irgendeinen dogmatischen Umstand, nicht 
einmal an das, was man die Überzeugungssumme der Lehrer oder ihres Gründers 
nennen könnte. Jeder Schüler soll aus der Schule entlassen werden mit der Fähigkeit, 
Meister und Leiter seines Lebens sein zu können.(67) 
Im übrigen zeigte Ferres Pädagogik Parallelen zu vielen zeitgenössischen 
Reformpädagogen, so in ihrem Versuch, die Trennung von »Kopf- und Handarbeit« 
Theorie und Praxis in Form der »Arbeitsschule« aufzuheben, um einseitige 
Spezialisierungen der Kinder zu verhindern und überhaupt Gegengewichte zur 
fortschreitenden Arbeitsteilung und Trennung der Lebensbereiche zu schaffen. 

Zur längerfristigen Verwirklichung dieser Ideen ist Ferrer nicht gekommen — 
eine weitere abgeschnittene Utopie des Anarchismus, die auf spätere Generationen 
um so größere Anziehungskraft ausübte. Die Idee war zertreten, aber »rein« 
geblieben, sie war kein bloßes Himgespinst, sondern schien praktikabel, sie war 
nicht an eigenen, inneren Widersprüchen gescheitert, sondern an äußerer Gewalt. 

Ferrers zeit- und ortsgebundene Verteidigung des Protestantismus als Wegbe- 
reiter »vernunftgemäßen« Denkens wurde von den deutschen Anarcho-S yndi- 
kalisten nicht geteilt; auch Kropotkin erschien sie »etwas zu enthusiastisch«.(69) 
Ferrer schrieb überschwenglich — und natürlich gegen die katholische Kirche 
gerichtet: »Durch den Protestantismus verschwand die priesterliche Hierarchie 
und aller Fetischismus.« Dieses offenkundige Fehlurteil berührte jedoch nicht 
seine prinzipielle Stellung zur Religion: 

Der Protestantismus wird, wie alle Religionen, untergehen. Wenn die Menschheit 

mit der Wissenschaft besser umgehen kann, wird der Glaube an höhere Mächte... 

überflüs sig sein... (70) 
Francisco Ferrer wurde im Juli 1909 nach einem blutigen Arbeiteraufstand in 
Barcelona unter der— falschen — Anschuldigung der Rädelsführerschaft verhaftet, 
von einem Militärgericht zum Todeverurteilt und trotz weltweiter Proteste am 13. 
Oktober desselben Jahres in der Festung Montjuch hingerichtet. Nach nur 8-jähriger 
Tätigkeit wurden seine Schulen geschlossen, viele Lehrer und Schüler/innen 
verhaftet und Lehrmaterialien zerstört. Die pädagogische Idee lebte in ent- 
sprechenden Experimenten in Frankreich und im Gedanken an Ferrer selbst unter 


221 
Der Kampf um weltliche und »freie« Schule 


Zu Beginn der Weimarer Republik entbrannte im ganzen Reichsgebiet ein 
heftiger »Schulkampf«. Arbeiter und Arbeiterorganisationen, vor allem die 
proletarischen Freidenker aller Richtungen, forderten von der an die Macht 
gelangten Sozialdemokratie die endgültige Trennung von Kirche und Staat auch 
im Schulwesen. Besonders die Volksschulen waren damals fast durchweg kon- 
fessionell orientiert. Jungen und Mädchen wurden getrennt unterrichtet, Reli- 
gionsunterricht und Schulgebet waren obligatorisch. Die Arbeiter forderten für 
ihre Kinder »weltliche Schulen«, »Gemeinschaftsschulen« oder »Freie Schulen«, 
ein Schlagwort, das damals in aller Munde war, unter dem aber naturgemäß 
extrem Verschiedenes verstanden wurde: 

a) Die Forderung nach Verwirklichung »proletarischer Erziehung« 
durch den Staat — »frei« von bürgerlichem Einfluß — so z.B. im 
Umkreis von USPD und KPD 

b) die staatsfreie Schule (etwa nach den Modellen der »Freien 
Schulgemeinde« Gustav Wynekens oder anderer, zumeist bürgerlicher 
Reformpädagogen) 

c) Die lediglich religionsfreie, »weltliche« Schule — eine Forderung, die 

oft auf die bloße Abschaffung des Religionsunterrichts und Schulgebets 
hinauslief, bzw. auf die Einrichtung eines wahlweisen »Ethik«-Unter- 
richts, und schließlich 
die »Ferrer«-Schulen der Anarchisten und Anarcho-S yndikalisten, die 
frei von Staat, Kirche und Kapitalismus sein sollten. 
Diese Frage war verständlicherweise in den stark katholisch geprägten Orten des 
Rheinlandes ebenso umstritten wie im tief protestantischen bzw. reformierten 
Wuppertal. Da die Kirchen und die meisten Behörden entsprechende Verände- 
rungen verweigerten, kam es im Frühjahr 1921 im gesamten Reichsgebiet, 
insbesondere in den Zentren der organisierten Arbeiterbewegung zu großange- 
legten Schulstreiks. Die Arbeitereltern schickten ihre Kinder oft monatelang nicht 
zur Schule. Hierbei entwickelte sich in vielen Städten des Rhein-und Ruhr-, des 
westfälischen und des bergischen Raums häufig eine geschlossene Einheitsfront, 
der sonst zerstrittenen sozialistischen und freidenkerischen Organisationen, z.B: in 
Düsseldorf, Elberfeld, Mülheim/Ruhr, Gladbeck und Dortmund. So streikten in 
Düsseldorf bis zu 2000 Schüler ca. 7 Monate lang,(71) in Gladbeck über 700 Schüler 
sämtlicher Volksschulen für mehrere Wochen.(72) Aus Dortmund ist ein Aufruf 
»an die freigesinnte Elternschaft« erhalten, der von der Düsseldorfer »Schöpfung« 
verbreitet wurde. Er fordert die Dortmunder Arbeitereltern und - kinder zum 
»aktiven Streik bis zum Sieg« auf — zu diesem Zeitpunkt (Oktober 1921) waren in 
Dortmund mehrere Tausend Schüler seit fast 6 Monaten im 


d 


— 


222, 


Schulstreik. Gemeinsame Unterzeichner dieses Aufrufs waren: »Freie Schulge- 
sellschaft, USPD, KPD, FAU, Freigeistige Gemeinschaft, proletarischer Frei- 
denkerbund, deutscher Monistenbund und Volksbildungsgemeinschaft »Die 
Menschen«(73) — eine seltene Einmütigkeit linker Arbeiterorganisationen. 


Der Aufruf wirft ein Licht auf die inneren Probleme der Kampfform des 
Schulstreiks: Die Intensität der Beteiligung reichte vom einfachen individuellen 
Zuhausebleiben bis zum »aktiven Streik«, Einrichtung von »Streiklokalen« 
durch die Eltern und Kinder, in denen die Schüler — wie ihre Väter und Mütter 
in den herkömmlichen Streiks die Streiktage »stempelten«, ihr 
Gemeinschaftsgefühl erneuerten und die weiteren Maßnahmen berieten. Hierbei 
waren die Anarcho-Syndikalisten besonders aktiv: Viele noch lebende Anarcho- 
Syndikalisten berichten, daß sie als Schulkinder an solchen aktiven Streikformen 
teilgenommen und sie z.T. als erste Kinder eingeleitet haben. Die höchste 
Kampfform war der Versuch, während der Streikzeit einen Ersatz- und 
Gegenunterricht zu organisieren. War dies schon eine praktische Notwendigkeit, 
weil die Eltern — oft beide — zur Arbeit gingen und die Kinder nicht zuhause 
verwahrlosen lassen wollten, so war diese Verwandlung des Streiklokals zur 
Gegenschule zugleich ein Ansatzpunkt für vielfältige Experimente mit 
»proletarischer Erziehung« — für die Anarcho-Syndikalisten die Keimform und 
Chance zum Aufbau von »Freien Schulen« im S inne Ferrers. In Düsseldorf war 
das Vermächtnis Ferrers besonders lebendig geblieben — schon vor dem Krieg 
hatten die relativ starken anarchistischen und syndikalistischen Gruppen dort 
Ferrer-Feiem abgehalten, so im Oktober 1910 und 1913. Die letztere, die von 
Anton Rosinke geleitet wurde, führte selbst zu harter Konfrontation mit 
staatlicher Gewalt: Sie wurde von der Düsseldorfer Polizei gewaltsam aufgelöst, 
was heftige Straßenkämpfe zur Folge hat-te.(74) 

Am Beispiel Düsseldorfs soll die anarcho-syndikalistische Initiative kurz 
erläutert werden. Hier berichtet die »Schöpfung« im September 1921 — der 
überparteiliche Schulstreik war noch im Gange und erst 3 weltliche Schulen 
erkämpft: Friedensstraße (Bilk), Jägerstraße (Lierenfeld) und Gerresheim: 

Im Anschluß an den Ausbruch des Düsseldorfer Schulstreiks waren die Eltern und 
die Streikleitung genötigt, in Gasthäusern besondere Streikschulen einzurichten, 
um die Kinder von den Straßen und Höfen fernzuhalten. Nach Meldung des 
Düsseldorfer Mitteilungsblattes weigerten sich die Düsseldorfer sozialistischen 
Lehrer, auch die kommunistischen, an den Streikschulen zu unterrichten, und mit 
wenigen, aus der Umgegend herbeigeholten Hilfskräften mußte ein stark be- 
schränkter Schulbetrieb begonnen werden.(75) 
Der Artikel berichtet weiter, man habe sich »plötzlich vor eine Frage gestellt 
gesehen, die auch im größeren Kreise von Arbeitereltern immer wieder vorgelegt 
und beantwortet werden könnte: '... Welche Unterrichtsfächer des öffentlichen 
Volksschulbetriebes sind für die freie Schule noch zu verwerten?« Die anarcho- 
syndikalistischen Eltern und wenige der FAUD, der Freigeistigen oder Frei- 


223 


denkerbewegung angeschlossene Lehrer antworteten zunächst praktisch: »Die 
Antwort in Düsseldorf lautete: Naturkunde, Rechnen, Deutsch und darin wurde 
der Streikunterricht erteilt«. Dabei wurden die Eltern als wichtigste Stützen be- 
trachtet: 
Es brauchen doch nicht immer geprüfte Lehrer sein, die als Handlanger des 
staatlichen Erziehungsmonopols, trotz unwesentlicher Reformen und zweckloser 
Aufopferung auch in den religionslosen Weltschulen letzten Endes unbewußt 
staatlichen Bildungsabsichten dienen. Auch die angeblich ungebildeten Eltern 
können kurze und vorläufige Ausdrucksformen finden... Wir warten auf die 
Eltern, wir kommen nicht weiter ohne sie! 
Darüber hinaus machte man sich Gedanken über weitergehende Unterrichtsin- 
halte und hierbei wurden Bergarbeiterstimmen aus Mülheim/Ruhr und 
Hamborn zitiert: »Warum lernt man den Kindern nicht mehr Naturheilkunde 
und die Wissenschaft der Heilkräuter?« — »Mehr Belehrung über 
Gesundheitslehre und wirtschaftliche Verhältnisse« — »Ein Kind soll in der 
Jugend erfahren, vor allen Dingen, daß es seinen Kameraden, im Kampfe jeder 
Art, die nötige Solidarität entgegenbringt.« — »Die Kinder müssen mehr 
Abwechslung haben, sonst wird ihnen die Schule leid!« — »Vom fünften bis 
zum achten Lebensjahr müßten die Kinder in einem Garten spielen, von acht bis 
zehn Jahren sollen sie sich vor allem in der Natur aufhalten.« 

Dies alles sprengte den Rahmen des notdürftigen Streikunterrichts ebenso wie 
es weit über das populäre Nahziel lediglich religionsfreier Gemeinschaftsschulen 
hinauswies. Auch die Umgangsformen mit den Schülern, ja mit Kindernüber- 
haupt, wurden zur Diskussion gestellt — die Anarcho-Syndikalisten versuchten 
eine Öffentliche Diskussion zu entfachen, die sich auch auf die »häusliche 
Erziehung« erstrecken sollte. Der Autor des oben genannten Artikels wandte sich 
nicht nur generell gegen die »Prügelstrafe«, sondern schloß daran seine »zweite 
Frage« an, es sei auch noch kritisch zu überprüfen, »welche erzieherischen 
Mittel...in der häuslichen (!) und öffentlichen Erziehung als Ersatz für die 
körperliche Züchtigung angewendet« würden! Dies waren Grundzüge eines 
frühen, antiautoritären Programms proletarischer Erziehung. 

Parallel zum aktiven Streik für die weltliche Gemeinschaftsschule wurden, 
nicht nur in Düsseldorf, »freie Kindergruppen« eingerichtet, in denen all diese 
Prinzipien zu verwirklichen seien und die »Selbsttätigkeit« und die »Interessen« 
der Kinder gefördert werden sollten. Aus ihnen sollten sich in mehreren 
Schritten die »Freien Schulen« entwickeln. »Die Schöpfung« schrieb: 

Inzwischen ist aber der Anfang der Freien Schule bereits gemacht durch Gründung 
der freien Kindergruppen in einzelnen Industriestädten. Spielen, Lesen, Volks- 
tänze, Wandern, um sich gegenseitig kennenzulernen, Beobachtungen und Erfah- 
rungen für später zumachen anTieren, Pflanzen, Menschen —Spielkameraden und 
Nachbarn. Und um die freie Zeit nicht mit Kino, Bummelplätzen und Schmökern 
auszufüllen.(76) 


224 


Sogleich wurde jedoch vor »ausschließlichen Lese-Wander- und Spielclubs« 

gewarnt. Diese »erste Stufe« sei zur »Gemeinschaftsschule« zu erweitern 
Aufgrund der gemachten Naturerfahrungen vereinigten sich die Kinder zu Ge- 
meinschaftsstundenkurzer, ernsterAussprachen über den Sinn und die Gestaltung 
des gesellschaftlichen Verkehrs auf der Grundlage der gegenseitigen Hilfe und 
eigener, naturgemäßer Lebensweise. 

Ferrers »Arbeitsschule« wurde als die »dritte S tufe der Freien Schule« 

bezeichnet. Sie sei 
erst dann möglich, wenn es gelungen ist, die Eltern zu Vorbereitungen und 
Förderung der Ausgestaltung der Gemeinschaftsstunden, zur Teilnahme am Unter- 
richt als Hilfslehrer und zur Lieferung von Material zu bewegen. Auf der dritten 
Stufe verwenden wir die Einrichtung von Schulwerkstätten, Schulküchen und 
Schulsiedlungsland (!), um körperliche Arbeit als Ausgangspunkt und Ende aller 
Kopfarbeit zu machen... In der Arbeitsschule wird nichtmehr, wie bisher im 
wesentlichen Sehen, Hören, Schreiben, B erechnen, Zeichnen gelehrt. Hier wird die 
Hobelbank zur Rechentafel, das Gemüsebeet zum Zeichenbrett für die Pflanzen- 
reihen, der Kochherd zur Wärmekraftmaschine. Hier wird die Richtigkeit der 
Kopfarbeit selbst geprüft am Genuß und Gebrauch der gefertigten Werkzeuge und 
gezogenen und zubereiteten Nahrungsmittel. 

Diese »dritte Stufe« der »Arbeitsschule« geht einerseits auf Gedanken Ferrers 

zurück, andererseits stimmt ihre Konzeption fast wörtlich mit entsprechenden 

Formulierungen deutscher Reformpädagogen überein, die in den Jahren ihre 

Konzepte von der Schule als »Lebensgemeinschaft« (Wyneken) und »Arbeits- 

schule« (Kerschensteiner, Petersen, u.a.) zu verwirklichen suchten. 

Der Düsseldorfer anarcho-syndikalistische Lehrer Ludwig Joist, der selbst an der 
weltlichen Schule in der Friedensstraße unterrichtete, schrieb: »Die Schule der 
Emanzipation des Kindes kann nur einestaatenlose Privatschule sein.«(77) 
Entsprechend lautete die Formulierung einer Entschließung zur Freien Schule, die 
auf dem 13. Reichskongreß der FAUD 1921 in Düsseldorf angenommen wurde 
— lediglich durch den Zusatz »sozialistisch« von bürgerlichen Privatschulkon- 
zepten unterschieden: 

Der Kampf um die freie Schule ist ein Kampf um Befreiung des Kindes vom 
staatlichen Erziehungsmonopol. Wir unterstützen alle Bestrebungen freigeistiger 
Eltern und Verbände zum Ausbau der religionslosen Weltschulen, aber nur unter 
unserer Parole: restlose Befreiung vom Staatsmonopol der Erziehung, Selbstbe- 
stimmung der Jugend und Elternschaft in staatslosen, sozialistischen Privatschu- 
len.(78) 
Wieder haben wir fast wörtlich Formen und Formulierungen der bürgerlichen 
Jugendbewegung und Reformpädagogik vor uns, und wiederum ist darauf zu 
verweisen, daß die »sozialistische Privatheit« der Anarcho-Syndikalisten in 
Verbindung mit ihren, damals noch relativ straff organisierten proletarischen 
Zusammenhängen um die Arbeiterbörse gesehen werden muß. Das Düsseldorfer 
Beispiel zeigt, wie sich diese »proletarische Einbindung« in der Praxis auswirkte. 
Hier kam es praktisch nicht zum Aufbau der »dritten Stufe« der freien Schule, 


225 


wenn man von dem kurzfristigen Versuch einer »Werk- und Heimschule Urden- 
bach« absieht, die im Jahre 1923 südlich von Düsseldorf als Halbinternat von der 
»Freien Schulgemeinde Düsseldorf-Flingern« errichtet wurde, finanziert mit 
Spendengeldern der Düsseldorfer Arbeiterschaft, und von den örtlichen Anarcho- 
Syndikalisten propagandistisch unterstützt.(79) Die Anarcho-S yndikalisten selbst 
brachten es hier nicht zurStufe »Arbeitsschule« — im Gegensatz zu Genossen in 
Jena (»Schule der gegenseitigen Hilfe«(80), ihr Mitarbeiter Johannes Stein trat 
1922 als »Ressortleiter Ferrer-Schulen« in die Rist der SAJD ein) und 
Hamburg(»Versuchs- und Gemeinschaftsschule«),(81) die jedoch ebenfalls nicht 
von langer Dauer waren. In Düsseldorf mag eine Begründung für das 
Steckenbleiben in Kindergruppen und »Gemeinschaftsstunden« in der 
engagierten, z.T. führenden Beteiligung am gemeinsamen proletarischen Kampf 
um die »weltliche Schule« selbst liegen: Trotz der eigenen, weitergehenden 
Träume wurde um diesen »realen Fortschritt« von der FAUD und den anarcho- 
syndikalistischen Jugendlichen und Kindern mit aller Kraft gekämpft. 
Weltliche Schule Jägerstraße. »Durch Kampf zum Sieg« lautete die Inschrift auf 
einem der Schilder, die von unseren Kindern, welche am 19. d. M. in ihrem 
nunmehrigen Schulsystem eingeschult wurden, getragen wurden. Ein harter Kampf 
wars, der gegen verschiedene Mächte geführt werden mußte, gegen unsere 
natürlichen Gegner, die Anhänger der konfessionellen Schule sowohl als auch gegen 
(leider muß dies gesagt werden) die Lauheit so vieler unserer eigenen 
Klassengenossen, die noch immer nicht ihr Programm kennen oder nicht gewillt sind, 
ehrlich und ganz dafür einzutreten. Umso schwerer wiegt der Sieg, der Erfolg, der 
nunmehrdas Werk lohnt. Alle Wünsche sind ja nochnicht erfüllt, es bleibt noch viel 
zu tun übrig. Der in Kürze zu wählende Elternbeirat wird tüchtig zu schaffen haben, 
um das zu erreichen, was die Elternschaft erwartet. Die Eltern von Eller-Lierenfeld 
wünschen den Bezirken, die ihre Schule noch nicht haben, daß unser Nachgeben in 
Bezug auf die Lokalfrage auch für sie von Nutzen sei und sie möglichst bald 
ebensoweit sind als wir. Lobend muß erwähnt werden, daß die Ellerer bis auf eine 
kleine Minderheit den Weg nicht gescheut hatten, bis zur Ronsdorferstr. zu kommen, 
um mit den dort und in der Erkratherstr. Wohnenden gemeinsam den Zug 
mitzumachen. Es war wirklich erhebend für die jungen, als auch für die alten Herzen, 
als sich gegen 1/28 Uhr der imposante Zug in Bewegung setzte. Das Jugend- 
Tambour-Korps von Oberbilk an der Spitze hat Trommelfelle und Blasinstrumente 
gründlich bewegt, so daß es manch Einem recht eindringlich in die Ohren gellte, was 
er noch ist und was er eigentlich sein wollte. Weit über 500 Kinder zogen unter guter 
Führung und mit musterhafter Ordnung alle mit Blumensträußchen versehen ihrem 
Ziele in der Jägerstrasse entgegen. An die 200 der Alten, Weiblein und Männlein, 
ließen es sich nicht nehmen, ihre Jugend auf diesem Gang zu begleiten. Einige recht 
geschmacklose den geistigen Tiefstand der Urheber verratende Anrempeleien 
prallten an unserer geschulten Ruhe ab. Nach einigen kurzen, treffenden Ansprachen 
und aufklärenden Worten und nachdem die Jugend für die nächsten Tage zum 
Unterricht bestellt war, ging es unterklingendem Spiel wieder heimwärts. Und wieder 
ist ein Stein abgebröckelt von dem alten, morschen Bau des Unterrichtswesens. Wir 
bauen auf! 
Schöpfung 58 (1921) 


226 


Auch wenn die Düsseldorfer »ein Bedeutendes mehr forderten: ... die freie 
Arbeits- und Gemeinschaftsschule im Sinne Ferners«, erkannte die Redaktion 
der »Schöpfung« »die weltliche Schule als einen Fortschritt gegenüber der 
Konfessionsschule an«(82) Ludwig Joist beschwor die Arbeiter: 
Proletarier! Du sprichst von Sozialismus und erziehst Dir bei deinen eigenen 
Kindern Gegner! Erwache endlich aus dem Schlummer... Schicke Dein Kind in 
die weltliche Schule! (83) 
Zugleich organisierte Joist zusammen mit der Redaktion der »Schöpfung« eine 
heftige Kampagne gegen die »neuen Götter« in den weltlichen Schulen (die 
Schulleiter), und wies darauf hin, daß unter dem »neuen Etikett« häufig der »alte 
Ungeist« fortlebe, daß weiterhin geprügelt werde, weiterhin religiöse Lieder 
gesungen würden, das Singen sozialistischer Lieder im Unterricht aber geahndet 
würde. Joist fragte: 
Was war das Ergebnis dieses monatelangen Durchhaltens (im Schulstreik)? 
Ausweisung des Konfessionsunterrichts aus der Schule—im übrigen herrschte 
die Dressur, die Kasemenpeitsche nach wie vor. 
Und die Schriftleitung der »Schöpfung« kam zudem Schluß, daß von allen 
Hoffnungen auf die weltliche Schule, 
bisher nichts verwirklicht worden ist, wenn man die Ausmerzung des Religions- 
unterrichts als einen Erfolg ansehen will, die aber bei den konfessionellen Schulen 
auf Antrag ebenfalls möglich ist. Dahingehend ist der Untertänigkeitszustand, der 
blinde Autoritätsglaube der Schule ihr bisher treu erhalten geblieben, so daß wir 
Freiheitlichen mit Recht heute den Kampf um die weltliche Schule in einen Kampf 
gegen die weltliche Schule ummünzen können ... Auch die Republik braucht 


gehorsame Untertanen, ebenso wie die Monarchie — die weltliche Schule sorgt 
dafür, daß sie sie erhält.(84) 


In dieser »Doppelstrategie« für und gegen die weltliche Schule verzettelten sich die 
Anarcho-Syndikalisten. Ludwig Joist versuchte eine Zeitlang, diesen Gegensatz in 
seiner eigenenPerson auszutragen und umzusetzen, indem er sich um einen 
»Freieren« Unterricht bemühte, das Lehrer-Schüler-Verhältnis zu lockern 
versuchte, das »Siezen« abschaffte usw.. Zugleich reiste er als Redner in der 
rheinisch-bergischen Region umher und hielt Vorträge für die Freie Schule unter 
Themenstellungenwie: »Schulkaserne oder Lebensgemeinschaft?«.(85) Joist 
verfocht 1922 auch die Idee, angeschlossen an die soeben errichtete Düsseldorfer 
»Siedlung Freie Erde« eine Freie Schule zu gründen: 
Die Siedlung Freie Erde bei Düsseldorf-Eller hat schon manchen Menschen 
angelockt, weil in ihr ein gewisser freier Zug weht. Unabhängig vom Staate wird 
hier versucht, ein freies Leben zu führen ...Wäre es nun nicht möglich, hier den 
Keim jungen Lebens einzupflanzen,...wenn nicht nur ein reger Besuch dieser 
Siedlung stattfände, sondern wenn sich wirklich freie Menschen bereit erklärten... 
dort eine freie Schule zu schaffen, die Franzisco Ferrers treues Abbild wäre.(86) 
Joist scheint dafür keine »wirklich freien Menschen« gefunden zu haben. Ludwig 
Joist wurde im Herbst 1922 unter Vorwänden aus dem Schuldienst entlassen, was 


227 


zu politischen Protesten von Schülern und Eltern führte. Diese Entlassung scheint 
u.a. mitverantwortlich dafür zu sein, daß Joist im Jahre 1923 vollständig »aus der 
Bahn« geworfen wurde: Da er als arbeitsloser Lehrer praktisch »nichts Konnte«, 
was auf dem Arbeitsmarkt gefragt war, wurde er Hilfsarbeiter beim Bau der 
Oberkasseler Brücke. Als solcher war er noch eine zeitlang bei der FAUD tätig 
und schrieb in der »Schöpfung«, ehe er 23-jährig (!) einer damaligen spirituellen 
und Selbstdarstellungsmode folgend, zum »Ich-Menschen« konvertierte. 


Ich Bin 
Luzifer ES Christus 


Das ewige Leben, 


der Ober-winder des Todes. derLichtbringer In dem Chaos der 
letzizeft, der Friede nedi entsetzlichem Blutbad I 


m Chder GOTTMENSCH I Der edile Deulsdie I 
erbaue des Wahre Vaterland I 
erfülle des Christentum I 
a verwirklkhe den Sozlallsmus I 
besibllge den Kommunismus I 
erridite den Anarchismus I 
öffne die Pforte des Paradieses 
ersdsliebe des Himmelreich I 
verkünde die Belgians Breiheini 


ICH, LUDWIG J01SsT, BIN 


TAT 


Exkurs: »Ich-Mensch«, »All-Mensch« 
und Anarchismus 


Diese Strömung ging von dem Hamburger Ludwig Haeusser(87) aus; vom 
Umfeld der rheinisch-bergischen Anarcho-S yndikalisten schlossen sich ihr außer 
Joist noch Max Schulze-Sölde und der Elberfelder Walter Leiferkus an. Auch bei 
Schulze-Söldeerfolgte diese »Wandlung« nachseinem sozialen » Abstieg« zu den 
Hamborner Bergarbeitern! Diese »Spinner«, wie sie von ihren ehemaligen Ge- 
nossen genannt wurden, propagierten vordergründig die »Erfüllung des Christen- 
tums«, »Das ewige Leben« usw., letztendlich aber sich selbst (»Ich der Gott- 
mensch...<). 

Wir haben es hier mit einem Zerfallsstadium der radikalen Betonung der Rolle 
der Person zu tun — die Person löste sich von ihren sozialen Zusammenhängen. 
Dies war nicht nur auf einzelne Anarcho-Syndikalisten bürgerlicher Herkunft 
beschränkt — schon im Kaiserreich waren 2 regional bekannte anarchistische 
Arbeiter bzw. Handwerker aus dem Wuppertal zu einem vergleichbaren sen- 
dungsbewußten, personalistischen »Christentum« gelangt: Fritz Binde, Uhrmacher 
in Vohwinkel, der, aus evangelischer Handwerkerfamilie in Thüringen, 


228 


zunächst Mitglied der SPD war, später Anarchist, Freund Landauers und Mitar- 
beiter bei dessen Zeitung »Der Sozialist«. Und Johannes Christian Josef Om- 
merbom, Arbeiter aus Barmen, der sich vom stadtbekannten radikalen SPD- 
Agitator über die »Jungen« in der SPD zum Anarchismus Landauers entwickelte. 
Beide vertraten in Landauers »Sozialist« einen extrem vergeistigten Sozialismus, 
so daß selbst Landauer sie in einem polemischen Artikelals »Weichtiere« angriff. 
Fritz Binde betrieb nach den Worten seines Freundes Ommerborn »die voll- 
ständige Vergasung (= Vergeistigung) der proletarischen Interessen.« Beide 
wurden später zu evangelischen Wanderpredigern. Dieser weltanschauliche 
Wechsel von extrem persönlichem und geistigem Anarchismus zum messia- 
nischen Predigertum ist, vor entsprechendemfamiliären und sozialen Hinter- 
grund nicht so überraschend, wie es zunächst scheint. Als Bindeglied fungiert die 
bis ins Unendliche aufgeblähte Bedeutung der Person. Ommerborn gibt dies 
selbst — ohne kritische Absicht — wieder, wenn er Fritz Binde aus dessen 
anarchistischer Zeit zitiert: 

Man darf sich nicht so sehr mit der Sache identifizieren, die man verficht; man muß 

den Mut haben, in sich selber die Bestätigung der Sache zu sehen, die man verficht 

— denn letzten Endes kommt es doch immer wieder auf die Befriedigung des 


eigenen Ichs heraus! Auf diese Weise unterliegt man nicht denEnttäuschungen der 
anderen! 


Die Resignation ist hier deutlicher Auslöser eines extremen Personalismus, 
für den die »Sache« sekundär wird. 

Unter den rheinischen Anarcho-Syndikalisten gab es auch andere vereinzelte 
Erscheinungsformen hypertropher »Vergötterung« des Menschen. Gerade weil 
mit beispielloser Konsequenz jegliches »höhere Wesen« geleugnet und bekämpft 
wurde, die Anarcho-Syndikalisten aber mit dem dürren »Materialismus« nicht 
zufrieden waren, der — vor allem im Umkreis der Sozialdemokratie — aus einem 
populärwissenschaftlichen Gemisch von Ideen Darwins, Haeckels (Monismus) 
u.a. bestand, waren Einzelne durchaus auf der Suche nach »Religionsersatz«. Hier 
spielten z.B. die Ideen von Nietzsche eine Rolle, dessen »Übermensch« von den 
deutschen Anarcho-Syndikalisten nicht als Symbol einer neuer Herrenrasse 
mißverstanden wurde, sondern als Ideal menschlicher Emanzipation aufgefaßt 
wurde, die allein durch den »Willen« zu bewerkstelligen sei. Nietzsche selbst war 
in diesem Punkt beeinflußt von dem Individualanarchisten Max Stirner, der u.a. 
geschrieben hatte: »Suchet nicht die Freiheit... in der Selbstverleugnung, 
sondern suchet euch selbst... werdet jeder von euch ein allmächtiges Ich.(89) 

Ein Beispiel für solche Gedanken ist ein Gedicht in der »Schöpfung« aus dem 
Jahre 1921. Der Autor,ein führender Anarcho-Syndikalist, der nur unter dem 
Pseudonym »Proleditus« schrieb, und zahlreiche, richtungsweisende und zentral 
placierte politische Artikel in der»Schöpfung« veröffentlichte, formulierte hierin 
unter dem Titel »All Mensch« u.a. 


21ü'2fenft. 


Ylas bill Du. 'Dienten? Woo wilijt Du fein? 

Ikt bent, was fnRft bu werben! — 

i'u bitt ein kind), ein Reim, ein Strobl, 

ein winlig Rittndten, ninncftreut Ins %ll 

unb mit ihm tins, Dertiteltenb unb gebannt., 
'Poch wie ein Spiegel aufi, Der all. Strafgen !fingt, 
vereint nub formt am 

f futni t bu Dieb yur 1 e[t, ctt einyig eigenen; 
!clue-Kt buret Seit unb 9iar.n, bem xi[Bnix gteitl5; 
Dergtbjt In L'ttft unb Gdwuer,i, mieft aft unb f unn, 
buret) eigne Straft unb heilere 91?rtdtt, 

unb blci5"t beet) immer was Du Wit: 

ein ° II im 91(1. 


Ttu greifjt nub wirfttrfaht, ine jnnerjte Denfenit, 
geprceitt, bdrdtgllittt, with wie ein I2bclftein, 

in t;:rew mectrftojten rollft bu bu Tal. 

Tin anbete 9111 rollt neben bit, treutt beine 180bn; 
ein Stoll — vereint — bu bridt{t — 

Tin Gtild löft !let) Don bit — acin $erbbtst flodt — 
bu ‚titterft, trefft: mein Stinbl 

Net) hilt Du mac)tine, wie Die 93ftan3e, 

ber ein fraud) Dan Samenfora entfiilhrt, 

Stun mtt ft ea, fdrroebt, tollt feine Mahn, 

tuft eine '!Brit wie bu. — 


Ikin 1henten ftrattlt fhhtaus 

tlerb was bu wirfjt Ieht fort, 

bleibt unocrloren, mie Du leibft, 

auch wenn Du Idngft oerflof en bifi im 
ate Glaub entfliebjt Don stern +u Stern, 
Go ringst bu mit bem GdtiAjul, tait bent Tin: 
Tvt formfit unb wirft geformt, 

Du (tegft unb wire befiegt 

ale Gdhilpfer nub tfxfdtiipf, — 


Ints hilt Du. 9Renfcth? Sch., wit !it's nimntft: 
ein Stein, ein !doom, ein 213ttrm, tin (fiott! 
;Ye wie ben 4Beltgelft bu begrelfft 

unb role er Did) erfayt unb aus bit wirft 
buret) &firn nub liety unb elan!. — 

Drum lebet ftrebel 

Tent' an bas Viichjle, ban bu werben foDift! 


a Er Ps Imyon° n/nwirottbitus, 
MO »V'7VV9VI»JOCI»I»JYI.JI'dMOOF+J 


aus: Die Schöpfung 42/1922 


229 


230 


Was das Bedürfnis nach Religiosität betrifft, so hatte auch Gustav Landauer, ohne 
allerdings dadurch zum weltfernen »Gottsucher« zu werden und sich vor den 
Tageskämpfen zurückzuziehen, der Menschheit eine neue »Religion« prophezeit. 
Für ihn war es mit der bloßen Verneinung der alten Götter nicht getan, und er 
scheute sich nicht, den Begriff der Religion im wörtlichen Sinne zu gebrauchen, 
d.h. als Gebundenheit der Menschen aneinander und an einen gemeinsamen 
»Geist«. Allerdings Könnten solche Bindungen nur auf der Basis der Freiwillig- 
keit entstehen. Landauer schrieb: 
Hat die gleiche Richtung des Geistes in den Individuen dieseerst mit ihrem 
natürlichen Zwange gepackt und zu Bünden geballt, ist also die Idee... wieder 
einmal aus dem Geiste des Einzelmenschen herausgetreten und zum Menschen- 
bunde, zur Körperschaft, zur verbindenden Gestalt geworden, ... dann ist es leicht 
möglich, daß einmal auch wieder Jahrhunderte der geistigen Überwältigung, der 
bindenden Weltanschauung oder des Wahns zu den Menschen kommen.(91) 
Landauer betont jedoch: _ 
Wir suchen solche Überwältigung nicht, wir wehren uns dagegen und sind 
durchaus nicht nach der Befangenheit lüstern... kann sein, daß das Notwendigkeit 
ist; es kann auch ganz anders kommen. Wir sind noch lange nicht soweit. Was jetzt 
unsere Aufgabe ist, steht klar vor uns: ...Nicht die Künstlichkeit einer Religions- 
imitation, sondern die Wirklichkeit der sozialen Schöpfung unbeschadet der vollen 
geistigen Unabhängigkeit und Mannigfaltigkeit der Individuen.(92) 
Bei der Masse der proletarischen Mitglieder der FAUD und der anarcho-syndi- 
kalistischen Kulturorganisationen dürfte ein atheistischer Materialismus die Regel 
gewesen sein, der sich von den übrigen Freidenkeranschauungen nur durch die 
Militanz und Kompromißlosigkeit unterschied, mit der die Anarcho-Syndi- 
kalisten alle Spuren von Kirche und bisheriger Religion in ihrer Umgebung und 
ihrem persönlichen Leben abzuschütteln versuchten. Damit hatte man vollauf zu 
tun und es ist bezeichnend, daß aus der späteren Generation der SAJD Ende der 
20er Jahre niemand einem vergleichbaren Mystizismus und Phantastentum ver- 
fiel wie Ludwig Joist. Diese ausnahmslos proletarischen Jugendlichen, häufig 
Kinder von Anarcho-Syndikalisten oder Freidenkern, waren in ihren Familien 
und Kindergruppen ganz ohne Gebet, Weihnachtslieder und Gott als drohende 
Erziehungshilfe der Eltern aufgewachsen. Sie kannten keine Sehnsucht nach 
»wahren« christlichen Werten, wie sie in Joistschen Formulierungen auch in der 
Zeit seines Schulkampfes durchschimmerten, wenn er etwa schrieb: »Es gibt 
Lehrkräfte ander weltlichen Schule, die fast täglich zur Kirche gehen, jedoch 
nichts Inniges den Kindern mitgeben ...(93) 


Kindergruppen 


Die Idee der »Freien Schule« war unter den rheinisch-bergischen Anarcho- 
Syndikalisten immerhin so stark, daß neben und in dem aktiven Kampf um 


231 


weltliche Schulen in einigen Städten antiautoritäre Kindergruppen entstanden. 
Diese waren nicht nur bloße Organisierung des Nachwuchses, sondern Organe und 
Ausdruck des Schulkampfes. Sie wurden von einzelnen erwachsenen Anarcho- 
Syndikalisten oderhäufig von führenden Mitgliedern der Jugendgruppen initiiert 
und wiesen alle Merkmale der »ersten« und »zweiten Stufe« der Freien Schule auf: 
Fahrten und Wanderungen mit Belehrung über Pflanzen, Tiere usw., Volkstänze, 
Theaterspiele und Erzähl- und Gesprächskreise. Solche Kindergruppen existierten 
ab 1921 zeitweilig in Duisburg, Hamborn, Düsseldorf, Gerresheim, Elberfeld und 
Aachen;(94) weitere können im rheinisch-bergischen Raum vermutet werden. Der 
»Syndikalist« rief etwa zum »Zellenbau«(95) in den Konfessionsschulen auf, um 
den Widerstand gegen religiöse, militaristische und autoritäre Unterrichtsinhalte 
und -formen zu organisieren und den Schulstreik vorzubereiten. Es sind also auch 
in Städten, wo der Schulstreik nicht oder verspätet in Gang gekommen war, 
anarcho-syndikalistische Kindergruppengründungen anzunehmen, so in Krefeld: 
1927 berichtet die syndikalistisch-anarchistische Jugend Krefelds, daß »Krefeld 
sich im Schulstreik befindet« — hier ist von der Jugend möglicherweise auch 
Kindergruppenarbeit geleistet worden. 

In Düsseldorf wurde eine Kindergruppe von dem bereits erwähnten Hubert 
Pootmann geleitet, eine weitere von den drei Schwestern Beiermann, Töchtern 
eines syndikalistischen Bauarbeiters. Die Gerresheimer Gruppe organisierte 
Antonie Rosinke, Tochter des führenden FAUD-Mitglieds Anton Rosinke, die 
Elberfelder Gruppe Maria Steinacker, Tochter von Johann Baptist Steinacker, 
welcher der Nestor, (groß-)väterliche Freund, Anlaufpunkt und junggebliebene 
Mitkämpfer der Elberfelder Bewegung war. Es fällt auf, daß bis auf Pootmann 
ausschließlich Mädchen bzw. Frauen die Kindergruppen leiteten —, und daß 
alle Genannten aktive Mitglieder ihrer örtlichen Jugendgruppen waren! Fast alle 
stammten darüberhinaus aus den Familien führender örtlicher Anarchisten und 
Anarcho-Syndikalisten. 

Für Spiele und Vorträge wurden ältere Genossen in die Kindergruppen einge- 
laden — so war der Elberfelder militante Anarcho-Syndikalist und »Reichsredner 
der FAUD«, Hans Schmitz, in der Kindergruppe Maria Steinackers beliebter 
Spielkamerad, Freund und Lehrer. Von ihm wird berichtet, daß er selbst erfolg- 
reich die Organisation von Schulfesten in der weltlichen Schule (Wörtherstraße) 
übernahm, in die sein Sohn und viele andere Mitglieder der Elberfelder Kinder- 
gruppe gingen, weil er die Lehrer für zu »langweilig und reaktionär« hielt. Es 
wird berichtet, daß Hans Schmitz mehrfach in die Schule ging, wenn Kinder 
geschlagen wurden, den betreffenden Lehrer aus dem Unterricht holte und zur 
Rede stellte.(96) 

Im Jahre 1923 oder 1924 führten sowohl die Elberfelder als auch die Gerres- 
heimer anarcho-syndikalistischen Kindergruppen öffentlich »Des Kaisers neue 
Kleider« von Andersen auf. Häufig besuchten sich die Kindergruppen der 


232 


einzelnen Städte gegenseitig oder unternahmen gemeinsame Wanderungen. Die 
Elberfelder Kindergruppe hatte in dieser zeit ca. 10-15 Mitglieder zwischen 8 und 
12 Jahren, die Gerresheimer Gruppe ca. 20 Kinder. Maria Steinacker starb bereits 
im Jahre 1924 — in Elberfeld scheint in den folgenden Jahren niemand eine 
vergleichbare Bereitschaft, Fähigkeit und Geschicklichkeit besessen zu haben, mit 
Kindern umzugehen — die Kindergruppenarbeit kam zum Erliegen. Über die 
Mitgliederzahl und Aktivität der anderen rheinisch-bergischen Kindergruppen ist 
wenig bekannt. Aus späteren Jahren ist ein Bericht der Hambomer Kindergruppe 
von einer Fahrt zum Oberrhein erhalten. Die Kinder schrieben ihre Eindrücke von 
Bad Ems nieder, wo sie Zwischenstation machten: 
Wir mußten dabei an zu Hause denken, an die rußige Stadt des Eisens und der 
Kohle. Tausende von alten abgearbeiteten und müden Arbeitern, meistens Berg- 
leute, die wir täglich sahen, stellten wir in Vergleich mit diesen wohlhabenden 
Bürgersleuten.(97) 
Hier wurde nicht Flucht aus der Realität getrieben, sondern Fahrt und »naturge- 
mäße Lebensweise« der Kinder mit politischer Diskussion ihrer Erfahrungen 
verbunden. 

Der hier zitierte Bericht wurde von Hamborner Kindern in der anarcho- 
syndikalistischen Kinderzeitung »Proletarisches Kinderland« verfaßt. Diese er- 
schien überregional ab 1929 — ihre Initiatoren waren Kindergruppen im Mann- 
heimer Raum in Zusammenarbeit mit einer »Arbeitsgemeinschaft Freiheitlicher 
Kindergruppen« derGemeinschaftproletarischerFreidenker (GpF). Die GpF war 
der stark anarcho-syndikalistische beeinflußte Flügel der alten Freidenkerbewe- 
gung. Sie existierte getrennt von den sozialdemokratischen und kommunistischen 
Verbänden seit 1928 und hatte ihren Sitz in Düsseldorf. In Düsseldorf war auch 
zeitweilig die anarcho-syndikalistische Kinderzeitung »Kinderwille — Organ der 
freiheitlichen Kindergruppen Deutschlands« gedruckt worden, die von der FAUD- 
Mannheim zwischen 1928 und 1929 herausgegeben wurde. Das »Proletarische 
Kinderland« trat ihre reichsweite Nachfolge an, es erschien in Leipzig bis 
»mindestens 1931« und wurde von den rheinischen Gruppen maßgeblich mitge- 
tragen. Das »Proletarische Kinderland« verstand sich selbst als Organ der Freien 
Schulidee — es kämpfte »als einzige atheistisch-sozialistische Kinderzeitung 
Deutschlands... gegen die Kulturreaktion, besonders gegen die Schulreaktion, für 
eine freie, sozialistische Gesellschaft und Erziehung.«(99) Sie wurde zwar von 
erwachsenen und älteren Jugendlichen finanziert, gedruckt und herausgegeben, 
enthielt aber zu großen Anteilen Kinderkorrespondenzen, Fahrtenberichte, An- 
prangerungen von schulischen und familiären Mißständen u.ä. 

Die freiheitliche Kinderbewegung versuchte sich analog zur FAUD reichsweit 
föderativ zu organisieren, wobei der Schwerpunkt im Mannheimer Gebiet blieb. 
Für den rheinisch-bergischen Raum fand im März 1930 in Essen eine »Konferenz 
der Förderer und Leiter der freien Kindergruppen des Bezirks Rheinland« (100) 
statt. Hier wurde ein Bezirks-»Informationsleiter« gewählt und beschlossen, sich 





Organ der 


Freiheitlichen Kindergruppen 


I. Jahrgang. 1928 No. 5. 





Hallo liebe Kinder, 


wißt ihr schon, wir bauen jetzt Panzerkreuz.er. 

Ja, sagt einmal, woher kommt denn das Geld 
dazu, WO wir doch nötiger Wohnungen bräuchten, 
als schwimmende Mordmaschinen? 

Das Geld /:um Bauen miissen die Arbeiter durch 
St.nern und Zölle auf Lebensmittel aufbringen. 

Irrst mub der Arbeiter das Geld aufbringen, dann 
beutet ihn der Unternehmer mit seinen sauerverdienten 
und abgehungerten Steuergroschen aus, 
und schlielttich wird er noch mit denselben Mord-» 
walten, die sie selber bauten, umge-braeh t. Ist 
das nicht ein herrlicher Fortschritt im 20. 
Jahrhundert? 


Religion „$ut not: 


















cc 
Ein wahres Gesch!chtchen. 

Tante Ami ist zu euch gekommen und läßt 

\ \ es sich angelegen sein, den Ifinf-jährigen 
Bubi in die biblischen Geschichten 

| einzultiliren, denn sie glaubt, daß ‚seine 
religiöse Irrziehung" vernachliis-sigt sei! 

. So liest sie ihm eines Tages von der 
! \ . \ Hochzeit zu Kanaa vor: „Und Jesus 


, sprach zu seiner Mutter: Weib, was 
\ . habe ich mit dir zu schallen? Meine 
- Stunde ist noch nicht ge-kommenl" -- 


Worauf Bubi in strahlender 
Bewunderung herausplatzt: „Au, 
gaMlensch, der war aber frech, was?I" 


Liebe Kinder! Solltet Ihr den 
Inhalt nicht verstanden haben, 
so schreibt an die Redaktion 


Proletarier «e Knabe. Li oiaumschnitt von 
Artur Swelter. 


233 


234 


auf Reichsebene als »Arbeitsgemeinschaft der GpF und der Freien Kindergruppen« 
zu konstituieren und eine Reichskonferenz einzuberufen, die im Juni 1930 
zustandekam. Bis 1933 wurden mehrere »Reichsferienlager« organisiert, wobei 
eines an mangelnden Finanzen scheiterte (1931). Im Jahre 1932 wurden aus 
finanziellen Gründen dezentral 3 Ferienlager der Freiheitlichen Kinderbewegung 
geplant, eines davon an einem nicht bekannten Ort im Rheinland.(101) Es ist nicht 
mehr zu rekonstruieren, ob dieses Lager zustandekam, welche Gruppen sich 
beteiligten und wo zu dieser Zeit Kindergruppen im rheinisch-bergischen Raum 
bestanden. Die Kindergruppenbewegung in dieser Region scheint aber neben dem 
Mannheimer Gebiet und Berlin nicht unbedeutend gewesen zu sein. Die freiheit- 
liche Kinderbewegung fand zwar immer wieder vereinzelte kinderfreundliche und 
weitblickende Erwachsene, die sie unterstützten. Auch sie hatte aber heftige 
Anerkennungskämpfe mit der FAUD durchzustehen. Diese solidarisierte sich erst 
auf ihrem 19. Kongreß (März. 1932) mit den selbständigen Kindergruppen und ihrer 
Rist, und versprach finanzielle Unterstützung nach den eigenen — mittlerweile sehr 
bescheidenen — Möglichkeiten. Allerdings waren mit diesem Angebot 
Bedingungen verknüpft: Ebenso wie die Jugendgruppen der SAJD, die mittlerweile 
über die finanzielle Abhängigkeit enger an die FAUD gebunden waren und sich ihr 
auch ideologisch genähert hatten, sollte die Freiheitliche Kinderbewegung 
Tätigkeits- und Kassenberichte an die berliner GK_ abliefern.(102) Die 
Kindergruppenarbeit wurde nach der Machtübernahme Hitlers von den Anarcho- 
Syndikalisten eingestellt.(103) 


4. »Junge Anarchisten« — 
die syndikalistisch-anarchistische Jugend ab 1925 


Die Jahre 1923 und 1924 müssen als Einschnitt in der organisatorischen und 
weltanschaulichen Entwicklung der FAUD und der SAJD angesehen werden. 
Kam es im Jahre 1923 im Zusammenhang mit Inflation und Ruhrkampf noch 
einmal zu kurzfristigen Massenkämpfen, Lebensmittelunruhen und der rheini- 
schen Separatistenbewegung, so beschleunigte die aktive Beteiligung der rhei- 
nisch-bergischen Anarcho-Syndikalisten den Rückgang ihrer Mitgliederzahlen 
noch mehr. Im Sinne der direkten Aktion hatte die FAUD in vielen Städten die 
spontanen Plünderungen von Lebensmitteltransporten, Brotfabriken u.ä. unter- 
stützt, z.T. auch dazu aufgerufen, so in Elberfeld, Düsseldorf und Köln. Hierbei 
wird von einer besonders aktiven spontanen Beteiligung proletarischer Frauen 
berichtet — ähnlich wie bei den Lebensmittelunruhen gegen Ende des I1.Welt- 
kriegs. Dies führte zu zahlreichen Verhaftungen oder wie im Falle von Hans 
Schmitz zum»Abtauchen« führender rheinisch-bergischer Anarcho-Syndika- 


235 


listen in die Illegalität. Die offizielle Distanzierung sämtlicher anderen Arbeiter- 
organisationen von diesen Akten proletarischer Selbsthilfe tat ein Übriges, um die 
FAUD und die beteiligten anarcho-syndikali stisc hen Jugendlichen und Frauen zu 
isolieren. 

Der zweite Faktor, der zu einer massiven Einbuße an Mitgliedern und Glaub- 
würdigkeit besonders der rheinischen FAUD führte, war die teilweise aktive 
Unterstützung der rheinischen Separatistenbewegung. Mit dem führenden FAUD- 
Redner Bertram Dietz befürworteten beachtliche Minderheiten der Anarcho- 
Syndikalisten in Düsseldorf, Mönchengladbach, Krefeld und Aachen ein taktisches 
Zusammengehen mit Smeets, Adenauer u.a. bürgerlichen Separatisten, deren Ziel, 
eine sogenannte »Rheinische Republik«, von der französischen Besatzungsmacht 
unterstützt wurde. Möglicherweise versprachen sich die Anar-cho-Syndikalisten 
um Dietz von dem neuen Kleinstaat günstigere Kampfbedingungen — die 
überwiegende Mehrheit der rheinisch-bergischen Anarcho-Syndikalisten sowie 
die Berliner GK und der »Syndikalist« lehnten das separatistische Abenteuer 
entschieden ab. Dazu der AachenerSchreiner Curt Moeller, der—seit 1920 
Mitglied der FAUD — selbst vor allem in der Kulturbewegung tätig war und im 
katholischen Aachen große Diskussionsveranstaltungen (bis zu 1000 Besuchern) 
zu Themen wie »Kann es einen Gott geben?« mitorganisierte: »Politisch wäre das 
Rheinland sowieso nicht selbständig geworden. Und kulturell hätte das alles einen 
Riesenrückschlag bedeutet. Die Separatisten waren stockreaktionär und 
erzkatholisch. Wir hatten mit dem rheinischen Katholizismus schon so genug zu 
tun. Die »Rheinische Republik« hätte uns zum direkten Ableger des Vatikans 
gemacht.« 

Dietz' Engagement führte zu einem empfindlichen Verlust an Einfluß und 
zu heftigen Flügelkämpfen innerhalb der rheinisch-bergischen Bewegung. 
Er wurde 1923 aus der FAUD ausgeschlossen. 

Endlich muß die ab 1924 einsetzende relative Stabilisierung der politischen und 
wirtschaftlichen Verhältnisse genannt werden, die dem Konzept unmittelbarer 
Massenkämpfe, das die FAUD als Gewerkschaft verfolgte, zunehmend weniger 
Ansatzpunkte bot. Sank im Folgenden die Bedeutung der FAUD, so wuchs 
andererseits eine neue Generation anarcho-syndikalistischer Jugendlicher heran, 
die nun weitgehend Arbeit hatten, zunehmend auch Lehrstellen; viele von ihnen 
hatten Kindergruppen durchlaufen und gelernt, nach der Wirklichkeit ihres 
proletarischen Alltags zu fragen. Das alles in Frage stellende Kriegserlebnis und 
die daraus resultierende Zerstörung sozialer Kontinuität bestimmte das Denken 
dieser Generation nicht mehr. 

Unter den jetzt 14-18jährigen Arbeiterjugendlichen griff »eine neue Wert- 
schätzung der Klassenkampf-Organisation«(104) Platz und zwar um ihre eigene 
Lage als Jungarbeiter zu verändern. Sie hatten sich mit dem Klassenkampfge- 
danken nun nicht mehr in der Form auseinanderzusetzen, daß eine in ihren Augen 


236 


mächtige, funktionierende Gewerkschaftsorganisation der Erwachsenen sie zur 
Anpassung zwingen wollte. Die Dominanz und die »Zuständigkeit« der örtlichen 
Arbeiterbörsen für den Klassenkampf war geschwunden. Geblieben war die 
autonome Jugendorganisation und die Notwendigkeit, sich als Jungarbeiter oder 
Auszubildende gegen Ausbeutung, Unterbezahlung, Unterdrückung und Bevor- 
mundung zu wehren. Linse formuliert zutreffend: 
Hatte zunächst die Jugendlichkeit das eigentliche Bestimmungsmerkmal abgege- 
ben, so später das bekenntnis zum Jungproletariat... Hatte man zunächst die 
Zugehörigkeit zu einer Altersgruppe betont, so wurde später wieder der Aspekt der 
Klassenzugehörigkeit vorrangig und überdeckte den Generationskonflikt.(105) 
Besonders aus den rheinischen Gruppen kamen ab 1924 diesbezüglich starke 
Impulse. Auf der 4.Reichsjugendkonferenz der SAJD in Hannover (Dezember 
1924) hieß es über die Bezirke Rheinland und Westfalen: »So wie diese Bezirke 
bisher die Elitegruppen der SAJ waren, so sind sie es heute noch.«(106) Besonders 
die beiden SAJD- und FAUD(!)-Mitglieder Eugen Betzer (Dülken) und Georg 
Radlbeck (Duisburg-Rheinhausen) trugen den Gedanken der wirtschaftlichen 
Kämpfe, der straffen Organisation und der Verbindung zur FAUD vor. Auf einem 
Bezirksjugendtreffen des Rheinlands wurde im April 1924 die Bezirksinforma- 
tionsstelle (Bist) ins Leben gerufen. Ihre Aufgaben, die Organisation engerer 
Zusammenarbeit der Orte, Werbung und Unterstützung neuer Gruppen und 
Eintreibung der Beiträge für die Rist und die Jugendzeitung »Junge Anarchisten« 
wurde in diesem Jahr der Rheinhausener Gruppe Radlbecks übertragen. Radlbeck 
selbst wurde Vorsitzender der Bist Rheinland. Radlbeck forderte im »Syndika- 
list« unter dem Motto: »Entweder Organisation oder leblose Horde«: 
..daß wir Schluß machen mit all dem Gefasel über Vegetarismus, Individualis- 
mus, Gewaltlosigkeit usw. und uns mit all dem Gefasel über Vegetarismus, 
Individualismus, Gewaltlosigkeit usw. und uns intensiv dem Organisationsfeld 
zuwenden... Schaffen wir uns eine Organisation, in der es Rechte und Pflichten 
gibt, dann wissen wir, wer zu uns gehört. Nehmen wir eine Mitgliedskarte und 
tragen dort monatlich einen Betrag ein. Diese Karte könnte dann als Ausweis 
gelten. An den eingetragenen Pflichten ist immer zu sehen, was mit dem Besitzer 
los ist. (109) 
Aufgrund dieser Entwicklung lösten sich viele westfälische Gruppen von den 
Rheinländern. Richard Busse, Dortmund, Vorsitzender der Bist Westfalen, kon- 
terte mit einem scharfen Gegenartikel in den »Jungen Anarchisten«, in der er die 
Organisation weiterhin als »das Produkt« einer geistigen Erkenntnis von frei- 
heitssuchenden Menschen« bezeichnete.(108) 

Im Rheinland bestanden bzw. entstanden 1924/25 SAJD-Ortsgruppen in Düs- 
seldorf, Gerresheim, Mülheim/Ruhr, Duisburg, Hamborn, Dülken, Mönchengladbach, 
Elberfeld, Krefeld, Hoc hem merich, Friemersheim, W iesdorf und Ohligs. 

Die »Jungen Anarchisten« meldeten vom Rheinland, 
wo die Kameraden unter der französischen Besatzung mit demdamit verbundenen 
passiven Widerstand und der starken Arbeitslosigkeit stark gelitten haben, daß der 





.. 
« Au 








_ Organ der Syndikalistisch-anarchistischen Jugend Deutschlands 





. R. Jahrgang 








Nummer 10 = 





Wenn aber dein Herz wirklich eins ist mit jenem der Menschheit, wenn du als wahrer Poet ein Ohr hast, um die 


Stimme des Lebens zu hören. dann wirst du angesichts dieses Meeres von Leiden, dessen Flut um dich herum wogt. 
angesichts aller dieser Völker, die vor Hunger sterben, dieser Leichen, die sich in den Bergwerken und am Fusse der 
Barrikaden auftürmen, dieser Züge-von Verbacnten, die alle in den eisigen Wüsten Sibiriens oder in den Sümpfen 
tropischer Inseln begraben, angesichts des kehren Kampfes. welcher anhebt, der Todesschreie, der Orgien der Sieger, 
des Heldenmutes gegen die feige Grausamkeit, der Begeisterung gegen die Gemeinheit — dann wirst du "angesichts all 
dessen nicht untätigbleibenkönnen. Du wirst dichauf die Seite der Bedrückten stellen, denn du wirst be. greifen, dass 
alles Grosse und Schöne — mit einem Wort: das Leben — auf Seite jener sind, die tilt' das Lichte 


‘die Menschheit, die Geredhtigkeit kämpfen) 


« Peter Kropottin. - 


Kulturkampf, der Jugend. 


Der Schulreformer Gustav Wyneken; der File die biir- 
rerliche Jugend der höheren Schalen zu wirken und sie ni(t 
dein Ideal einer freien Scludgemeinde zn erfüllen versucht 
hat, hat in einer ganzen Reihe von Büchern und kleineren 
Schriften über das Verhältnis von Jugend und Gesellschaft 
geschrieben. Er ist der Ueberzeugung, da6 die Jugend in 
der Gesellschaft der Menschen dasjenige Element ist, das 
das sich immer wieder aus sich selbst erneuernde 
Kulturbewußtsein der Menschheit darstellt. Die 
Erwachsenen sind eingespannt in die Welt der Zwecke und 
der Niitzlichkeiten; die Jugend aber diene dein Geiste, so 
fordert er; die Jugend sei der reine, ungel ruble und immer- 
tort strömende Quell alles Edien, Freien, Geistigen. sie sei 
der eigentliche anvergüngliche Träger der Kultur. 

Dichter uud Decker, Propheten. Schwärmer. die aus 
häßlicher Gegenwart fit die Zukunft schauten, Utopisten, die 
uns ihre Visionen beschrieben von dem, was einst sein soll. 
wenn die neue Zeit zu den :Menschen gekommen ist. 
wissen auch von der Jugend der künftigen Generationen zu 
erzählen .......... freie. aufrechte Knaben und Mädchen. mit 
weltoffenen klaren Augen und frohenn Doreen vertringen 
die Jahre ihrer Kindheit und .legend in Freiheit und Senne. 
wachsen ans heitrem Spiel und Tanz ohne inneren Bruch 
hinein in die ernste. nützliche Arbeit der Erwachsenen. die 
elite brüderliche Arbeitsgemeinschaft in allen Ländern der 
Erde bilden-und es längst verlernt haben um Ike tügtiches, 
Brat miteinander en künafen — —; wir kören von einer 
‚lugend, die von der Gesellschaft gehegt und gefördert 
wird, um ihren( innersten Wesen leben zu können: von 
einer Gesellschaft. die erkannt hat, daß die Jugend das ist. 
'waG: ein Dichter unserer Zeit von ihr sagt: die ewige - 
Gliickschance der Menschheit. 

Aber wir sehen ein anderes Bild. Fremd und be- 
ziehungslos zu unserem Leben erscheinen uns die Forde- 
colleen bürgerlicher Schulreformer, und die Visionen 'der 
Dichter verblassen eu nichts: um uns ist graue düstere 
Gegenwart. 

--Die Künstlerin Käthe -Kohlwitz hat uns ein Bild ge- 
ielchnet — auf einem düsteren Hofe steht ein armseliges, 





hohles, Iunges Mädchen mit einem Kinde auf den Armen, 
und auf einem Schilde neben der Haustör lesen wir: Spie- 
len auf dem Pofe und den Treppenfluren Ist verboten ... 
Graue Vorstadthüuserreihen, endlose Mietskasernen, stet- 
gen vor uns auf. In engen, dumpfen Stuben hausen Men- 
schen, hausen bleiche Mütter mit Ihren Kindern; In 
grauen-hailer Enge wachsen lassende, wachsen Millionen 
von Kindern auf in diesen Stuben. wachsen auf ohne die 
sorgende Liebe der Mutter, die den Tag Biber au( Arbeit 
geld, um für die Reichen und Nichtstuer zu schaffen und 
zu (rohnen; und wenn der Vater nach Haus kommt, ist er 

niide und zermürbt und kümmert sich nicht um sein Kind. — 
kann es nicht mil leichtem Herzen, weil die Sorgen um den 
nf(chsten Tag ihn zermartern und quälen. 

Das ist proletarische Kindheit, proletarische Jugend. Die 
Kinder in den Bürgerhäusern wachsen anders auf. Von Elters 
geboren, die nur wenig oder keine Sorgen in ihrem Haus 
sahnen, verbringen sie ihre Kindheit in wohnlichen Räumen, 
dürfen ganz sich selber leben, und ihre Mutter kann den 
ganzen Tag bei ihnen sein; sie genießen besseren - 
Unterricht, verbringen Ihre .lugend mit der Beschäftigung 
unit geistigen Dingen, ohne le vor der Notwendigkeit zu 
stehen, um die Erhaltung ihres Lebens sorgen zu müssen. 

Auf ihren Schulen and Hochschulen aber zut sozialen 
Lüge erzogen, bemerken sie nichts davon. daß neben ihnen 
eine andere Kindheitswelt, eine andere Jugend aufwächst, 
durch einen Abgrund von der ‚.Goldenen .lugend" der Be- 
sitzenden getrennt! Die Jugend des Proletariats.” ja, und 
wenn sie davon merken. wenden sie sich von der .lugend 
der Armen und Gedrückten mil Stolz und Hochmut ab, la. 
wenn das arbeitende Volk sich erhebt, um für sein elemen- 
tarstes Lebensrecht zu kämpfen, dann findet sich die „gol- 
dene Jugend" herbei, diesen Kampf abzuwehren und zu 
unterdrücken: als „techniscne Nothilfe" füllt sie den strei- 
kenden Arbeitern in den Rücken, als zeitfreiwillige Solda- 
teska stürzt sie sich tilt der Walte In der Hand auf prole- 
tarische Kämpfer — — 

So steht die arbeitende Jugend da, eingebunden In das 
Schicksal Ihrer Klasse, In das harte Schicksal der Frnhn 


237 


238 








KIVGEND* DEUTISHLAN 


Nummer 3.0 








N Nyezz, 


EIN 


‚MUNl‘ 


Bd WERSTELL 


239 


Bezirk zu wachsen beginne.(109) 

Auf dem Hannoveraner Reichskongreß griff im übrigen vor ca. 100 Delegierten 
Eugen Betzer in einem zentralen Referat die bisherige Formel vom »Kultur- 
kampf« der anarcho-syndikalistischen Jugend an. Betzer drehte das Schlagwort 
zu seinem Begriff der »Kampfkultur« um, worunter er nichts anderes als den 
revolutionären Kampf der Jungarbeiter und Lehrlinge im Betrieb, in der Schule 
und Ausbildung, sowie den militanten Widerstand gegen Nationalismus, Milita- 
rismus und Faschismus verstand. Die neugeschaffene Zeitung »Junge Anarchi- 
sten«, die Ende 1924 in 5000 Exemplaren erschien, dokumentierte diese Aus- 
einandersetzung um »Kulturkampf« Anfang 1925. 

Auch die Frage der Anwendung von Gewalt wurde auf dem Kongreß von 
Hannover unterstarkem Einfluß der rheinischen Gruppen neu und 
mehrheitlich zugunsten der Gewalt entschieden: 

Auf dieser Tagung bekannte sich die Jugend... klar und eindeutig zum revolutio- 
nären Klassenkampf und betont, um den Gewaltlosigkeitsaposteln... die Argu- 
mente zu nehmen, daß sie im Interesse der sozialen Revolution auch Gewalt 
anwenden würde, wie es ja auch durch ihre Kämpfe schon praktisch bewiesen 
würde.(110) 
Die Parole hieß nun nicht mehr: »Nie woll'n wir Waffen tragen...«, sondern 
»Krieg dem Krieg!« Unter diesem Motto verbreiteten die Jugendgruppen des 
Bezirks Rheinland zum Antikriegstag (1.September)1925 nach eigenen Angaben 
50.000 Flugblätter, 20.000 Handzettel und klebten 3 Plakate.(111) 

Die »Jungen Anarchisten« änderten im Gefolge dieser inneren Umwälzung 
ebenfalls ihr Erscheinungsbild. Aus dem beschwingt-jugendbewegten Titelbild, 
das sie von der »Jungen Menschheit« übernommen hatten, wurde Anfang 1926 
ein düster-entschlossener Kopf, der zwei Jugendliche mit Hammer und Fackel vor 
einer Zechen- und Fabriklandschaft zeigte. 

Das Jahr 1926 kann — zumindest was die Zahl der angeschlossenen Jugend- 
gruppen betrifft — als ein Höhepunkt in der Entwicklung der SAJD Rheinlands 
betrachtet werden. Es ist dabei zu berücksichtigen, daß vieleältere Gruppen sich aus 
Altersgründen auflösten, Mitglieder an die FAUD verloren oder nur ein 
Schattendasein in Gestalt weniger »Unentwegter« führten, die punktuell einige 
Genossen zu vereinzelten Aktionen oder Diskussionen zusammentrommelten. So 
müssen um diese Zeit die Verhältnisse in Elberfeld ausgesehen haben, als die Freie 
Jugend Morgenröte zerfallen war und die SAJD-Gruppe nur noch auf dem Papier 
in Erscheinung trat. 

Zu den oben genannten Jugendgruppen kamen im Rheinland 1926 noch je eine 
Gruppe in Köln-Stadt, Köln-Kalk und Barmen. Über die neuen Genossen in Köln- 
Stadt berichtet Hans Schmitz (sen.) aus Elberfeld in den »Jungen Anarchisten« 
vom Mai 1962: 

30 Jungen und Mädel zu einer Jugendgruppe zusammengeschlossen! Es soll unsere 
Aufgabe sein, das Jungvolk in Köln mit den Ideen des Anarcho-Syndikalismus 


240 


bekannt zu machen... Dann hielt Kamerad Sch., Elberfeld, eine Bannerrede und 

faßte das Symbol des Schwarzen Banners in folgende Worte zusammen: 

Kampf dem Militarismus! 

Krieg der bürgerlichen Gesellschaftsordnung! 

Kampf und aufbauende Arbeit für das Morgenrot der Freiheit, der sozialen 

Revolution! Dies soll die Aufgabe der jungen Anarchisten sein. 

H. Schmitz 

Die Barmener Gruppe umfaßte ca. 6 Jugendliche, u.a. die drei Brüder Willy, Fritz 
und August Benner. Willy und August, beide von Beruf Anstreicher, wurden ab 
1929 Aktivisten der SAJD-Gruppe Wuppertal; Fritz, gelernter Riemendreher, 
wurde führendes FAUD-Mitglied, Betriebsrat und Spanienkämpfer. Auf der 
Bezirkskonferenz der SAJ-Rheinland (Juli 1926 in Elberfeld) berichtete der Barmer 
Vertreter Bombe über »unsere Arbeit inder freien Schule«. Es gab zu der Zeit in 
Elberfeld und Barmen noch wenige weltliche Schulen. Die ca. 5 Jugendlichen 
gingen ausnahmslos dort zur Schule und setzten sich mit prügelnden Lehrern, 
Kriegs- und Nazihetze sowie Kirchenliedern im Unterricht auseinander; z.T. im 
Bündnis mit vereinzelten Freidenkern im Lehrerkollegium. Die Düsseldorfer 
Gruppen riefen auf diesem Treffen zu besonderen kulturellen Aktivitäten wie 
»Sprechchören und Aufführung von Theaterstücken«(112) auf. Dies zeigt, daß 
nicht alle engeren Kulturinitiativen dem Organisations-, Agitations- und 
Klassenkampfprinzip zum Opfer gefallen waren. Schon der Auftakt dieser Be- 
zirkskonferenz war ein kämpferischer — sie wurde durch eine »Propagandaver- 
sammlung in Remscheid eingeleitet«. In dieser bergischen Industriestadt, einer 
Hochburg der Kommunisten, wollten die jungen Anarcho-Syndikalisten auf diese 
Weise offensiv Fuß fassen. Ohne Erfolg, wie es scheint: Der Konferenzbericht 
stellt knapp fest: »Der Besuch war befriedigend, der Kampf mit den Kommunisten 
sehr scharf. Von den RFB-Mitgliedern blieb mancher nach der Aufforderung, den 
Saal zu verlassen, doch zurück....(113) Eine dauerhafte anarcho-syndikalistische 
Gruppe konnte in Remscheid nie gegründet werden. 

Nicht nur der Ton und das organisatorische Gerüst der SAJD wurden ab Mitte 
der 20er Jahre härter — es erfolgte auch eine Hinwendung zu alltäglichen 
Problemen der proletarischen Jugend. Ende 1925 hatte ein kritischer Jugendlicher 
über Stil und Inhalt der »Junge Anarchisten« geschrieben, 

..daß unsere Zeitung mehr als genug gefühlsmäßig gehalten ist, ... gefüllt mit 
einem von krankhafter Einbildung strotzenden und geschraubten Halb-Intellek- 
tualismus... (unsere Zeitung) wird gern und am meisten gellen von Menschen, 
denen das Wort Klassenkampf ein Greuel ist, die ihr ganzes Leben lang Wander- 
vögel im Stil eines Hermann Löns... bleiben möchten... aber dort nicht, wo sie in 
Massen verbreitet sein müßte: bei den jungen Arbeitern, Arbeiterinnen und 
Lehrlingen. Der Jungarbeiter und Lehrling wird nicht überzeugt, ihn interessiert 
vor allen Dingen so wie die Älteren seine wirtschaftliche Lage,... und da gibt es in 
unserer Zeitung nichts! Es fehlt an Berichten aus den Betrieben über Lehrlings- 
elend, Fortbildungsschul-Schikanen und dergleichen.(1 14) 
Tatsächlich ist in den Jahren darauf ein Anwachsen des Anteils der hier gefor- 


241 


derten Betriebskorrespondenzen und wirtschaftlich-politischer Artikel zu beo- 
bachten. Unter dem Eindruck von neuerlich anwachsender Massenarbeitslosig- 
keit, drohender Arbeitsdienstpflicht und faschistischer Gefahr festigt sich diese 
konkrete Klassenkampforientierung — ein herausragendes späteres Dokument 
hierzu ist Willy BennersArtikel »Auf dem Wege zur Arbeitsdienstpflicht im 


Zeichen des Faschismus«. 

Weite Kreise der proletarischen Jugend sowie die breite Masse der deutschen 
Arbeiterschaft überhaupt waren und sind noch heute der irrigen Auffassung, daß der 
Faschismus sich nur einführen werde mit einem militärischen Handstreich oder Putsch, 
der Ausrufung eines Diktators — den sie in der Person Adolf Hitlers erblicken — kurz 
gesagt, in glänzenden, in die Augen stechenden militärischen Aufmachungen nach 
dem Vorbilde der italienischen Faschisten, die die Einführung des faschistischen Sy- 
stems gewissermaßen durch ihren Marsch auf Rom eröffneten. Der Generalangriff auf 
die Lebenshaltung und die ohnehin schon spärlichen politischen Rechte der Arbeiter- 
schaft, der in den letzten Monaten von der „demokratischen" Regierung der deutschen 
„Republik" als Interessenvertreter in der Bourgeoisie eröffnet wurde, hat obige Auf- 
fassung über das Wesen des Faschismus in klarer und eindeutiger Form widerlegt. Der 
Faschismus findet seinen Ausdruck in erster Linie in der völligen wirtschaftlichen Ver- 
sklavung der arbeitenden Klasse, in der brutalen Abdrosselung jeglichen Streik- und 
Koalitionsrechts sowie in der rücksichtslosen Verfolgung all derer, die versuchen, die 
Arbeiterschaft gegen diesen Kurs zu mobilisieren. 

Diese Bestrebungen haben wir heute zu verzeichnen und müssen feststellen, daß 
dieselben teilweise schon von Erfolg gekrönt wurden, ohne auf nennenswerten Wider- 
stand der breiten Massen der Arbeiterklasse zu stoßen. Die Sozialdemokratie und der 
vollständig unter deren Einfluß stehende A.D.G.B. (= Allgemeiner Deutscher Gewerk- 
schaftsbund) haben sich als die besten Wegbereiter dieses faschistischen Regierungs- 
systems erwiesen. Der Verrat an den Berliner Metallarbeitern sowie an den Ruhrkumpels 
geben uns ein klassisches Schulbeispiel hierfür. Schon sind Tote zu verzeichnen. 
Sozialdemokratische Polizeikosaken kartätschen die noch kampfgewillten streikenden 
Proletarier nieder und fuhren eindringlich vor Augen, daß Mussolini und Adolf Hitler 
notwendig sind, um die Interessenpolitik der deutschen Bourgeoisie durchzuführen. 

Die proletarische Jugend hat schon Jahre hindurch die „Erfolge" der wirtschafts- 
friedlichen Politik der Sozialdemokratie und der Zentralgewerkschaften am eigenen Körper 
verspürt und sie wird jetzt die Schläge des Faschismus zu ertragen haben. Auf die 
Jungarbeiterschaft richtet sich schon seit Jahren das Augenmerk aller Handlanger der 
Bourgeoisie. Die Arbeitsdienstpflicht, schon seit Jahren vorbereitet, ist das nächste 
Attentat auf die arbeitende Jugend. Die Einführung der Arbeitsdienstpflicht wurde bisher 
irrtümlicherweise als eine Aktion angesehen, die in erster Linie von den offenen 
faschistischen Organisationen geplant wurde. Gewiß, die N.S.D.A.P. hat dieselbe mit in 
ihrem Programm enthalten, aber die Arbeiterschaft hat zu erkennen, daß der Faschismus 
und seine Durchführung nicht die Sache irgendeiner faschistischen Partei ist, sondern ein 





Regierungssystem, welches dann in Anwendung gebracht wird, sobald die Interessen des 
Unternehmertums und der Großagrarier es erfordern. Schon seit Jahren erheben die 
Anarcho-Syndikalisten mahnend ihre Stimme und wiesen daraufhin, daß der sogenannte 
„kalte Faschismus" — die Diktatur auf wirtschaftlichem Gebiete — Schritt für Schritt 
vorwärts stoße. Die deutsche Arbeiterschaft jedoch war taub und sah nicht die kraß in die 
Augen springenden Tatsachen. ® 

Der erste Schritt auf dem Wege zur Arbeitsdienstpflicht ist geebnet! 

Die erwerbslose Jugend soll das erste Opfer sein. Gute Kenner der Psyche der 
breiten Massen sind „unsere" Politiker. Klar sehen sie die Gefahr, die die direkte und 
brutale Durchführung der Arbeitsdienstpflicht für alle Jugendlichen heraufbeschwören 
würde, deshalb geht man sehr klug und vorsichtig vor und beginnt örtlich und ver- 
steckt unter dem Namen der „Befreiung der jugendlichen Erwerbslosen" die ersten 
Experimente einzuleiten. Dafür folgendes Beispiel: 

Das Jugendamt der Stadt Wuppertal ließ die Jungarbeiter bis zu 21 Jahren, die 
ausgestempelt haben oder aus sonstigen Gründen heraus keine Unterstützung erhielten, 
vorladen und eröffnete ihnen, sie würden jetzt Arbeit erhalten und zwar wöchentlich 32 
Stunden. Im ersten Moment waren die Vorgeladenen freudig erregt, „endlich 





heraus aus diesem verfluchten Erwerbslosenelend" waren ihre ersten Gedanken. Wie sehen aber 
nun die Arbeitsbedingungen aus, und vor allem, welche Hintergründe haben diese Maßnahmen? 
Die Beschäftigten müssen Erdarbeiten verrichten, dafür wird ihnen für die 32 Stunden ein 
Gesamtlohn von 17,60 Mk. (!) berechnet. Von dieser Summe gehen nun noch die Abzüge für 
Invalidenversicherung, Krankenkasse usw. ab. Die hervorstechendsteEigenart dieser 
menschenfreundlichen „Befreiung der erwerbslosen Jugendlichen" ist wohl diejenige, daß einem 
Teil der „Betreuten" sofort zu Anfang die „Negersteuern" abbehalten wurden. Von dem 
übrigbleibenden erbärmlichen Rest des Lohnes müssen nun noch die Ausgaben für Arbeitskleider 
und Schuhe bestritten werden. Ferner wird ein Arbeitsvertrag vorgelegt, der unterschrieben 
werden muß; derselbe besagt, daß die Beschäftigten keine Kurzarbeiter, sondern Vollbeschäftigte 
seien. 4 Arbeitstage mit je 8 Stunden werden gerechnet und entlohnt, wer aber nun meint, die 
übrige Zeit wäre „Freizeit", ist auf dem Holzwege. Für die ersten Wochen werden die 
Jugendlichen allerdings noch verschont, weil die Vorarbeiten für eine weitere „Erfassung und 
Betreuung" noch nicht soweit gediehen sind. Es wurde ihnen aber schon erklärt, der 5. Tag werde 
für gemeinsame Wanderungen, Sport usw. verwandt werden. Hier liegt der Hase im Pfeffer. 
Gemeinsame Wanderungen, Sportübungen etc. Der Sportwahnsinn, der gerade auch weite Kreise 
der Arbeiterjugend in seinen Bann geschlagen hat, soll also zum Mittel gewonnen werden, um der 
Jungarbeiterschaft die Zwangsarbeit und darüber hinaus die Arbeitsdienstpflicht schmackhaft zu 
machen. Später werden jedenfalls noch Musikkapellen usw. gebildet werden, kurz und' gut, es 
werden alles solche Dinge getrieben werden, die die proletarische Jugend schon heute vom 
Klassenkampf und der Erkennung ihrer sozialen Stellung innerhalb des kapitalistischen Systems 
abhalten. Hier hat die Arbeiterjugend die Richtigkeit dessen zu erkennen, was wir seit Jahren 
schon erklären, nämlich, daß die behördliche Begünstigung der sportlichen Betätigung der Jugend 
ihre bestimmten Hintergründe hat. 

Was geschieht nun mit denjenigen, die diese „Bescherung" ablehnen? Zunächst tritt 
einmal das Wohlfahrtsamt in Aktion und entzieht denen, die das Glück hatten noch ein paar 
Bettelpfennige zu erhalten, die Unterstützung. So scharfe Maßnahmen wie die vorliegenden 
Gesetze für die Arbeitsdienstpflichtverweigerer es vorsehen, werden noch nicht in Anwendung 
gebracht, aber wohlgemerkt, die ganze Sache steckt noch in den Kinderschuhen und ist noch im 
Werden begriffen. 

Welche Mittel stehen nun der proletarischen Jugend zur Verfügung, um diesem 
fortschreitenden faschistischen Kurs wirksam entgegenzutreten: 

Nur umfassende, revolutionäre, wirtschaftliche Massenaktionen sind in der Lage, diesen 
Angriff auf die arbeitende Jugend abzuwehren. Der Einzelne ist machtlos diesen Methoden 
gegenüber. Schon heute drohen die Wohlfahrtsämter den Verweige-rem der Pflichtarbeit für 
die Unterstützungssatz mit dem „Arbeitshaus" und staatlicher Zwangserziehung, soweit es sich 
um Jugendliche handelt. 

Erkennen wir den Ernst der Situation und organisieren und propagieren wir die 
antifaschistische, sozialrevolutionäre Abwehrfront der proletarischen Jugend, die durch 
umfassende Streiks und Massenwidersetzung gegen die „Betreuung der erwerbslosen 
Jugendlichen", durch Massenarbeitsverweigerung bei Einführung der Arbeitsdienstpflicht 
sowie durch passive Resistenz und Sabotageakte den Angriff des Faschismus erfolgreich 
zurückschlagen wird. 

Darüber hinaus hat die proletarische Jugend zu erkennen, daß sich ihre Lebenstage 
innerhalb einer Staatsform, ob sie sich „Demokratie", das „Dritte Reich" oder auch „Diktatur des 
Proletariats" nennt — die in Wirklichkeit ja doch nur die Diktatur eines Führerklüngels und 
Parteibürokraten ist — niemals wesentlich verbessern wird. Nur die soziale Revolution, die den 
Arbeitern die Maschinen und den armen Bauern das Land geben wird, wird auch die arbeitende 
Jugend von ihren Fesseln befreien. 

Die Bahn frei für die Jugend der fessellosen sozialen Revolution! 





Willy Benner 
Faksimile aus: Ulrich Linse: »Anarchistische Jugendbewegung 1918-1933«, 
Frankfurt 1976 


242 


243 


In dieser Entwicklung sahen die Berliner GK und einige auch in der FAUD 
organisierte SAJD-Mitglieder die abermalige Chance, die Autonomie der Ju- 
gendorganisation zugunsten des alten Konzepts gewerkschaftlicher Jugendfö- 
derationen rückgängig zu machen. Im Februar 1927 — die Bist war noch immer 
(!) in Händen der Duisburger Jugend um Georg Radlbeck — beschloß die 
rheinische Bezirkskonferenz in Düsseldorf im Alleingang die separate Gründung 
einer sogenannten »Anarcho-Syndikalistischen Jugendföderation«, die in engster 
organisatorischer Bindung an die FAUD arbeiten sollte. Der Name und das 
Modell stammten direkt aus der FAUD — ein entsprechender Vorschlag war 
wenige Monate vorher von derPAB Groß-Thüringen gemacht worden.(115) Dies 
bedeutete die Spaltung der SAJD. Als Organ der neuen Föderation sollte eine 
Duisburger anarcho-syndikalistische Jugendzeitung mit dem Titel »Der Stürmer« 
ausgebaut werden, die in diesen Wochen zum erstenmal erschienen war. Von 
dieser Zeitung ist kein Exemplar erhalten — nach einem Bericht des »Syndikalist« 
sollte sie im Gegensatz zu den »Jungen Anarchisten« nicht nur ein 
Diskussionsblatt für fortgeschrittene Kameraden, sondern speziell ein 
Agitationsblatt unter den uns fernstehenden Jugendlichen(116) werden. Die 
anwesenden rheinischen Gruppen erklärten: 
Die Bist hat den Auftrag bekommen, alle Gruppen im Reiche, die aufdem Boden 
des Anarcho-Syndikalismus stehen, zusammenzufassen und die Vorarbeiten für 
den künftigen Reichskongreß der Anarcho-Syndikalistischen Reichsföderation zu 
regeln. Die Bist Rheinland ist die provisorische Reichsleitung(117) 
Abermals wurde vom rheinischen Bezirk aus eine Neugründung angesteuert — 
allerdings in umgekehrter Richtung als 1921/22. Die alten Pläne der Berliner GK, 
der Altsyndikalisten Kater, Barwich, Windhoff und Reuß schienen aufzugehen. 
Auf dem Düsseldorfer Treffen wurde weiterhin beschlossen, daß Jugendliche 
nur bis zum vollendeten 18. Lebensjahr Mitglied der neuen Jugendföderation sein 
könnten—danach hätten sie sich einer Berufsföderation der FAUD anzuschließen. 
Es ist nicht mehr zu rekonstruieren, welche rheinisch-bergischen Jugendgruppen 
sich der neuen Föderation anschlossen. Offensichtlich müssen einige Gruppen als 
SAJD-Rheinland weitergearbeitet haben, denn es kam im Juni 1928 zu einem 
Vereinigungstreffen der rheinischen Jugendföderation und der SAJD Rheinland. 
Nach mehreren Monaten gemeinsamer Separation von der Offenbacher Rist der 
SAJD —die vereinigten Gruppen nannten sich nun vorübergehend »Anarchistische 
Jugend Rheinland/Westfalen« —kehrte man auf dem 5. Reichs-jugendkongreß in 
Halle (Dez.1928) zur SAJD zurück. Das Verhältnis zur FAUD blieb wie vor dem 
Ausscheren der Rheinländer: man erkannte die »Prinzipienerklärung« der FAUD 
an und blieb als Jugend selbständig.(118) Eine folgenreiche Neuerung sah dieser 
Reichsjugendkongreß dennoch vor: Er beschloß eine Abkehr von den bisher 
jährlichen Reichskongressen und von nun an einen zweijährigen Rhythmus. Dieser 
Beschluß lockerte die reichsweiten Bindungen in der SAJD erheblich, zumal die 
Organisation in der Zeit von 1928 bis 1933 keine führenden 


244 


Leute«(119) hatte, die durch ihre Persönlichkeit überregional wirken 
konnten oder wollten. 

In dieser Zeit entwickelten die Jugendlichen der SAJD im ganzen Reichsgebiet 
neue Kampf- und Agitationsformen, z.T. parallel mit ähnlichen Tendenzen bei der 
übrigen radikalen Arbeiterbewegung.(120) Es entstanden Sprechchöre, die — 
wochenlang eingeübt — sowohl als künstlerisches Darstellungs- und Ausdrucks- 
mittel bei den eigenen Veranstaltungen eingesetzt wurden, als auch als »Kampf- 
rufe« auf Demonstrationen. 

Ein ehemaliges Mitglied der Kölner Jugendgruppe berichtet von solchen 
Initiativen: 

Vor allem bei unseren Theater-Inszenierungen machte jeder mit. Wir führten 
politische Revuen auf »Die Donauschiffer« (beinhaltend die Ausbeutung der 
Donauschiffer) oder »Zyankali« (Theaterstück von Friedrich Wolf gegen den 
$218) oder Erich Mühsams Gedicht vom Lampenputzer wurde vorgetragen. In 
Sprechchören riefen wir zum Kampf gegen den Faschismus und gegen den 
Krieg auf. Wir traten für eine freie Sexualität ein und griffen den $ 218 an. Zur 
Finanzierung nahmen wir einen kleinen Eintritt. Auch verkauften wir zu diesem 
Zweck alte Exemplare unserer Zeitung »Junge Anarchisten«; meistens vor 
Theater- und Kinoausgängen. Bei unseren Wanderungen durch das Vorgebirge 
brachten wir den Bauern oft welche mit.(121) 


In einigen Städten wurden »Kampfbühnen« gegründet, Theatergruppen, die auf der 
Straße und in Versammlungsräumen revolutionäre Theaterstücke oder Sketche 
darboten. Hierbei waren rheinische Gruppen die Vorreiter. So berichtete der Bezirk 
Rheinland bereits 1928 von neuen Erfolgen in der Öffentlichkeitsarbeit »durch 
dramatische Vorführungen einer Kampfbühne.«(122) Es handelte sich hierbei 
wahrscheinlich um die Düsseldorfer Theatergruppe junger Anarchisten und 
Anarcho-Syndikalisten, die sich »Schwarze Schar« nannte und zeitweilig von dem 
Kommunisten Fritz Langhoff betreut und in Regiefragen unterstützt wurde. 
(123)(Langhoff, damals Regisseur am Düsseldorfer Schauspielhaus, wurde später 
im KZ Börgermoor zum Textdichter des berühmten »Moorsoldaten«-Liedes.) Die 
»Schwarze Schar« Düsseldorf hatte nur den Namen und die allgemeine 
Weltanschauung mit den spätereren militanten anarcho-syndikalistischen 
Kampfsruppen der SAJD gemeinsam, sie war vor allem Theatergruppe. Nach dem 
Vorbild der Düsseldorfer beschloß auch der »Rhein-Main-Gau« der SAJD Anfang 
1929 die »Gründung einer Kampfbühnengruppe.. zwecks besserer 
Agitationsmöglichkeit,« und in Berlin bildeten 1931 junge Anarchistinnen und 
Anarchisten die Kampfgruppe »Es blitzt«, die bei zwei Veranstaltungen der 
Berliner AB mit großem Erfolg auftrat.(124) 

Weiterhin ist hier die Einrichtung sogenannter »Reichsferienlager« auch für die 
älteren Jugendlichen zu nennen als Versuch, Geselligkeit, Erholung und jugend- 
bewegte Formen mit reichsweiter organisatorischer Festigung im Klassenkampf zu 
verbinden. Es kamen 1930, 1931 und 1932 solche Ferienlager zustande, alle in 
Thüringen, unter Beteiligung von jeweils ca. 60 Jungen und Mädchen aus 14-21 


245 


Städten, auch aus dem Rheinland. Die Jugendlichen vertieften dort in Arbeits- 
gemeinschaften die Organisationsfrage und die Kritik des Marxismus und 
führten Wanderungen, Kulturabende und Vorträge durch. Hierbei gingen sie 
immer auch offensiv nach außen, organisierten »öffentliche 
Jugendversammlungen in den benachbarten Orten«, » Propagandatouren...und 
Hausagitation.«(125) Von dem 1. Reichsferienlager 1930 bei Meiningen ist 
erwähnenswert, daß es auf dem Gelände der sogenannten »Bakuninhütte« 
stattfand. Gelände und Gebäude waren Besitz der Meininger FAUD. Fritz 
Scherer, Handwerksbursche und FAUD-Mitglied lebte vom Oktober 1930 bis 
Mai 1931 als»Hüttenwart« auf der Bakuninhütte und empfing Jugendgruppen, 
die nach dem Reichsjugendkongreß 1930 in Erfurt auf der Rückreise waren über 
die Entstehung der Bakuninhütte erzählt er: 
Der 1. Weltkrieg war vorbei und die Not derB evölkerung sehr groß. Da haben sich 
mehrere... Freunde zusammengefunden und ein Stück Land gepachtet, um darauf 
Kartoffeln zu pflanzen. Hier war die treibende Kraft der Seemann Ferdinand 
Rüttinger. Bald darauf fand sich die Gelegenheit, Land auf der Ellinghäuser Flur 
käuflich zu erwerben... Jetzt wurde das Pachtland wieder abgegeben ...Vom Jahre 
1920 bis 1925 wurde nun auf diesem als eigen erworbenen Grundstück Kartoffeln 
und Getreide angebaut. Die Anfuhr von Dünger und das Pflügen der immerhin 1/ 2 
ha. großen Fläche (auf einem Hochplateau gelegen) kostete sehrviel Geld. Auch 
kamen mittlerweile wieder mehr Lebensmittel auf den Markt... (der Platz blieb 
Ausflugsziel für die örtlichen Anarcho-Syndikalisten, so daß es aus Wettergründen 
1926 zu der Idee des Hüttenbaus kam). Diese Idee fand großen Beifall, haupt- 
sächlichbei den Frauen. Jetzt wurde von allen Genossen gemeinsam ein großes Loch 
ausgehoben. Die Frauen und Kinder suchten Steine und Moos. In ganz kurzer Zeit 
hatten sie ein Dach überm Kopf... Innen an den Seiten befanden sich Bänke, welche 
mit Moos und Reisig gepolstert waren.... Jetzt wurden auch andere Menschen auf die 
Gruppe aufmerksam. Viele griffen mit zu beim Steine fahren und so entstand das 
erste feste Gebäude. Man konnte sich jetzt endlich anderer Arbeit widmen. Es 
wurden Anlagen geschaffen, Blumen, Büsche und Bäume gepflanzt. 
Auch die Kinder wurden nicht vergessen. Unter den Händen des Schlossers 
Franz Dressel entstand eine Schaukel und ein Kettenkarussell. Es kamen Spenden 
wie gebrauchte Herde, Öfen, Feldbetten usw.... Jetzt bekam dieserB au den Namen 
»Bakuninhütte«. Auch wurde eine großer Gedenkstein mit dem Namen unseres 
Vorkämpfers »Michael Bakunin 30.5.1814-1.7.1876« ausgemeißelt und aufge- 
stellt....« (126) 


Mit dem reichsweiten Vertrieb von Baufondskarten wurde später in der Bewe- 
gung versucht, die finanziellen Mittel zusammenzubringen, um die Bakuninhütte 
zur »Heimstätte der Bewegung« ausbauen zu können, da die anarcho-syndika- 
listischen Jugendlichen in Jugendherbergen häufig auf massive Schwierigkeiten 
stießen oder ausgewiesen wurden, und da 
wir alle wissen, was die Parteischulen und Heime für die gegnerischen 
Organisa-tionenbedeuten.(127) 
Dieses Unterfangen mißlang, Hitlers Machtergreifung durchkreuzte alle 
weiteren Pläne: 


246 


Sofort wurde diese Hütte enteignet und der SS übergeben.... Auch die Nazidiktatur 
ging vorüber...Im November 1946 verstarb unser Freund Otto Walz (Mitinitiator 
der Hütte) an Krebs. Die letzten 14 Tage war täglich ein Mitglied der Kreispartei 
der KPD bei ihm am Krankenbett und da liegt die Vermutung nahe, daß Otto im 
Unterbewußtsein die Hütte mit Grund und Boden durch Unterschrift der Partei 
übergegen hat. Unsere übrig gebliebenen Genossen, die dem einstigen »Siedlungs- 
verein für gegenseitige Hilfe« angehörten, versuchten nun, ihre alte, von ihnen 
erbaute Hütte, wieder zurückzubekommen. Da wurde nach langem Hin und Her 
und langem Verhandeln mit den Russen gedroht.(128) 


Die SAJD löste sich reichsweit nach dem Machtantritt der Nazis selbst auf. Die 
angeschlossenen Jugendgruppen entwickelten teilweise am Ort und in ihrer 
Region eine entschlossene illegale Widerstandstätigkeit. Im rheinisch- 
bergischen Raum bewährte sich nun der zuvor geschaffene straffe 
organisatorische Zusammenhalt auf Bezirksebene. 

Wie in den letzten Jahren legaler Existenz in der SAID gekämpft und gelebt 
wurde, und wie nach 1933 der Widerstand organisiert wurde, soll im Folgenden 
am Beispiel der SAJD Wuppertal gezeigt werden, die zu den aktivsten Gruppen 
im Reich gehörte. 





Vor der Bakuninhütte in Meiningen, hier. Mitglieder der anarchosyndikalistischen 
Jugend aus Frankfurt und Offenbach 


247 
Aus dem Leben der SAJD Wuppertal 


Etwa zur selben Zeit, in der die bergischen Schwesterstädte Elberfeld und Barmen 
zu »Wuppertal« vereinigt wurden (1929), gab es in der anarcho-syndikalistischen 
Jugendbewegung ebenfalls eine Vereinigung: Die Barmer Gruppe um die Brüder 
Benner gründeten zusammen mit einigen Jugendlichen aus Elberfeld die SAJD 
Wuppertal. 

Die Jugendgruppe umfaßte 1929 ca. 10 Jungarbeiter und 5 Lehrlinge im Alter 
von durchschnittlich 18 Jahren. Die männlichen Mitglieder waren weit in der 
Überzahl, es gab nur 3 Mädchen in der Gruppe, von denen eine nach kurzer Zeit 
wieder austrat. Die Mädchen waren auszubildende Näherinnen bzw. Schneider- 
innen — unter den Jungen war ein Dreher- und ein Anstreicherlehrling, sowie 
ungelernte oder Gelegenheitsarbeiter, Tapetendrucker, Anstreicher, Bauarbeiter und 
Werkzeugmacher.(129) Viele von ihnen wurden im Verlauf der Krise ab 1930 
arbeitslos, arbeiteten zwangsverpflichtet am Autobahnbau und spielten »Arbei- 
terdenkmal«. (So nanntensie die typische, das Kinn auf die Schippe gestützte 
Haltung der Pflichtarbeiter.) 

Die meisten dieser Jugendlichen hatten vorher freundschaftliche oder familiäre 
Kontakte zu älteren Syndikalisten, zu Freidenkern der GpF oder zu ehemaligen 
Angehörigen der Freien Jugend Morgenröte — einige waren in der Kindergruppe 
Maria Steinackers gewesen.So wie sie selbst sich im Wesentlichen aus der 
engeren persönlichen Umgebung der örtlichen Anarcho-Syndikalisten rekrutier- 
ten, gelang es diesen Jugendlichen auch nie in größerem Maße, fernstehende 
Arbeiterjugendliche anzuziehen und zu organisieren. Sie blieben ein stabiler, 
»verschworener Haufen« mit starkem Zusammenhalt nach innen und klarer 
Abgrenzungnach außen. Außer einem jungen Obstverkäufer und dem gelernten 
Bandwirker Helmut Kirschey im Jahre 1931 gewann die SAJD keineweiteren 
festen Neumitglieder dazu, insbesondere keine Mädchen: »Den meisten 
Mädchen war das ein zu trockener Diskutier- und Aktionsclub — und das 
Tanzen gehen usw. war ja verpönt; außerdem hätten unsere Jungs da auch gar 
kein Geld für gehabt.« Tatsächlich hätten die Jungen — nach ihren heutigen 
Aussagen — gerne mehr Mädchen in der Gruppe gehabt, »aber nicht bloß solche, 
die sich einen von uns angeln wollten.« Es war u.a. ein scharfer 
Abgrenzungspunkt von den übrigen Jugendorganisationen, daß man(n) keinen 
»Poussierclub wie die SAJ oder die Bürgerlichen« haben wollte. 

Die beiden Mädchen, die dabei blieben, waren durch Mutter oder Geschwister 
schon lange vor der Gründung der neuen Jugendgruppe zu starkem eigenen 
politischen Engagement angeregt worden. Sie waren »wegen der Sache« dabei 
und hatten ihrerseits z.T. ihre liebe Mühe, sich »die Jungs vom Leib zu halten.« 
Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern wurde ins Allgemeine verbannt: 


248 


»Wir diskutierten über freie Sexualität und Freie Liebe« — aber Liebschaften von 
Gruppenmitgliedern wurden »nicht gern gesehen«, besonders wenn sie sich auf 
Partner außerhalb der Gruppe richteten —und in der SAJD führten sie vermutlich 
zu massiven Eifersuchtsszenen. In dieser Frage klafften Anspruch und Wirklich- 
keit häufig auseinander, und es wurden konkrete Gefühle und Lebensbereiche 
ausgegrenzt, weil in der Gruppe befürchtet wurde, die »Poussiererei« würde »vom 
Kampf ablenken« — ein Vorgang, der auch in anderen Jugendorganisationen mit 
revolutionärem Anspruch auftrat, z.B. bei KJVD. Es kam dennoch zu Versuchen 


mit »Freier Liebe« 
Wir waren fast täglich zusammen, trafen uns immer bei Benners in Unterbarmen 
oder in unserem selbstgebauten »Jugendheim« in Unterbarmen —das war 'ne 
Hütte im Garten eines Genossen. 





SAJD-Wuppertal vor ihrem »Jugendheim«, ca.1931— das scherzhafte Ausholen mit der 
Axt gegen die Laute signalisiert, bei aller Ironie, ein verändertes Verhältnis der 
Jugendlichen zu den Formen und Attributen der Jugendbewegung 


249 


Hier wurde nächtelang diskutiert und gesellig zusammengesessen, »einige ver- 
suchten sich auf der Gitarre und da haben wir oft Jugendbewegungs- und 
Arbeiterlieder gesungen, mehr lautals schön.« Dabei setzten diese Jugendlichen 
sich vom strengen Alkohol- und Nikotinverbot der ehemaligen Freien Jugend 
Morgenröte ab: »Je politischer die Jugend in den späten 20er Jahren wurde, desto 
mehr wurde auch wieder gesoffen und geraucht!« Auch in dieser Jugendgruppe. 
herrrschte ein überaus starkes Bildungsbedürfnis 
Wir lasen, was uns in die Finger kam, Bakunin, Kropotkin, Rocker, Mühsam, 
Sinclair, Jack London, Heine, Dostojewski, auch das »Kapital« und Brehms. 
Tierleben. Wir wollten doch wissen, wie alles zusammenhängt... Das war einfach 
ein wunderbares Gefühl, daß man lesen konnte! 
Die nächtliche Lektüre war eine der wenigen rein individuellen Beschäftigungen 
— fast alle anderen Tätigkeiten waren von Eingebundenheit in den proletarischen 
Alltag oder in das intensive Gruppenleben geprägt. So berichtete ein männliches 
SAJD-Mitglied über seinen Tagesablauf im Jahre 1930 — er war damals als 
Tapetendrucker in einer Sonnborner Tapetenfabrik beschäftigt: 
Morgens mußt ich um 6 raus — wenn ich verschlafen hab, hieß es ohne Frühstück 
auf's Fahrrad springen undnach Sonnbom. Nach der Arbeit haben wir uns meistens 
gleich irgendwo getroffen — damals war ja immer was los: Schlägereien mit den 
Nazis, Diskussionen am Rathaus mit den Kakaophilosophen, Flugblätter machen 
oder verteilen, am Gewerkschaftshaus oder auf der Straße. Abends gingen wir 
immer zu den anderen Organisationen in ihre Versammlungen, um uns da einzu- 
mischen. Oder wir waren unter uns zusammen. Ich bin damals glaub ich selten vor 
zwölf ins Bett gekommen — und dann hab ich oft noch bis 3 gelesen... Nee, 
Langeweile haben wir damals nicht gehabt. 
Bei den Mädchen war der Anteil an Zeit für ihre eigene Person noch geringer— 
»nach der Arbeit, da hieß es erst mal einkaufen und die Küche machen, und da 
gabs ständig noch was zu flicken und in Ordnung zu bringen...« 

Häufig wurden ältere Genossen eingeladen, mit denen über Fragen des Anar- 
chismus diskutiert wurde, so mit Hans Schmitz (sen.) und Heinrich Drewes, dem 
ehemaligen Redakteur der Düsseldorfer »Schöpfung«. Immer wieder ging es dabei 
gegen den Marxismus (Verelendungstheorie), über Theorie und Praxis der »Freien 
Liebe«, über die menschlichen Bedürfnisse und was von der freiheitlich- 
sozialistischen Gesellschaft produziert werden solle; (»wir waren gegen Seiden- 
strümpfe und Luxusartikel, aber beim Kaffee ging der Streit schon los«), Sport- 
vereine und -veranstaltungen wurden als »Brot und Spiele« betrachtet und scharf 
abgelehnt — »Fußballer waren für uns Idioten«.»Wir sorgten schon selbst für 
Bewegung«,berichteten männliche Mitglieder der Gruppe und spielten damit u.a. 
auf ihre Kurierfahrten mit dem Fahrrad zuanderen rheinischen Gruppen oder auf 
die häufigen handgreiflichen Auseinandersetzungen mit der Polizei und den Nazis 
an. Mit der »Sipo« (Sicherheitspolizei) kamen Mitglieder der Gruppe z.B. 
aneinander, als sie gemeinsam mit Jugendlichen von der Kommunistischen Jugend 
und vom Rotfrontkämpferbund 1931 die Zwangsräumung einer zahlungs- 


250 


unfähigen Arbeiterfamilie an der Paradestraße in Elberfeld verhindern wollten. 
Dabei kam es zu heftigen Straßenkämpfen, in deren Verlauf das Pflaster aufge- 
rissen und die Gaslaternen mit Steinen »ausgeworfen« wurden. 

Das Verhältnis zu den jungen Kommunisten war nicht immer so einmütig. Der 
KVJD war in der Elberfelder Nordstadt (»Ölberg« oder »Petroleumsviertel«) mit 
»über 150 Jugendlichen« die stärkste Jugendorganisation. Nach Aussagen ehe- 
maligerSAJD-Mitgliederrespektierten die Kommunisten die jungen Anarchisten 
zwar, weil diese »immer ganz vorne dabei« und »nicht feige« waren, dennoch 
wird berichtet, die SAJD-Jugendlichen hätten wiederholt zu hören bekommen: 

Bis zur Revolution kann man Euch ja gut brauchen— aber danach seitlhr die Ersten, 
die an die Wand gestellt werden. 
In einem Fall kam es sogar zu einer handfesten Prügelei mit kommunistischen 
Jugendlichen, als der ehemalige Elberfelder Jungpionier und Jungkommunist 
Helmut Kirschey, der aus einer der bekanntesten kommunistischen Familien 
stammte, mit einigen weiteren »Dissidenten« 1931 aus dem KJVD austrat und zur 
SAJD überwechselte, wofür die Kommunisten sich »rächen« wollten.(130) 

Diese Beispiele und die Bewaffnung zum Selbstschutz gegen den wachsenden 
Terror der Nationalsozialisten zeigen, daß ab 1930 in der SAID Wuppertal ein 
völlig anderes Verhältnis zur Gewaltanwendung bestand, als bei vielen Jugend- 
lichen der frühen Elberfelder Vorläufergruppen. Diese hatten, wohl unter dem 
unmittelbaren Eindruck des Krieges, häufig pazifistische Ansichten vertreten, 
hatten oft mehr über Gandhi und Tolstoi diskutiert, als über Bakunin und Malatesta. 
Die zwei Arme, die ein Gewehr zerbrechen, das Zeichen der antimilitaristischen 
Bewegung, wurden besonders von den Anarcho-Syndikalisten als ihr Symbol 
angenommen, als Anstecknadeln getragen und auf Flugblättern, Zeitungen und 
Postkarten verbreitet. Während viele der früheren Jugendlichen darunter eher das 
individuelle Bekenntnis verstanden, keine Waffen anzuwenden und zu 
produzieren, wurde von den späteren, mehr am Klassenkampf orientierten Jung- 
Anarcho-Syndikalisten dagegen der Vorgang des »Brechens« betont.(131) Dazu 
kam: Die FAUD war nicht mehr die militante, sozialrevolutionäre Gewerk- 
schafts- und Kampforganisation, als die sie 1919 angetreten war. Sie konnte ab 
1929 in Wuppertal keinen Streik mehr führen. Die Jugendlichen konnten sich daher 
nicht an eine funktionierende Erwachsenenorganisation anlehnen bzw. von ihr 
abgrenzen. Sie hatten in einer Situation zunehmend härterer Klassenausein- 
andersetzung tendenziell die anarcho-syndikalistische Gesamtbewegung zu ver- 
treten. »Die FAUD in Wuppertal trat kaum mehr in Erscheinung —die konnten mit 
den paar Mann nicht mehr viel machen.« Weiterhin bestanden aber besonders 
harte, sich verschlechternde proletarische Lebensverhältnisse im Wuppertal, sowie 
eine zunehmende Schärfe der sozialen Kämpfe im Betrieb und auf der Straße, 
angesichts der neuen Massenarbeitslosigkeit und der wachsenden Übergriffe von 
seiten der Nationalsozialisten, die Wuppertal zum »Flugzeugmutter- 


251 


schiff der Bewegung« machen wollten. 

Vor diesem Hintergrund ist die Äußerung von Helmut Kirschey zu sehen: »In 
Berlin oder Krefeld war ich nicht zur syndikalistischen Jugend gegangen: Die 
waren da gewaltlos — aber wir waren in Wuppertal! «Ein anderes SAJD- 
Mitglied gibt ein gemeinsames »Schlüsselerlebnis« von anarcho- 
syndikalistischen Jugendlichen aus dem Wuppertal wieder, das die Verschärfung 
auch der jugendlichen Kampfbedingungen und die Abkehr von früheren 
pazifistischen Idealen zeigt: 

Das war Pfingsten 1926, da war ich 14! Wir von der ehemaligen Kindergruppe und 
einige von der alten Jugend fuhren zum Pfmgsttreffen der antimilitaristischen Liga 
nach Den Haag, im offenen Lastwagen, mit schwarzen Fahnen und so... Auf der 
Oberkasseler Brücke in Düsseldorf stoppte uns ein Trupp vom »Stahlhelm« — die 
ha'm uns windelweich gehauen. Seitdem ha' m wir uns gesagt: »Haut Dir einer auf 
die rechte Backe, dann gib ihm zwei auf die linke! « ... Unseren Gandhi ha'm die uns 
regelrecht ausgeprügelt. 


Mit der Einrichtung der SA-Kaseme in Unterbarmen wuchs der tägliche Terror 
gegen die Arbeiter — »Du konntest abends als bekannter Sozialist da nicht mehr 
allein vorbeigehen.« Wer für einen»Roten« gehalten wurde, mußte damit rechnen, 
von der SA bedroht, verprügelt oder sogar in die Kaserne verschleppt, »verhört« 
und gefoltert zu werden. Parallel zuanderen linken Arbeitergruppen (RFB, 
Reichsbanner u.a.) kauften sich viele Mitglieder der SAJD Pistolen. »Von 
irgendwoher hatten wir in der Gruppe auch ein Gewehr.« Es war weniger die 
Hoffnung auf die baldige »soziale Revolution« im Sinne des Anarcho-Syndika- 
lismus, die die Wuppertaler Jugendlichen zur Bewaffnung greifen ließ — darüber 
machten sie sich »mit der Handvoll, die wir waren« keine Illusionen. Vielmehr 
hielten sie diesen Schritt für lebensnotwendig, da sie bevorzugte Angriffsziele der 
SA waren, und nicht daran denken konnten, durch »Stillhalten« verschont zu 
werden, was auch gegen ihre Prinzipien gewesen wäre: »Du mußt nach vom 
gehen, dann tun sie Dir nix — nicht zurück!« 

So lernten die Jugendlichen den Gebrauch und die Pflege dieser Waffen. Da in 
solchen Dingen ursprünglich niemand aus der Gruppe bewandert war, erhielten 
sie Anleitung von einem befreundeten Mitglied des Rotfrontkämpferbundes. Mit 
den Wanderungen und Fahrten wurden jetzt Schießübungen verbunden, so Ostern 
1932 in einem ehemaligen Kotten in Balkhausen und im selben Jahr auf einer 
Fahrt an die Mosel. Die Mädchen beteiligten sich nach eigenen Angaben »we- 
niger« an diesen Aktivitäten. Allerdings übernahmen sie wichtige Aufgaben, als in 
Balkhausen die Polizei auftauchte, dievon Beobachtern alarmiert worden war: Die 
Mädchen versteckten die Pistolen im Suppentopf und transportierten sie auf dem 
Nachhauseweg in ihren Kopfkissen, wo sie eine weitere Polizeikontrolle 
unbemerkt überstanden. 

Ein Beispiel für die Anwendung dieser Waffen war der schon erwähnte, 
gelungene Versuch des RFB-Mitgliedes, zusammen mit zwei Mitgliedern der 


232 


SAJD den riesigen Propagandaballon herunterzuschießen, der anläßlich einerSA- 
Demonstration in Wuppertal 1932 über der SA-Kaserne schwebte. Ein weiterer 
Vorfall ist sowohl von ehemaligen Mitgliedern der S AJD belegt, als auch durch 
einen Artikel im »Syndikalist«. Er zeigt u.a. die wachsende Solidarität zu anderen 
Arbeitern, die zwar ideologisch bekämpften Organisationen — hier dem 
sozialdemokratischen Reichsbanner — angehörten, aber vom täglichen Terror der 
Faschisten genauso betroffen waren. Ähnliche Akte der »gegenseitigen Hilfe« und 
der Arbeiterselbsthilfe »an der Basis« waren in Wuppertal häufig. 


Nazi-Terror In Wuppertal 

In Wuppertal-Barmen haben die SA-Mannen vom Hakenkreuz vor längerer Zeit ein 
leerstehendes Fabrikgebäude in eine Hitler-Kaserne verwandelt, von wo aus sie ihre 
»Feldzüge« gegen die Bevölkerung des Bezirks Barmen-U. eröffnen, so daß selbst 
schon die Polizei des öfteren gezwungen war — auf Grund der dauernd 
einlaufenden Beschwerden—in dieses Mördernest einzudringenund 
Haussuchungen usw. vorzunehmen. 


Harmlose Straßenpassanten werden grundlos überfallen. »Tippelkunden« mit 
Eisenstangen zu Boden geschlagen, weil sie den Gruß »Heil Hitler« nicht erwidern 
usw. Wie es aber mit dem »Heldenmut« der braunen Mordpest bestellt ist, sobald 
sie auf energischen Widerstand stoßen, davon zeugt folgender Vorfall: Am Freitag, 
dem 13. November, abends gegen 11 Uhr, fielen diese vertierten Elemente völlig 
grundlos einige Reichsbannerleute an. Als in diesem Augenblick fünf unserer 
Genossen an dem Ort, wo die Keilerei tobte, vorbeikamen, ließen die B anditen von 
den Reichsbannerleuten ab und stürzten sich mit lauten Drohungen auf unsere 
Genossen. Dem Genossen Hahn wurde mit einem Schlagring eine tiefe Wunde 
dicht über dem Auge geschlagen. Als in dem Moment die Horde aus der Kaserne 
heraus noch Verstärkung erhielt, feuerte der 19jährige Jugendgenosse E.B. vier 
scharfe Pistolenschüsse ab und —mit der Rauflust war es vorbei. Sofort ließen die 
Rowdys von den Genossen ab und 30 »Hitler-Gardisten« ergriffen vor dem 
vordringenden 19jährigen Jung-Anarchisten das Hasenpanier. Der Jugendgenosse 
wurde von einer hinzukommenden Polizeistreife verhaftet, die dann auch noch eine 
Durchsuchung der Räuberhöhle vornahm, ohne natürlich etwas zu finden, weil sich 
die Vorkämpfer des »Dritten Reichs« in ihre geheimen Verließe zurückgezogen 
hatten, die das umfangreiche Fabrikgebäude ja zur Genüge besitzt. Die Pressestelle 
des Polizeipräsidiums mußte in der hiesigen Presse auf Grund der Aussagen der 
zahlreichen Zeugen und der Empörung der Bevölkerung über die dauernde 
Terrorisierung selbst zugeben, daß die Anarcho-Syndikalisten, die sich, von einer 
Versammlung kommend, auf dem Heimwege befanden, von den Na- 
tionalsozialisten völlig grundlos überfallen wurden, und der Syndikalist B. in 
Notwehr vier Schreckschüsse abfeuerte. Der Jugendgenosse E.B. wurde am 
anderen Tage wieder auf freien Fuß gesetzt. Man darf auf den Ausgang der 
Verhandlung gespannt sein. Es ist nicht das erstemal, daß revolutionäre Arbeiter, 
die sich bei den Überfällen dieser Banditen so energisch zur Wehr setzen, 
drakonische Strafen erhielten und die Angreifer leer ausgingen. 

Die Roheit diesert Horden beleuchtet wohl am besten noch die Tatsache, daß sie 
sich, wenn ihr »Heldenmut« nicht solch jähes Ende gefunden hätte, auf den 
60jährigen Genossen Steinacker gestürzt hätten, der den Genossen zu Hilfe eilen 
wollte. — Täglich gehen durch die Presse Meldungen von Überfällen und heim- 


253 


tückischen Morden der Hitler-Faschisten gegen die revolutionären Schichten der 
Arbeiterschaft. 

Die Prozesse in Hamburg und Oranienburg werfen ein grelles Schlaglicht auf 
den Blutrausch und die Verhetzung der SA-Kolonnen. Der blutige Terror in 
Braunschweig und die Reden der »Prominenten« zeigen der Arbeiterschaft klar 
und eindeutig auf, daß die Zeiger der Uhr fünf Minuten vor Zwölf zeigen. Noch 
ist es nicht zu spät zum Sammeln aller linksgerichteten revolutionären Kreise 
zum eisernen, energischen Abwehrkampf! 

WillB. 

Die RGO kriegt eins 

hinter die feuchten Ohren ... 


Syndikalist 48/1931 


Unfreiwillig ist diese Seite des »Syndikalist« zugleich ein Dokument der Zer- 
rissenheit Wie die übrigen Arbeiterorganisationen des linken Spektrums schwank- 
ten die Anarcho-Syndikalisten zwischen proletarischer Einheitsfront gegen den 
Faschismus und weiteren scharfen Attacken auf die jeweils anderen Richtungen. 
Unmittelbar im Anschluß an den zitierten Bericht folgt ein Artikel, der eine heftige 
Polemik gegen die kommunistische Gewerkschaftsfraktion RGO enthält — die 
Überschrift ist hier noch wiedergegeben. 

Vor Ort in Wuppertal kam es allerdings 1932 zu einer gemeinsamen »Kampf- 
gemeinschaft gegen Reaktion und Faschismus«, an der sich die SAJD-Jugend- 
gruppe sowie Mitglieder der FAUD, SAP und KPD-Opposition beteiligten. 
Bereits 1931 hatte die SAJD Wuppertal auch mit älteren FAUD-Genossen einen 
sogenannte »Schwarze Schar« gebildet. Diese bewaffnete Selbstschutzgruppe war 
die anarcho-syndikalistische Variante des Rotfrontkämpferbundes bzw. des 
Reichsbanners. Schon auf der Reichsjugendtagung der SAJD 1929 in Kassel war 
von einzelnen Gruppen die Gründung »Schwarzer Scharen« gefordert worden — 
das Treffen stand schon damals unter dem Motto: »Gegen Faschismus und 
Diktatur« sowie »Für den Selbstschutz der arbeitenden Jugend«.(132) 

In Berlin stellte sich die »Schwarze Schar« 1930 folgendermaßen vor: 
Die Schwarze Schar ist die überparteiliche Formation, durch welche das Berliner 
Proletariat die Schaffung einer wirklichen antifaschistischen Kampffront einleitet. 
Sie beugt sich vor keiner Partei und ist von keiner verräterischen, reformistischen 
Gewerkschaft abhängig, sondern sie bekennt sich zur direkten proletarischen 
Aktion und zum Selbstschutz des kämpfenden Proletariats — sie ist also der Ort, 
wo sich alle Arbeiter finden können. Die Schwarze Schar arbeitet zusammen mit 


allen antiautoritären Organisationen des Proletariats, die den direkten Kampf gegen 
Kapitalismus und Staat führen, vor allem mit der FAUD.(133) 
In den meisten Gruppen wurde der Gedanke als zu militärisch abgelehnt — 
lediglich in Wuppertal, Kassel und Ratibor konstituierten sich noch 
Schwarze Scharen. Ein ehemaliges Wuppertaler Mitglied berichtet: 
Wir trugen schwarze Hemden, schwarze Hosen und Stiefel und 'n Gürtel. Mancher 
hat mit Schuhwichse etwas nachgeholfen — wir hatten ja kein Geld. Man kann 
sagen, das war "ne Uniform. Sowas hatten wir als Anarchisten ja immer abgelehnt 


254 


und viele andere Gruppen lehnten das auch weiterhin ab. Irgendwie war das 
auch 'ne Art Anpassung: Die Rotfrontkämpfer und das Reichsbanner, die hatten 
Uniformen, nur wir hatten nichts ...Mit Sprechchören und Liedern gingen wir 
vor unseren Demonstrationen her... oder bei denen der anderen Arbeiterorganisa- 
tionen mit... Die hatten einen Heidenrespekt vor uns — sie wußten ja nicht, wie 
wenige wir waren! 


Nach Angaben ihrer ehemaligen Angehörigen hatte die Schwarze Schar Wup- 
pertal höchstens 20 Mitglieder, die meisten davon waren zugleich in der SAJD. Sie 
berichten von einer gemeinsamen Demonstration und Kundgebung gegen den 
Faschismus und für den 6-Stundentag(!) im Frühjahr 1931 in Elberfeld, die die 
SAJD Wuppertal und die Schwarze Schar organisierten und an der sich die 
Kölner, Krefelder, Duisburger und Düsseldorfer Jugendgruppen beteiligten, 
sowie einzelne ältereAnarcho-Syndikalisten aus der Region. Sie soll »ca. 400 
Genossen« auf die Beine gebracht haben und führte zu heftigen Meinungsver- 
schiedenheiten mit der Krefelder Jugend, die den »militaristischen Anstrich« der 
Wuppertaler kritisierten. 

Die Schwarze Schar Wuppertal hatte auch zwei Lieder, die beide nur unvoll- 
ständig mündlich überliefert sind. Das eine wurde auf die Melodie des »Horst- 
Wessel-Liedes« gesungen — »das haben die Nazis aber selbst geklaut: Ursprüng- 
lich war das ein bekanntes Seemannslied: »Zum letzten Mal haben wir an Bord 
geschlafen« — warum sollten wir die Melodie den Faschisten überlassen?« Das 
Lied begann mit den Worten: 

Wenn Generalstreik tobt im ganzen Lande ... 
und endete: 
und schwarze Scharen führen letzte 
Hiebe gegen Hitlers Banden! 
Von dem zweiten Lied, das angeblich von Willy Benner gemacht worden war, ist 
nur der Refrain überliefert: 


FI Hat acHN 


Sturm und Revolte, wir: Schwarze Schar! 

Linse hat im Überblick über die Entwicklung der gesamten — bürgerlichen und 
proletarischen —Jugendbewegung gegen Ende der Weimarer Republik einen 
Zug zur »soldatischen Formierung der Jugend«(134) festgestellt Orientierung am 
Ritterorden oder direkt am Militär bei den Bündischen und Pfadfindern, militä- 
rische Formen bei den völkischen und nationalsozialistischen Jugendorganisa- 
tionen und — darauf antworendd — bei den radikaleren 
Arbeiterjugendverbänden. Zutreffend schreibt er, daß die Mehrheit der SAJD 
sich diesem Trend entgegenstemmte: 


255 


Lediglich die anarcho-syndikalistiche Jugend fand es bedenkenswert, daß man 
doch schlecht ideologisch den Antimilitarismus vertreten, sich aber dann selbst als 
Kampfbund organisieren könnte; sie sah darin ein deutliches Zeichen für den Neo- 
Militarismus der deutschen Arbeiterschaft.(135) 
Die Mitglieder der SAJD Wuppertal kritisierten später selbst die Übernahme 
des Uniformtrends — nicht aber die bewaffnete Tätigkeit des Kampfbundes als 
solchem. Linse ist, was Wuppertal betrifft, zu korrigieren, wenn er schreibt: 
Es gibt keine Zeugnisse, daß die Schwarze Schar irgendwelche Bedeutung im 
antifaschistischen Kampf erlangte.(1 36) 
In Wuppertal war sie ein wichtiger Teil des proletarischen Selbstschutzes, glich 
ihre geringe Zahl durch umso größere Aktivität aus und trug in Arbeitsteilung mit 
dem RFB, dem Reichsbanner und anderen Organisationen maßgeblich dazu bei, 
zahlreiche faschistische Übergriffe in Versammlungen und in den Straßen der 
Arbeiterviertel zu verhindern. 


Über diese Tätigkeit hinaus entwickelte die Wuppertaler Gruppe ab 1930 eine 
fieberhafte Öffentlichkeitsarbeit. Auf einer alten Wäsche-Wringmaschine im 
Keller von J. Steinackers Schneiderwerksstatt wurden neben den schon 
erwähnten Flugblättern auch Plakate von A. Benner hergestellt. Die Gruppe 
fertigte Porträtpostkarten von Bakunin, Kropotkin und Landauer an, die sie 
verkaufte. Kurzfristig wurde mit Hilfe dieser eigenen »Druckerei« auch der 
Versuch einer Betriebszeitung gestartet: Die Jugendlichen schrieben oder 
sammelten Lehrlings-und Jungarbeiterkorrespondenzen, die dann von 
betriebsfremden Anarcho-Syn-dikalisten vor den betreffenden Firmen verkauft 
wurden, so bei der Aktenord-nerfabrik »Elba« und einer Schneiderei, in der »nur 
Frauen und Mädchen ausgebeutet« wurden. Von den wenigen erschienenen 
Exemplaren ist keines erhalten. 

Im Jahre 1931— die Bist Rheinland lag in den Händen der Wuppertaler Gruppe 
— wurde auf deren Initiative hin der Aufruf »An die proletarische Jugend« in 3000 
Exemplaren gedruckt und unter die regionalen Gruppen sowie in Wuppertal 
verteilt. Dieser Aufruf war bereits 1929 als Beilage der »Jungen Anarchisten« 
erschienen(137) und signalisiert die politische Hinwendung der SAJD zu wirt- 
schaftlichen und politischen Tagesproblemen der Arbeiterjugend. 

Das Jahr 1931 muß als Höhepunkt der Aktivitäten der Wuppertaler Gruppe 
angesehen werden. Die Jugendlichen bereiteten zusammen mit der FAUD eine 
große »Sacco- und Vanzetti«-Kundgebung vor, zum 4. Jahrestag der Hinrichtung 
der beiden italienischen Anarchisten in den USA. Die gesamte Gruppe studierte 
monatelang Erich Mühsams Theaterstück »Staatsräson« ein, das den amerika- 
nischen Justizmord an Sacco und Vanzetti zum Gegenstand hatte. Regie führte 
dabei der damals 23-jährige Werkzeugmacher Alfred Schulte, der sich dafür 
ebenfalls am Düsseldorfer Schauspielhaus bei Wolfgang Langhoff Rat holte. 
Schulte war neben Willy Benner einer der ältesten in der Jugendgruppe, hatte 
selbst noch engere Kontakte zu den »Altjugendlichen« der ehemaligen »Morgen- 


256 


röte« und der »Rheinischen Sing- und Spielschar« und verband seine schau- 
spielerische und künstlerische Begabung in dieser Inszenierung eng mit dem 
Kampfgeist der Gruppe. 

Das Stück wurde ein voller Erfolg —die Stadthalle Elberfeld war nach Angaben 
aller ehemaligen Mitglieder »voll«; man wiederholte deshalb die Aufführung 
wenige Wochen später vor »ca. 200 Zuschauern« im Hotel Hegelich, Barmen. 

Erwähnenswert ist, daß auch in dieser Jugendgruppe das jugendbewegte Element 
nicht gänzlich zurückgedrängt war. Gemeinsam wurde—z.T. zu Fuß, zT. mit dem 
Fahrrad — an den großen regionalen Treffen der Jugend teilgenommen, so auf den 
Düsseldorfer Rheinwiesen, am Rhein bei Leichlingen oder am Harkort. Alfred 
Schulte unternahm mit zwei weiteren Jugendlichen im Frühjahr 1932 eine 
ausgedehnte Europareise — man war wieder einmal arbeitslos — die hier berichtet 
zu werden verdient. Die jungen Männer ließen sich bei Paul Hellberg, Betreiber 
derDüsseldorferFAUD-Druckerei, eine »Visitenkarte« drucken, die neben ihren 
Fotos in Englisch, Französisch, Spanisch und Deutsch den Satz enthielt: 

Vertrieben von der Not unserer rheinischen Heimat reisen wir mittelos durch 

Europa — zur schönen iberischen Halbinsel. 
Dies war verbunden mit dem —-ebenfalls viersprachigen — Aufruf zu 
Geldspenden. Die Drei »schallerten« auf den Straßen und Plätzen, wobei sie ihr 
reiches Repertoire an Volks- und Jugendbewegungs- und Arbeiterliedern auf 
originelle Weise musikalisch begleiteten: Neben Gitarre, Geige und »Trecksack« 
(Akkordeon) setzten sie auch eine »singende Säge« ein, die mit dem 
Geigenbogen gestrichen wurde und jaulend für Aufmerksamkeit sorgte. In 
Barcelona angekommen, kam es — längst vor der deutsch-spanischen Solidarität 
in den anarcho-syndikalistischen Kampfverbänden gegen Franco — zu einer 
»Zusammenarbeit« ganz besonderer Art: Alfred Schulte berichtet, daß er durch 
Zufall im Hause von Fernandez Orobon aufgenommen wurde, welcher Medien- 
und Kulturverantwortlicher der anarcho-syndikalistischen CNT war. Dieser habe 
ihn in der Badewanne auf Deutsch das alte polnische Arbeiterlied 
»Warschawianka« singen hören, sei aufgeregt hereingekommen und hätte 
Schulte um den Text gebeten, da er ihn schon lange suche. »Noch am selben 
Nachmittag übersetzte Orobon mit Hilfe seiner deutschen Frau Hilde das Lied ins 
Spanische — und das wurde dann die Hymne der CNT.« (Hinzuzufügen ist, daß 
Orobon die Warschawianka nicht nur ins Spanische, sondern auch ins 
»Syndikalistische« übersetzte; Ergebnis: A las Barricadas) 

Nach der Machtübernahme stellte die SAJD — wie überall im Reich — vorsorg- 
lich ihre offizielle Arbeit ein. Die Jugendgruppen wurden im Gegensatz zur FAUD 
als Organisation nicht eigens verboten — viele Mitglieder waren als Antifaschisten 
aber wohlbekannt. Hier wurde die verblichene Tradition der Freien Jugend 
Morgenröte noch einmal nützlich: Weniger bekannte SAJD-Mitglieder meldeten 
Ende März 1933 noch eine Versammlung des »Kampfbundes gegen den 


2954 


Faschismus« getarnt als »Freie Jugend Morgenrötex an — die Veranstaltung 
wurde von den Behörden nicht beanstandet. Die Jugendlichen trugen mit 
wenigen älteren Genossen die Hauptlast des anarcho-syndikalistischen 
Widerstands. Sie organisierten die Verbreitung illegaler Schriften und sammelten 
Geld für die Familien der in »Schutzhaft« genommenen Anarcho-Syndikalisten, 
der Brüder Benner und J. Steinacker, später für Spanien. Letzteres war z.B. für 
den Arbeiter Fritz Krüschedt, Mitglied der Wuppertaler SAJD-Gruppe, im Sinne 
proletarischer Solidarität und »gegenseitiger Hilfe« so »selbstverständlich«, daß 
er im rheinisch-bergischen »Syndikalistenprozeß« 1938 arglos davon erzählte — 
die Nazis werteten die Sammlungen als »Beihilfe zum Hochverrat«. Andere 
Tätigkeiten waren die Kurierdienste. Eine der Töchter Steinackers dürfte mit 12 
Jahren der jüngste Kurier gewesen sein, sie brachte Spanien-Gelder zu Anton 
Rosinke nach Düsseldorf. 

Der antifaschistische Widerstand in Wuppertal wurde bereits dargestellt. Hier seien 
noch einige jugendspezifische Begebenheiten angeführt, die zeigen, wie 
jugendbewegte Traditionen in oppositionelles Jugendleben und Widerstand unter 
dem Faschismus umgesetzt wurden. So unternahmen die Jugendlichen auch 
weiterhin Wanderungen — das Ziel war u.a. die Fortsetzung der grdßen Jugend- 
treffen zu Ostern und Pfingsten trotz Verbot. So traf man sich etwa mit anderen 
oppositionellen Jugendgruppen, z.B. der Sozialistischen Arbeiterjugend, des KVJD 
und Teilen der bündischen Jugend Ostern 1935 in Altenberg. Auf dem Weg zu 
diesen illegalen Jugendtreffen entstand nebenstehendes Foto, das die SAJD- 
Wuppertal mit einer Gruppe junger Leverkusener Sozialdemokraten zeigt. Beide 
Jugendgruppen hatten sich kennengelernt, als sie von einer HJ-Gruppe überfallen 
wurden und diese mit vereinten Kräften in die Flucht schlugen — gemeinsam 
setzten sie ihren Weg fort. 

Ehemalige SAJD-Mitglieder zitieren einen Spruch, den sie damals mit 
anderen oppositionellen Jugendliche skandierten: 

Hör Rübezahl, was wir dir klagen — 

Volk und Heimat sind nicht mehr frei! 

Schlagt der HJ die Knochen entzwei! 
Die Konfrontation mit der HJ wurde mitunter auch gesucht —als könnte 
man mit ihr stellvertretend den Faschismus schlagen — so z.B. regelmäßig 
zur Kirmes in Beyenburg. 





Auch Ostern 1936 kam es noch einmal zu einem größeren illegalen Jugendtreff 
der rheinisch-bergischen Gruppen, die in Opposition zum Nationalsozialismus 
und zur Zwangseingliederung in die HJ standen:Bündischen, christlichen, 
sozialistischen, kommunistischen und anarcho-syndikalistischen: Am Rheinufer 
bei Leichlingen. Hier knüpften viele Jugendliche unterschiedlichster politischer 
Herkunft Beziehungen, die später zu Jugend-Widerstandsgruppen wie »Toten- 
kopf« und »Edelweißpiraten« wurden. (Vgl. nachfolgende Photos) Die Jugend- 
lichen kannten sich oft nur unter Decknamen (z.B. »Perd« (Pferd), »Knabex«, 
»Iller««), hier gingen spontane »Spitznamen« in bewußte Tarnung gegen die 
Gestapo-Spitzel über. Von der SAJD waren Ostern 1936 neben der Wuppertaler 
Gruppe die aus Köln, Krefeld und Duisburg vertreten, wobei im späteren Syndi- 
kalistenprozeß dem Kölner Jung-Anarcho-Syndikalisten Hans Saballa »Rädels- 
führerschaft« und »zersetzende Vortragstätigkeit« auf diesem Jugendtreffen 
vorgeworfen wurde. 

Mit der Verhaftung der meisten Mitglieder der SAJD, nicht nur in Wuppertal, 
sondern auch in Mönchengladbach, Köln, Duisburg, Krefeld, Dülken im Jahre 
1936/37 endete die Geschichte ihrer organisierten anarcho-syndikalistichen Tä- 
tigkeit. Bis auf Helmut Kirschey wurden aus Wuppertal alle männlichen SAJD- 
Mitglieder verhaftet und — zusammen mit jungen und älteren Genossen aus der 
ganzen Region— wegen »Hochverrat« zu hohen Haftstrafen verurteilt. 


259 





SAJD-Wuppertal, während der Nazi-Zeit; rechts der ermordete Hermann Hahn 





SAJD-Wuppertal, illegales Treffen 


260 





Illegales Treffen in Altenburg 1935; 
im Vordergrund Hans Schmitzaus Wuppertal 
und eine heute namentlich unbekannte Freundin; 
fast verdeckt im Hintergrund Hans Saballa aus Köln. 


261 





Mitglieder der SAJD auf der Fahrt zu einem illegalen Treffen 





Illegale Treffen von Wuppertaler SAJDlern und Fdelweißpiraten 


262 





Illegales Treffen von Wuppertaler SAJDlem und Edelweißpiraten. 
Dabei Hans Schmitz, Hans Kirschey und Paul Oberhenn 


1) 


263 
Anmerkungen Kapitel VI 


Dieser von Gustav Wyneken geprägte Begriff ging auch auf die proletarische 
Jugendüber. »Unter Jugendkultur verstand mandabei vor allem Emanzipation der 
erwachsenen Jugend vom Einfluß der Älteren, offene Diskussion über alle 
interessierenden Probleme, Gesellschaftskritik, aber auch politische Aktivität und 
weltanschaulich begründetes Engagement«. Heinrich Kupfer, »Gustav Wyneken«, 
Stuttgart 1970, S.78. Derlinksbürgerliche Vertreterder Jugendbewegung, Friedrich 
Bauermeister, der auch das Schlagwort vom »Klassenkampf der Jugend« prägte, 
schrieb: »Die Jugend hat der Kultur gegenüber ihre besonderen Aufgaben. Ihr 
Wesen besteht darin, daß sie der geistig noch nicht in den sozialen Körper 
eingegliederte Teil der Menschheit ist,« Friedrich B auenneister, »DerKlassenkampf 
der Jugend«, in: Der Aufbruch, Jena, Juli 1915, S.11. Ein führender moderner 
Jugendsoziologie sieht in der Jugendbewegung »die erste Welle einer im 20. 
Jahrhundert immer wiederkehrenden Kulturrevolution,... nämlich als inneres 
Aufbegehren, als bürgerliche Reaktion auf bürgerliche Lebensformen, als Versuch 
der Zerstörung des Kulturbegriffs von Innen her.« Leopold Rosenmayer, 
»Jugendbewegung und Jugendforschung«, in: Walter Rüegg (Hg.) »Kulturkritik 
und Jugendkult«, Frankfurt/M. 1974, S.65 

Linse, Ulrich: Anarchistische Jugendbewegung..., S.33 

ebenda, S.20 

ebenda, S.22 

ebenda, S.29 

ebenda, S.26 

ebenda, S.12 

Ernst Friedrich, ebenda, S.37 

ebenda, S.34 

Franziska Krischer, Der Syndikalist, Jg.2 (1920), Nr.48 

ebenda 

Linse, Ulrich: Anarchistische Jugendbewegung, S.33 

Alle Angaben in: HSTA Düsseldorf, Reg. Düss., Nr.15810, B1.7-10 und B1.17 
Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.39 und Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.40 
Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.33 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.15 

Linse, Ulrich: Anarchistische Jugendbewegung, S.35 

ebenda 

ebenda 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.28 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.27 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.27 

Linse, S.37 

ebenda 


264 


25) 
26) 


27) 


28) 
29) 
30) 
31) 
32) 


33) 


34) 
35) 
36) 
37) 
38) 
39) 
40) 
4) 


42) 
43) 
44) 


45) 
46) 
47) 
48) 
49) 
50) 
5]) 
52) 
53) 
54) 


55) 


Alfred Dressel, in: Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.45 

Dressel, Alfred: Bericht über die Reichstagung dersyndikalistisch-anarchistischen 
Jugend Deutschlands, Leipzig 1921, S.7 

Linse, Ulrich: Barfüßige Propheten. Erlöser der zwanziger Jahre, Berlin 
1983, S.129-149 

»Max« (Schulze-Sölde) in: Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.55 

Rocker, Rudolf: Jugend und Anarchismus, in: Dressel, Alfred: Bericht...$.8 
alle Zitate bei Dressel 

Linse, Ulrich: Anarchistische Jugendbewegung, S.43 

Barwich, Franz: Bericht über die 1.Konferenz der AB, Der Syndikalist, 
Jg.4 (1922), Nr.24 

Dressel, Alfred: Die syndikalistisch-anarchistische Jugendbewegung, Der 
Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.32 

Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.32 

Linse, S.43 

Protokoll über die Verhandlungen des 15. Kongresses der FAUD, S.14 

X.R.: Jugendbewegung, Der Syndikalist, Jg.5 (1923), Nr.8 

Linse, S.43 

Aussagen von C. Moeller, G. Krüschedt und H. Schmitz 

Linse, S.43 

Soweit nicht anders aufgeführt beziehen sich die folgenden Angaben auf 
die Interviews mit noch lebenden Anarcho-Syndikalisten. 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.27 

HSTA Döüss., Reg. Düss. Nr.15810, B1.14-16 

So Willy Benner durch den Maler und Anstreichermeister, bei dem er bis 
1924 lernte; berichtet von seiner Frau Paula Benner. 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.27 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.27 

Der Syndikalist, Jg.5 (1923), Nr.44 

Die Schöpfung, Jg.2 (1923), Nr.39 

Die Schöpfung, Jg.2 (1923), Nr.39 und 27 

August Benner, Paula Benner 

Die Schöpfung, Jg.2 (1923), Nr.41 

Linse, Anarchistische Jugendbewegung, S.34/35 

HSTA Düss., Reg.Düss. Nr.15409, B1.215 

So hing sein Bild in der Schneiderwerkstatt des Elberfelder Anarcho- 
Syndikalisten J. Steinacker. Mühsam verkehrte bei seinen Vortragsreisen öfters 
im Hause Renner. 

Dies berichtet Fritz Benner in dem bereits zitierten Brief an Olday: »Es stimmt 
nicht, daß Mühsam niemals dem 'syndikalistischen Verein von Rocker angehört 
hat. Mühsam erzählte mir selbst im KZ Buchenwald, daß er sich der FAUD 
anschloß, als Hitler schon an der Macht war... Dir wird bekannt sein, daß Erich als 
feuriger Revolutionär, der vom Geiste B akunins beseelt war, den Dr. Unblutig aus 
Wien, Rudolf Großmann (besser bekannt unter seinem Pseud. Pierre Ramus), und 
dessen Methoden ablehnte... Aber ausgerechnet als Hitler schon an der Macht 


56) 


57) 
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m) 
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80) 
81) 
82) 
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84) 


265 


war,... ließ die Anarchistische Vereinigung Großmann in einer ihrer Versammlungen 
über seine unblutigen Kampfmethoden sprechen. Erich wurde wütend: Ihr könnt 
mich mal am Arsch lecken!'... Ich gehe zu den Arbeitern und kämpfe mit diesen 
gegen Hitler.' Du willst zu den Bolschewisten', war die Verdächtigung. 'Nein, ich 
gehe niemals zu den Bolschewisten, ich gehe zu den Arbeitern!' Erich ließ sich am 
selben Tag in die FAUD einschreiben.« 

Erich Mühsam in der »Fackel« von Karl Kraus, zit. nach: Haug, Wolfgang: 
Erich Mühsam— Schriftsteller der Revolution, Reutlingen 1979, S.20 

Der Syndikalist, Jg.8 (1926), Nr.2 

Der Syndikalist, Jg.9 (1927), Nr.29 

So u.a. eine »Jugendbewegungsgeschichte« im Feuilleton der »Düsseldorfer 
Volkszeitung« (1920), Artikel in Ernst Friedrichs »Freie Jugend«, hierbei ein 
Titelbeitrag über den Deutschen Bauernkrieg im Jahre 1925 und die »Amnestie«. 
Philipp Urban vor Gericht; nach Angabe R. Treibers. Diesem zufolge hat Urban 
später in den anarcho-syndikalistischen Verbänden gegen Franco mitgekämpft. 
Neuere Forschungen haben dies bestätigt, vgl. Degen/Haug/Linse/Nelles: Deutsche 
Anarchisten im Spanischen Bürgerkrieg und im Exil, Wuppertal 1991. 

Ferrer, Francisco: Die Moderne Schule. Nachgelassene Betrachtungen über die 
rationalistische Lehrmethode, Berlin 1923, Repr. Berlin 1975, S.46 

Poole, David: Francisco Ferrer, in: Archer/Poole/Ramus: Francisco Ferrer— 
Über den Begründer der Modernen Schile, Wilnsdorf-Anzhausen 1982, S.14 
Ferrer: Die Moderne Schule, S.23; aus dem ersten Lesebuch der'Escuela Moderna', 
zit. nach Ramus: Die Moderne Schule, in: Archer/Poole/Ramus, S.109 

ebenda 

Programm der 'Escuela Modemä , ebd., S.105 

ebenda, S.14 

ebenda, S.54 

Kropotkin, Peter: Rede zum Tode Ferrers, ebenda, S.99/100 

ebenda 

ebenda 

Curt Moeller; Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.66 

Arbeiterbewegung, Freidenkertum und organisierte Religionskritik, Ausstel- 
lungskatalog Berlin 1983, S.20 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.70 

HSTA Düss., Reg.Dü+ss., Nr.15988 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.66 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.66 

Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.28 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.66 

Die Schöpfung, Jg.3 (1923), Nr.48 

Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.27 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.14 und 15 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.14 und 15 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.12 

Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.16 








266 
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115) 
116) 
117) 
118) 
119) 


In Düsseldorf, vgl. Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.24 und Elberfeld: Dort 
sprach Joist am 13.3.23 auf einer von J. Steinacker geleiteten Versammlung, 
nach: HSTA Düss., Reg.Düss., Nr.16870 

Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.136 

Linse, Ulrich: Barfüßige Propheten, S.156-230, vgl. Die Schöpfung, Jg.3 
(1923), Nr. 12 

Alle Angaben und Zitat Fritz Binde, nach: J.C.J. Ommerbom »Mein Fritz 
Binde«, Barmen 1922, S.52 und S.63 

Stimer,Max: DerEinzigeundseinEigentum,zit.nachGuerin,Daniel: 
Anarchismus, S.30 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.42 

Landauer, Gustav: Aufruf zum Sozialismus, S.101 

ebenda 

Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.16 

C. Moeller, He. Saure, H. Schmitz und A. Binder 

Der Syndikalist, Jg.9 (1927), Nr.23 

G. und H. Krüschedt, H. Schmitz 

Proletarisches Kinderland, Okt. 1931, zit. nach Linse: Anarchistische 
Jugendbewegung, S.119 

ebenda, S.305; dort auch eine Übersicht weiterer anarchistischer Kinderzeitungen. 
Otto Reimers, ehemaliges Mitglied der Hamburger AAU-E, rettete vollständige 
Ausgaben von »Kinderwille« und »Proletarisches Kinderland« über National- 
sozialismus und Krieg und überließ sie 1977 Ulrich Linse. 

Proletarisches Kinderland, Sept.31; zit. nach Linse, 5.118 

Linse, S.114 

ebenda, S.116 

ebenda, S.117 

Weitere Informationen zum Thema bei: Heribert Baumann: Theorie und Praxis 
libertärer Kindergruppen in der Zeit von 1919-1933, Diss., Oldenburg 1983 
Linse, S.12 

ebenda 

Junge Anarchisten (1925), Nr.2 

Der Syndikalist, Jg.7 (1925), Nr.9 

Junge Anarchisten (1925), Nr.4/5 

Junge Anarchisten (1925), Nr.12 

Der Syndikalist, Jg.7 (1925), Nr.9 

Junge Anarchisten (1925), Nr.9 

Der Syndikalist, Jg.5 (1923), Nr.41 

Der Syndikalist, Jg.5 (1923), Nr.41 

Junge Anarchisten (1925), Nr.9 

Linse, S.83 

Der Syndikalist, Jg.9 (1927), Nr.12; Linse, S.302/3 

Der Syndikalist, Jg.9 (1927), Nr.13 

Linse, S.86/87 

Hepp, Georg; Frankfurter SAJD- und FAUD-Mitglied, zit. nach Linse, S.90 





267 


120) Vgl. van der Will: Arbeiterkulturbewegung, S.167-226: Der Sprechchor als 
proletarische Kunstform‘. 

121) Der Syndikalist, Jg.10 (1928), Nr.4 

122) Linse, S.93 

123) ebenda 

124) ebenda, S.95 

125) ebenda, S.93/4 

126) Scherer, Fritz: Die Bakunin-Hütte. Eine Rückschau; in: Schwarzer Faden (4/84), 
Nr.16, S.53 

127) Linse, S.94 

128) Scherer, Fritz; in: Schwarzer Faden 4/84, S.54; vgl. auch: Walter, Mitglied der 
Kölner SAJD, zit. nach: Theissen u. a.: Anarchistisch-syndikalistischer 
Widerstand an Rhein und Ruhr, S.110/111 

129) Soweit nicht anders angegeben beziehen sich die folgenden Ausführungen auf 
Interviews mit noch lebenden Anarcho-Syndikalisten 

130) H. Kirschey; alle übrigen SAJD-Mitglieder; Der Syndikalist, Jg.13 (1931), Nr.19 

131) Vgl. »Aus einem Gespräch«, in: Junge Anarchisten, Nr.7/8 (1926) (Titel: »Krieg 
dem Krieg«) 
B: »Aber ohne jede Gewalt? Woher hast du diese Wissenschaft?« 
A: »Ja, das hat mir mal einer gesagt, und dann tragt ihr ja auch das zerbrochene 
Gewehr als Abzeichen.« 
B: »...aber die Bedeutung des zerbrochenen Gewehrs, ausdem Du auf Gewalt- 
losigkeit schließst, ist eine andere.... ist uns das zerbrochene Gewehr das 
Zeichen, das von uns die Zerstörung einer jeden Gewalt fordert.« 

132) Linse, S.96 

133) ebenda 

134) Linse, Ulrich: Lebensformen der bürgerlichen und proletarischen Jugendbewegung; 
in: Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung, Bd.10 (1978), S.53 

135) ebenda 

136) Linse, Ulrich: Anarchistische Jugendbewegung, S.311 


268 


Kapitel VII 
»Sozialistisches Neuland« — 
die Düsseldorfer Siedlung »Freie Erde« 


Der Einfluß Gustav Landauers 


Die Siedlungs- und Genossenschaftsexperimente rheinischer Anarcho-S yndika- 
listen stützten sich vor allem auf die Ideen von Gustav Landauer und standen 
darüber hinaus in der Tradition der allgemeinen Konsum-und Baugenossen- 
schaftsbewegung seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Siedlungsex- 
perimente von Boh&me und Vertretern der bürgerlichen Jugendbewegung.(1) 
Landauer selbst war Mitbegründer einer der ersten Berliner Konsumgenossen- 
schaften und hatte die Idee des genossenschaftlichen und Siedlungszusammen- 
schlusses zum Kern seiner Vision vom »Austreten aus dem Kapitalismus«(2) 
gemacht. Landauer gab selbst die—nicht nur sozialistischen— Theoretiker an, von 
denen er in seinem Siedlungsanarchismus beeinflußt war: 

Proudhon (alles), Etienne de la Boetie, Tolstoi, Hertzka (Das soziale 

Problem), Silvio Gesell, Petr Kropotkin (Gegenseitige Hilfe und 

Landwirtschaft, Industrie und Handwerk)(3) Auch Franz Oppenheimer, die 

englische _Settlement-Bewegung.. .EugenDühring undHenryGeorge in 

derVermittlung durch Benedict Friedländer(4) 
Landauer wollte nicht warten, bis die Verhältnisse »reif« seien — und er sah auch 
bis vor der deutschen Revolution von 1918/1919 nicht, daß sie in seinem Sinne 
reiften. Gegen den Marxismus gerichtet, betonte er die entscheidenede Rolle des 
»Willens« und der »Person« in der sozialen Bewegung und faßte zusammen: 

Für uns sind die Träger der Geschichte Personen.(5) 
Von hieraus waren individuelle oder Kleingruppenexperimente mit Siedlung und 
Genossenschaft legitimiert. Sie hatten sich dennoch, pausenlosvor den übrigen 
Anarcho-Syndikalisten zu rechtfertigen, die ihnen immmerwiedervorwarfen, sie 
wollten sich mit ihren Initiativen ausdem sozialrevolutionären Kampf zurück- 
ziehen, seien auf dem Wege der »Verbürgerlichung« und wollten nur individuell 
»ihre Schäfchen ins Trockene bringen«. Wiederholt beriefen sich die anarcho- 
syndikalistischen Siedler daher auf das ursprüngliche Konzept der Arbeiterbörse. 

In Düsseldorf, wo es zu einem der wenigen längerlebigen anarcho-syndika- 

listischen Siedlungsversuche kam, war der Einfluß Landauers auch persönlich 
spürbar. Landauer unterhielt gute Beziehungen zu Düsseldorfer Freigeistern, 
Künstlern und dem weit links stehenden Ensemble des Düsseldorfer Schauspiel- 


269 


hauses. Von 1916 bis 1918 redigierte er dessen ästhetisch-politische Zeitschrift 
»Die Masken«(6) und trug sich mit dem Gedanken, nach 1918 hier als Dramaturg 
tätig zu werden.(7) Der Ausbruch der Novemberrevolution und seine Ermordung 
1919 vereitelten diese Pläne. 

Wie weit er persönlichen Kontakt zu den Düsseldorfer Anarcho-Syndikalisten 
hatte, ist nicht bekannt — er wurde unter ihnen aber hoch verehrt. 

Nach einem Bericht Erich Mühsams soll Landauer seine Meinung während der 
Ereignisse um die Münchner Räterepublik kurz vor seinem Tode modifiziert 
haben. Sein überraschender, vehementer Einsatz in den revolutionären Massen- 
kämpfen habe Landauer von seiner Theorie der »kleinen revolutionären 
Schritte« abgebracht: 

Den Genossen jedoch, die auch jetzt noch durch Gründungen vegetarischer 
Siedlungsspielereien Landauers Vermächtnis erfüllen zu sollen meinen, sei be- 
richtet, daß mir Landauer Ende 1918 und Anfang 1919 wiederholt erklärt hat, 
derartige Resiggations-Retiraden seien doch jetzt... ganz sinnlos geworden.(8) 


Dies war zumindest Mühsams eigene Ansicht, und spiegelt bereits Einiges von 
der Polemik wieder, denen die Siedler ausgesetzt waren, welche im Jahre 
1921— die revolutionären Ereignisse von 1919 und 1920 begannen bereits in 
die Ferne zu rücken — ihren Aufbau in Angriff nahmen. 





1) Jm eiste 
Ri; lIySTAV LANDAIJERS 






-besiedelten wir am G. JO 121 
dieses Brachland u nannten 
es beslimmuugrsgemäss 


„IRUEREIE ERDE" | 





Erhaltene Marmortafel des Hauses der Siedlung »Freie Erde« bei Düsseldorf 


270 


Anarchistische Siedlungen 


Vor und neben der hier beschriebenen Düsseldorfer Siedlung gab es ähnliche, 
praktische Projekte, die mehr oder weniger anarcho-syndikalistischen Ideen 
nahestanden—dabei in der Regel mehr den anarchistischen, als syndikalistischen: 


a) 
b) 


c) 


d) 
e) 


Der Barkenhoff um Heinrich Vogeler in Worpswede, der anarchistische Siedlung 
und »Arbeitsschule« zu verbinden suchte.(9) 

Der Siedlerbund Freie Erde in Bremen, der stark vom Barkenhoff beeinflußt, 
im »Freien Arbeiter« (Organ der FKAD) schrieb: 

»Die vernichtende Tendenz der Großstadt, ihrer Industrie und Oberzivilisation 
und der Untergang des Mammonismus lassen sich nicht mehr leugnen. Die 
Kulturschädlichkeiten haben die Gesundheit und Lebenskraft der Menschheit 
herabgedrückt... suchen wir nach neuen Grundlagen für unser Dasein und 
Rettung durch Zurückeroberung des Naturlebens und Rückkehr oder besser 
Aufstieg zu den einfachen Grundwerten... Ziel ist die Verbindung geistiger und 
körperlicher Arbeit, Werkstatt und Landwirtschaft, Kunst und Handwerk, 
Wissenschaft und Leben.«(10) 

Der Volksbund fürföderativeNeukultur, in dessen Mittelpunkt der 
Volkslandbund e.V.(11) in Köln stand. Der Volkslandbund betrieb eine Siedlung 
in der Nähe von Köln und rief im selben Jahr zur Unterstützung für ein weiteres 
Siedlungsprojekt im Westerwald auf. In einem seiner Aufrufe, die vom 
»Syndikalist« boykottiert, von der »Schöpfung« und dem »Freien Arbeiter« 
jedoch veröffentlicht wurden, heißt es: 

»Die Volksland-Siedlungsgemeinde, deren Grundstreben die Befreiung des 
Volksbodens ist, will als Ausgangspunkt einer Bewegung für sozialistische 
Neukultur nicht mit einer Einzelreform, sondern durch eine Gesamtreform alle 
Kräfte auf einen Punkt richten, um so mit dem heute Vorhandenen und ohne 
weiteres Abwarten zum Sozialismus von unten auf, zum sofortigen Aufbau 
der langerstrebten sozialen Gemeinde zu gelangen.« 

Angedeutet wird das Mittel der Landbesetzung; wenn es dort weiter heißt: 

»Das Mittel zum sofortigen Anfang ist die gegenseitige Hilfe. NurdurchSelbsthilfe 
der Landsucher, und nur allseitige Hilfe aller Arbeitenden wird den Ausweg zu 
neuem Volkslande freimachen, wo mit einem neuen Gemeinschaftsleben der 
gemeinsame Aufbau der föderalistischen, freien Gemeinde begonnen wird...«.(12) 
Hier schimmert bis in die Formulierung Landauersches Denken durch — auch 
Landauer sprach von »Gemeinden« und sein Begriff der »Tat« schloß die unge- 
setzliche Landbesetzung selbstverständlich ein. 

Die Siedlerschule Moorende, (13) die von Leberecht Migge geleitet wurde und 
die Naturwarte Mönne bei Stettin, alsletzte im Jahre 1922 gegründet durch den 
Anarchisten Paul Robien (nicht zu verwechseln mit Paul Robin, der 50 Jahre 
früher das Waisenhaus Cempuis als anarchistischen Schulversuch bei Paris geleitet 
hat). Robien war zuvor bei den Worpswedem beteiligt gewesen, und wollte mit 
seiner Naturwarte, »einem naturwissenschaftlichen Beobachtungsposten mit 6-8 
Morgen Land als Ernährungsbasis« zeigen, daß 

»es möglich ist, mitten in einem feindlich gesinnten Volk neutral zu leben. Neutral 
—darunter verstehen wir außerhalb der Staatsordnung leben, nirgends, bei keiner 


271 


Behörde amtlich gemeldet zu sein, frei von Zins und Steuer sein, ein Haus 
ohne baupolizeiliche Genehmigung errichten... «(14) 
Insbesondere die Kölner Formulierungen und Robiens Ideen lesen sich wie ein 
»Programm« der Düsseldorfer Siedlung Freie Erde — zumindest, was ihr An- 
fangsstadium im Juni 1921 und ihre ursprünglichen Hoffnungen betrifft. 


Die Siedlung »Freie Erde« bei Düsseldorf 


Im August 1921 schrieb die Polizeiverwaltung Benrath folgenden Bericht an die 
»Meldestelle der Regierung Düsseldorf« in Essen: 
Benrath, den 13. August 21 

Vor etwa 6 Wochen ließ sich im staatlichenForst im Bezirk der Bürgermeisterei 
Erkrath in unmittelbarer Nähe der Grenzen von Hilden, Erkrath, Benrath und 
Düsseldorf eine Kolonne angeblich arbeitsloser Leute nieder. Es handelt sich um 
etwa 25-26 Personen, darunter einige Frauen. 
Diese Leute gingen dazu über, bauten sich vorerst eine Blockhütte und machten sich 
ein größeres Stück Land urbar, welches mit Gartenfrüchten bestellt wurde. In den 
letzten Tagen ist mit dem B au einesregulären Wohnhauses begonnen worden. Das 
Fundament ist bereits gefertigt. Wie einwandfrei festgestellt worden ist, haben die 
Leute sich das Land ohne Einverständnis der Regierung oder der Forstverwaltung 
angeeignet, allerdings sind sie nachträglich mit der Regierung in Verhandlungen 
getreten. Um den Sachverhalt nach Möglichkeit festzustellen, wurdenhiesigerseits 
Erhebungen angestellt. Einer (der Polizei?) vertrauten Person gegenüber, von der sie 
auf das Ungesetzliche ihrer Handlungsweise aufmerksam gemacht wurden, äußerten 
sich die Leute etwa wie folgt: 
»Wir sind jetzt mit der Regierung in Verhandlungen getreten, damit uns das 
Gelände überlassen wird.« 
Als sie weiterhin darauf hingewisen wurden, daß sie notfalls durch die 
Polizei vertrieben würden, sagten dieselben: 
»Laß sie nur kommen — wir haben das hier besetzt« 
Nach den Redensarten des scheinbaren Führers der Kolonne zu urteilen, bestehen 
in der Gegend von Uerdingen und unweit Köln ähnliche Niederlassungen. Im 
Laufe des Gesprächs, welches mit mehreren Leuten gepflogen wurde, äußerte 
einer sich noch u.a.: 
»Wer ist denn der größte Verbrecher? Die, die das Land brach liegen 
lassen,oder wir, die wir es für die Allgemeinheit nutzbar machen ?« 
Das Ganze läßt darauf schließen, daß man es hier mit ausgesprochenen Kommu- 
nisten zu tun hat.Vermutlich bestehen zwischen den einzelnen Niederlassungen 
Verbindungen. Es ist wahrscheinlich, daß die Siedlerkolonne von gleichgestimm- 
ten Arbeitern fmanziell und durch Arbeitsleistung unterstützt wird. 
Die Siedlung wird sonntags und auf den Wochentagen von vielen Interessenten 
besucht. Die Kolonisten veranstalten unter diesen Sammlungen und vertreiben die 
anliegenden Aufnahmen (Fotographien) zu 4.-M. pro Stück. Nach weiteren Äuße- 
rungen dieser Leute gehört zu ihnen auch ein angeblicher Doktor. Der Name es 
Letzteren war nicht zu erfahren. 
Um den Bau des massiven Wohnhauses fertigstellen zu können, kauften die Leute 


272 


größere Mengen gebrauchter Ziegelsteine; angeblich fehlt noch das Geld zur 
Anfuhr.« 
Der Bericht schließt mit den Worten: 
(Es mag möglich sein, daß die Gesellschaft vorläufig ideale Ziele im Auge hat, 
doch besteht die Gefahr, daß das ganze Unternehmen schließlich in 
Bandenwesen ausartet und dadurch die öffentliche Sicherheit gefährdet wird.) 
Wiebling; Pol.Com.(15) 
Es handelte sich bei dieser Siedlung um die »Freie Erde« Düsseldorf. Die 
Darstellung des Polizeikommissars Wiebeling gibt in doppelter Weise Aufschluß: 
Sie enthält erste Hinweise auf die Argumentation und die Praxis der Siedler — und 
wir erfahren eine Menge über die Vorgehens- und Denkweise der Polizei. 
»Ausgesprochene Kommunisten« — so schloß der brave Kommissar— im 
Unterschied zu anderen Polizeiberichten machte er seinen persönlichen Schluß 
auch als solchen kenntlich, und bedauerte nur, daß er den Namen des »angeblichen 
Doktors« nicht mitliefern Konnte. Von den übrigen Namen schreibt er nichts — als 
sei der Intellektuelle als »Drahtzieher« besonders wichtig. 





Der praktische Aufbau 


Tatsächlich waren es Anarchisten und Anarcho-Syndikalisten, durchweg prole- 
tarıscher Herkunft, die am 6.7.1921 das Geländebesetzt und mit dem Hausbau 
und der Bodenbearbeitung begonnen hatten. Sie waren zum großen Teil 
Mitglieder der FAUD Düsseldorf. Einige von ihnen waren Kriegsinvaliden 
(»Dem einen fehlte ein Arm, der andere hatte das Zittern...«), das 
Durchschnittsalter der Gruppe betrug 25-30 Jahre. 

Die Zahl von »25-26« anfänglichen Landbesetzern könnte zutreffen, die Gruppe 
stabilisierte sich in den kommenden Monaten auf »ca. 15 Mitglieder«.(16) Die 
meisten von ihnen waren ohne Beschäftigung. Unter ihnen gab es gelernte Maurer, 
Schuster und Zimmerleute, und sie erfüllten genau die Voraussetzungen, die von 
den Siedlungsbefürwortern in der Düsseldorfer FAUD genannt wurden: Sie 
zählten zu »unseren vom Kapital gemaßregelten, brotlosen Genossen«, für die es 
gelte, »eine Heimstatt zu schaffen.«(17) »Das einzige, was uns nachher beim 
Hausbau fehlte, war ein Verputzer...« 

Eine führende Rolle als Anreger und Motoren der Gruppe spielten jedoch zwei 
der ältesten Siedler, das Ehepaar Waldemar und Anna Kutschke, die mit ihren 3 
Kindern an der Landbesetzung und dem Siedlungsaufbau teilnahmen. Waldemar 
Kutschke, gelernter Schäftemacher, war zu dem Zeitpunkt 39 Jahre alt, seine Frau 
ein Jahr jünger. Beide stammten aus 12- bzw. 11-köpfigen Arbeiterfamilien. Im 
Unterschied zu den meisten anderen Männern der Gruppe ging Waldemar 
Kutschke neben den Siedlungsanstrengungen täglich zur Arbeit nach Reisholz, wo 
er im dortigen »Preß- und Walzwerk«, einem der größten Düsseldorfer Stahl- 


273 


und Eisenbetriebe, am Hochofen stand. Dieses Detail ist nicht nur als Zeugnis für 
Kutschkes hohes, persönliches »Doppelengagement« von Interesse — es enthielt 
die Möglichkeit für Kutschke, respektiertes Bindeglied zur Arbeiterbörse der 
FAUD zu sein, die, wie alle Gewerkschaften große Schwierigkeiten hatte, 
erwerbslose Mitglieder theoretisch anzuerkennen und praktisch einzugliedern. 
Kutschke war aktiver Vorkriegsanarchist und -syndikalist, das »Verzeichnis der 
sich im Regierungsbezirk Düsseldorf aufhaltenden Anarchisten« erwähnt ihn 
schonim Jahre 1912(18) — er war eng befreundet mit dem führenden FAUD- 
Mitglied Anton Rosinke und beteiligte sich — während der Siedlungsaktion(!) — 
aktiv am Düsseldorfer Metall- und Stahlarbeiterstreik Anfang 1922, einer der 
letzten größeren Streikbewegungen, in der die Düsseldorfer FAUD und die 
rivalisierende linkskommunistische AAUE eine Rolle spielten. Waldemar Kutsch- 
ke wurde — vermutlich aufgrund der Streikbeteiligung — im Jahre 1922 vom 
»Preß- und Walzwerk« entlassen, fand jedoch »immer wieder« neue Arbeits- 
stellen: »Den hat keine Firma lange haben können.« 
Sein Einkommen war zeitweilig die einzige regelmäßige Geldquelle der Siedler- 
gruppe, die im übrigen auf Geld- und Sachspenden von der FAUD und anderen 
Gruppen, auf den eigenen Gemüseanbau — »Wir konnten 1922 die ersten Kartof- 
feln ernten« — und auf den Verkauf der Ansichtskarten angewiesen war. (Um 
solche handelt es sich auch bei den folgenden Abbildungen). Besonders die ersten 
Monate verlangten äußerste Opfer. Es war keine »Blockhütte« (Polizeibericht), 
sondern eine »Rasenhütte«,(19) in der die Siedler anfangs lebten: Ein geräumiger 
Unterstand, der mit Grasbollen abgedeckt war. 





Waldemar Kutschke 


274 





Bemerkenswert die Texte der beiden Schriftafeln: Auf der mittleren, über 
dem Eingang, stehen die »Faust«-Worte: 

Solch ein Gewimmel möcht ich sehn: 

Auf freiem Grund mit freiem Volke steh'n. 

Zum Augenblicke möcht ich sagen: 

Verweile doch, du bist so schön! 
Das rechte Schild dokumentiert den Traum vom »naturgemäßen Leben« und ist 
zugleich Aufforderung an die zahlreichen Besucher gewesen, den »Wald, die Flur 
und das Feld« zu »schonen«: 

Wir lieben den Wald, wir lieben die Flur, 

wir lieben die Erde, die Mutter Natur. 

Wir lieben den Menschen, vom Wahn befreit, 

der großmäuligen Phrasen Besessenheit. 

Wir lieben die Tat, die Arbeit, die Kraft, 

die aus dem Chaos ein Neuland schafft. 

Drum helft uns und schützt die erstehende Welt 

und schont uns den Wald, die Flur und das Feld. 


Wie der Polizeibericht richtig feststellte, wurden — in äußersten 
Anstrengungen innerhalb weniger Wochen — parallel zueinander mit dem Bau 
des ersten Steinhauses begonnen, sowie ca. 2500 Quadratmeter Boden 
»regault« (= Entfernung der Wurzelstumpen früherer Rodung) und bestellt. 

Im August 1921 wurde das Fundament für das erste Steinhaus gelegt — es sollte, 


275 


entgegen der ursprünglichen Planung, das einzige werden, das von dieser Gruppe 
fertiggestellt werden Konnte. Spätere, legale Nachbarhäuser entstammten nicht 
der Gruppe »Freie Erde«, die sich mit ihren ca. 15 Mitgliedern im Spätherbst 
1921 dieses eine Haus teilen mußte — ein Umstand, der mitverantwortlich war 
für die aufkommenden Spannungen in der Gruppe und die weitere Geschichte 
von Haus und Siedlergruppe beeinflußte. 





Die Siedler wurden anfangs durch Arbeitsleistung und Sachspenden örtlicher 
FAUD-Mitglieder unterstützt. Die Arbeiterbörse war in dieser Frage zerstritten, 
jedoch gab es spontane Solidaritätsbeweise: So wurde das Fundament und die 
Grundmauern aus einer »Wagenladung Steinen« errichtet, die aus dem Abbruch 
einer Oberkasseler Wohnhauses stammten und von den syndikalistischen Bau- 
arbeitern der »Firma Haniel und Lueg kostenlos zur Verfügung gestellt«(20) 
wurden. Die Siedler hatten kein Geld, um sich Ziegelsteine zu kaufen; selbst der 
Antransport der genannten »Wagenladung« erfolgtemittels einer großen Hand- 
karre, die von den Siedlern für diesen Zweck angefertigt und selbst die immerhin 
ca. 12 km von Oberkassel zu den Hildener »Banden« gezogen wurde — »aber 
damals gab's da draußen nur rumelige Feldwege.« Im Folgenden wurden von den 
Siedlern auch selbst Lehmziegel hergestellt, die auch zum Hausbau verwendet 
wurden, was diesem keinen »Abbruch« tat Es hielt bis 1972.(21) 


276 





271 


Von den anderen Beispielen der Solidarität aus den Reihen der FAUD ist hier 
erwähnenswert, daß der anarcho-syndikalistische Sängerverein »Freie Sänger 04« 
mindestens ein Konzert »zugunsten der Freien Erde« gab — dieses fand »auf 
dem Siedlungsterrain« statt.(22) 

Die »Föderation der Verkehrsarbeiter«, eine der stärksten Berufsgruppen der 
Düsseldorfer FAUD in dieser Zeit, rief im August 1921 ihre Mitglieder auf, eine 
Demonstration des ADGB zu boykottieren, und stattdessen an diesem Tage einen 
»gemeinsamen Spaziergang« zu der neuen Siedlung zu machen: 

Da hier am Sonntag der Tummelplatz der FreienGewerkschaften ist, und wir nicht 
wollen, daß unsere Genossen und deren Familien zu diesem Klimbim in den 
Straßen Spalier bilden, fordern wir alle... auf, am Sonntagnachmittag, 2 Uhr vom 
Worringer Platz aus einen gemeinsamen Spaziergang nach den Hildener Banden 
zu unseren Siedlungsbrüdern zu machen....(23) 
Die Siedlung wurde bald ein beliebtes Ausflugsziel Tausender Düsseldorfer 
Familien, Neugieriger wie Sympathisanten, sowie Treffpunkt der Anarcho- 
Syndikalisten der gesamten rheinisch-bergischen Region (z.B. auch der Reichs- 
jugendkonferenz 1921). Hierbei wurde für die Siedler eine weitere Einnahmequelle 
erschlossen, der Verkauf von Kaffee und selbstgemachter Limonade. Namhafte 
Düsseldorfer Intellektuelle und Künstler waren hier zu Besuch und organisierten 
z.T. Benefizveranstaltungen, so Gustav Grundgens mildem Ensemble des 
Düsseldorfer Schauspielhauses, und Gert Wollheim, Mitglied der Künst- 
lergruppe»Junges Rheinland« um »MutterEy« und des sogenannten »Aktivisten- 
bundes«. Die »Freie Volksbühne Groß-Düsseldorf« organisierte die Aufführung 
von Wollheims » Theaterstück im Freien« auf dem Gelände der Siedlung.(24) 

Unterstützung und regen Besuch erhielt die Siedlung auch von dem Vorsitzenden 
des Düsseldorfer »Monistenbundes«, Dr. Erwin Quedenfeld, zu dem das Ehepaar 
Kutschke als aktive Mitglieder der GpF rege Kontakte pflegten. In mündlichen 
Berichten wird ausdrücklich betont, daß auch Anna Kutschke »entschiedene 
Freidenkerin« war. »Die war schon als Kind in Sachen Beten die einzige von 9 
Geschwistern, die rebellierte.« Eine Ausnahme, denn viele Frauen der Anarcho-S 
yndikalisten waren und blieben religiös oder »indifferent«. Endlich ist die 
freundschaftliche Beziehung der Siedler zu Dr. Dr. Amelungsen zu nennen, der 
hoher Beamter bei der Düsseldorfer Regierung war. Auf die Vermittlung dieses 
»Doktors« und die folgenden Verhandlungen mit der Regierung dürfte es 
zurückzuführen sein, daß die Siedlung »Freie Erde« nach anfänglichen harten 
Auseinandersetzungen mit der Polizei ab Herbst 1921 amtlicherseits geduldet 
wurde und nach dem Zugeständnis der Gründung eines eingetragenen Vereins 
1922 einen »99-jährigen Pachtvertrag« bekam. 

Bis dahin war es zu mehreren heftigen Zusammenstößen mit der — ZT. 
»berittenen« Polizei gekommen. In der spärlichen Literatur über die Siedlung »Freie 
Erde« [2 Kurzdarstellungen von je maximal 20 Zeilen(25)] heißt es, es habe sich bei 
dem besetzten Gebiet um »Niemandsland« gehandelt. Dies trifft nicht zu: 


275 

















Pgiti enasßSnedIlnan 


279 


Die Staatliche Forstverwaltung, der das Grundstück gehörte, und der Düssel- 
dorfer Grundbesitzer Richartz, der anliegendes Gelände besaß, betrieben 
sogleich die polizeiliche Räumung. Becker deutet den Widerstand der Siedler 
mit den Worten an: »... sogar bewaffnete Gewalt wurde angewandt.«(26) In 
einer nichtöffentlichen Stellungnahme des Düsseldorfer Liegenschaftsamtes 
war sogar von »Molotov-Cocktails«(27) die Rede. Demgegenüber wird von 
mündlichen Informanten betont, man habe sich »lediglich mit der Mistgabel« 
gegen die Vertreibung von dem besetzten Gelände gewehrt. Die Tochter von 
Waldemar Kutschke berichtet: 
In der Frage war mein Vatermit seinem Freund Anton (Rosinke) immeruneins. 
Der Anton war auch mal dafür, das Gewehr in die Hand zu nehmen, z.B. gegen 
den Kapp-Putsch. Mein Vaternie. Die Fäuste und die Mistgabel: ja— aber alles 
andere hat er abgelehnt. 


Wie dem auch sei— die Frage wurde durch die Legalisierung der Siedlung erledigt. 


Zum Anfang bestanden unter den Siedlern starke Tendenzen, den Lebenstil im 
Sinne einer eigentumslosen anarchistischen Kommune neu zu gestalten. Bis auf 
das Ehepaar Kutschke lebten Männer und Frauen unverheiratet zusammen — 
insoweit war man sich über »Freie Liebe« einig. Ob es innerhalb der ursprüng- 
lichen Siedlergruppe auch bewußte Versuche des Partnerwechsels gab, ist nicht 
mehr zu klären. Ebensowenig, ob diese Gruppe bereits Formen der Nacktkultur 
pflegte. »Meine Mutter war für sowas zu hochgeschlossen«, berichtet die 
Tochter.Entsprechende Gerüchte rankten sich sehr bald um die Siedlung — es war 
von »sexuellen Ausschweifungen«, von »Höhlenmenschen« und »nackten 
Wilden« die Rede, was zumindest gut ins Feindbild der katholischen 
Nachbargemeinden paßte. Die Kinder, die in die weltliche Schule in Lierenfeld 
gingen, wurden als »Frasehötter« (Rasenhüttenbewohner) und »Wilde« beschimpft 
und mit Steinen beworfen. »Die Schule war schön — aber der Schulweg war 
schrecklich.« 


Die Gerüchte bekamen neue Nahrung als sich im September 1921 mit der 
Fertigstellung des Steinhauses eine ca. 8-köpfige Gruppe fremder Siedler auf der 
»Freien Erde« niederließ. Sie nannte sich »La Cavema di Zarathustra« , und 
bestand im Unterschied zu den vorherigen Siedlern aus mehr Frauen als Männern: 
Ihr einziger Mann, ein angeblich Berliner »Intellektueller« namens Gerhard 
Schöndelen, war in Begleitung mehrerer Frauen, mit denen er zahlreiche Kinder 
hatte. Über ihn wird behauptet, er habe im Sinne von Nietzsches Zarathustraeine 
Peitsche am Gürtel getragen und die Frauen geschlagen. Diese Gruppe sei es 
gewesen, so wird berichtet, die offensiven Nudismus und Partnerwechsel gefordert 
und betrieben habe. »Außerdem durften wir nicht mehr Vater und Mutter sagen, 
das hieß plötzlich Waldemar und Anna.« 

Eine Gruppe desselben Namens ist zur damaligen Zeit in Berlin belegt.(28)Ihr 
Initiator hieß Dr. Goldberg und wurde von der »Schöpfung« in einem Atemzug 
mit Ludwig Joist von der anarcho-syndikalistischen Bewegung ausgegrenzt: 

Hoffentlich zeigen unsere Organisationen in Zukunft solchen Leuten gegenüber 


280 


eine geschlossene Tür, denn es ist eine Tatsache, daß gerade unsere Bewegung, 

weil sie Freiheit und Ungebundenheit des Einzelnen gewährleistet, zum Tummel- 

platz dieser Geister wird, die den Begriff Freiheit durch Frechheit ersetzen.(29) 
Nach der oben angeführten Darstellung soll es im Winter 1921/22 zu heftigen — 
z.T. handgreiflichen — Auseinandersetzungen zwischen beiden Siedlergruppen 
gekommen sein, in deren Verlauf die »Zarathustra«-Gruppe im Frühjahr mithilfe 
der Polizei(!) vom Gelände der »Freien Erde« geworfen worden sei. Sie habe 
noch eine Zeitlang in der Nähe in einer Rasenhütte gelebt und sei dann 
»verschwunden«. 

»Die haben nie mit angepackt — und das war doch erstmal das Wichtigste« 
faßt Kutschkes Tochter zusammen und betont: »Das waren keine Anarchisten 
oder Syndikalisten—die haben sich auch gar nicht als solche verstanden!« Die 
Episode zeigt, welche Welten zwischen dem »praktischen Idealismus« der 
ursprünglichen, proletarischen Siedlergruppe und der freischwebenden 
Wanderschar um Schöndelen lagen. Hatten die erwerbslosen FAUD-Mitglieder 
anfangs ein Modell für arbeitslose Genossen im Sinn, das eng an die 
Arbeiterbörse gebunden sein sollte, so stand die »Zarathustra«-Gruppe in 
keinerlei derartigen Zusammenhängen. 

Der nach den mündlichen Quellen enstehenden Eindruck, die Differenzen hätten 
sich lediglich aufdas Verhältnis zwischen diesen beiden heterogenen Gruppen 
beschränkt, trifft allerdings nicht zu. Vielmehr bestanden auch innerhalb der 
ursprünglichen Siedlergemeinschaft starke Meinungsverschiedenheiten. Nach der 
Trennung von der »Zarathustra«-Gruppe wurde im Jahr 1922 ein eingetragener 
Verein (!) gebildet, der den Namen »Produktive Genossenschaft Freie Erde 
e.V.«(30) trug. »Hatte die »Genossenschaft« auch weitreichende Pläne (Versor- 
gung der FAUD-Genossen mit Arbeit und Lebensmitteln), so war diese Anpas- 
sung an das bürgerliche Vereinsrecht nicht bloß äußerlicher Art — im Gegensatz 
zu eigenen Vereinen der anarcho-syndikalistischen Sängerbewegung war sie hier 
u.a. Ausdruck zunehmender Kompetenz- und Besitzstreitigkeiten unter den 
Siedlern. Innerhalb dieses Vereins wurde z.B. die »reguläre« Bewohnerschaft des 
neuen Hauses festgelegt, das 2 Familien Raum bot, bislang aber von allen Siedlem 
gemeinsam bewohnt worden war. »Die anderen haben alle auf dem Dachboden im 
Heu geschlafen N einen Keller hatten wir ja nicht, dafür stand das Grundwasser zu 
hoch.« Der Wohnraum wurde der Familie Kutschke und einer weiteren 
»zugesprochen«; über den Prozeß dieser »Besitzübertragung« ist nichts bekannt. 
Der Vorgang führte aber dazu, daß sich die übrigen Siedler im Verlauf des 
nächsten Jahres von der »Freien Erde« zurückzogen. Im August 1923 schrieb ein 
enttäuschter Sympathisant der ursprünglichen Siedlungsidee ein sarkastisches 
»Märchen« in der »Schöpfung«. Dort hieß es u.a.: 

Vor langer, langer Zeit machte die Menschheit eine Zeit durch, die man die 


kapitalistische nannte. Es waren nicht alle Menschen Kapitalisten, sogenannte 
reiche Leute, sondern nur ein Zehntel, während neun Zehntel arme Leute waren. 


281 


Die armen Leute waren Menschen, die für die reichen arbeiteten und dafür als 
Belohnung so viel Mittel bekamen, daß sie eben davon leben konnten. 

Durch die vielen Enbehrungen kam ein kleiner Teil der armen Leute zum Nach- 
denken, und sie berieten, wie dies anders zu gestalten wäre. Diese nannte man 
Revolutionäre. Innerhalb dieses kleinen Kreises kam man zu dem Entschluß, sich 
auf einem Ödland niederzulassen. Dieses sollte bebaut werden, damit für die 
Brüder in der nahen Stadt Landerzeugnisse geschaffen würden, die man bisher bei 
den Kapitalisten kaufen mußte. Und so geschah es. 

Einige Beherzte zogen hinaus, bauten sich eine Lehmhütte und fmgen mit viel 
Mühe an, das Ödland zu bearbeiten. Es fanden sich viele Begünstiger dieses. 
Werkes, das man Siedlung nannte. Sonntags, wenn nicht für die Kapitalisten 
gearbeitet wurde, zogen sie hinaus zur Siedlung, mit allerlei notwendigen Ge- 
brauchsgegenständen beladen, wie Hammer, Beile, Sägen, Nägel, Backsteine, 
Draht usw., die den Siedlern für ihre schwierigen Arbeiten zur Verfügung gestellt 
wurden... 

So gedieh nun diese Siedlung, welche mit soviel Feuer und Liebe begonnen wurde, 
sehr schnell. Aus einer Lehmhütte wurde ein Haus, und alle die... mitgeholfen... 
hatten, hatten ihre Freude daran. Die dort erzeugten Lebensmittel sollten an eine 
Vermittlungsstelle, eine sogenannte Arbeiterbörse zur Verteilung gegen geringes 
Geld abgegeben werden... Das konnte aber erst nach langer Arbeit möglich sein. Im 
Laufe der Zeit kam es nun zu Streitigkeiten unter den sogenannten Siedlern, und 
man spaltete sich, weil damals noch Gesetze zum Schutze des Privateigentums 
bestanden, in Gesetzesanhänger und Gesetzesverächter. In diesem Stieit zogen die 
Gesetzesverächter den kürzeren und trennten sich von ihren Kameraden.... Im Laufe 
der Zeit geschah es, daß eine kleine Gruppe... das Werk, dem sie Unterstützung 
gewährt hatte, besichtigen wollte. Aber wehe, auf dem Gelände, wo man Volksfeste 
gefeiert... und revolutionäre Lieder gesungen hatte, wehte jetzt ein anderer Geist. 
Den Draht, der geschenkt worden, hatte man gebraucht um einen Zaun zu errichten, 
vor dem Halt geboten wurde ... Das schöne Haus war dem ermordeten Revolutionär 
und Kämpfer Gustav Landauer gewidmet! Wenn er's gewußt hätte! Die Siedlung 
nannte man Freie Erde.(31) 


Solche pauschale Abstempelung der verbliebenen Siedlerfamilien zu »Gesetzes- 
anhängern« war die anarchistische Entsprechung des syndikalistischen Vorwurfs 
der »Verbürgerlichung« und des Rückzugs vom gewerkschaftlichen Kampf. 
Zumindest die Familie Kutschke, die in den folgenden Jahrzehnten auf der 
»Freien Erde« lebte und arbeitete, blieb dennoch in Verbindung zur FAUD. Neben 
der Errungenschaft des neuen Hauses und des urbar gemachten Bodens, der eine 
ärmliche Selbstversorgung mit Gemüse und Getreide gestattete, blieb die »Freie 
Erde« Anlauf-, Erholungs- und Diskussionszentrum für viele Anarcho-S yndika- 
listen und andere »kritische Geister«. Das Haus selbst bekam während der Nazizeit 
noch einmal eine wichtige Bedeutung. Die SA maß der abgelegenen Siedlung, wo 
inzwischen 7 weitere Häuser auf gekauftem Boden legal entstanden waren, keine 
Bedeutung bei, zumal die Marmortafel »im Geiste Gustav Landauers« 
vorsichtshalber überputzt worden war. Hier wurde im Winter 1944/45 die Jüdin 
Martha Gabelmann, Frau eines gleichnamigen Arztes an den Städtischen Kliniken 
Düsseldorfs, bis zum Sturz Hitlers versteckt gehalten. Ca. 6 Wochen vor 


282 


Kriegsende richteten die Kutschkes zusätzlich einen Dachverschlag für Gert 
Binder (Sohn von Ernst und Antonie Binder und Enkel Anton Rosinkes) in 
diesem Hause ein, der bis zum B. Mai 1945 hier verborgen, auf diese Weise 
der Einziehung zum »Volkssturm« entging.(32) 


Das Verhältnis zur FAUD 


Der anfängliche Siedlungsenthusiasmus unter vielen örtlichen Anarcho-Syndi- 
kalisten wich — möglicherweise auch im Zusammenhang mit den Differenzen 
unter den Siedlern selbst — bald einer Haltung der Skepsis und Distanz. Die 
wortreichen Würdigungen der »Freien Erde« in der anarcho-syndikalistischen 
Presse wurden weniger, die Spendenaufrufe der »Freien Erde« nach »Lebens- 
mitteln, Saatpflanzen, Baumaterialien aller Art, Holz, Kisten, Ziegelsteinen, 
Werkzeugen, Amboß, Feldschmiede...«(33) verhallten. 
Was aus den Kontakten zu den Kölner und Uerdinger Siedlergruppen und aus 
diesen selbst wurde, ist nicht bekannt. Über den zitierten Polizeibericht hinaus wird 
die Uerdinger Gruppe in der »Schöpfung« (13.83.21) und bei Theissen/ 
Walter/Wilhelms erwähnt. Ihnen zufolge waren auch die Uerdinger Siedler 
»militant« und wandten ebenfalls das Mittel der »Landbesetzungen« (34) an. Es 
kam allerdings in anderen frühen Zentren der FAUD wie Hamborn oder Mülheim/ 
Ruhr unseres Wissens nicht zu praktischen Siedlungsversuchen. 
Zwei möglicherweise durch die Freie Erde angeregte Siedlungsprojekte »Freie 
Erde Düsseldorf-Derendorf« und »Freie Siedler Duisburg-Hochfeld« (!) werden 
nur ein einziges Mal erwähnt.(35) In Düsseldorf ging die praktische Solidarität 
rasch zurück. Anfangs las man in der »Schöpfung« noch Entschuldigungen: 
..doch spielen hier wieder die Wegverhältnisse eine Rolle, denn wenn die 
Kollegen von ihren Arbeitsstätten nach Hause kommen und zu Mittag gegessen 
haben, so würde die zu leistende Arbeitszeitkaum eine Stunde betragen, da man 
dann schon wieder an den Rückmarsch denken müsse, da der Hin- und 
Rückmarsch ca. 4 Stunden in Anspruch nehmen würde. Das teure Fahrgeld der 
Straßenbahn kann keiner hierfür erschwingen.(36) 

Dies äußerte die Versammlung des stark anarchistischen »selbständigen 

Bezirks Bilk« in der FAUD — umso schlechter war es um die Unterstützung 

der mehr syndikalistisch orientierten FAUD-Mitglieder bestellt. 

In diesen Monaten entbrannte anhand der Siedlungsidee im »Syndikalist« und in 
der »Schöpfung« ein ähnlicher Streit wie in Fragen der Jugendbewegung: Sollte die 
FAUD mehr eine »Interessengemeinschaft« der letztlich gewerkschaftlichen 
Massenorganisation sein, oder eine »Ideengemeinschaft« auch kleiner, zur »Tat« 
entschlossener Grüppchen? Die Schriftleitung der »Schöpfung«, vor allem die 
beiden Redakteure, der frühere Bauarbeiter Fritz Köster und der Elberfelder 
Buchdrucker Heinrich Drewes, sympathisierten mit den Siedlern. Schon der 


283 


Name der Zeitung veriet ja Landauersches Gedankengut — sie hieß im Untertitel 
»Sozialrevolutionäres Organ für ein sozialistisches Neuland«. Desgleichen un- 
terstützen die Siedlung zunächst die »selbständigen Bezirke« Eller und Bilk, 
sowie die Gerresheimer Mitglieder der FAUD, die in der Regel zugleich in der 
anarchistischen FKAD organisiert waren.(37) In der Berliner GK hatten die 
Siedlungsbefürworter einen Verbündeten in Fritz Oerter. Ihnen gegenüber stand 
die Riege der alten S yndikalisten, in der Region repräsentiert durch Windhoff und 
Reuß, in Berlin durch Barwich, Winkler und Kater, für die die Siedlung »Spin- 
tisiererei« war.(38) 

Die letzte Richtung setzte sich durch—in Düsseldorf auch praktisch spürbar. Die 
Siedler blieben zunehmend auf sich selbst gestellt. Mangels Unterstützung wurden 
nach und nach all die hochfliegenden Pläne begraben, die —im Sinne des 
Konzepts der Arbeiterbörse — die »Freie Erde« zu einer »produktiven Genossen- 
schaft« ausbauen wollten. Eine zeitlang wurde die Idee noch hartnäckig verteidigt. 
Noch im August 1922 — längst war die Begrenztheit des Projekts offensichtlich; 
zu einem zweiten oder dritten Haus reichten Kräfte, Mittel und Rückhalt in der 
FAUD nicht aus; das angebaute Gemüse deckte knapp den Eigenbedarf — wurde 
in der »Schöpfung« von den Mitgliedern der Siedlung gefordert 


Jetzt hängt es von den Genossen in der FAUD ab, ob diese syndikalistische, 
gewerkschaftliche Organisation einen wirklichen Wert hat, als die einzig revolu- 
tionäre Organisation der Arbeiterschaft angesehen zu werden, oder ob sie nur 
einen Abklatsch der Zentralgewerkschaften darstellt, in der viel gequatscht..., 
doch wenn es kräftiges Handeln erfordert, versagt wird. Die Genossen der 
Siedlung werden... uns ihre Erzeugnisse unter Ausschaltung des 
Zwischenhandels zukommen lassen. Wer von den Genossen der FAUD irgend 
etwas braucht, was in der Siedlung erzeugt wird, hat es durch die Organisation zu 
beziehen. So ist augenblicklich ein Schuhmacher dort seßhaft. Dem Genossen 
muß das gesamte reparaturbedürftige Schuhwerk durch Annahmestellen in den 
Bezirken überwiesen werden,... daß sich dort noch mehr Schuhmacher etablieren 
können... Ebenso werden in nächster Zeit einige Schreiner mit Werkzeug dort 
ansiedeln, und es ist mit den Produkten derselben genauso zuverfahren... Das ist 
Aufg abe der Arbeiterbörse... !(39) 


Daß die Siedler der »Freien Erde« schon im Oktober 1921 die praktische 
Distanz der »Organisation« zu bemängeln hatten, und sich gegen den Vorwurf 
der »Verbürgerlichung« wehren mußten, zeigt ein Artikel eines Mitgliedes der 
Siedlung. Dort heißt es: 
Sorgen müssen wir natürlich dafür, daß die Siedlerbewegung nicht in das bürger- 
liche Fahrwasser gerät. Verhindern können wir das, wenn wir als Organisation 
Träger der Siedlerbewegung werden.(40) 
Der Autor, der von Anfang an der Siedlung beteiligte Bauarbeiter Hans 
Fröhlich, weist die Ansicht zurück, »daß gewartet werden müsse, bis wir zur 
Expropriation schreiten können«, betont den »Aufklärungswert des 
Siedlungsbeispiels«, wenn er fortfährt: 
Verlangt man das, so kann ebenso gut verlangt werden, daß unsere Presse und 


284 


ganze Literatur, die für Aufklärung zu sorgen hat, zurückgestellt wird, bis die 
Zeit der Expropriation gekommen ist. 
Der Artikel schließt mit der Beschwörung des bevorstehenden 13.FAUD-Kon- 
gresses, »diese Frage voll zu würdigen«. Und Fröhlich zitiert aus dem »Lied 
des Trutzes«, das eine Art »Erkennungsmelodie« der Düsseldorfer Anarcho- 
Syndi-kalisten und ihrer »Freien Sänger-Gemeinschaft« war: 
Beherzigt die Worte... der wunderbaren Komposition des Liedes von P. Ortmann: 
Es lebt noch eine Flamme, 
es grünt noch eine Saat, 
verzage nicht noch bange, 
Im Anfang war die Tat. 
Der Kongreß kam nicht zu einer »Würdigung« der Siedlungsfrage im Sinne 
der Unterstützung anarcho-syndikalistischer Siedlungen »als Organisation«. 
Dies schnitt den Siedlungen den praktischen Hintergrund ihrer auf die 
Arbeiterbörsen bezogenen Gedanken ab. Die extensive Idee der Arbeiterbörse 
blieb noch eine zeitlang das Rechtfertigungsmuster für die Siedler, ehe diese 
begannen, sich mit dem Zerbrechen ihrer Träume und mit ihrer Isolation 
abzufinden. Ein später, schon resignierter Artikel resümmiert: 
Die in der Siedlung »Freie Erde« tätigen Genossen haben Verbindungen für eine 
ArbeitsgemeinschaftmitdenStadtgenossengesucht. Sie wandtensich vor 1 ängerer 
Zeit an die Börse. Doch...besitzt man dort heute noch nicht das Verständnis für 
praktische Arbeiten... Die Siedlergruppe... ist jetzt ein eingetragener produktiv- 
genossenschaftlicher Verein mit der Aufgabe, im anarchistisch-kommunistischen 


Sinne Länderstrecken zu bebauen, urbar zu machen, überhaupt so zuarbeiten und 
leben zu lernen, als sei die soziale Revolution schon gewesen.(41) 


Was blieb war eine Idee, ein Haus, zwei Familien in bescheidenster Autarkie, ein 
Treffpunkt — obwohl die »soziale Revolution« ausgeblieben war. 


Genossenschaftliche Versuche 


Die rheinisch-bergischen Anarcho-Syndikalisten haben sich während ihrer ge- 
samten legalen Geschichte von 1918 bis 1933 immer wieder um genossenschaft- 
liche Zusammenschlüsse bemüht. Zum einen waren viele von ihnen —kritische 
— Mitglieder in den sozialdemokratischen Konsum- oder Baugenossenschaften. 
Anton Rosinke z.B. Schmied in der »Düsseldorfer Waggonfabrik (Düwaggon)«, 
war aufgrund seines hohen Ansehens in der Düsseldorfer Arbeiterschaft nicht nur 
der einzige Anarcho-Syndikalist, der in diesem Betrieb Beschäftigung fand, 
obwohl die »Einstellung« der »Düwaggon«-Arbeiter vom deutschen Metallar- 
beiterverband bestimmt wurde — er war auch mit seiner Familie Mitglied der 
sozialdemokratisch-kommunistischen Baugenossenschaft »Siedlung Freiheit«, 
mit der sich Anfang der 20er Jahre vor allem die »Düwaggon«-Beschäftigten eine 
ausgedehnte Arbeitersiedlung in Düsseldorf-Vennhausen errichteten. 


285 


Zum anderen gab es eigene anarcho-syndikalistische Genossenschaftsexperimente, 
von denen nur wenige bruchstückhaft bekannt sind. Der größte und bedeutendste 
derartige Versuch war die Einrichtung einer Fleischgenossenschaft in Dülken, die 
später mit einer Baugenossenschaftkombiniert wurde. Von der sehr aktiven 
Dülkener Ortsgruppe der FAUD und der PAB Rheinland unterstützt, wurde der 
Betrieb des selbständigen anarcho-syndikalistischen Fleischermeisters Hermann 
Dortans ab Mitte der 20er Jahre vergrößert und begann, mithilfe zusätzlicher, 
minimal entlohnter Feierabendarbeit von FAUD- und SAJD-Ge-nossen, die 
Mehrproduktion über den örtlichen Bedarf hinaus. Entsprechend der 
Anforderungen aus den einzelnen Ortsgruppen und Industrieföderationen wurde 
bis Krefeld, Düsseldorf und Elberfeld geliefert, unter Ausschaltung des Zwi- 
schenhandels — jedoch auf der Basis umfangreicher »Selbstausbeutung« der 
anarcho-syndikalistischen Helfer, die fast unbezahlt die Produktion und gänzlich 
ohne Entlohnung die Verteilung der Produkte übernahmen. Dieses System 
funktionierte bis 1933 — u.a. waren auch Wuppertaler SAJD-Mitglieder als 
Mitarbeiter und Lieferanten tätig, wobei die Lieferungsfahrten mitunter mit 
Fahrrädern(!) häufig an Kurierfahrten zwischen den Gruppen gekoppelt waren. 

Die Dülkener FAUD-Gruppe um Dortans begann daneben, ab 1926 in einer 
eigenen, anarcho-syndikalistischen Baugenossenschaft aus 10 Gewissen mit dem 
Bau 2-stöckiger Wohnhäuser auf legal erworbenem Baugrund. Es entstanden 2 
Häuserblocks mit insgesamt 10 Häusern. Offensichtlich war die Blockbauweise 
nicht nur aus architektonischen und finanziellen Gründen, sondern auch aus 
ideologischen gewählt worden. In einer Leserbriefdiskussion im »Syndikalist« 
über »Proletarische Wohnkultur« wurden solche Wohnblocks im Sinne engerer 
Gemeinschaft und »gegenseitiger Hilfe« gefordert (42) —dies liegt auf einer 
Line mit der Theorie und Praxis vieler sozialistischer 
Wohnungsbaugenossenschaften der damaligen Zeit. 

Auch die Dülkener Gruppe hatte sich mit massiven »Verbürgerlichungs«- 
Vorwürfen aus den Reihen der übrigen FAUD auseinanderzusetzen, denen 
Dortans 1929 in einem glänzenden Artikel (»Experimentalsozialismus«) im 
»Syndikalist« antwortet. Einige Passagen darauswerfen ein Licht auf die Argu- 
mentation, den Zustand innerhalb der FAUD. So meint Dortans,(43) 

...daß in der Andenmg derBauart kein Klassenkapmf gesehen werden kann. Das 
ist Sache des Geschmacks und des einzelnen Menschen... Wir würden in diesem 
Stil (B lockbauweise) nicht mehr bauen, da die Erfahrung gezeigt hat, daß das 
ideale Wohnhaus das kleine aber doch geräumige Einfamilienhaus ist. 
Dortans sieht die Garantie gegen das Abgleiten ins »reformistische« 
Fahrwasser nicht in organisatorisch-technischen Festlegungen des äußeren 
Rahmens »sozialistischer Wohnkultur«. Ihm zufolge bedürfe es 
..zur Lösung solcher Dinge Menschen, Menschen und noch mal Menschen. 


Eigentlich setzt der Sozialismus überhaupt Menschen voraus. Wenigstens die 
müssen ganze sein, die den Stoßtrupp bilden. 


286 


Raffiniert vermag er, dem Vorwurf der Verbürgerlichung zu entgehen: 
Wie sollte es auch um die Sache der Menschheit bestellt sein, wenn alle ohne 
Ausnahme nicht mehr einem solchen dummen Häuschen standhalten könnten? 
Gewiß, nochmals sei es betont, die Gefahren sind groß, die Verhältnisse stark, doch 
wenn diese kleine Prüfung nicht bestanden wird, dann ist der Sozialismus, dann ist 
der Anarchosyndikalismus eine Utopie und läßt sich niemals verwirklichen. 
Es erweist sich, daß der einzige Baugenosse, der zugleich »Revolutionär« 
geblieben ist und die Anforderungen anarchosyndikalistischer Kritik erfüllt, 
Dortans selber ist. Es vermittelte einiges von dem ideologischen Druck, der auch 
innerhalb der FAUD herrschte, wenn Dortans berichtet: 
Es muß überhaupt betont werden, daß man bei uns von einer wirklich sozialisti- 
schen Wohnkultur nicht reden darf. Wohl bauten wir die Häuser genossenschaft- 
lich, schalteten Unternehmer, Poliere und Autoritäten aus, arbeiteten gemein- 
schaftlich bis zur Fertigstellung der Häuser, dann bezog jeder sein ihm durch Los 
zufallendes Haus und schalteteund waltete darinnach seinem Gutdünken. Von den 
10 Genossen, die damals mit begannen, diese Häuser zu bauen, gehören heute nur 
noch zwei der Bewegung an... einige wurden auch von uns ausgeschlossen. 
Und als müßte er klarstellen, daß er nicht zu den »Höhlenbewohnern« der »Freien 
Erde« zählt, folgt der Abgrenzung nach »rechts« eine nach »links«: 
Man bedenke nämlich, daß es nicht Holzbaracken oder Erdhöhlenwohnungen 
waren, die gebaut wurden, sondern zweistöckige Häuser. 
Auch wenn Dortans sich hier sehr eigennützig als »aufrechter« Anarchosyndi- 
kalist herausstellt, muß erwähnt werden, daß er in den folgenden Jahren tatsäch- 
lich versuchte, für seine Person einzulösen, waser als Doppelanspruch forderte: 
Der Klassenkampf wird dadurch (durch die sozialistischen Experimente) nicht 
aufgehoben, die revolutionäre Tätigkeit hat hier nicht auszusetzen. 
Hermann Dortans blieb einer der rührigsten Organisatoren der FAUD in der 
gesamten Region und wurde im illegalen Widerstand gegen die Nazis einer 
der wichtigsten Anlaufpunkte für Genossen, die auf der Flucht waren. Hier 
wurde praktisch von Wert, was er in jenem Artikel 1929 formuliert hatte: 
Dann kommt als sonstiges hinzu, daß die eigenen Heime auch manchmal sehr, sehr 
gute Dienste leisten könnten für eine revolutionäre Bewegung. Flüchtigen Genos- 
sen gewährt man Obdach, wie man es selbst will... 
Dortans brachte viel antifaschistische Verfolgte von seinem Haus aus persönlich 
unter Lebensgefahr über die Fluchtlinie der FAUD über die holländosche Grenze. 
Er wurde im »Syndikalistenprozeß« zu 2 1/2-Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach 
1945 trat er der SPD bei und wurde Bürgermeister von Dülken. 


Weitere genossenschaftliche Zusammenschlüsse von Anarcho-Syndikalisten 
werden aus Krefeld und Düsseldorf-Stockum berichtet. In Krefeld, wo die FAUD 
1929 noch 4 Industrieföderationen (44) hatte, wurde in den Ortsgruppen Krefeld- 
Oppum, Bochum und Linn eine Konsumgenossenschaft eingerichtet, die im 
August 1929 unter dem Namen »Frei Wirtschaftliche Arbeiterbörse« gegründet 
wurde. Über ihr Schicksal ist nichts Näheres bekannt. In Stockum errichteten in 
den Jahren 1932-34 anarcho-syndikalistische Arbeitslose eine eigene Siedlung 
»am Haidhügel«, die» ca. 15 Häuser« zustandebrachte. 


1) 
2) 
3) 


4) 
5) 


6) 


7) 
8) 


9) 


10) 
11) 


12) 
13) 
14) 
15) 
16) 


17) 
21) 


287 
Anmerkungen Kapitel VII 


Linse, Ulrich: Die Kommune der deutschen Jugendbewegung, München 1973 
Landauer, Gustav: Aufruf zum Sozialismus, S.107 

Landauer, Gustav: Vom Sozialismus zur Siedlung (Oktober 1915, zit. nach: 
Gustav Heineke:Fräihe Kommunen in Deutschland — Versuche neuen 
Zusammenlebens, Herford 1978 

Linse, Ulrich: Die Transformation der Gesellschaft, S.222 

Landauer, Gustav: Aufruf zum Sozialismus, S.94; Landauer kritisierte auch 
stellenweise die Idee des gewerkschaftlichen Interessenkampfes: »Der Arbeiter 
schlägt zu, schlägt wie durch ein durchlässiges Scheingebilde hindurch und trifft 
sich selbst.« (S.120) 

»... der deshalb auf Betreiben konservativer Kräfte die Mittel entzogen wurden: 
Unter dieser Forderung schrieb 1919 die DüsseldorferZeitung, es sei 
»Charlatanerie, Landauer und die Masken vom Vorwurf des Anarchismus zu 
entlastenzuversuchen«. Sie nannte die »Masken« ein »anarchistisches Kampforgan« 
und einen »Schrittmacher für weitere politische Zersetzung«; in: HSTA Düss., Reg. 
Düss., Nr.47326 

Kalz, Wolf: Gustav Landauer, S.69 

Mühsam, Erich: Landauers Aufruf zum Sozialismus, zit. nach: G. Heineke: 
Frühe Kommunen, S.29. Es ist durchaus wahrscheinlich, daß Landauer unter 
dem Eindruck der Novemberrevolution auch sofortige gesellschaftliche 
Umwälzungen großen Stils fürdurchführbarhielt—seine energische Beteiligung 
anderMünchner Räterepublik zeigte ihn nicht in »Illusionen« und »Grenzen« 
antikapitalistischer Siedlungsinseln befangen, wie Fähnders/Rector, Bd.1, S.156 
glauben machen wollen. 

Fähnders/Rector,Bd.1, S.150-159 undUlrich Linse: Zurück o Mensch zur 
Mutter Erde, München 1983, S.102-126 

Linse, Die Transformation, S.223 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.143. Außerdem der interessante Vermerk in der 
Schöpfung Jg.3 (1923), Nr.39, daß die Arbeiterbörse Elberfeld sich »entrüstet« 
dagegen wandte, daß der »Syndikalist« einen Aufruf des »Volkslandbundes Köln« 
nicht abdrucken wollte. »Wir fordern den Syndikalist auf, den Kölner Aufruf nicht 
zu sabotieren, andernfalls wir die Konsequenzen ziehen müßten.« 

Aufruf des Volkslandbundes Köln, in: Der freie Arbeiter (1922), Nr.15 

Linse, Die Transformation, S.224 

ebenda 

HSTA Düss., Reg. Düss. Nr.15938 

J. Müller, G. Möller, falls nicht anders angegeben beziehen sich die folgenden 


Ausführungen auf das Interview mit J. Müller, der Tochter des Siedlungsgründers. 


Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.18 
Auch 1972 fiel das Haus nicht von selbst zusammen. Es wurde trotz vieler Proteste 
abgerissen. Waldemar und Anna Kutschke waren bereits gestorben, ihre Tochter 


288 


22) 
23) 
24) 
25) 


26) 
27) 


28) 
29) 
30) 
31) 
32) 
33) 
34) 
35) 
36) 
37) 
38) 


39) 
40) 
41) 
42) 
43) 
44) 


45) 


lebte aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr hier. Die B es itzverhältnisse waren 
unklar. Bis zum Schluß hatte ein »alternativer« Geist dieses Haus begleitet: von 
1969 bis 1970 war dortein antiautoritärer Kinderladenbetrieben worden,undeiner 
geplanten Besetzung des Hauses durch jugendliche Bewohner der Siedlung 
»Freiheit« in Düsseldorf-Vennhausen kam der Abriß nur knapp zuvor. 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.18 

Die Schöpfung, Jg.3 (1923), Nr.12 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.10 

Becker, Georg: Die Siedlung der deutschen Jugendbewegung, Diss. Köln 
1930, S.59 - zit. nach G. Heineke: Frühe Kommunen, S.58 und nach W. 
Matull: Der Freiheit eine Gasse, S.62 

Becker, $S.58 

Stadtchronik Düsseldorf, Bericht des Liegenschaftsamtes, nach Angaben von 
J. Müller 

Linse, Ulrich: Brief an Dieter Nelles; Linse erwähnt auch Dr. Goldberg. 

Die Schöpfung, Jg.3 (1923), Nr.12 

Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.18 

Die Schöpfung, Jg.3 (1923), Nr.7 

A. Binder, J. Müller; vgl. Matull, S.62 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.44 

Theissen, R.u.a.: Anarchistisch-Syndikalistischer Widerstand, S.80 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.37 und 16 

Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.18 

Linse, Die Transformation, S.344, Fußnote 244; sowie Aussage A. Binder 
Kater, Fritz: Der Syndikalist, Jg.3(1921), Nr.65; sowie auf dem 13. Kongreß der 
FAUD -neben dem Kongreßprotokoll u.a dokumentiert in: »Correspondenzblatt 
des ADGB«, Jg.1921, S.652, im Archiv des DGB Düsseldorf. 

Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.7 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.70 

Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.21 

Der Syndikalist, Jg.11 (1929), Nr.14 

Der Sybdikalist, Jg.11 (1929), Nr.19 

Theissen u.a., S.79. Die Föderation der »Metallarbeiter, Textilarbeiter, Band- 
und Gummiweber sowie Fliesenleger«. 

ebenda, S.79; Th. de Haan (Krefeld) 





289 
Kapitel VII 
»Sind anarchistische Frauenbünde 
notwendig?« 
oder 
»Wie weiblich ist die Anarchie?« 


1. Frauen in der Männerbewegung 


Im Zuge der Entwicklung des Kapitalismus wurden auch in Deutschland im 
Verlauf des 19. Jahrhunderts die Frauen in immer größerer Zahl dem industriellen 
Produktionsprozeß unterworfen — zusätzlich zu den Männern und zT. in Kon- 
kurrenz zu ihnen, oft von den Unternehmern, als »industrielle Reservearmee« 
gegen die männlichen Kollegen ausgespielt. Brachte dies bereits eine starke 
Doppelbelastung für die proletarischen Frauen mit sich, die in der Regel weiterhin 
allein für die Haus- und Familienarbeit und die Erziehung der Kinder zu sorgen 
hatten, so erhöhten sich die Anforderungen im Umkreis der organisierten Arbei- 
terbewegung, und der Frauenbewegung: Die relativ wenigen Arbeiterinnen, die 
sich in den Gewerkschaften und in der SPD, später auch in der FAUD oder der 
KPD usw. organisierten, hatten nun noch mehr Belastungen zu tragen. So waren es 
nicht nur wenige, sondern meist auch nur bestimmte Frauen, die aktiv in den 
Arbeiterorganisationen und in der Frauenbewegung in Erscheinung traten. 
Jene Frauen, die in der Zeit zwischen den Weltkriegen z.B. in der KPD Funktionen 
übernahmen, waren fast ausnahmslos alleinstehend, unverheiratet, geschieden, 
kinderlos oder hatten zumindest nicht mehr als zwei Kinder... Im progressiven Flügel 
der bürgerlichen Frauenbewegung sah es nicht viel anders aus...(1) 
Diese Sätze von Ernst Bornemann treffen auch auf den Anarcho-Syndikalismus 
zu: Waren überhaupt nur verschwindend wenige Frauen anarcho-syndikalistisch 
organisiert, so traten nur einzelne namentlich bekannte Anarchosyndikalistinnen 
aktiv und öffentlich in Erscheinung. Sie entsprachen exakt und ausnahmslos dem 
oben beschriebenen Typ. 

Was Bornemann weiter für die SPD und KPD feststellt, muß auch auf einen 
großen Teil der Anarcho-Syndikalisten ausgedehnt werden: »Mit verblüffender 
Blindheit (wurde übersehen), daß die Hausarbeit erwerbstätigen Frauen keineZeit 
für politische Arbeit läßt, außer wenn die Männer ihren Frauen im Haushalt 


290 


halfen. Aber eben diese Frage stand niemals im Kernpunkt der parteilichen 
Auseinandersetzuungen, weder in der SPD noch in der KPD.«(2) 

Unter den Anarcho-Syndikalisten wurde »diese Frage« immerhin eine kurze 
Zeit zum »Kernpunkt« der Auseinandersetzungen — d.h. sie wurde von anarcho- 
syndikalistischen Frauen und vereinzelten Männern gegen den Widerstand des 
größeren Teils der Bewegung dazu gemacht. In der anarcho-syndikalistischen 
Presse häuften sich in den frühen 20er Jahren weibliche Klagen über die Männer, 
die die Beteiligung ihrer Frauen und Töchter an jeglicher (!) anarcho-syndika- 
listischen Organisation »sabotierten«.(3) Z.B. schrieb die »Schöpfung« über eine 
Frauenversammlung im Düsseldorfer FAUD-Bezirk Flingern: 

Auch hier kam man dem Ruf der Frauenbünde nach... Es erschienen 124 

Männer, doch nur 21 Frauen. Männer, die sonst die Weltumstürzen wollen, sind 

nicht fähig, für nur 2 Stunden die Frauen zu vertreten. Aber über die Frauen zu 

schulmeistern, verstehen sie ausgezeichnet. (4) 
Dieser Artikel war — ausnahmsweise von einem Mann geschrieben. Häufiger als 
solche tiefergehenden (Selbst-)Anklagen waren jedoch männliche Aufforderun- 
gen wie jene »an die Arbeiterfrauen Ratingens«, wo es hieß: 

Ihr sollt... euer unwürdiges Los... in Gemeinschaft mit dem Manne abschütteln. 

(Kommt) zur Versammlung aller Frauen und Töchter unserer syndikalistischen 

Genossen ... Es ist Pflicht eines jeden Genossen, seine Frau, Tochter oder 

Schwester in diese Versammlung zu schicken.(5) 
Überwiegend zeigte sich unter den rheinisch-bergischen Anarcho-Syndikalisten in 
der Praxis der gleiche »proletarische Antifeminismus«, der auch in den übrigen 
Arbeiterorganisationen »herrschte«. Dieser Begriff hat eine viel umfassendere 
Bedeutung, als seine Einführung durch Thönnessen nahelegt. Thönnessen be- 
schrieb damit zunächst vor allem zutreffend das ablehnende Verhältnis vieler 
Arbeiter zur Frauenarbeit in der Fabrik, das sich auch in der Politik der Sozial- 
demokratie und der Gewerkschaften in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts 
als totales Ignorieren der Frauenfrage niederschlug.(6) Hinter der ökonomischen 
Konkurrenz gegenüber Industriearbeiterinnen stand jedoch die Rollenzuweisung, 
die Frau gehöre an den häuslichen Herd. Dies war, übernommen von der Ideologie 
der bürgerlichen Familie, wie sie seit Romantik und Biedermeier in Deutschland 
gepflegt wurde, Gemeingut bürgerlicher und proletarischer Männer. In Arbeiter- 
familien bestanden jedoch in der Regel nicht die finanziellen »Polster«, die es 
manchen Frauen in bürgerlichen und adligen Familien gestatteten, ein Stück weit 
aus der erzwungenen Beschränkung auf »Küche, Kinder und Kirche« auszu- 
brechen, z.B. durch Hausangestellte. Die materielle Not war es, die den proleta- 
rischen Antifeminismus unverblümter und direkter zutage brachte als den der 
bürgerlichen Männer. Nicht zufällig war es u.a. wieder Schiller, der die »feindlichen 
Brüder« in dieser Frage vereinte. Nur unwesentlich verballhomt wurde an 
bürgerlichen und proletarischen Stammtischen »zitiert«: 

Ehre die Frauen, sie flechten und weben 





291 


Hemden und Hosen fürs männliche Leben. 
Viele Männer dürften derartige Sprüche noch nicht einmal bewußt zynisch 
gemeint haben — vielleicht faßten sie derlei sogar als echte »Ehrung« der 
Frauen auf, so wie sie sie haben wollten. 

Eine typische Auseinandersetzung in diesem Bereich hat E. Lucas 
dokumentiert. Er führt die »Lebenserinnerungen« des sozialdemokratischen 
Fabrikarbeiters Moritz Bromme (1905) an: 

Hier erfahren wir, daß Bromme und seine Frau sechs Kinder im Alter zwischen 10 
Jahren und 6 Monaten haben. Die Frau mußte mitverdienen; sie näht fehlerhafte 
Webwaren aus, nicht selten bis zum frühen Morgen. Da sei es, schreibt Bromme, 
»kein Wunder«, wenn oft erst die Betten Abends kurz vor dem Schlafengehen 
gemacht werden, obwohl ich oft und erregt darüber geschimpft habe. Die Frau 
antwortet mit Gegenvorwürfen: Du läufst die Woche 3,4 und 5 Abende in Partei- 
Verbands- oder Konsumvereinssitzungen, und alles kostet Geld, mir machst Du 
nichts weis... Andere Männer... helfen ihrer Frau viel mehr als Du, sehr selten 
bekommt man von Dir einen Eimer Wasser geholt. Da kommst Du abends heim, 
redest nicht mit mir, gibst nur kurze grobe Antworten, schreibst., liest, bis Du 
einschläfst und mir dann die halbe Nacht hindurch wieder eine Kugel voll Öl 
verbrannt hast. Das nennst Du Ehe. Die Partei und Deine guten Freunde, denen 
doch meist die Falschheit aus den Augen schaut, die gehen vor... (7) 


Solches war nicht auf die Vorkriegszeit und nicht auf das sozialdemokratische 
Milieubeschränkt—es kann als repräsentativ gerade für die Familien radikaler und 
engagierter Arbeiter gelten. Der Sohn des Elberfelder »Reichsredners derFAUD«, 
Hans Schmitz, berichtet von seinen Hausbesuchen bei anarcho-syndikalistischen 
Familien — er war als Kind bereits in der Hauskassierung und im Zeitungsverkauf 
tätig: 

Bei vielen wars schon nix, wenn die Frau zuhause war. Dann gabs keinen Pfennig — 

und oft war da »dicke Luft« wegen dem »Syndikalist« und der Mitgliedsbeiträge. 

Bei bestimmten Genossen, da bin ich nur hin, wenn ich wußte, die Frau ist nicht da. 
Nach den spärlichen Informationen, die vorliegen, haben wir es auch bei den 
meisten anarcho-syndikalistischen Familien im praktischen Alltag mit der ver- 
breiteten »Arbeitsteilung« zu tun: Er machte Politik, sie machte den Haushalt. 
Häufig waren die Frauen, vor allen Dingen die der älteren Anarcho-Syndikalisten, 
noch religiös oder entwickelten sich sogar in einzelnen Fällen aus Opposition 
gegen ihre Männer verstärkt in diese Richtung! 

Wurden die Frauen so in den meisten Arbeiterfamilien als bloße »Versorgungs- 
basis« angesehen, so sah man(n) sie in den Arbeiterorganisationen später zumeist 
bestenfalls als hilfreiche Randerscheinung — proletarische Frauenorganisationen, 
die sich auch um frauenspezifische Interessen kümmern wollten, wurden von allen 
Arbeiterparteien und Gewerkschaften einschließlich der FAUD ebenso 
argwöhnisch betrachtet wie die bürgerliche Frauenbewegung. 

»Eine nicht zu unterschätzende Hilfstruppe für die Partei«(8) sah etwa der 
Düsseldorfer SPD-Vorsitzende Peter Berten 1906 in den Frauen, und das war im 


292 


Rahmen der durchschnittlichen Parteilinie zu dieser Frage eine »progressive« 
Position. Bis 1908, als die Novelle des Reichsversammlungsgesetzes das poli- 
tische Betätigungsverbot für Frauen (nicht für Jugendliche) aufhob, waren der 
Arbeiterbewegung nahestehende Frauen zwangsläufig getrennt von der Sozial- 
demokratie organisiert. Die männliche Parteibasis der SPD in Düsseldorf, tradi- 
tionell »immer auf dem linken Flügel der Partei«, erwies sich als eine der 
»aufgeschlossensten« im Reichsgebiet — hier stieg der Frauenanteil der SPD von 
1908 bis 1914 von 11% auf 31%; im Jahre 1916 gab es in Düsseldorf bereits eine 
sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete, Lore Agnes.(10) 

Neben einigen weitsichtigen und weniger antifeministischen Partei- und 
Gewerkschaftsvertretern vertraten viele organisierte Männer den Aufruf, weibliche 
Mitglieder zu werben, häufig bloß in der Absicht, den »Hausfrieden« wieder 
herzustellen oder die Erziehung der Kinder zu »guten Sozialdemokraten«(11) 
respektive »guten Anarcho-Syndikalisten« zu sichern. M. Nolan faßt in ihrer 
Studie »Proletarischer Antifeminismus... am Beispiel der SPD-Ortsgruppe Düs- 
seldorf, 1890-1914« diese Haltung zusammen: »Vor allem wollten die Männer 
den negativen Einfluß der unpolitisierten Frauen neutralisieren, anstatt das 
Potential der Frauen zu mobilisieren.«(12) 

Diese Haltung änderte sich in der Weimarer Zeit nicht grundsätzlich und war bei 
allen Arbeiterorganisationen zu beobachten. Auch bei der KPD wurde bestenfalls 
für die Partei rekrutiert, autonome Frauenorganisierung wurde offiziell nicht 
gefördert. »Der Rote Frauen- und Mädchenbund« nahm in den ersten Jahren 
seines Entstehens nicht etwa deshalb einen Aufschwung, weil die Arbeiterinnen 
sich mittels einer Uniform emanzipieren wollten, sondern weil die Partei ihnen 
erlaubte, in der Fürstenenteignungskampagne (1924/25) weisungsfrei zu arbeiten. 
Danach verlor die Vereinigung wieder an Bedeutung.(13) 

Die von der bürgerlichen Frauenbewegung angeregte Diskussion um die — 
insbesondere sexuelle — Emanzipation der Frauen wurde unter den Anarcho- 
Syndikalisten von Anfang an, unter den Kommunisten (beeinflußt von Wilhelm 
Reich u.a.) ab ca. 1929 intensiv geführt; in der SPD wurde diese Frage überwiegend 
»links« liegengelassen. Es entstand unter maßgeblicher Mitarbeit von 
proletarischen Frauen die »sozialistische Sexualreformbewegung«, die »1931 mehr 
als 150 000 Mitglieder«(14) hatte. Von Seiten der KPD wurde ihre Förderung ab 
1932 wieder eingestellt, W. Reich wurde in diesem Zusammenhang aus der Partei 
ausgeschlossen. Viele proletarische Freidenker/-innen und Anar-cho-Syndikalisten 
waren hier aktiv, so unter anderem im »Bund entschiedener Sexualreformer«, der 
u.a. für  selbstbestimmte Geburtenkontrolle durch Verbreitung 
empfängnisverhütender Mittel, sowie für die Abschaffung der $$ 184 (Verbot von 
Schriften und Artikeln, die dem »unzüchtigen Gebrauch« dienten) und 218 
kämpfte. Viele rheinisch-bergische Anarcho-Syndikalist(inn)en waren darin 
führend tätig, namentlich u.a. Ernst und Antonie Binder, Anton Rosinke und 


293 


Johann Gerlach (Düsseldorf), Traudchen Caspers (Süchteln), Hans Schmitz, 
J. Steinacker, Paula Berger (Elberfeld) u.v.a. 

Angesichts der ungebrochenen gesellschaftlichen Dominanz des Mannes 
und anhaltender Mehrfachbelastung der proletarischen Frauen ist über die 
Sozialistische Sexualreformbewegung geschrieben worden, sie hätte zwar 
zweifellos verdienstvolle Aufklärung geleistet, jedoch 

unter dem Vorwand sexueller Befreiung die Arbeiterfrau noch tiefer versklavt 
als zuvor. Denn zu den bereits von ihr geleisteten 3 Tätigkeiten — im Haushalt, in 
der Fabrik, in der Partei, hat sie ihr zwei weitere aufgebürdet: Die als sexuelle 
Befriedigungsexpertin und die als »Partnerin« ihres Mannes.(15) 
Dies alles waren — weitgehend von Männern gesetzte — Bedingungen und 
Hemmnisse für die Organisation proletarischer Frauen. Für alle Bereiche der 
männlich beherrschten Arbeiterbewegung galt demnach, was Ulrike Prokop in 
ihrer Studie zum weiblichen Lebenszusammenhang feststellt: »Die Frau (ist) 
Objekt der Realisierung einer prinzipiell feststehenden Zielvorstellung... Dieses 
Zielerhält durch Abstraktion von wirklichen lebendigen Menschen und von deren 
Denken und Wollen eine falsche, entfremdete Komponente... Die verselbständigten 
Strategien sind nicht bereit, die realen historischen Konstellationen... und Interessen 
zu verarbeiten, vor allem aber nicht die Widerstände, die die alltägliche Wirklichkeit 
der Subjekte den Strategien entgegensetzt.(16) 

Entsprechend niedrig war insgesamt der Anteil der Frauen an linken Parteien 
und Gewerkschaftsverbänden. So zeigt die Mitgliederentwicklung der freien 
Gewerkschaften 1892 einen Anteil der weiblichen Mitglieder von 1,84%, 1914 
9,92% und erst 1915 (viele Männer waren im Krieg und eine wachsende Zahl 
von Frauen in der Kriegsproduktion neubeschäftigt!) steigt ihr Anteil sprunghaft 
auf 14,85%, erreicht im Jahre 1918 einen Höchststand von 25,11% um in den 
Weimarer Jahren wieder rapide zu sinken, bis auf 14,21% im Jahre 1930.(17) 

Eine weitere Vergleichszahl soll ein Beispiel für den Anteil der Frauen an der 
Gesamtzahl der Erwerbstätigen geben, und ist aufschlußreich gegenüber dem zu 
der Zeit noch immer von Männern vorgebrachten Argument, die Frauen hätten 
den Männern »die Arbeitsplätze weggenommen«. 

So gab es 1925, verglichen mit 1906, 4,3 Millionen mehr Frauen in der Bevölke- 
rung. Aber nur 2,9 Millionen mehr Frauen waren erwerbstätig (einschließlich der 
»mithelfenden Familienangehörigen«), während sich im gleichen Zeitraum die 
männliche Bevölkerung nur um 3,0 Millionen vergrößerte, nahm die Zahl der 
männlichen Beschäftigten um 3,8 Millionen zu.(18) 


Waren die proletarischen Frauen auch nur zu geringen Teilen gewerkschaftlich 
oder politisch organisiert, so waren sie doch ab Ende des 1. Weltkrieges ein 
bedeutender politischer Faktor. Der überwiegend konservativen Stimmabgabe der 
Frauen in den späten Jahren der Weimarer Republik (sowie einer zurückgehenden 
weiblichen Wahlbeteiligung) stand eine fast 80%ige Wahlbeteiligung der 
wahlberechtigten Frauen zur ersten Reichtagswahl nach 1918 gegenüber, (19) 


294 


in der die Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen »weitgehend links« wählten, nach 
Bornemann vorwiegend »MSPD und USPD — mit dem Wahlboykott der 
KPD (und der Anarcho-Syndikalisten) konnten sie nichts anfangen, da sie 
gemeinsam mit der ganzen Arbeiterklasse für das allgemeine Wahlrecht 
gekämpft hat-ten«.(20) 

Hier liegt zweifellos eine weitere Kluft gerade politisch interessierter Frauen zum 
Anarcho-Syndikalismus. Für die FAUD kam die Beteiligung am Parlamen- 
tarismus prinzipiell nicht in Frage, während der Boykott der ersten Reichstagswahl 
seitens der KPD eine Episode blieb: die Partei verstand es sehr bald, sich taktisch 
auf die Wahlberechtigung umzustellen. 

Darüberhinaus machten die proletarischen Frauen jedoch auf andere, 
eigene Weise »Politik«: 

Sie halfen sich gegenseitig beim Überleben, bei Totgeburten, Abtreibungen... 
Bei Teuerungswellen machten sie spontan »Krawalle«, stürmten 
Lebensmittelstände und Geschäfte, kauften zu selbstgesetzten Preisen ein oder 
eigneten sich das Notwendige ohne Bezahlung an... Das alles ohne Pläne, ohne 
Führer, ohne Organisation...(21) 
Die führende Beteiligung von Arbeiterfrauen an sogenannten Lebensmittelun- 
ruhen hat gerade mit ihrer direkten Ermährerrolle in der Familie zu tun. Beispiele 
solcher Kämpfe werden vor allem aus den letzten Jahren des 1.Weltkriegs be- 
richtet, in denen die proletarischen Frauen aufgrund ihrer Stellung als Muni- 
tionsarbeiterinnen u.ä. sowie infolge der Abwesenheit der Männer ein gestärktes 
Selbstbewußtsein hatten; außerdem aus der Inflationszeit 1923. R. Treiber erinnert 
sich etwa an den »Hungerwinter 1916/17«, als Frauen in der Düsseldorfer 
Rethelstraße die dortige Brotfabrik stürmten und das Brot nach Familien verteil- 
ten. »Da war auch die Lore Agnes anwesend, die hat aber nicht mitgemacht. Das 
war alles völlig spontan. Dann haben sie die Lore Agnes verhaftet, obwohl die 
doch Reichtagsabgeordnete war — dabei hatte sie damit wirklich nichts zu tun.« 

Diese spontanen Formen der »direkten Aktion« wurden von den Anarcho- 
Syndikalisten aktiv unterstützt und von vielen anarchosyndikalistischen Frauen 
und Männern initiiert. Hans Schmitz (jun.) berichtet von dem Teuerungsjahr 
1923: 

Es kam schon mal vor, daß wir Kinder abends wieder ausdem Bett geholt wurden. 
Da hatten die Frauen Brot oder Kartoffeln von irgendeinem Lebensmitteltransport 
abgefangen. Einmal gab's sogar ganz viel Geflügel —das mußte dann sehr schnell 
aufgegessen werden, damit es bei den Razzien der Polizei nicht bei uns gefunden 
wurde. 
Eine besondere Rolle spielten wiederholt die Frauen der Bergarbeiter, die, wie in 
Hamborn und Mülheim/Ruhr, zwischen 1919 und 1921 zu großen Teilen syndi- 
kalistisch organisiert waren. Über das Engagement der dortigen Frauen und die 
besondere Situation in den Zechenrevieren schrieb der Arbeiterschriftsteller 
Heinrich Teubert: 


In den Grubenrevieren arbeitet fast die ganze männliche Bevölkerung in den 


295 


Schächten. Haus an Haus, Wand an Wand wohnen die Bergleute, und ein Drittel von 
Ihnen ist immer in der Grube. Da trifft es sich, daß die Frau des Bergarbeiters zu fast 
jeder Stunde des Tages einen Angehörigen in Gefahr weiß — den Mann des 
Morgens, den Sohn nachmittags, den Bruder oder Vater in der Nachtschicht. Die 
Gemeinsamkeit der gleichen Sorgen schafft zwischen den Frauen der Bergleute ein 
Gemeinschaftsgefühl... Die räumliche Geschlossenheit der Grubenbezirke begünstigt 
die Solidarität der Frauen mit den streikenden und ausgesperrten Männern, die bei 
anderen, weitzerstreut wohnendenBerufsgruppen schwer zu erzielen ist. Nicht selten 
greifen die Frauen aktiv in die Kämpfe der Männer ein, erreichen als Streikposten 
undbei ähnlichen Anlässen häufig mehr als die Männer. Hierbei zeigt sich fast stets, 
daß die Frau, einmal von der Rechtlichkeit ihres Wollens durchdrungen, eine 
ungeheure Energie entwickelt und manchen Mann beschämt. Beim Ruhrstreik 1912 
wurden zahlreiche Frauen gerichtlich verurteilt — darunter zu Gefängnis — weil sie 
Streikbrecher verprügelt, mit Steinen beworfen und beleidigt haben sollen. Die 
Generalaussperrung der Ruhrbergleute im Mai 1924 sah ebenfalls ganze Kompanien 
weiblicher Streikposten aufziehen, wobei sie mit Stöcken bewaffnet die 
Arbeitswilligen auf Schleichwegen abfragen und nach Hause trieben. Zumal beim 
Wechsel der Nachtschicht sah es seltsam aus, wenn die Frauen mit brennenden 
Laternen aus ihren Dörfern angezogen kamen und die Zechen in weitem Umkreis 
umstellten.(22) 

Nicht nur über derartig militante Formen weiblicher Politik, sondern auch 

über die »unauffälligen« der weiblichen Nachbarschaftshilfe, Mitbetreuung 


der Kinder, Krankenpflege usw. schreibt Bornemann: 
Wenn die männliche Geschichtsschreibung davon so wenig weiß und darüber so 
wenig berichtet, so liegt das an einem männlichen Politikbegriff, der sich an den 
staatlich zugelassenen Organisationen orientiert und lediglich die für das Kapital 
profitbringende Produktionssphäre sieht, die Reproduktionssphäre, ohne die die 
Produktion nicht denkbar ist, jedoch schlicht als »privat« oder »unproduktiv« 
ignoriert.(23) 

Aus Geist und Anspruch der Anarcho-Syndikalisten wäre zu erwarten, daß sie 

autonomer weiblicher Politik aufgeschlossener begegnen würden, als die übrigen 

Arbeiterorganisationen. Tatsächlich kamen organisierte, unabhängige Zusam- 

menschlüsse anarcho-syndikalistischer Arbeiterfrauen nur eine kurze Zeitspanne 


lang und unter größten Schwierigkeiten aus den eigenen Reihen zustande. 


Anarchosyndikalistische Fraueninitiativen 


Bald nach der Gründung der FAUD wurde im ganzen Reichsgebiet die Frage nach 
anarcho-syndikalistischen Frauenorganisationen aufgeworfen. Ähnlich wie in der 
Jugendfrage standen sich zwei gegensätzliche Positionen gegenüber: Hier die bloße 
»Eingliederung« der Frauen in die überwiegend männlichen FAUD-Verbände — 
dort die weibliche Forderung nach autonomen »Frauenbünden«. Auch diese Frage 
konzentrierte sich in der rheinischen Region— neben Westfalen, Sachsen und 
Berlin. Der Streit um die weibliche Organisierung war jedoch noch von anderen 
Umständen geprägt als von der bloßen Männer-Frauen-Opposition. 


296 


Je nach Industrieregion waren es verschiedene Schichten proletarischer Frauen, die 
organisiert werden sollten oder selbst die Initiative ergriffen. So war z.B . in der 
niederrheinischen Textilindustrie mit dem Zentrum Krefeld (der Stadt von »Samt 
und Seide«) eine hohe Zahl typischer weiblicher Industrieberufe und -tätigkeiten 
vertreten, wie die Band-, Gummi- und Seidenweberinnen, die sehr früh stark 
syndikalistisch organisiert waren und am längsten zu den kampffähigen 
Verbänden der FAUD zählten. In diesen Betrieben waren die Männer oft weit in 
der Minderzahl. Umgekehrt war etwa Düsseldorf in hohem Grad von 
»männlichen« Industriezweigen bestimmt, u.a. Metall-, Stahl- und Bauindustrie. 
Die inden 20er Jahren in Düsseldorf rapide zunehmenden Angestelltenberufe, in 
denen überwiegend Frauen beschäftigt waren, sind unseres Wissens nicht zur 
nennenswerten Basis anarcho-syndikalistischer Fraueninitativen geworden — aus 
Düsseldorf sind ganze zwei — männliche — Angestellte der FAUD bekannt 
geworden: Der kaufmännische Angestellte B. Schmithals und der Buchhalter 
Ernst Binder, welcher wohl der einzige Anarcho-Syndikalist Düsseldorfs war, der 
im Schwalbenschwanz und mit steifem Hut zur Arbeit ging.(24) 

In solchen Städten stellte sich verstärkt die Frage, wie die proletarischen 
Hausfrauen, Dienstmädchen u.ä. sich organisieren sollten. Diese berufsspezifische 
Besonderheit unterstützte vorhandene fern inistische Positionen, die eine gesonderte 
Frauenorganisation forderten. 

Die Ideen eines proletarischen Feminismus, die unter rheinischen 
Anarchosyndikalistinnen wirksam waren, stützen sich zum einen auf die 
alltäglichen Erfahrungen, die diese Frauen mit dem »kapitalistischen System« und 
mit den Männern in Beruf undFamilie machten. Zum anderen waren sie von 
entsprechenden Ideen der bedeutenden Anarchistin Emma Goldman beeinflußt, 
deren Aufsätze u.a. in der »Schöpfung« veröffentlicht wurden. Weitere 
anarchistische und frühsozialistische Einflüsse, die neben dem gemeinsamen 
Kampf mit den Männern die separate Emanzipation der Frau betonten, waren etwa 
Erich Mühsam, Francisco Ferrer oder Charles Fourier, der »die Befreiung der Frau« 
zum »Gradmesser der Befreiung der Gesellschaft« erklärt hatte. 

Daneben wurden Positionen der bürgerlichen und der sozialdemokratischen 
Frauenbewegung diskutiert — wiederholt wurde z.B. Helene Sticker und Ellen 
Key zitiert und die »Schöpfung« brachte des öfteren Artikel der USPD- 
Außenseiterin Lilly Braun. 

Überhaupt war »Die Schöpfung« im Zusammenhang mit der Frauenfrage von 
ähnlicher Bedeutung wie für die Siedler: Die »erste anarcho-syndikalistische 
Tageszeitung«, die ab 1. Juli 1921 in Düsseldorf erschien und nach fast einem Jahr 
bis Anfang September 1923 als Wochenzeitung bestand, ehe sie mangels Ver- 
breitung eingestellt werden mußte, war in starkem Maße das Organ der anarchi- 
stischen Opposition gegen die Berliner Geschäftskommission. Hier erschienen etwa 
zur Jugend-, Siedlungs- und Frauenfrage immer wieder solche Stellung- 


297 


nahmen, die im »Syndikalist« nicht abgedruckt wurden. 

Die anarcho-syndikalistischen Frauen fanden in der — männlichen —Redaktion 
der »Schöpfung« häufig die Bereitschaft, ihre Standpunkte zu veröffentlichen, ehe 
sie sich 1924 eine Frauenbeilage im »Syndikalist« erkämpften. Diese trug den 
Titel »Der Frauenbund« und bestand bis 1933. 

»Die Schöpfung« hatte eine eigene Frauenseite — die allerdings bezeichnen- 
derweise dem Feuilleton der Wochenendausgabe zugeordnet war. Neben Emma 
Goldman veröffentlichten hier die deutschen Anarchosyndikalistinnen Milly 
Wittkop-Rocker, Hertha Barwich u.a. Über den Redakteur Fritz Mister bestanden 
enge Verbindungen zu der Dresdener Frauenzeitung »Die Schaffende Frau«, die 
dort von Kösters Frau herausgegeben wurde. Außer zahlreichen politischen Ar- 
tikeln von Aimee Mister, Emma Goldman u.a. erschienen in der »Schöpfung« auch 
Frauengedichte sowie Näh- und Strickmodelle für preisgünstige Frauen- und 
Kinderkleider, die der »sozialistischen Frauen- und Modezeitung« entnommen 
waren, wie sich die »Schaffende Frau« nannte. 


Die Düsseldorfer Reichsfrauenkonferenz 


Die Idee selbständiger Frauenbünde schien zunächst Erfolg zu haben. In vielen 
Städten entstanden 1920/21 syndikalistische Frauenbünde (SFB), die sich zwar 
nicht auf große Mitgliederzahlen, aber auf starkes örtliches Engagement einzelner 
Frauen stützen konnten. Im Jahre 1921 — noch bestimmten Optimismus und 
organisatorische Ausdifferenzierung die junge anarcho-syndikalistische Bewegung 
— fand am 15. Oktober in Düsseldorf die » 1. Reichskonferenz der 
syndikalistischen Frauenbünde« statt, unmittelbar vor dem 13. Kongreß der FAUD. 
Aus der rheinisch-bergischen Region waren auf dieser Konferenz folgende 
Ortsgruppen vertreten: 


Düsseldorf (ohne Mitgliederangabe) 
Mülheim/Ruhr 55 Frauen 
Friemersheim 21 Frauen 
Duisburg 20 Frauen 
Wiesdorf (ohne Mitgliederangabe) 
Essen (ohne Mitgliederangabe) 
Krefeld (ohne Mitgliederangabe) 
Bochum (ohne Mitgliederangabe) 


Die rheinischen Gruppen waren hier überproportional vertreten, denn »eine ganze 
Reihe von Frauenbünden in Nord- und Süddeutschland konnten der hohen Kosten 
wegen Vertreterinnen nicht senden.« Außer den genannten Gruppen waren Frauen 
aus Berlin (3 Frauenbünde mit 208, 104 und 26 Mitgliedern), Stettin, 


298 


Erfurt und Schweinfurt vertreten. Daß hier keine Frauen aus Elberfeld und den 
westfälischen Städten auftrtaten, die keine so weite Anreise hatten, könnte 
bedeuten, daß es hier (noch) keine Frauenbünde gab. Aus Elberfeld ist während 
der ganzen anarcho-syndikalistischen Zeit nichts entsprechendes bekannt — die 
Frauenbünde in Dortmund, Hörde, Mengede, Wattenscheid, Bergkamen, Husen, 
Witten und Dülken wurden erst 1923/24 gegründet.(26) Über die reichsweite 
Mitgliederzahl wurde auf dieser Konferenz angegeben, daß sie »augenblicklich 
auf 1000 stehen dürfte.«(27) 

Die Essener Vertreterin muß hier gesondert genannt werden. Es handelte sich 
um die Weberin Traudchen Berendonk, die nach ihrer Heirat mit dem Süchtelner 
Arbeiter Johann Caspers als Traudchen Caspers zur führenden anarchosyndika- 
listischen Gewerkschafterin und Feministin der Region wurde. 

Aus den einzelnen rheinischen Gruppen wurden folgende Aktivitäten der 
Frauenbünde berichtet: Engagement für die »Freie Schule«, Kindergruppen, 
Märchenvorstellungen und Spiele für Kinder, gegenseitige Hilfe bei Krankheit, 
Sexualaufklärung und die Diskussion über den Gebärstreik als weibliche Kampf- 
form gegen das Elend in der proletarischen Familie und um dem System kein 
»Kanonenfutter« für den nächsten Krieg zu liefern. 

Die Genossin Baumbach berichtet, daß die Gruppe Wiesdorf zur Hauptsache die 
gegenseitige Hilfe bei Krankheiten, Geburt- und Wochenpflege zur 
Durchführung zu bringen versucht. In diesen Fällen übernehmen die Mitglieder 
des Bundes die Sorge fürden Haushalt bzw. die Kinder. Die Genossin appelliert 
an alle Frauen, in diesem Sinne durch praktische Tat mit Liebe und Geduld die 
Sympathie der Arbeiterfrauen zu erobern.(28) 
Nur 2 Wochen nach der Konferenz, am 28.10.1921 wird von einer Veranstaltung 
des SFB Wiesdorf berichtet, die das Thema hatte: »Der Gebärstreik als Kultur- 
hebel«;(29) die Gruppe Friemersheim folgte mit demselben Thema am 
4.11.1921.(30) 

Die Düsseldorfer Delegierte Henriette Wörndl berichtete auf der Reichskon- 
ferenz von großen Schwierigkeiten des örtlichen Frauenbundes und »beklagte 
sich besonders darüber, daß sie von der Arbeiterbörse keine genügende Unter- 
stützung erhalten.«(31) 


Die Frauenkonferenz beschloß eine Resolution an den 13. Kongreß der FAUD, 
die zeigt, wie zu diesem Zeitpunkt von den Frauen das Verhältnis zwischen 
syndikalistischer Gewerkschaft und Frauenbünden bestimmt wurde. Unbestritten 
war von Seiten der anarcho-syndikalistischen Frauen, daß »gewerblich tätige 
Frauen und Mädchen... für die syndikalistischen Organisationen gewonnen 
werden müssen, damit sie durch die Mitarbeit innerhalb der Gewerkschaften zu 
Klassenkämpferinnen und Sozialistinnen sich heranbilden können.« Die Reso- 
lution fährt fort: 


Aber auch die Frauen und Töchter der Syndikalisten, die nicht als Lohnarbeiterinnen 
tätig sind, müssen für die Ideenwelt des Syndikalismus gewonnen werden. Der 


299 


13. Kongreß verpflichtet deshalb alle Genossen erneut, in allen Orten syndika- 
listische Frauenbünde ins Leben zu rufen... 
Wie sehr hierin schon der Keim der »eigentlichen«, separaten Frauenorganisation 
lag, zeigt folgender Zusatz, der von der Mitarbeit auch der Gewerkschafterinnen in 
den Frauenbünden ausging: 
Weibliche Mitglieder der Gewerkschaften der FAUD sollen ohne besondere 
Beitragsleistung in die Frauenbünde eingereiht werden, während gewerblich 
nicht tätige Frauen und Mädchen einen Monatsmindestbeitrag von 1.-Mark 
zahlen sollen. 
Eine eigene Frauenzeitung wurde als »verfrüht« abgelehnt, jedoch wurde eine 
Reichsföderation der Frauenbünde gegründet. Der Vertreter der Berliner GK, 
Hans Winkler, führte auf dieser Konferenz aus: 
...wie verschieden Mann und Frau geartet sind und wie schwer sich die beiden 
Geschlechter aus diesem Grunde verstehen können. Man könne infolgedessen nie 
von einer völligen Gleichheit reden und auch nie von einer Frau genau dieselben 
Leistungen des Mannes verlangen. Schon durch die Mutterschaft werden die 
stärksten Kräfte der Frau absorbiert. Die bürgerliche Frauenbewegung hat versagt, 
weil sie sich einerseits mit der Forderung nach dem freien Wahlrecht erschöpfte..., 
andererseits aber die Frauen zu Männertypen machte. Eine richtige Frauenbewe- 
gung muß der besonderen Veranlagung der Frau Rechnung tragen. 
Nach dieser Belehrung erklärte Winkler es zu »Hauptaufgabe der Frau«, »den 
Männern klar zu machen, daß die Hausarbeit bzw. Erziehungsarbeit der Frau 
als Mutter gleichwertig zu erachten ist wie die Erwerbstätigkeit des Mannes. 
Immerhin gab er im Namen der Geschäftskommission den autonomen 
Frauenbünden insofern »grünes Licht«, als er betonte: 
Das verschiedentlich zutage getretene Bestreben, die Frauenbünde abzuschaffen, 
wird abgelehnt. Die Idee, die nicht berufstätigen Frauen in die Berufsverbände 
aufzunehmen, ist undurchführbar, außerdem können die besonderen Interessen der 
Frau nur durch Frauenbünde selbst vertreten werden.(32) 


Entsprechende Auffassungen sowie die Resolution der Frauenkonferenz setzten 
sich beim 13. FAUD-Kongreß durch. Fürs erste schien die Frauenautonomie den 
Sieg davongetragen zu haben. 


2. Der syndikalistische Frauenbund 
Sind Frauenbünde notwendig? 


In den folgenden Jahren entbrannte eine heftige Auseinandersetzung um die 
Frauenbünde, in deren Verlauf viele anarcho-syndikalistische Männer Stand- 
punkte der Verachtung und der ängstlichen Abwehr gegenüber den Frauen 
formulierten, auf der Seite der Frauen der antipatriarchalische und feministische 
Gedanke gegenüber den bisherigen Aufgaben des SFB an Bedeutung gewann. 
Zunächst zu diesen Aufgaben. Sie wurden von Milly Wittkop-Rocker nach der 


300 


Düsseldorfer Konferenz in einer Broschüre zusammengefaßt, die den Titel trug: 
»Was will der syndikalistische Frauenbund?« Eingangs war dort der Kampf im 
Erziehungswesen betont worden, mit dem anarcho-syndikalistischen Kernge- 
danken, »jeden Versuch zu unterstützen, dem Staat und der Kirche das Monopol 
der Erziehung zu entreißen. »Sodann wurde auch hier vor allem die gemeinsame 
Lage mit den proletarischen Männern hervorgehoben und die Frau zunächst als 
»Lebensgefährtin, ... Mitkämpferin und Gesinnungsgenossin« des Mannes ge- 
sehen. Bis zur Definition der Frau als »wirksamer Stütze« des Streiks der Männer 
klang alles wie ehedem bei der Sozialdemokratie. Eine weiblich-anarcho-syndi- 
kalistische Variante war jedoch bereits, was über die Rolle der Frau als »Kon- 
sumentin mit der Waffe des Boykotts«ausgeführt wurde: 
Der Streik erweist sich ohnedies mehr und mehr als ein ungenügendes Mittel, das 
durch die ganze wirtschaftliche Entwicklung unserer Zeit drängt mit aller Macht 
auf eine Verbindung der Produzenten und Konsumenten hin, in der die Frau eine 
große Rolle zu spielen berufen ist... Die gegenwärtige Situation fordert ganz 
andere Methoden im praktischen Tageskampfe und der Kampf gegen die uner- 
träglichen Wucherpreise dürfte wohl in Zukunft eine größere Rolle spielen als die 
fortwährende Erhöhung der Löhne, die gewöhnlich schon am nächsten Tag durch 
neue Preiserhöhung wieder illusorisch wird. 
Es ist nichts darüber bekannt, ob die Kampfform des Konsumboykotts, die in der 
Regel noch schwerer zu organisieren ist als der betriebliche oder überbetriebliche 
Streik, im Umkreis der rheinisch-bergischen Anarcho-Syndikalisten praktiziert 
worden ist. Bei den wenigen Frauen, die hier organisiert waren, dürfte dies 
auszuschließen sein. Frau Rocker setzt sich dann mit den Männern (und Frauen) 
auseinander, die resigniert äußerten: 
Ja, wenn die Frau bloß denken würde! ... ich bin der Meinung,daß die Frau zuviel 
denkt... Aber ihr ganzes Denken dreht sich fortgesetzt uni die trivialsten Kleinig- 
keiten, so daß ihr Gehirn davon verbraucht und erschöpft wird... ich spreche 
natürlich von den Frauen der Arbeiterklasse. Die proletarische Hausfrau wird 
zum Automaten durch Vielseitigkeit—entspricht der »Degradierung zum 
Automaten« des Arbeiters durch die sogenannte Arbeitsteilung... 


Der SFB forderte daher die gleichberechtigte Anerkennung der Hausfrauentätig- 

keit und die »Arbeitszeitbeschränkung der Frau in der Haushaltsarbeit«. Dies war 

sowohl gegen den Staat und die wirtschaftliche Verfassung gerichtet, in der 

Hausfrauenarbeit z.B. bezüglich des Rentenanspruches nicht anerkannt war(und 

ist), als auch gegen die Männer. 

Der Schluß dieses programmatischen Papiers des SFB enthält Vorschläge 

zu verschiedenen Frauenaktivitäten,wie z.B. 

— Einrichtung von »Frauenclubs«. Hierbei wurde im Gegensatz zu den Män- 
nerorganisationen auch erstmals darauf geachtet, daß sie »angenehm und 
geschmackvoll eingerichtet« sein sollten, »wo die Genossinnen sich jederzeit 
treffen können, um zu lesen oder um sich über wichtige Fragen auszusprechen, 
wohin sie auch nötigenfalls ihre Kinder mitbringen können. 


301 


— Bestrebungen gegenseitiger Hilfe im Krankheitsfalle 

— Gruppen zur Förderung künstlerischer Interessen 

— Einrichtung von tendenziell gemeinsamen Haushalten 

im »Einküchenhaus«. (33) 

Neben solchen weiblichen Betätigungsfeldern wurde von anarcho-syndikali- 

stischen Frauen in den Jahren 1921 bis 1923 auch immer wieder öffentlich auf 

den Kampf gegen den Mann als solchenorientiert. So schrieb eine Frau in der 

»Schöpfung«, unmittelbar, nachdem sie die Forderung nach einem absoluten 

Gebärstreik erhoben hatte (»Gebart vorerst keine Kinder!«): 

Ich habe nicht die Zeit, noch für meinen Mann auch noch Ansprüche, die 
täglichen häuslichen Pflichten zu erfüllen. 

Sie fordert die Normalisierung von getrennt lebenden Geschlechterbeziehungen: 
Ich liebte meinen Mann genau wie jetzt, wenn ich mit ihm getrennt lebte. Ich würde 
alles tun, wenn er meiner bedürfte. Er könnte sich herzlich gern auch eine neue Ehe 
gründen, ich wünsche ihm das beste, nur — frei! Meine sichere Zuversicht ist, daß 
das Weib der Zukunft vom Mann getrennt leben wird.(34) 

In einer Antwort darauf sah eine andere »Kampfgenossin« in der Ehe ein 

»Zusammenketten der Geschlechter« —dies war unter den Anarcho-S yndikalisten 

verbreitetes Gedankengut Emma Goldmans und Erich Mühsams — und fuhr fort: 
Wenn die Männer wenigstens Achtung vor jedem geistigen Ringender Frau 
hätten. Aber jene Männer sind, trotzdem sieeinknallrotes Parteibuch in der 
Tasche tragen, nichts anderes als Ausbeuter und Sklavenhalter. Sie achten nicht 
die Eigenart, der nach ihrer Vollendung ringenden Seele der Frau... Und nun ihr 
Männer, die ihr Sozialisten sein wollt, seid Eurer Frau gegenüber auch Sozialist, 
kein Vergewaltiger .(35 ) 

Andere Frauen, die sich vom Gedanken des absoluten Gebärstreiks abgrenzten, 

weil sie Kinder haben wollten, verfochten die Idee weiblicher Alleinerziehung 

oder, da dies für proletarische Frauen ökonomisch selten zu verwirklichen war, 
einer gemeinsamen Mutterschaft auf der Basis weiblicher gegenseitiger Hilfe. Sie 
griffen u.a. den Gedanken autonomer »Müttersiedlungen« auf, wie sie von Aimee 

Köster in 2 Fällen aus Berlin berichtet wurden, wo Frauen solches »in den letzten 

Jahren« praktizierten.(36) 

Bei diesen Müttersiedlungen kann von Vorläuferinnen heutiger Frauenwohn- 
gemeinschaften oder Frauenzentren gesprochen werden — auch damals sollten 
Männer dort keinen Zutritt haben. Eine Frau schrieb in diesem Zusammenhang in 
der »Schöpfung«: 

Es gibt nämlich heutzutage Frauen, die gar nicht die Absicht haben, für die 
Erziehung ihrer Kinder von anderen Hilfe zu erbitten, ja, die noch nicht einmal 
einen Ehegatten brauchen, um ein Kind zu erziehen. Eine Bewegung von Mütter- 
frauen hat sich gebildet... und diese Frauen sind die kühnsten und freiesten 
Frauen... Aber alle Frauen, die mit Inbrunst, Liebe und Überzeugung Mütter sind, 
haben, sofern sie freien Geistes sind, in heimlichen Stunden einen inneren Groll, 
daß sie zum Mutterwerden einen Ehemannund Ernährer, einen Hermund Gebieter, 
einen Haushaltsvorstand benötigen.(37) 





Martha Rosinke und ihre Kinder (1918) 


Möglicherweise waren es auch solche Positionen, die, obwohl noch weit mehr in der 
Minderheit als die Forderungen des SFB, viele männlichen Anarcho-S yndi-kalisten 
in den Jahren 1923 und 1924 auf den Plan riefen. Trotz Anerkennung der 
Frauenbünde durch den 13. FAUD-Kongreßwurde von den Männern eine 
öffentliche Leserbriefkampagne im »Syndikalist« gegen die Frauenautonomie 
entfacht, die in ihrer Schärfe und Breite die Kämpfe gegen die Forderungen der 
anarcho-syndikalistischen Jugendlichen und Siedler noch übertraf. Es scheint, daß 
diese Kampagne, verknüpft mit der praktischen »Sabotage« der Frauenorganisation 
durch das alltägliche Verhalten der Männer, — die ohnehin schwachen 
Frauengruppen spätestens 1927 zum Erliegen brachte. Das Desinteresse fern- 
stehender Frauen dürfte ein Übriges getan haben —es fällt auf, daß in der Regel bei 
männlichen und weiblichen Anarcho-Syndikalisten nur von den »Frauen, Schwes- 
tern und Töchtern« die Rede ist. An Ausdehnung über diese eigenen Kreise hinaus 
konnte realistischerweise nicht gedacht werden. Auch der allgemeine Rückgang der 
Gesamtbewegung spielte hier ein Rolle — sowohl für die engstirnige Haltung unter 
den Männern, als auch für die organisatorischen Mißerfolge der Frauen. 

Diese Kampagnen wurde ausgerechnet von dem Düsseldorfer Anarcho-Syndi- 
kalisten eingeleitet, der noch 1922 die Frauen zur »offenen Rebellion« gegen die 
Männer aufgerufen hatte, welche »ihrer Frau gegenüber... den Herrenstandpunkt 
herauskehren oft bis zur brutalen Gewaltanwendung.«(38) Unter dem gleichen 


303 


Pseudonym fragte dieser »Espero« nun: »Sind Syndikalistische Frauenbünde 

notwendig?« Er, der anfangs nach eigenen Worten seine »ganze Kraft in Wort 

und Schrift« für den Aufbau der SFB eingesetzt haben will, hatte auf einmal 
darüber nachgedacht, wie unsere Organisation in den Fehler verfallen Konnte, 
durch Schaffung separater Frauenorganisationen eine neue Klasse und einen 
Dualismus... aufzurichten. 

Er verglich dies sehr »einfallsreich« mit der alten Geschlechtertrennung in 

den Konfessionsschulen und reduzierte das Problem auf die Finanzfrage, 

wodurch er unausgesprochen Prioritäten setzte: 
Mitgliedsbuch? Nun, die Frauen, welche einen gewerblichen Beruf ausüben, 
gehören als zahlendes Mitglied der Organisation an und haben... dieselben 
Rechte wie die Männer. Die Hausfrauen und nicht gewerblich tätigen Töchter 
oder Schwestern sind durch die Idee mit uns verbunden und werden wohl aus 
dieser Ideengemeinschaft nicht irgendwelche Rechte herleiten, denn unsere Org 
anisation ist letzten Endes keine Versicherungsanstalt... 

»Espero« verwies, um seine Skepsis gegenüber den Frauenbünden zu »unter- 

mauern«, darauf,»daß z.B. hier in Düsseldorf der Frauenbund dreimal neu 

aufgebaut wurde und heute ist er schon wieder zugrundegerichtet.(39) 

Seine Frage: »Sind syndikalistische Frauenbünde notwendig?«, wurde im 
Folgenden von dem Duisburger Anarcho-S yndikalisten Heinrich Rebscher »glatt 
verneint«. Rebscher argumentierte scheinbar im Sinne weiblicher Emanzipation 
vom Mann, verwies die Frau dabei aber auf sich allein, wenn er schrieb: 

Der erste Schritt zur Befreiung der Frau muß in der Schlafstube geschehen und 
nicht in selbständigen Organisationen. Die Frau, die ihrem Manne nicht im Hause 
frei entgegenzutreten versteht, lernt dieses auch nicht durch die Organisation.(40) 
Noch offener im Sinne des alten Antifeminismus hatte Rebscher einige Wochen 
vorher im »Syndikalist« formuliert: 
Die weibliche Arbeitskraft gehört schon von Natur aus nicht in die Fabriken und 
Kontore... Einsichtige Familienväter sollten nicht auch noch die weiblichen Fa- 
milienangehörigen zum Ausbeuten fortschicken, sondern sie... im Hause lassen, 
damit wenigstens die männlichen Erwerbslosen ihre Position bekleiden können. 
Und seine folgenden Worte stecken voller männlicher Überheblichkeit, aber auch 
voll Angst und Verbitterung des »entmannten« Revolutionärs, dem man seinen 
Wirkungskreis genommen hat: 
Gibt es doch Familien, in denen Frau und Tochter arbeiten, der Mann daheim 
kocht und aufwäscht, weil er nirgends mehr Arbeit erhält. Vielleicht war er zu 
radikal und konsequent in seiner Stellung als Lohnsklave oder hat ihn eine 
weibliche Arbeitskraft verdrängt. Jedenfalls ist mancher brauchbare organisierte 
Arbeitsmann schachmatt gesetzt.(41) 


Die Frau scheint nicht so »brauchbar« gewesen zu sein — oder nur für 
andere Zwecke. 

In den wütenden öffentlichen Reaktionen anarchosyndikalistischer Frauen 
waren es wiederum besonders Vertreterinnen rheinischer Gruppen, die die Le- 
serbriefe im »Syndikalist« schrieben, vor allem Traudchen Caspers (Süchteln) 


304 


und »Franziska« Krischer (Duisburg). Beide antworteten auf den männlichen 

Vorwurf, die Frauenbünde hätten sich »nicht bewährt« sinngemäß das Gleiche: 
Wo sind denn die Organisationen der Männer ihren Aufgaben bisher gerecht 
geworden? Vegetieren da nicht auch recht viele? ... Wenn den Frauen nun 
dasselbe passiert wie den Männern, so ist das recht entschuldbar, weil die 
Frauen erst anfangen, sich zu organisieren, während die Männer schon seit 60 
bis 80 Jahren die Schule der Organisation kennen.(42) 


Traudchen Caspers fügte dieser Wertung Franziskas in ihrem entsprechenden 
Artikel hinzu: 


Wenn wir solange in unseren Frauenbünden organisiert sein werden wie die 
Männer und leisten dann nicht mehr, dann habt ihr ein Recht zur Kritik. Doch 
glaube ich, daß die Frauen, wenn sie erst erkannt haben, was notwendig ist, 
zäher und aufopferungsfähiger sein werden wie die Männer, weil das schon im 
Wesen der Frau liegt.(43) 


Bei beiden wurden auch feministische Gedanken formuliert, wie sie etwa auf der 
Düsseldorfer Reichsfrauenkonferenz noch nicht auftraten. So bei Franziska: 


Wir kommen nun zu dem Hauptgrund, weshall 
Frauenbünde eine Notwendigkeit sind. Espero 
schreib! an einer Stelle ganz richtig: Die 
organisatorische unc geistige 
Unscjbatindigg)jkveiter Frau ist eine Folge Jahr 
hundertelangt:r Versklavung. Diesen Gedanken muuer 
wir weitervctfolgenl Dach wen und an wen ist.sic denr 
versklavt? i$cwiß * ebenso wie der Mann durch dir 
kapitalistischen Verhältnisse. Des meint doch aber Es 
pero nicht, denn dann müßte doch der Mann ebensc 
geistig rückatindig sein. Sie ist neben dieser 
gesellscheftlichen Verhältnissen noel in anderer Weise 
versklavt durch der Mann! Es lang sein, daß' dies zum 
Teil auf die Eigen tumsverhiiitn se zurückzuführen ist 
eher damit ist noct nicht gesagt,1 daß sich diese 
moralische Untcrordnuni unter den Mann, die 
Männermoral, von selbst aufheber. wird, wennnde:c 
gesellschaftliche Verhältnisse eia treten. De beste 
Beweis hiergegen liegt in der Ta sache, daß auch in 
der besitzt losen Arbeiterschaft diese Mannermora' v o 
rhandenist. Oder will Espero bestreiten, deE es in 
unseren eigenen Reihen so ist? Worauf ist es dann 
zurückzuführen, daß die Manner ihre Frauen nicht in 
die Bünde geleitet haben? Immer wieder, haben wir 
hören müssen, daß die Minner die Frauen von dem 
Besuch der Versammlungen abhalten) Auch unsere 
Kameraden betrachten ihre Frauen noch im 
allgemeinen als Haus. haltsbediente und willfährige 
Liebesobjektel Von einer gerechten 
Gleichbewertung ist keine Rede. Die Min. ner 
beben Angst davor, daß auch die Frauen noch in 
Versammlungen rennen, daß die Frauen dasselbe tun 
wie sie selbst. Dieser Zustand ist auch logisch und ver. 
stündlich( Erstens empfinden ja die Manner gar nicht 
das Unrecht, das ale begehen, sic glauben sogar recht 
zu handeln! Sie können die Frau in ihrer enders gc. 
arteten seelischen Einstellung zweitens noch viel wen". 
‚er begreifen, als sich sonst zwei Menschen begreifen 
können. Aus dem Grunde Bind die Manner _gar nicht in 
der La e, den bestehenden Zustand der Ungleichheit 
der Rechte der beiden Geschlechter auf alien Gebieten 
zu andern, selbst wenn sie Engel wären, was Si. aber 
nicht sind, sondern rauhheinige Habenwollerl Es ist 
nun einmal eine Tatsache, daß niemals in der 
Geschichte eine herrschende Klasse oder Schiebt 
freiwillig ihre Pri, vilegten aufgegeben hat. 
Ebensowenig werden 


305 


die Männer jemals freiwillig oder aus sich heraus der 
Frau die Gleichberechtigung einräumen! Diese muß 
sich die Frau selbst erkiimpfenl Ebenso richtig, als 
der patz ist: „Die Befreiung der Arbeiter kann nur 
das Werk der Arbeiter selbst mein!" 1st auch der 
ähnliche ‘atz: ,.Die Befreiung der Fran kann nur 
das Werk der: Frau selbst sein!" Entweder die 
Frauen heschreiten diesen Weg, oder sie werden 
nie freil Wenn man aber den Frauen empfiehlt, diesen 
Be. frciunäskampf In der gemeinsamen Organisation 
roll den Männern zu fuhren, so ist das dasselbe, als 
Vene man den Arbeitern empfehlen würde, ihren 
Bcfre ungt k.impf In Harmonievereinen mit den 
Unternehmern zi fuhren! 


Die Gesamtbewegung hat aber auch ein große: 
Interesse daran, daß die Frauen rich aus den 
ungleicher und ungerechten Verhältnissen befreien, 
wed ohne sit auch keine freie Gesellschaft existieren 
kiinnte. D i t Freibelt ist unmöglich nur fair einige, 
ait küßt entweder alle oder kelneni Selbs svenn die 
freie Gesellschaft herbeigeführt würde, könntt sic 
nicht bestehen, wenn die Frau nicht inzwischen dit 
Gleichberechtigung erkämpft hüttel Aus diesen Erwi 
gungeo tritt die Gesamtbewegung für die Bildung vor 
hesondereo Frauenbünden ein! Dadurch wird suck 
keine neue Klasse oder ein Dualismus geschaffen, 
dens die Ungerechtigkeit der beherrschten Frau 
durch der Mann Ist schon dal Es heißt sic verewigen, 
di Frauen von dem einzig möglichen Weg ihre 
Befreiung abhalten zu wollen. « Ein Dualimme liegt 
um deswegen nicht vor, well es nur ge recht Ist, 
such die wichtige und mühselige Arbeit der Hausfrau 
als einer Berufstätigkeit gleichwertig aes— 
zuerkennen. In dem Sinne tun die Hausfrauen niches 
anderes, wenn ale Bünde bilden, als was der Met U- 
r.rbeiter oder Holzarbeiter tut, wenn er seiner 
Berufsoder Induatrle Organisation beftrittl Nur in 
solcher \Vcise passen die Frauen überhaupt in unsere 
GewQrie-schaftsbewegung hinein. 

Soviel für heute, nm den Artikel nicht noch lialer zu 
machen! Nur eins set zum Schluß den Milans noch 
gesagt: Sie mögen sich hüten. Vorschläge zurBa- 
seltigenng der Bünde zu machen!. Das ware nur Sagte 
der Bünde selbst( Dieses Verfahren riecht schon arg 
nach Bevormundung und die lassen sich die Fretan 
nicht linger gefallen! Franzteka 


Hier war der syndikalistische Gedanke, seine Ausdehnung auf proletarische 
Hausfrauen u.ä. und der Feminismus miteinander verbunden. Sprach Franziska 
von der Rolle der Frau als »willfährigen Liebesobjekten«, so Traudchen Caspers 
von »Gebärmaschinen«. Bei beiden löste sich die feministische Seite ihrer 
Argumentation nicht von der syndikalistischen. Traudchen Caspers äußerte sich 
auf dem 15. Kongreß der FAUD: 
Wir machen immer wieder die Erfahrung, daß die Männer auch in unserer 
Bewegung die Frau nur als Sklavin, Magd und Gebärmaschinebetrachten, nicht 
als Menschen und Kameradin... Stoßen wir die Frauen ab, dann werden sie zum 
Hort der Reaktion... und auch der beste Revolutionär wird durchdiesen dauernden 
häuslichen Widerstand schließlich zermürbt. Die Frauen müssen selbständig 
bestehen bleiben, denn in vielen Gebieten sind die Frauen nur für besondere 
Frauenbünde zu gewinnen.(45) 


306 


Das war im Jahr 1925 — abermals nahm der Kongreß eine Resolution an, die auf 
dem Papier die »Notwendigkeit selbständig wirkender Frauenbünde« zugestand, 
was aber weder das Interesse unter den noch nicht organisierten Frauen erhöhte, 
noch die Betrachtungsweise der männlichen Anarcho-Syndikalisten wesentlich in 
Bewegung brachte. Die bestehenden Frauenbünde in der rheinischen und 
westfälischen Region dürften danach nur noch eine Kümmerexistenz in einzelnen 
Städten geführt haben. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt; sie scheinen 
sich ab 1926 aufgelöst zu haben. Was blieb, waren einzelne engagierte Anarcho- 
Syndikalistinnen, die in der weiterbestehenden Frauenbeilage des »Syndikalist« 
sporadisch die Frauen zur Organisierung aufriefen, am häufigsten Traudchen 
Caspers. Neben ihrem »couragierten Wesen«(46) dürfte es vor allem ihre ge- 
werkschaftliche und betriebliche Verankerung gewesen sein, die den Männem 
Respekt abverlangte. Es ist nicht bekannt, in welchem Textilbetrieb Süchteln sie 
gearbeitet hat, jedoch wird von ihr berichtet, sie sei »jahrelang Betriebsrätin(47) 
gewesen. Der deutsche Textilarbeiterverband, die weitaus größere gewerkschaft- 
liche Konkurrenz der anarcho-syndikalistischen Textilarbeiterföderationen, 
erwähnt in seiner Statistik im Jahre 1925 imgesamten »Gau Barmen« ganze »3 
syndikalistische Betriebsrätinnen«. (Der »Gau Barmen« erstreckte sich von 
Barmen bis zum Niederrhein, einschließlich Krefeld, Süchteln und Dülken). Von 
1928 bis 1930 gab es nach dieser Quelle noch eine syndikalistische Betriebsrä- 
tin,(48) dies könnte Traudchen Caspers gewesen sein. 

Erwähnenswert ist hier noch der Aufruf »Lohnarbeit der Frau«, der in der 
»Syndikalist«-Beilage »Frauenbund« im April 1929 erschien. Er richtet sich — 
nach den angeführten Beispielen zu urteilen — vor allem an Industriearbeiterinnen 
der Textilbranche. Unterzeichnet von »einer Kameradin«, ist er nach Diktion und 
Argumentation mit hoher Wahrscheinlichkeit von Traudchen Caspers verfaßt 
worden. Er soll hier nicht nur seiner flammenden Sprache wegen wiedergegeben 
werden, sondern auch als einzigartiges Dokument der Verbindung von syndika- 
listischem, feministischem, freidenkerischem und antifaschistischem Gedankengut. 
Allerdings warnt die Verfasserin auch vor bloßem Kampf der Geschlechter 
gegeneinander, wobei besonders die »Proletarier« kritisiert werden, »die da 
glauben, ihre Frau womöglich bekämpfen zu müssen, die nur der Not gehorchend 
ihre Arbeitskraft verkauft.« Es ist bemerkenswert, wie klar die Verfasserin den 
Nationalsozialismus und dessen Zusammenhang mit anderen konservativen Strö- 
mungen der damaligen Zeit einschätzte. 

Das weitere Schicksal Traudchen Caspers ist nur bruchstückhaft bekannt: 
Sie lebte in Beziehungen »Freier Liebe« mit mehreren Männern, u.a. mit Hans 
Schmitz, Elberfeld, mit dem sie 1929 auch zur »Landarbeiteragitation« nach 
Leuscheid/Westerwald reiste. Nach Schmitz’ Tod in ihrer Wohnung in Süchteln 
(1931) verliert sich ihre Spur. 

Neben der Arbeit in Betrieb und Gewerkschaft war Traudchen Caspers, wie 





ummer 2 i 





Lohnarbeit der Frau 


Die immer grafter werdende Zahl erwerhn(htigrr 
Preteen in ollen (lernten swine' nos, die Stellnnz der 
l'uu cis Lahaarhrilrria eland kritisch en beleuchten. 


Die elle Lelre, daß die I're', ins liens pebarl, tried eon 
Steleinlismus immer melee a4 absurditm geführt, end rerun 
dalVienrlbrite Srhlichbrngnnnsd,ine en reilera, beifel, um 
die Angerlüßne des Prolelnriels :u „elebilieleren", tried die Zeil 
*.ill teethe fern shin, toe den kapilellslleebn lipelem 


die Freust und Mbdehen des Pretelariats 
restlos inn Jori, geeseungen 


Dadterrh reruleffl men sick elner,eile ein Arbriidosen-lurr 
eonlunette größeren Dimensionen, des reeler den SrIdöpen 
der Ilungrrpriu,rhe each cur Arbeit uni jede., Preis peahen tar, 
aadrreneJe ist der reibliebe AuebenInngenudrrial profs. 

Iriler, trailr, nosh Mehl teelaut ist mil den Melkoden des 
dimeenkemples mit 1 ErlrIrri:bedinpmtgen. Serer sehen 
stir meth bier den Iirpiun rimer omen Arro, de Millionen &*urn, dir 
nit einen ‚.Perserger" Aalten merdce (im Kriege bnvchle mom 
dash dam Mrne,h enn,eleeiol ru anderen Zrerken), Alien ornrongrn 
sind, den Inviter iter brainier rardendeu Ails. bs,nuagrrnrib,de, 
rinnt Damm enlgepee:use'rm und title ein-aurrificit in die 
lilasrenfreel des Prolrleriels. Und für ums gill el, klarer dean jn 
din Sarbinpe au pbrrerhaurn mid den ironer brulalerrn 
kopilelirlisdrn '‚orders 


die einige Kl front des Prelatarials 


Nigepen:udellen. Und In diese Front gehör, die Freu, rind 
Kameradin (Hegen die aneradin im Urtrieb. EI gill die Fra, 
iu machen von Überlrilen Ideologien roe golige,rallter entitling now. 
Denn in der heiligen Gesellschaft pill nur noch site fein um dar goldene 
Kolle, (leld, ini allen, ist Macht, Ureter- 
dent kungund Aesporerung den georhurrdenen I olkekilrl’ers. 
Mögen die Enrrrbdanrn rerrerken, erfrieren in Three elenden 
Lhhrrn, rung die Grippe, diem Peal de, I'rolelerinla, noch PO selr 
unreel, mögen Gelehrie, Klinel(er, Gritleantrnnchen pro- 
testieren green diem Schdndeng des Menarkrntebene, all den 
stör( die I'rrIreler dicier nellgewalllnn °’Anun/ Mehl. Ooid tzk die 
Deriar, die LHridenden steigen, tend die Aulbndnngs- 
‚drrLaldllen vergrößert men. 


riv 


(Vann, Riess Proletariat, erxades( du ass deinem Darn® 
letehrrurhlef! lind du, .Arbellrrfran, rel, enigel and eririgd 
gddWdin dais Joch der dreifnrkon ‚Inaberdrnngr Wit lange 

weht Wean wird arch bet uns der Gedankt' !Ferrel (even, 

daß „nitre Lebensaufgabe eine andere Id, als 

in Kim°. wad Kireken Erial::u anc Non 
ten ter trirermlirhes ',beef l'oi unier,, Willem hdnpt mesh 
ekk liefreiung der Menrrladl abj-kLupJrn milanen crie, die 
Sled, die unter der Anche plimm/- a,fnriren ru lodernden. !Mund. 
Die Meneohbed elöhul „cd doh:l unier dem Joch des Kapitals, 
dark fro iel der /1.1, der (Ville nur Tel, die die reelheil, des Learn 
erkamplir Der Kempf tried uns Mehl idr;hrn hi, neaten leer nicht, 
drirben teirres e trige. pul, so ist loser UMaroang brsiegell. £s 


gill nee ein"Enirreder— Oder, Sieg oder Linlerpang. 
ItrIreeklen retie Hemel die Shilkrelle, de momenta* neap. 
ledndrle:eniren retelll het. Znesn,el 4-r rerlorena 


Melnllerbrliernlreik, der r ni Unlerniömer°®im 

Mil aller Srhdrje prJöhrl, Iibre eine Million Menschen riot 
Wochen :nn. I!l,apern rerdenunle.. Dann hl da der 
rerpangeuererlilnrl,eilrnlreik in Sercl,nen, Thüringen, tend so 
furl. IF, Mjeb die Soliderildf der iibripen Terlil-Rrirke, 
Krefeld, Glad-,eh, Elberfeld, die der achlenischen Webereien? 


Hlirr gill e, den lithel en ens einen? 


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eerlreel mil dem ARC des Kinsenkamples, der Slreiknolidarilöl 
r,f breilnler Grundlage, in rcdre ;whoa bold der Kampf beendel 
touren megunnlen drr Ark ilererbmfl. 

:lud, in drr Semlindmelrie brodelle end perle ea, Anal In 
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liefilluren, mehrend drrProletarier Sturm ringegrn IAnfl, .ten er 
aril hier, deed, diese t(e,Hlung des Unternehmern, seine 





Beilage des „Syndikalist" 


Atır11 1;;29 


TNITLIF@ageN 


ohnehin srhlerhle L'allolmunp noel, niche grföMdet oiehl. 
Iretort. prrndfnlerl, inl die enpnlirnige I'rrbnhribril u rriner 
rrnirlarier, dir da glttban, die Fron rnombplirh 
bekampy/en :n rnii.uen, stall in ‚hr die Ka,nrradin ra rrhrn, 
dien r narr Not gehorchend ihre Arbeilnkrofl rerkaufl. Demi u6 
Nieneen-i. enipfrr'Hassan tar rissen: -Vieh( den 
Unedrrkong, 1 pill es ru lilhren, modern 
Kampf green Assbenfeenp end U nlerdrii rksnp. 
Verkennen We doch nick die Leide, leer Knpilnli.,:u,e 
refill die Forn(lls auseinander, Mann, Free und 1.r101 hinder 
sind der Aunbrsiungsmneddneverhallen, do der Lohn des 
Arbeiters nirhl rrirhl, dirt Familie :n nrnalren. 1.1 r rrirhl 
erlbsirerrlandlirh, dop v-Ir pe,neinaam den Abnrheharnif 
Jahren, nod :rar mil alien Mahler? In dire., Dr:ieheeng 
tetra viel nu reeig green. 
A ut kharue, n,tip gel ropen toer den in clan grope 
(leer der »-4rbeilerf return! 


nherinuen (tie dorb Mehl tria blotter dein i(henu die !'ell, der Ale 
111rnr der !'ranee fesselt und knebelt, ihnen tin .her Irene 
eorgankrlil, um she nbr,denken one ihren Vend! /lens 
ue,rin.n vir dis Fran nirld ab Kdmpferin, intrird sir drr I/nJ/o 
nis Mille(: m lirerk benul:en, a ch de., Munn , 0111 Kempf mit 
seine Befreiung abenhollrn. Schon irre this linikrndil fertig, es 
fehlt nur noel die peeel:lirlee R,rnklimtiereeno. Feld tens dann 
nor. "u tun ilhelgb/rill, rrledioi der Fo,rl,, nine, der vir des 
Ranblier awl denn Sprunge stell. litait 'cirri IMill ens Whiten als 
Rebelba end -Isfrillver, irren die Znthlhau,er *Sekt langen, 
dran die .Velbnde des -4ushungrrnt, weir brae, ist dienen 
IIrnkreeknrelden n langweilig; 111011 rerbb,gl den 
Ilelagerungr:usinnd und eneedel node leer:mulur(. Dees ‚'I dos 
Irllerlenrhirn drr kommenden Zeal drbrilrrfranc , breit on „narrt 
Kinder, roll( ihr die nur‘, dem unrroülllirh re. IJ nIntA anliefern! 
Nenn Mehl, darn manna rrirhl Ignore, rush recn- 
rrihru in die !welche........ ' lot KinservQrant! 
Es rrllel ens kein Adheres Il'eren! 
Eine Kameradin. 


Die Kunst des Erziehens 


e\Vte ein Kind „artig" wird. 


Hallo ist von Natur lebhaft und wißhcgicrig. 
Im Alter von einigen \Vochcen steckt er cilec |- 
{rrcicl,bare in den Mund. Zuerst den Dnumen. Dann 
die (*nee Hand. Als er etwas Elter und gelenkiger 
wird, euch seinen dicken Zeh. Dann den Zipfel vom 
Kopfkissen und Mutters Finger. Das wird der Muller 
zu arg ‚und liana kriegt einen Klops und sie 
schimpfte: ‚II uen. artiger Jungel Ruinlerel tnie 
neck die WOnehrl" 

Als Heins anfängt zu laufen, greift er 
noel, ollem, was er erreichen kann, und fragt: 
„Is en das? Zacrst Ist die Mutter stolz: Was für 
ein kluges Kind sic lint! -Als aber Hans eines 
Tages dun Tischtuch tom Tisch zieht und eine 
Tasse dabei in Scherben geht, kriegt cr wieder 
Klapsc. NPATRSASHHURERISL FRHNTe 

Bans lot drei Jahre alt, Heute tollt er wie ein Quid 
übermütig durchs Zimmer und singt und kräht duzu 
in fast unverweiistlicher Lebenslusi. Mutter hee tichlt: 
„.Sofort setzte dich ruhig I. die Ecke und bist 
stillt" (fans erschrickt, Ist einen Augenblick ruhig, 
dann vergißt er den Gebot und fegt aufs neue fröhlich 
durch die Stube. Mutter ist Ergcrlich: „Kannstcdenn 
niemals hören was ich Bagel Soe tort hörnte ant mil 
Toben!" !inns litt so ins Spiel verlieft, daß er Mutters 
Rede gor nicht 
hört. Da springt Mutter auf (fans los, greift und 
verwichst ihn dermaßen, daß Hans In Scbreicn ause bricht 
und mil den (Schoen strampelt und tritt,denn 


aus: Der Syndikalist, Nr.14/1929 
Die Autorin war vermutlich Traudchen Caspers 


308 


viele andere anarcho-syndikalistische Frauen der Region, in der sozialistischen 
Sexualreformbewegung aktiv. Bereits im Juli 1924 hatte die »Arbeiterbörse Groß- 
Düsseldorf« Unterschriften gegen den $218 gesammelt und eine öffentliche 
Versammlung zum Thema »Beseitigung des $218« organisiert.(49) Traudchen 
Caspers und der Düsseldorfer Anarcho-Syndikalist Johann Gerlach wurden wegen 
einer ähnlichen Veranstaltung 1925 zu Geldstrafen verurteilt, weil sie durch die 
Empfehlung und »Bereitsstellung«e von Empfängnisverhütungsmitteln 
»unzüchtigen Gebrauch« im Sinne des $ 184 gefördert haben sollen. In den 
Prozeßunterlagen erschien Traudchen Caspers in der üblichen, männlichen 
Amtsbezeichnung als »Ehefrau Johann Caspers«.(50) Die Anarcho-Syndikalis-ten 
richteten, wie auch später die Kommunisten, diesen Kampf sowohl gegen Staat 
und Justiz, als auch gegen die »Unzuchtsmoral« der beiden christlichen 
Konfessionen. Sie wiesen mit vielen proletarischen und bürgerlichen Kritikern 
darauf hin, daß die Forderung auf die Sittlichkeit der Lebens- und Wohnverhält- 
nisse des Proletariats angewandt werden müsse.« So sei es 
..heute an der Tagesordnung, daß Vater, Tochter, Mutter und Sohn, Schwesterund 
Bruder oder alle zugleich in gemeinsamem Raum schlafen, wohnen und leben 
müssen... Daß dies der beste Herd zur Begründung der »Sittlichkeit« ist, ist 
selbstverständlich. 
Der (Düsseldorfer) Verfasser dieser Zeilen fährt im »Syndikalist« fort, daß es 
ja schon eine Linderung der proletarischen Wohnungsnot sein könnne, 
..wenn die Sittlichsten aller Sittlichen, und dazu zählen auch die Diener der 
Kirche, ihre überflüssigen Räume abgeben wiirden.(51) 
Die Schilderung der proletarischen Wohnverhältnisse war nicht übertrieben. Im 
Jahre 1927 kam etwa eine Erhebung des Reichsverbandes der deutschen Jugend- 
verbände u.a. zu folgenden Ergebnissen: 
Jeder 10. Jugendliche schläft mit einem Fremden im Zimmer. Jeder B. 
Jugendliche lebt in einer übervölkerten Wohnung. Jeder 5. Jugendliche hat kein 
eigenes Bett.(52) 
Ein zeitgenössischer Kommentar bemerkt dazu in besonderer Sorge um die Moral 
der proletarischen Mädchen, ihr Verhältnis zum anderen Geschlecht sei zwar 
»äußerlich gesehen oft frei,... ohne jede Prüderie und Zurückhaltung«, aber die 
Wohnverhältnisse seien eine besondere moralische Gefährdung der Mädchen: 
Schon früh werden die Mädchen Zeugen des ehelichen Verkehrs der Eltern und 
Geschwister in der drangvollen Enge ihrer Wohnung.(53) 
Hierzu wird von einer anarcho-syndikalistischen Familie aus Barmen eine Be- 
gebenheit berichtet, die auch die persönlichen Erfahrungen erhellt, die den Sohn 
— wie viele Kinder von Anarcho-Syndikalisten — von früh auf zum kompromiß- 
losen Freidenker werden ließ: 
Wir wohnten früher in einer außergewöhnlich großen Wohnung, wir waren zuhaus 
6 Kinder! Die Alten hatten ein Schlafzimmer für sich. Aber sie lebten in »Freier 
Liebe« miteinander, also, das hieß erstmal nur: Sie hatten keinen Trauschein. Da 
kamen sie von der evangelischen Gemeindefürsorge und wollten uns Kinder ins 


309 


Heim stecken, weil das »unsittlich« wär. Wir flogen aus der Wohnung raus und 
meine Alten haben dann doch standesamtlich geheiratet. Hinterher hatten wir alle 
zusammen bloß 2 1/2 Zimmer — und da kriegtest Du immer alles mit, wenn die 
Alten am Orgeln waren. Aber das hat keiner »unsittlich« gefunden...(54) 
In Elberfeld und Barmen, wo es offenbar keinen Syndikalistischen Frauenbund 
gab, waren die anarcho-syndikalistischen Frauen besonders in der GpF aktiv. Hier 
verdient besonders die Barmer Linksradikale und spätere Anarchistin Paula 
Berger Erwähnung. Als Hilfsarbeiterin während des Krieges (»in einer Schieß- 
pulverfabrik«(55) und späterer Putzfrau war sie vor dem Weltkrieg in der SPD, 
1918 in der USPD, kurz darauf beim Spartakusbund und der KPD und ab 1921 bei 
der KAPD organisiert. Sie unterhielt u.a. freundschaftliche Beziehungen zu der 
kommunistischen Stadtverordenten Kirschey und zu Hans Schmitz, und wurde 
später Mitglied der GpF und der Wuppertaler »Anarchistischen Vereinigung« — »in 
der FAUD konnte sie sich ja nicht organisieren — sie hätte schon gewollt.«(56) 
In den März-Kämpfen von 1920 spielte sie eine aktive Rolle—zusammen mit Frau 
Kirschey und 3 weiteren Arbeiterfrauen hielt sie bewaffnet die Stellung gegen die 
Ehrhardt-Truppen in der »Marmeladefabrik« am Rudolfplatz.(57) Paula Berger 
war zu dem Zeitpunkt verheiratet und hatte eine Tochter. Auch in den Kämpfen 
und Verfolgungen von 1923 war sie eine wichtige Vertrauens- und Kontaktperson 
— des öfteren versteckte und versorgte sie den flüchtigen FAUD-AgitatorHans 
Schmitz. In ihrer Familie hatte sie »das Sagen«(58) — ihr Mann legte ihr keine 
Hindernisse in den Weg, wofür er von den männlichen Genossen lediglich als 
»Schwächling« gehänselt wurde; die Chance, die sie dabei hatte, fiel demgegenüber 
nicht so ins Gewicht. Paula Berger starb 1932.(59) 

Unter den anarcho-syndikalistischen Jugendlichen der späten Jahre 1929 bis 
1936 hatten die Mädchen wenig Möglichkeiten, sich speziell zu profilieren. Sie 
waren nicht zufällig z.B. in Wuppertal weit in der Minderzahl. Linse weist darauf 
hin, daß die gesamte Jugendbewegung stark vom »Kult des jungen Mannes«(60) 
geprägt war. Dies trat umsomehr in Erscheinung, je mehr die Jugendgruppe sich 
als erklärte Kampfgruppen definierten, wie das in der radikalen Arbeiterjugend 
besonders im Zeichen des heraufziehenden Faschismus selbstverständlich war. 

Es verrät zugleich hohes politisches Engagement und eine große Anpassungs- 
leistung an dieses männliche Milieu, wenn die beiden Mädchen der SAJD-Gruppe 
»treu« blieben, bis sie selbst Kinder zur Welt brachten und das Los vieler anderer 
proletarischer Mütter teilten: Ihnen blieb zu wenig Zeit für politische Betätigung. 
Eine von ihnen wurde während der Nazizeit noch einmal im syndikalistischen 
Sinne aktiv: Sie arbeitete im Jahre 1936 als Näherin in einem Elberfelder Betrieb, 
der — ausgerechnet — HJ-Uniformen herstellte. Ihr Mann war zu der Zeit bereits 
zusammen mit den übrigen rheinisch-bergischen Syndikalisten in Haft. Der 
Firmenleiter (»das war ein 150%-iger Nazi, ein Freund von Rudolf Heß«)(61) hatte 
die Absicht, den ca. 25 Arbeiterinnen das zugesagte Weihnachtsgeld zu streichen. 
»Für solche Fälle hatte ich doch genug über Anarchismus und Syndi- 


310 


kalismus gelernt«, berichtet das ehemalige SAJD-Mitglied, »und dann sind 
wir in den Bummelstreik getreten. Ich hab allen gesagt »Jetzt tut mal nicht 
mehr schwätzen oder lange Klopausen machen; wir arbeiten jetzt mal ganz 
besonders korrekt — aber dreimal so langsam.«(67) 

Die »Rädelsführerin« wurde zum Chef zitiert, man drohte ihr: »Frau K., 
wenn sie nicht ruhig sind, kommen Sie dahin, wo ihr Mann ist.« Eine fristlose 
Kündigung scheiterte an der Solidarität der übrigen Näherinnen — sie wurde 
zurückgenommen. Der Streik war — auch das ein Unikum im Faschismus — 
erfolgreich: das Weihnachtsgeld wurde gezahlt.(63) 

Gewiß ist dies ein Einzelfall — jedoch müssen die Aktivitäten anarchosyndika- 
listischer Frauen insgesamt als eine Summe von »Einzelfällen« angesehen wer- 
den, da ihnen eine nennenswerte Gruppenaktivität nie gelang. Dies schmälert 
nicht die Bedeutung der Bemühungen einzelner Frauen. 


3. Die Freie Liebe 


Unter »Freier Liebe« wurden bei den Anarchosyndikalisten sehr verschiedene 
Dinge verstanden. Mit den anarchistischen Theoretikern teilten sie die Überzeu- 
gung, daß weder der Staat noch die Kirche das Recht hätten, zwei Menschen die 
Gestaltung ihrer Liebensbeziehung vorzuschreiben — ebensowenig, wie sie die 
gesellschaftlichen Beziehungen überhaupt zuregeln berufen seien. 

Von weiblicher Seite hat die Anarchistin Emma Goldman zugespitzt zwischen 
Liebe und Ehe unterschieden; sie hat die Ehe restlos verworfen, und zwar sowohl 
die kirchliche, als auch die staatliche: - 

Ehe und Liebe haben nichts gemeinsames... tatsächlich steht beides in Wider- 
spruch zueinander. Heirat ist größtenteils ein Wirtschaftsabkommen, ein Ver- 
sicherungsvertrag... Ist die Prämie einer Frau ihr Ehemann, bezahlt sie dafür »bis 
daß der Tode sie scheide« mit ihrem Namen, ihrer Intimsphäre, ihrer Selbstach- 
tung, mit ihrem Leben an sich... (mit) lebenslanger Abhängigkeit,... Parasitentum. 
Auch der Mann bezahlt seinen Zoll, aber da seine Sphäre weitläufiger ist, 
beschränkt ihn eine Heirat nicht in dem Maße wie eine Frau... 
Zu dem Argument des Schutzes der Kinder durch die Ehe schreibt Emma 
Goldman: 
Die Ehe soll dem Kind Schutz bieten, und tausende von Kindern sind arm und 
elternlos! ...Waisenhäuser und Erziehungsanstalten sind überfüllt ...Vielleicht 
wird durch die Ehe bewirkt, daß »das Pferd zum Wasser geführt wird«, aber hat 
es je getrunken? Das Gesetz wird den Vater einsperren und ihm Sträflingskleider 
anziehen, aber hat das je den Hunger eines Kindes gestillt?(64) 
Über den damaligen Zusammenhang von sexueller Doppelmoral und Ehe 
war bei ihr zu lesen: 
Schon von frühester Kindheit an wird dem Mädchen eingeredet, die Ehesei sein 


3ll 


Endziel... Merkwürdigerweise wird sie jedoch weit weniger als ein Handwerker 
über sein Handwerk, über ihre Funktion als Ehefrau und Mutter aufgeklärt. 
Welch ein Widerspruch der sittlichen Normen, der das Eheversprechen, etwas so 
»Schmutziges«, zu einer derart reinen und heiligen Einrichtung werden läßt ... 
Die zukünftige Ehefrau und Mutter wird in völliger Unkenntnis über ihren 
einzigen Vorteil in diesem ganzen Wettkampf gehalten — ihre Sexualität...Ist 
eine Frau jedoch stark und frei genug, hinter das Geheimnis der Sexualität ohne 
staatlichen oder kirchlichen Segen zu kommen, gilt sie als äußerst ungeeignet, 
die Frau eines »rechtschaffenden« Mannes zu werden, dessen Rechtschaffenheit 
aus einem leeren Kopf und... Geld besteht.(65) 
Endlich vergleicht Emma Goldman die Ehe mit »einem anderen patriarchalischen 
System — dem Kapitalismus«, der, nachdem er, »den Menschen beraubt, behin- 
dert, vergiftet, unwissend, arm und abhängig« gemacht habe, »dann Wohlfahrts- 
einrichtungen eröffnet, die dem letzten Überbleibsel des männlichen Selbstgefühls 
zu neuem Aufschwung verhelfen sollen.(66) 
»Liebe« gilt ihr dagegen als » cias stärkste und tiefste Element allen 
Lebens«, als Kraft, 
..die sich über alle Gesetze und Konventionen hinwegzusetzen vermag; Liebe, 
die freieste und stärkste Determinante des menschlichen Schicksals — wie kann 
eine derartige Kraft ein Synonym für dieses armselige, vom Staat und der 
Kirche hervorgebrachte, Unkraut — die Ehe— sein? 
FreieLiebe ?AlswennLiebe etwas anderes alsfreiwäre. Verstand ist käuflich, aber 
Millionen der Welt können keine Liebe kaufen. Die Menschheit hat Menschen 
unterdrückt, aber keine Macht der Erde hat je die Liebe unterdrücken können... 
Auf seinem hohen Thron, mit all seinem Reichtum und Pomp, den er sich mit 
seinem Geld erwerben kann, ist der Mensch arm und alleingelassen, wenn er der 
Liebe begegnet... Liebe braucht keinen Schutz, sie ist sich selbst Schutz genug. 
Solange Leben aus Liebe entsteht, wird kein Kind verlassen, leidet Hunger oder 
ist krank aus Liebebedürftigkeit.(67) 
Dies waren Worte einer revolutionären Frau, die in »besseren« Verhältnissen 
lebte. Vieles von ihrer weiblichen Unabhängigkeit konnte von den proletarischen 
Frauen nicht angenommen und umgesetzt werden. IhrDenken war jedoch für 
manche Anarchosyndikalistinnen utopische Orientierung und Emma Goldman 
verkörperte für sie den lebenden Beweis einer emanzipierten Frau, die nicht im 
bürgerlichen Feminsimus steckengeblieben war. Eine ähnliche Rolle spielte auf 
kommunistischer Seite die erste sowjetische Ministerin Alexandra Kollontai. 

In Übereinstimmung mit Emma Goldman äußerte sich auch Erich Mühsam. 
Schon 1910 hatte er in Landauers Zeitschrift »Der Sozialist« unter dem Titel 
»Frauenrecht« jeglichen Besitzanspruch eines Mannes auf eine Frau oder einer 
Frau auf einen Mann geleugnet. Er verwarf von daher auch solche »ausschließ- 
lichen« Zweierbeziehungen, die nicht in der Gestalt der traditionellen Ehe 
auftraten. 

Sein Freund Landauer hob sich in diesem Punkt scharf von ihm ab: Auch er 
lehnte zwar die staatlich oder kirchlich sanktionierte Ehe ab, entwickelte jedoch 
einen eigenen Begriff der Ehe und Familie, die er ins Zentrum seiner Theorie der 


312 


»völlig freiwilligen Bünde« stellte. Was Landauer dabei vorschwebte — »es 
könnte auch die Vielehe sein« — blieb für ihn eine existentielle »Bindung«, und er 
sagte von Ehe und Familie, »daß auf ihnen die Kultur beruht, die wir bauen helfen 
wollen.(68) 

Mühsam entwickelte seine Idee der »Freien Liebe« noch einmal ausführlich in 
der »Internationale«, dem theoretischen Organ der FAUD im Jahre 1932. Dort 
schreibt er: 

Der Mensch, wederMann noch Frau, ist von Natur nicht so eingerichtet, daß er 
sichsein Leben lang sinnlich nur zu einem passenden Individuum hingezogen 
fühlen sollte. Der Geschlechtstrieb läßt sich nicht befehligen, ohne verdorben zu 
werden... Die Eifersucht sichert die Ausschließlichkeit der Hinneigung eines 
Menschen zum anderen nur bei völlig machtbefangenen Menschen... Alle Liebes- 
verhältnisse beruhen auf Gegenseitigkeit. Aber die Gegenseitigkeit wird nicht von 
dem Teil aufgehoben, welcher verschiedene Verhältnisse unterhält, sondern von 
dem, welcher vom andern die Innehaltung einer Zwangsbindung ausschließlich an 
seine Person verlangt. Aus dem Zusammenfinden sinnlich bewegter Menschen, 
sei es im Überschwang eines Augenblicks zur Erfüllung eines vorübergehenden 
Begehrens, lassen sich allgemeine Regeln und moralische Gesetze überhaupt 
nicht ableiten... sofern nicht Gewalt, Mißbrauch, wirtschaftliche Abhängigkkeit 
oder Verführung unentwickelter Kinder und der Willensfreiheit Beraubter den 
Verkehr zur Machthandlung erniedrigt und das Verhältnis gleichberechtigter 
Gegenseitigkeit zerstört.(69) 


Auch Mühsam war kein Arbeiter; wenn er auch in ärmlichsten Verhältnissen 
lebte, so war seine Lebensweise dennoch von seiner bürgerlichen Herkunft ge- 
prägt und konnte ebenfalls nicht von den rheinisch-bergischen Arbeiter/-innen 
zum Maßstab ihrer Lebensführung und Moral gemacht werden. 

Wie mehrfach deutlich wurde, unter den Anarcho-Syndikalisten die 
traditionelle Familie, in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle auch auf der 
Grundlage standesamtlicher Ehen. In den Jahren des Mitgliederschwundes ab 1921 
kann die anarcho-syndikalistische Bewegung sogar als ausdrücklicher 
»Familienbetrieb« bezeichnet werden — familiäre Bindungen und Kontakte wurden 
neben der ideellen Gemeinschaft zum tragenden Faktor; neue Mitglieder wurden 
häufig nur noch über familiäre Sozialisation »gewonnen«. 

Versuche mit »Freier Liebe« im weiteren Sinn, d.h. Zusammenleben ohne 
Trauschein, waren zahlreich. Auch hier spielten allerdings neben ideologischen 
Motiven handfeste materielle Probleme der proletarischen Existenz eine Rolle: 

Bei vielen älteren Frauen war es ja so: Wenn sie geheiratet hätten, dann wär die 

Kriegerwitwenrente weggewesen — und darum waren die drauf angewiesen.(70) 
Es war also nicht nur eine anarcho-syndikalistische Spezialität, wenn nach dem 1. 
Weltkrieg viele Arbeiterfrauen das unverheiratetes Zusammenleben mit Männern 
zeitweilig vorzogen. Solche »wilden Ehen« scheiterten oftmals am Druck der 
Vermieter, Nachbarn usw. — nacheinigen Jahren wurde häufig doch standesamt- 
lich geheiratet. 

In wenigen Fällen gab es auch über die Zweierbeziehung hinausgehende 


313 


Versuche offener, neuartiger Gemeinschaften. So merkt Angela Vogel an, daß 
»teilweise in engem Bezug zur Organisation neue Lebensformen wie z.B. Wohn- 
gemeinschaften(7 1) entwickelt wurden. Von bestimmten anarcho-syndikalisti- 
schen Arbeiterfamilien wird ein große Offenheit für die Genossen überliefert, von 
denen manche häufig längere Zeit in der Familie mitlebten. Das wenige, was da 
war, wurde selbstverständlich geteilt. Dies entsprach dem Ideal der »gegenseitigen 
Hilfe« und war auch in anderen proletarischen Familien nichts Seltenes. 

Es gab auch Experimente mit mehreren Partnern, die mit der Idee der »Freien 
Liebe« begründet und scharf von den üblichen, heimlichen »Seitensprüngen« 
unterschieden wurden. Dies wurde u.a. von Heinrich Drewes versucht sowie von 
Hans Schmitz und Traudchen Caspers.(72) Traudchen Caspers schrieb zu dem 
Thema einen Artikel im »Syndikalist«, dem sie den Vers voranstellte: 


Frei sie die Liebe, keine Kette binde 
die Hände, die der freie Wille fügt. 
Vielleicht, daß einst das Auge Dir, das blinde, 
die Wahl des ersten heißen Fühlens rügt. 


Auch sie richtete sich gegen die Ehe als »staatlich sanktionierte Prostitution« 
und folgte Emma Goldmans Gedankengang, wenn sie schrieb: 
..wir wissen, daß man die Menschen wohl zwingen kann, zusammenzuleben, 
nicht jedoch, sich zu lieben. 
»Proletarische Ideenmenschen«, so fuhr sie fort, »brechen den Verkehr ab, wenn 
sie sich nicht mehr genügen, sind jedoch Kinder da, so werden sie nicht ausein- 
andergehen, sondern dieselben gemeinsam erziehen. Ihren Geschlechtstrieb aber 
werden sie dort befriedigen, wohin sie ihre Liebe zieht.« Sie vertrat allerdings 
die Auffassung, daß »die Befriedigung des Geschlechtstriebes ohne Liebe zur 
Perversität führt.« Und sie wendete das Problem vor allem gegen die 
proletarischen Ehemänner, wenn sie, in Vorwegnahme moderner feministischer 
Argumente, resümierte: 
Auch wir Proletarier sollten wissen, daß die Freiheit für den Menschen auch in 
sexueller Hinsicht gilt. Man kann häufig beobachten, daß der Mann auf Grund 
seiner ökonomischen Vormachtstellung die Frau zwingt, sich unterzuordnen, 
obwohl er weiß, daß ihre Liebe andere Wege geht. Diese Handlungsweise ist 
ebenso gemein wie die eines Wüstlings, der ein wehrloses Mädchen vergewaltigt. 
Diese Gier nach dem alleinigenBesitz einerFrauistbarbarischund ein schreiender 
Gegensatz zu der so viel gerühmten Gleichberechtigung der Frau! 
Kameradinnen! Kämpft und erzwingt Euch das Recht auf Liebe! 
Derartige Gedanken blieben zumeist Theorie — die praktischen Versuche offener 
Mehrfachbeziehungen waren nur von kurzer Dauer und führten ebenso zur 
Eifersucht und Verlustängsten wie bei Menschen mit weniger revolutionärem 
Anspruch. Ein männliches Mitglied der SAJD Wuppertal faßt zusammen: 
Das mit der »Freien Liebe« hat nicht hingehauen. Es ist eine harte Sache, wenn ein 


314 


Genosse an einem anderen Genossen seine Frau geht. 
Mitunter wurden von Männern und Frauen auch sehr gegensätzliche Dinge unter 
»Freier Liebe« verstanden. So wird von weiblicher Seite berichtet: 

Da gab es nicht selten die Meinung »Freie Liebe«, das sollte heißen, daß die Frauen 

in der Gruppe nun für jeden Genossen dazusein hätten. Und ich, ich verstand gerade 

darunter, freie Liebe, das heißt, ich such mir aus, mit wem ich will, und dann, wenn 

ich Lust habe — und das hieß vor allem auch, daß ich Nee sagen konnte. Männer 
und Frauen sahen auch die Rolle von Traudchen Caspers höchst unterschiedlich 
— noch im Jahre 1983 entspann sich eine kleine, aufschlußreiche 
Meinungsverschiedenheit über die Frage, ob diese außergewöhnliche Anarcho- 
syndikalistin aus eigenen Stücken zu ihrer Haltung und Anschauung gelangt sei, 
oder ob sie von Männern dazu angeregt worden sei: 

Er: Dat Traudchen is durch den Hans Schmitz auf die Sachen gebracht 

worden. Sie: Nee, die war schon vorher so! 


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34) 
35) 
36) 


313 
Anmerkungen Kapitel VIII 


Bornemann, Ernest (Hg.): Arbeiterbewegung und Feminismus, 
Frankfurt/ Berlin/Wien 1981, S.58 

ebenda 

Z.B. wörtlich im »Mitteilungsblatt« der Berliner Arbeiterbörse vom 
5.3.1921 (IISG Amsterdam) 

Die Schöpfung, Jg.3 (1923), Nr.9 

Die Schöpfung, Jg.3 (1923), Nr.27 

Thönnessen, W.: Frauenemanzipation, S.5/6 

Lucas, E.: Vom Scheitern der deutschen Arbeiterbewegung, S.45 

Nolan, Molly: Proletarischer Antifeminismus. Dargestellt am Beispiel der SPD- 
Ortsgruppe Düsseldorf, 1890-1914, in: Frauen und Wissenschaft. Beiträge zur 
Berliner Sommeruniversität für Frauen, Juli 1976, Berlin, S.370 

ebenda, S.360 

R. Treiber 

Der Düsseldorfer Sozialdemokrat Miuow, zit. nach Nolan, S.370 

ebenda 

Bornemann, S.58 

ebenda, S.56 

ebenda 

Prokop, Ulrike: Weiblicher Lebenszusammenhang, von der Beschränktheit der 
Strategien und der Unangemessenheit der Wünsche, Frankfurt 1980, S.42 
Lossef-Tillmanns, G. (Hg.): Frau und Gewerkschaft, Frankfurt 1982, S.42 
Tröger, Annemarie: Die Dolchstoßlegende der Linken: Frauen haben 
Hitler an die Macht gebracht, in: Frauen und Wissenschaft, S.332 
ebenda, S.346 

Bornemann, S.55 

ebenda, S.55 

Teuber, H.: Bergmannsfrauen, zit. nach E. Lucas: Zwei Formen 

des Radikalismus. S.65/66 

Bornemann, S.54 

A. Binder 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.88 und Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.43 
ebenda 

Der Syndikalist, Jg.7 (1925), Nr.26 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.43 

Die Schöpfung, Jg.3 (1923), Nr.90 und 76; in Düsseldorf eine 

gleiche Versammlung 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.95 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.43 

alle Zitate ebenda 

Wittkop-Rocker, Milly: Was will der syndikalistische Frauenbund, Berlin 1924 
Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.56 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.67 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.73 


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68) 
69) 


70) 
71) 


7) 
73) 


Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.73 

Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.14 

Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.33 

Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.46 

Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.43 

Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.37 

Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.40 

Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.37 

Protokoll des 15. Kongresses der FAUD, Berlin 1925 

H. Kriischedt, P. Benner 

H. Schmitz 

Jahrbücher des dt. Textilarbeiterverbandes, Berlin 1926-1931; hier 

die Jahrgänge 1925-1930 

Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.31 

Der Syndikalist, Jg.7 (1925), Nr.7 

Der Syndikalist, Jg.7 (1925), Nr.7 

Erhebung des Reichsverbandes der dt. Jugendverbände; zit. nach: Hertha 
Siemering, Eduard Spranger. Weibliche Jugend in unserer Zeit, Leipzig 
1932, S.18 

Kunza, Gertrud: Die Umwelt der weiblichen proletarischen Jugend in 
den Städten, S.23 

HS. 

P. Benner (Tochter von P. Berger) 

dieselbe 

Lucas, E.: Märzrevolution 1920, Bd.l, S.157 

P. Benner 

Alle Einzelheiten nach Berichten von H. Schmitz, P. Benner, R. Bergmann 
Linse, Lebensformen der bürgerlichen und der proletarischen Jugendbewegung, 
S.32 

H. Krüschedt 

dieselbe 

dieselbe; der Vorfall wird parallel von P. Benner, R. Bergmann und 

G. Krüschedt berichtet. 

Goldman, Emma: Liebe und Ehe, in: Emma Goldman: Frauen in 

der Revolution, Berlin 1977, S.19/20 

ebenda, S.22 

ebenda, S.25 

ebenda, S.26/27 

Landauer, Gustav: Von der Ehe (1910), in: Gustav Landauer: Der 
werdende Mensch, Aufsätze von G. Landauer, Telgte 1977, S.57 
Mühsam, E.: Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat, in: Die Internationale, 
Heft vom 6.Juni 1932; sowie als Fanal-Sonderdruck; Repr. Berlin 1973 
H.S.; G. Krüschedt 

Frau E. Nauheim, Tochter von Carl Windhoff, im Gespräch mit Angela 
Vogel, in: A. Vogel: Der deutsche Anarcho-Syndikalismus, S.286 
Hans Schmitz, G. und H. Kriischedt, A. Benner 

Der Syndikalist, Jg.8 (1926), Nr.5 


317 


Kapitel IX 
»Mit Gesang die Welt stürmen...« 
die literarischen und musikalischen Initiati- 
ven im Rheinland 


1. Die Düsseldorfer »Schöpfung — 
Tageszeitung und Sozialrevolutionäres Organ 
für ein sozialistisches Neuland 


Es sind nur wenige Zeugnisse des literarischen und musikalischen Wirkens der 
rheinisch-bergischen Anarcho-Syndikalisten erhalten oder mündlich überliefert. 
Auf dem Gebiet der Malerei ist den Verfassern überhaupt kein Zeichen ent- 
sprechender Aktivitäten bekannt geworden. Einzelne Anarcho-Syndikalisten 
haben geschrieben. Dabei konzentrierte sich ihre Anstrengung auf Artikel in der 
anarcho-syndikalistischen Presse — darüberhinaus verfaßten sie aber auch 
Kurzgeschichten, Gedichte und Briefe, die von literarischem und historischem 
Interesse sind. 

Die bedeutendste literarische Anstrengung der rheinisch-bergischen Anarcho- 
Syndikalisten war zweifellos das Projekt »Die Schöpfung«. Anarchisten und 
Anarcho-Syndikalisten hatten immer eine besonderes Gewicht auf die Pressetä- 
tigkeit gelegt und sahen in den übrigen Medien einen ihrer Hauptgegner. Gustav 
Landauer, der sonst nicht zu gewaltsamen Kampfformen neigte, schrieb in 
erbitterten Sätzen über die »kapitalistische Presse«, die den »neuen Geist« 
unterhöhle: 

Wir brauchen ein völlig neues Zeitungswesen, und ich würde keinerlei 
Gewalttat scheuen, um die alte Presse zu vernichten.(1) 
Von der Zeitungsbesetzung Bernhard Lamps in Elberfeld wurde bereits berichtet — 
nicht zufällig also die Namensähnlichkeit von »Die Schöpfung im Westen« mit der 
späteren »Die Schöpfung« —an beiden Projekten, zuletzt als Redakteur wirkte der 
Buchdrucker Heinrich Drewes mit. Über die Konzeption der Zeitung schrieb er an 


Pierre Ram us: 
Es ist mein sehnlichster Wunsch, unserem Organ eine politische Bedeutsamkeit 
zu verschaffen etwa nach der Art der (liberalen) Frankfurter Zeitung, nur im 
proletarischen Sinne gehalten... Wenn auch zum Teil der Inhalt der Schöpfung 
auf geistig beachtenswerter Höhe steht..., so ist doch ungewiß, ob unser Organ 
auf die Dauer bestehen bleiben kann.(?2) 


318 


Zwei Faktoren erscheinen in Drewes Briefen, die die neue Zeitung besonders 
gefährdeten. Auf der einen Seite das Problem der Finanzierung, da die »Schö- 
pfung« konsequent auf jegliche kommerzielle Anzeigen und Inserate 
verzichtete — tatsächlich findet sich nichts derartiges in der Zeitung bis zu ihrer 
Einstellung im Jahre 1923. Drewes formuliert lapidar:»...und zwar fehlt es... an 
dem nötigen, von uns so sehr gehaßten Mammon.«(3) 

Der andere Faktor war die Zerstrittenheit der verschiedenen Richtungen unter den 
rheinisch-bergischen Anarcho-Syndikalisten, die die »Die Schöpfung« zu ihrem 
Organmachen wollten. Ȇber die Notwendigkeit des Bestehens des Organs als 
Tageszeitung herrscht alleseits kein Zweifel«, schrieb Drewes, jedoch war schon 
etwa der Titel der Zeitung heftig umstritten: »Wir sind sogar soweit gegangen, daß 
wir entgegengesetzt meiner Auffassung die Zeitung als »sozialrevolutionäres« 
Organ benannten und nicht »syndikalistisches«, wie ich es wollte.«(4) 

Tatsächlich wurde »Die Schöpfung« zu einer stark literarisch und blumig-pro- 
pagandistischen Zeitung: ein buntes, anarcho-»»liberales« Forum geistiger und 
theoretischer Ergüsse. Politische Tagesmeldungen fehlten fast ganz, Versuche, 
»unpolitischer« Informationsleistungen wie Wetterbericht u.ä. blieben die Aus- 
nahme. Neben groß angelegten Theorieartikeln über Probleme des Anarchismus 
und Syndikalismus gab es erstaunlich viele Berichte überinternationale Ereignisse. 
Der Rest der Zeitung wurde vom Organisatorischen bestimmt (Veranstal- 
tungskalender der diversen Organisationen) sowie von einem ausgedehnten 
Feuilleton. Es verwundert nicht, daß diese Zeitung keine Verbreitung fand — sie 
erfüllte keinerlei praktische Erwartung von Nicht-Syndikalisten an eine Tages- 
zeitung. Im engeren Kreise der Anhänger scheint sie aber zeitweilig »den Ton 
getroffen« zu haben. So berichtet R. Treiber: »Gerade das idealistische, poetische 
an der »Schöpfung« hat mich alsJugendlichen angezogen und fasziniert.« 


2. Anarchistische Kunstauffassungen 


Auf dem Gebiet des proletarischen Theaters sind keine eigenständigen anarcho- 
syndikalistischen Initiativen bekannt. In einigen rheinischen Städten unterhielten 
die FAUD und die anarcho-syndikalistischen Kulturorganisationen jedoch rege 
Beziehungen zur »Freien Volksbühne, einer linken Abspaltung der sozialdemo- 
kratisch dominierten »Volksbühne«. Mit Unterstützung der Arbeiterbörsen von 
Mühlheim/Ruhr, Groß-Düsseldorf und Groß-Duisburg wurde im Herbst 1921 in 
diesen Städten Ernst Toilers »Masse Mensch« zur Aufführung gebracht — die 
FAUD warb in ihren»Betriebslokalen« und durch ihre Vertrauensleute in den 
Betrieben für die »Freie Volksbühne«.(5) 

Dies signalisiert, daß es unter den rheinischen Anarcho-Syndikalisten ein 
starkes Interesse für Werke des literarischen Expressionismus gab. In der reichs- 
weit erscheinenden Literatur- und Kunstzeitschrift »Besinnung und Aufbruch« 


319 


(verantwortlicher Redakteur war Helmut Rüdiger), die die anarchosyndikali- 
stische »Gilde Freiheitlicher Bücherfreunde« herausgab, schrieb u.a. der Expo- 
nent des Berliner Dadaismus, Raoul Hausmann. 

Daneben wurde, ähnlich wie in der SPD und KPD, das humanistische Erbe der 
klassischen bürgerlichen Literatur gepflegt immer wieder wurden Goethe, Schiller 
und Lessing zitiert, und besonders beliebt scheint folgendes Gedicht Grillparzers 
gewesen zu sein, das mehrfach in anarcho-syndikalistischen Zeitungenerschien: 


Das hohle Staatsschiff 


Der Geist der Zeit ist nur ein Traum, 
oft ist nur Mode das Bewunderte. 

Doch ein Geist macht sich immer mehr Raum: 
Der Geist, der Stille, der Jahrhunderte. 
Was kleinum klein, und Griff um Griff 

polypenartig sich erweitert, 
wird endlich zum Korallenriff, 
an dem manch hohles Staatsschiff scheitert.(6) 


Dennoch war die Kunstauffassung der Anarcho-Syndikalisten nicht eine bloße 
Kopie der sozialdemokratischen und kommunistischen. Anarchosyndikalistische 
Arbeiter teilten zwar die Ansicht Franz Mehrings, daß Kunst mehr sei als 
Agitation oder »bloße Tendenz« — in der »Schöpfung« hieß es dazu: 
Wir wollen an der Schwelle dieses Zeitalters erklären, daß Kultur und Fortschritt, 
Kunst und Wissenschaft nicht ausschließlich das Vorrecht sein sollen einer 
ökonomischen Macht, nenne sie »kapitalistisch« oder »proletarisch«, sondern... 
daß sie menschheitsumfassend seien.(7) 
Auseinandersetzungen hierüber bzw. über die Berechtigung von Kunst 
überhaupt gab es auch innerhalb der anarchistisch/syndikalistischen Bewegung 
— hier soll beispielhaft eine Diskussion des »Syndikalist« mit der »Schwarzen 
Fahne« Ernst Friedrichs erwähnt werden. Nach Darstellung des »Syndikalist« 
hatte es bei Friedrich geheißen: 
Dichten ist gewiß eine nützliche und proletarische Arbeit, solange, als es sich urn 
das Dichten von Gas- und Wasserröhren handelt. Das Reimeschütteln ... können 
wir ruhig dem Bürgertum überlassen, das Zeit und Muße für Ethik, Aesthetik 
und Poesie hat. Wir wollen ruhig in unserer proletarischen Sprache zueinander 
reden, wie uns die Schnauze gewachsen ist. 
Der »Syndikalist« konterte mit heftiger Polemik, nannte den Verfasser dieser 
Zeilen einen »Oberschmierer« und verteidigte die künstlerische Betätigung 
von Arbeitern: 
Mit einem Schlag lehnt man also die ganze proletarische Kunst ab!... Helft uns, 


die proletarische Groß-Schnauze stopfen, damit der proletarische Mund zu Wort 
kommt.(8) 


320 


Hier wird ein starkes Kunstinteresse sichtbar, das bei vielen Anarcho-S 
yndikalisten zwischen der klassenneutralen Menschheitskunst der Sozialdemokratie 
und dem »Proletkult« der KPD angesiedelt werden kann. 
Trotz ihrer »menschlichen« Kunst- und Kulturauffassungen bestanden die 
Anarcho-Syndikalisten nämlich auf deutlicher, sozialistischer»Tendenz«. 
Zugespitzt hat Erich Mühsam diese Haltung der künstlerischen Integration 
bürgerlichen Erbes und proletarischer Ziele formuliert: 
Niemand glaube, daß den Arbeitern hier etwa an Stelle der neuerdings als 
»proletarische Kunst« gebotenen Kost der alte nahrhafte Brei aus der bürgerlichen 
Gemütsküche empfohlen werden solle. Es ist... lächerlicher Unfug von 
proletarischer Kunst zu reden... Das Proletariat ist eine von den Besitzenden 
unterworfene Menschenklasse, keineswegs aber eine von jenen im Wesen 
unterschiedene Menschengattung ... Auch wird es niemals eine proletarische 
Kultur geben: denn daß es Proletariat gibt, ist anundfürsich eine Kulturwidrigkeit 
und aller proletarischer Kampf, der auf neue Gesellschaftsformen zielt, kann nur 
den Sinn haben, diese abscheuliche Kulturwidrigkeit aus der Welt zu schaffen und 
die klassenlose Menschengemeinschaft an ihre Stelle zu setzen. Soweit die Kunst 
in den Dienstrevolutionärer Ziele des Proletariats genommenwerden soll—und das 
soll sie wahrhaftig! Sie soll es viel gründlicher als bisher! —muß es die Kunst sein, 
welche aus der gegenwärtigen Kultur erwachsen ist.(9) 

Kunsttheoretische Beiträge der rheinisch-bergischen Anarcho-Syndikalisten sind 

nicht bekannt — wenn man von der kurzen Auseinandersetzung der Düsseldorfer 

»Freien Sänger« um das »proletarische Tendenzlied« absieht. 

Einen originellen persönlichen Beitrag zur Kunstdiskussion enthält der bereits 
erwähnte Brief des Düsseldorfer Angestellten B. Schmithals. Er entdeckte in den 
Werken der großen Künstler der Vergangenheit die Prinzipien der »gegenseitigen 
Hilfe« und des »Föderalismus«, wenn er schreibt: 

Sehen wir ein Kunstwerk an, sei es Musik, Malerei, Baukunst oder Dichtung. Hören 
wir eine Symphonie...welch verschiedene Persönlichkeitswerte stellen sich der 
Menschheit darin vor in der Person der verschiedenen Instrumente des 
verschiedenen Tonumfanges oder in den Farben verschiedenster Leuchtstärke aus 
denverschiedensten Ehen, das heißt Zeugungsmischungen. RechnendieBassgeigen 
ihre größere physische Schwingung als Mehrleistung von Schwerarbeitern gegen 
die kleinen Geigen auf, oder hat die trillernde, lustig tänzelnde Flöte ihrer Lustigkeit 
wegen einen schlechteren Akkordzettel als das ernste Fagott? Erhebt die Posaune 
deshalb Anspruch darauf, als Abgeordneter mit Diäten gewählt zu werden, weil sie 
die Fähigkeit hat, die Ergebnisse der Kleinarbeit der anderen 
InstrumentezurgegebenenZeitinzusammengefaßterFormnochmals eindringlich 
auszuposaunen und zuunterstreichen? Auch die Pauke will nicht Ministerpräsident 
werden, weil sienurdannund wann, dann abermit großem Geräusch in Erscheinung 
tritt. Sogar das Waldhorn, dem die Tonreinheit so schwer fällt, hat deshalb noch 
lange keine Neigung zum Kultusminister. Oder ist auf einem Bilde die Farbe, die 
aus urgesetzlicher Notwendigkeit eine größere Fläche einnimmt, deshalb in der 
Lage, ihre Nachbarn zu bedrängen und das ganze Bild als Großagrarier zu 
verherrschen...? Nein! Alles dies zeigen uns die Kunstwerke nicht und haben es 
auch nach dem Willen der Künstler nicht zeigen sollen. 


321 


Für uns hat ein Kunstwerk nur Wert, wenn wir darin den höchsten Ausdruck 
gegenseitger Hülfe erkennen und erleben können. Gegenseitige Hülfe und die 
Möglichkeit für jeden, mit seinem Können, es sei groß oder bescheiden, ernst 
oder heiter, dann der Gesamtheit zu dienen.(10) 
Dies ist nur eine einzelne Äußerung — sie darf aber als typisch für die Bemühung 
vieler rheinisch-bergischer Anarcho-Syndikalisten gelten, der alten Kunsttradition 
auf ihre Weise noch etwas abzugewinnen. Schmithals' Auffassung verbleibt auf 
der Ebene subjektiver Analogiebildung — dieses Verfahren war allerdings zu 
seiner Zeit bis in die Kunstkritik und -wissenschaft hinein verbreitet. Dort wurden 
nur in der Regel »staatskonforme« oder religiös inspirierte Analogien bevorzugt, 
so z.B. die von den sogenannten »heiligen Empfindungen«, die die Musik auslöse, 
oder Vergleiche der musikalischen Gattungen der Fuge und der Sonate mit 
absolutistischen bzw. demokratischen Staatsformen. 


Die »Freie Sängergemeinschaft« 


Ein Mensch, der täglich gewohnt ist, gewaltige Empfindungen aus seiner Brust 
durch seinen Kehlkopf herausströmen zu lassen, ohne irgendeine Beziehung zu 
seinem Handeln, ohne daß also die adäquate Abreaktion dieses ausgedrückten 
mächtigen Gefühls in entsprechend mächtigenHandlungenerfolgt—unddas ist 
das Wesen der Gesangvereinskunst — das wird ein »guter Staatsbürger« im 
passiven Sinne des Wortes. Es ist kein Wunder, daß die Monarchen eine so 
große Vorliebe für derartige Veranstaltungen haben.(11) 
Mit diesen Sätzen hat Max Weber früh ein Grundproblem der deutschen 
Gesangvereine umrissen und auch das Schicksal des größten Teils der 
Arbeitersängerbewegung prophetisch vorgezeichnet. Es waren nicht zufällig 
proletarische Sängervereine, die am frühesten und nachhaltigsten von allen 
proletarischen Kulturorganisationen unpolitischer Sentimentalität und verlogenem 
Bildungspathos verfielen. Dieses hatte mit ihrer Existenz alsArbeiter nur noch 
insofern etwas zu tun, als ihr Minderwertigkeitskomplex den traditionellen 
Meisterwerken gegenüber noch stärker ausgeprägt war, als der der bürgerlichen 
Liederkränzchen. 

Was Wunderer für die Entwicklung der sozialdemokratischen Arbeiter- 
kulturorganisationen im allgemeinen feststellt, kann am deutlichsten an der 
politischen Entwicklung des »Deutschen Arbeitersängerbundes«(DAS B) 
gezeigt werden: 

In dem Wandel der sozialdemokratischen Arbeiterkulturorganisationvon politischen 
Gegnern der bürgerlichen Gesellschaft zu Partnern und/oder Konkurrenz- 
unternehmungen zu bürgerlichenVereinen wurden die Vorzeichen, unter denen die 
Arbeiterkulturorganisationen angetreten waren, zwar nicht ungültig, verloren aber im 
Bewußtsein der Mitglieder ihre innere Notwendigkeit. Als ein deutliches Indiz für 
diesen Prozeß kann gelten, daß die Repräsentanten der sozialdemokratischen 
Vorfeldorganisationen die Legitimität ihrer Bestrebungen durch ein 


322 


»Übertreffen« der Leistungen ihrerbürgerlichenParallelorganisationen zu 

erweisen suchten.(12) 
Auch wenn die sozialdemokratischen Arbeitersänger in den 20er Jahren noch die 
alten Kampflieder aus dem 19. Jahrhundert sangen, so hatte das keinerlei direkte 
Beziehung zu »ihrem Handeln« mehr. Sie gehörten zur »Tradition« und standen 
unverbunden neben den neuen Bemühungen, etwa die 9. Sinfonie Beethovens, die 
»Missa Solemnis« und sogar kirchliche Choralsätze einzustudieren. Der Deutsche 
Arbeitersängerbund war eine der ersten proletarischen Kulturorganisationen, die 
sich mit dem entsprechenden bürgerlichen Zusammenschluß, dem Deutschen 
Sängerbund, zu reichsweiter Arbeitsgemeinschaft verband, die Zusammenarbeit 
begann bereits im Jahr 1921. Wunderer bezeichnet die Geschichte der Arbeiter- 
sängerbewegung als »prototypisch für die Verflachung und spießbürgerliche Ver- 
kümmerung der sozialdemokratischen Kulturbewegung.«(13) 

Auch Hanns Eisler hatte die Arbeitergesangsvereine den »verstaubtesten Winkel 
der Kulturbewegung des deutschen Proletariats«(14) genannt und unterstützte ab 
1928 die kommunistische Opposition im Deutschen Arbeitersängerbund, die sich 
ab 1931 als sogenannte »Kampfgemeinschaft der Arbeitersänger« selbständig 
zusammenschloß, daneben aber weiterhin im DASB verblieb und dort fraktionell 
arbeitete.(15) 

Die Anarcho-Syndikalisten im Rheinland hatten demgegenüber bereits ab 1920 
einen eigenen Zusammenschluß von Arbeiterchören, der sich »Freie Sänger- 
Gemeinschaft Rheinland Westfalen« nannte. Den Kern dieser S ängergemeinsc haft 
bildete der anarchosyndikalistische Düsseldorfer Arbeitersängerverein »Freie 
Sänger 04«. Er wird zusammen mit einem kleineren Gerresheimer Arbeiterchor 
»Vorwärts« bereits im Jahr 1912 in einem Polizeibericht erwähnt. Dort heißt es, 
die »Freien Sänger« bestünden »nur aus Anarchisten und Syndikälisten«, und in 
dem Gerresheimer Chor seien »fast ausschließlich« anarchistische Arbeiter der 
Gerresheimer Glashütte und »Mitglieder der Freien Vereinigung aller Berufe« 
vertreten.(16) 

Die Düsseldorfer Polizi scheint diese Arbeitersänger nicht für »gute 
Staatsbürger« gehalten zu haben, denn 1914 wurden beide Vereine zusammmen 
mit allen anarchistischen und syndikalistischen Organisationen verboten. Während 
die syndikalistische »Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften« (FVDG) im 
Jahre 1915 wieder zugelassen wurde, blieb das Verbot der Chöre bestehen. Das 
»Mitteilungsblatt« der FVDG kommentierte: 

Unsere Versammlungen dürfen also wieder stattfinden, ja selbst die sich zum 
Anarchismus bekennenden Gewerkschaftsgenossen dürfen an diesen 
Versammlungen teilnehmen—abersingen dürfen die Düsseldorfer Genossen nicht. 
Das »Mitteilungsblatt« zitiert die »Freien Sänger 04«, die in ihrer Beschwerde 
gegen das Verbot die alten Worte anführten: 
Wo man singt, da laß Dich ruhig nieder! 
Böse Menschen haben keine Lieder! 


323 


und fährt dann fort: 
Nach Ansicht der Düsseldorfer Polizei (politische Abteilung) müssen diese 
singenden Anarchisten aber doch verteufelt schlechte Kerle sein. Wie aber nun, 
wenn diese bösen Leute dazu übergehen und sich die Frechheit erlauben, die 
Mitgliedschaft in einigen großbürgerlichen Gesangsvereinen zu erwerben? Nach 
der polizeilichen Argumentation dürfen die braven Spießbürger dann auch nicht 
mehr singen. Das würde erst ein hübscher Klamauk werden.(17) 
Die Monarchie hatte demnach für diese Sänger keine »Vorliebe« und in der Tat 
zeigt der Polizeibericht, daß es sich hier um Anarchisten und Syndikalisten 
handelt, die nicht nur revolutionäre Lieder sangen, sondern auch bekannt dafür 
waren, daß ihre »mächtigen Gefühle« nicht im Konzertsaal verblieben: Viele der 
1912 in der Polizeiakte erscheinenden Namen begegnen uns ab 1919 als die der 
aktivsten Mitglieder der Düsseldorfer FAUD wieder, sie waren 1921/22 an den 
Metall- und Kommunalarbeiterstreiks beteiligt und kämpften in der Roten 
Ruhrarmee gegen den Kapp-Putsch. Wird dieses Engagement mit berücksichtigt, 
so ist ganz erstaunlich, was die »Freien Sänger« in den frühen 20erJahren an 
musikalischer Arbeit leisteten. 

Die »Freien Sänger 04« waren ein gemischter Chor aus ca. 80 bis 100 Sängern 
und Sängerinnen.(18) Die Zahl schwankte — wenn auf Tourneen in Dortmund 
(1921) von einem »300-köpfigen Arbeiterchor«(19) oder in Berlin (1930) von 
»130 Düsseldorfer Sangesbrüdern und -schwestern«(20) die Rede war, so muß 
davon ausgegangen werden, daß sich diesen Konzertreisen auch Mitglieder 
anderer regionaler »Freier Sängerchöre« anschlossen. Die »Freien Sänger 04« 
standen unter der musikalischen Leitung des Düsseldorfer Gastwirtsohnes Peter H. 
Ortmann, der in Leipzig Kirchenmusik(!) studiert hatte, und sich seit 1919 
gänzlich dem revolutionären »proletarischen Tendenzlied« verschrieben haue. 

Ortmann war aller Wahrscheinlichkeit nach nicht Mitglied der FAUD, obwohl 
er in der anarcho-syndikalistischen Presse wiederholt als »unser Kamerad« oder 
»Genosse Ortmann« tituliert wurde. »Damit haben die den ein bißchen kitzeln 
wollen; aber Ortmann war kein Syndikalist«, berichtet eine ehemalige »Freie 
Sängerin«. 

Zusammen mit weiteren anarcho-syndikalistisch beeinflußten Arbeiterchören 
der gesamten rheinisch-westfälischen Region, die in Verbindung mit den 
Arbeiterbörsen der FAUD nach dem Vorbild der »Freien Sänger 04« aufgebaut 
wurden, gründete man 1920 die »Freie Sänger-Gemeinschaft Rheinland 
Westfalen«, die ihren Sitz in Düsseldorf hatte. 

Die »Freien Sänger« stellten sich in bewußte Opposition nicht nur gegen den 
bürgerlichen Konzertbetrieb, sondern auch gegen die Entwicklung des deutschen 
Arbeitersängerbundes. Insbesondere bekämpften sie in Wort und Schrift, aber mehr 
noch durch ihre Gesangspraxis das »chronische Übel..., das Tendenzlied immer 
mehr auszuschalten, und statt dessen Werke aufzuführen, welche dem proletarischen 
Empfinden direkt Hohn sprechen.« So schrieb 1924 ein Düsseldorfer 


324 





P.H. Ortmann (rechts) mit E. Binder, Düsseldorf 1931 


Lied des Trutzes 


(O.E. Hartleben) 4-st. gem./Männerchor 
3-st. Frauenchor P.H. 
Ortmann (1919) 


a ee 
1. Es lebt noch eine Flamme, es grünt noch eine Saat, 


verzage nicht, noch bange: Im Anfang war die Tat! 





2. Die finsteren Wolken lagern schwer auf dem greisen Land, 


—— U2-N 

















die welken Blätter rascheln, was glänzt, ist Herbstesstand. 


325 


3 Den Blick zum 
Staub gewendet, so hasten 
sie dahin, Verdüstert ihre 
Stirnen, dumpf und gemein 


ihr Sinn. 


4. 
Doch seh ich Fäuste zittern, und 
Schläfen fühl ich glühn, Zornadern 
seh ich schwellen und Augen 
trotzig sprühn. 


95, 
Es lebt noch eine Flamme, 
es grünt noch eine Saat, 
verzage nicht, noch bange: 
Im Anfang war die Tat! 


(Nach mündlicher Überlieferung durch A. Binder, aufgezeichnet von Ulrich Klan) 


dorfer Freier Sänger im »Syndikalist« und fuhr fort: 
Man sagt »um der Kunst willen«, »die Kunst kennt keine Tendenz« usw. Ja, man 
scheut sich in diesen Kreisen (des DASB) heute nicht mehr, Kirchenkonzerte zu 
veranstalten und, man lache nicht — um die Tendenz auszuschalten, singt man 
Tendenzlieder. Oder sind Oratorien und andere Werke religiösen Inhaltes keine 
Tendenzchöre?(21) 


Tatsächlich nahmen sich die Arbeiterchöre des DASB in den 20er Jahren 
ausnehmende Oratorien und Messen vor. Nach der Aufführung von Händels 
»Judas Maccabäus« und Beethovens »Missa Solemnis« auf dem Sängerfest des 
DASB 1928 in Hannover zeigte sich etwa Carl Severing befriedigt über die 
wachsende Annäherung zu den bürgerlichen Chören und äußerte: 

Ich meine, es muß dahin kommen, daß unsere Arbeitersänger auch religiösen 

Liedern nicht ausweichen, daß sie »Ein feste Burg ist unser Gott« nicht nur 

hören, sondern auch singen.(23) 
Die Anarcho-Syndikalisten versuchten demgegenüber mit anderen Kritikern 
dieses Kurses, nicht nur die alten Kampflieder zu pflegen, sondern auch neue zu 
schaffen und zu verbreiten. Sie knüpften bewußt an die Tradition der Kampfbal- 
laden, -chöre und -lieder des Barmer Färbers, Krankenkassenbeamten und musi- 
kalischen Autodidakten Gustav Adolf Uthmann (1867-1920) an, von dem jener 
schon zitierte »Freie Sänger« aus Düsseldorf schrieb, daß er dem Deutschen 
Arbeitersängerbund »erst Leben und Inhalt zu geben vermochte.« Der Umstand, 
daß Uthmanns Kompositionen großenteils »vom DASB mit Beschlag belegt und 
anderen Gesangsvereinen nicht zugänglich waren(23), mag die Bemühungen der 
»Freien Sänger« in Düsseldorf verstärkt haben, eigene Kampflieder zu schaffen. 


326 


Dies versuchte Peter H. Ortmann als Komponist. Er schrieb zahlreiche 3-und 8- 
stimmige Chorsätze, die zum Teil — hier wurde seine musikalische Ausbildung 
sichtbar — Imitationstechniken der Motette verwendeten, wie sie allerdings auch 
bei Uthmann schon auftreten. Sämtliche Partituren Ortmanns, sowie das gesamte 
Notenmaterial der »Freien Sänger-Gemeinschaft« mußten im Jahre 1934 der 
Gestapo in Düsseldorf übergeben werden. Als »Preis« für die Freilassung des 
verhafteten FAUD- und Vorstandsmitglieds der »Freien Sänger-Gemeinschaft« 
Anton Rosinke, brachte Ernst Binder sämtliche Partituren und Stimmen einen 
Tag lang per Fahrrad ins Düsseldorfer Polizeipräsidium — von ihnen fehlt jede 
Spur.(24) 

Die Stücke, die Ortmann für die »«Freie Sänger-Gemeinschaft« geschrieben 
hat,hatten bis dahin ausschließlich durch deren Chöre eine überwiegend regional 
begrenzte Verbreitung gefunden. Offenbar hatte die Sängergemeinschaft das 
Monopol und die Rechte auf die Werke, Stimmen und Partituren und wurden von 
der FSG im »Syndikalist« den übrigen Gruppen zum Kauf angeboten: Der Ansatz 
eines syndikalistischen Musikverlages. Ortmann scheint anderweitig keinen 
Verleger für seine Chorkompositionen gefunden zu haben. (Möglicherweise ging es 
in einem nicht näher bekannten »Zivilprozeß« der FSG 1933 um seine Rechte an 
den Werken.) Diese Umstände ermöglichten den Nazis jenen zentralen, 
nachhaltigen Zugriff auf das gesamte gedruckte Notenmaterial, das wahrscheinlich 
vollständig vernichtet wurde. 


Um die musikalischen Aktivitäten der »Freien Sänger« zu rekonstruieren, sind 
wir daher auf wenige Konzertanzeigen in der anarcho-syndikalistischen Presse 
und auf mündliche Berichte angewiesen. Danach hat Ortmann für die »Freien 
Sänger« mindestens zwölf 3- bis 8-stimmige Chorwerke komponiert, zu Texten 
von P. Maxim, P. Marx, O.E. Hartleben, Eugene Pottier, Erich Mühsam und John 
Henry Mackay. Die Werke (hier von den Verfassern z.T. nach mündlicher 
Überlieferung als Sopranmelodien aufgezeichnet) hatten eine Aufführungsdauer 
von bis zu 20 Minuten. Ortmanns Kompositionen scheinen sich musikalisch 
vollständig im Rahmen der spätromantischen Tradition der Chorwerke Uthmanns 
und der Kampflieder der Pariser Commune (Pierre Degeyter) sowie der 
deutschen Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts bewegt zu haben. In einem 
Fall hat Ortmann wörtlich eine melodische Wendung Degeyters zitiert: In seiner 
8stimmigen Chormotette »Die Schmiede im Walde« stimmen die Töne bei »Wir 
weihen, was wir schmieden, der Freiheit und dem Frieden« exakt mit der 
entsprechenden Passage des Pariser Communardenliedes »Linsurgent« von 
Eugene Pottier und Pierre Degeyter überein, die lautet: »Et qui marche avec 
confiance, car le soleil de la science se leve rouge a l'horizon.« 


Eu 


Wir weihen, was wir schmieden 


327 


N 


I 


der Freiheit und dem Frieden 





TÄn: 






















‚ntn?’=,.+rla.ws}w..n, a ont D-MX re a.t, 
b- S uva dRYY u. Srahhrinaß nein ES eMvol .M.aC rr. v.. mma&Ll:.W-( -_ 
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-] 41 Die Schmiede im Walde in 

in Gedicht qsa L. staurracHr.gMiomponiertmr, (MannerdiosmH 9KrStANN  ‚cıcil 
Waldeaschwarze Wiida $ gellem - ES schwingt der ahike Schmied den Rtesechanimes; 
isefhs Klinge noch um Mittemacht;' . € Das Schwert iersdiwetterdd mit gesralt'gem Setilig 
er Schnded;'es klopfen dieeGesellen,' Hinweg dn Kainesgetst, der Tod und Jammer.-.'. Die 
immer schwingen'sle mtt Macht.: Und Pest und Schrickgn'nut.verbreiten mag."7:t 
en lodern und die Funken sprühen, ;,Va, Blut und Leitiren, des sind deineSpuren,. „, Die Blicke leuchte, 
hngen glühen,;.-, Zerstörte Stidle nod eerstämpfte.Plores,. 
es Erzes monotonem Klang, "Was willst du hier?:: Wir alle fluchen dir, 
klingt ein kriftiger Gesang e .Denn'andem Bau dar Zukunft trimmers Ntc-:. 
eihen, was wir schmieden w  ıtVir weites; was' wir schmieden ©.c:,", 
erfFreiheit Sud dem Frieden, Der Freiheitnod, dem Frieden; 


icHt droben erst, ehlealede9 ' & „sn Nicht droben erst, hienieden 
i ae ni wir nach Kronen @ y -: m ke r.et] 


SRHYERERFnKRA Kanonen? :e"/s.| ‚:Seid einig, nalänenpriyartern, und Kanonskiy ma: 


endet eure Peint ,..; es; n} -Dann endet eure Pein, :. 7. 


Da kracht du Tor ‚es tritt der Gott des Krieges U’nd steh d er Gott des Krieges Isi verschwunden; 
Antlitz Wir :die kleine Schar. «.,'8:WieSturm end Weiter braustes durch den Halo. 
A der Lorbeei eines blul'gea Sieges Dass wt,rd es still, land langsam Bicha die Stunden, 
oldrfen‘Helm, das wilde Lockenhaar; _Dle - Glut reridschf, "die Schmiede schiafeS ein. 

eirschiotnesSchwert,zumHabedemLiede, 'Der Meister nur,, der. Rub' eicht linden konnte, Reicht eı 
dem Meisterschmiede! .__ Lehnt noch' am Tor, blickt nach dem Horizonte,' Der bit es lest, starrt ii 


bi Ei Dahat In erh heingen Gesichts: I pt er.das.erste Rot, des Morgenlichtse., :- 





JJh'Ca SoWu.. om.xt RENJ. 
inge/Yu. .d. Fee T,wined.. an tud.t dee 5?b,nod r. - 




























erfi win veihen, was wir schmigden ?Nae 24 Lwst RL . 
Nicht droben erst, hienieden -. .- -. Wacht auf, Ihr Nationen, r.....- 
soll Jeder glücklich seini . c-Ihr,' die von Sorgen bleicht 
Was @agen wir nach Kronen, . Die Hohen, die Gemeinen, .: 
Nach Schwertern' und Kanonen? Die Michtigen, die Kleinen, .O.,, 
Seid einig Nationen n. ; Sie mpasegqall sich eisen 


."Dann endet eure.Pelat "Zum, großen Friedensreich, . :Y!'o 


U.wx eugNewdigx ano....myf.alx ein di. Aoubnx‘‘ din. „bin,. xilmnit&.tlua:. !Ida. 
V.eub. M. e-, Sa... M. -30. Z. bra.bx dares lese. v.4 n.asail, ir.xe.....-e 


328 


Nach mündlicher Überlieferung haben die »Freien Sänger« auch »atonale« Werke 
gesungen und waren gegenüber der Einführung avancierter musikalischer Mittel in 
die proletarische Kampfmusik aufgeschlossen. Als Hanns Eisler anläßlich der 
Aufführung seiner Musik zu Brechts »Maßnahme« 1932 in der Düsseldorfer 
Tonhalle sprach, waren die »Freien Sänger« zahlreich vertreten und 
»sympathisierten«(25) mit Eislers ästhetischen Positionen. Da Ortmann keine 
»atonalen« Werke schrieb, kamen von ihm diesbezüglich keine Impulse. Es wird 
jedoch berichtet, daß die »Freien Sänger« ab 1929 Werke des befreundeten Erwin 
Kiest sangen, darunter auch »atonale«.(26) Eines der Klestschen Stücke nach einem 
Text von Erich Mühsam ist »Wir wohnen in den Häusern grauer Steine....« Es 
enthält noch keine harmonischen Unerhörtheiten, der Komponist »wagt« lediglich 
in der Strophe etwas frei »taumelnde« Tonartwechsel, um das »Herumgestoßene« 
des Textes auszudrücken. 


Wir wohnen in den Häusern grauer Steine 
(Erich Mühsam) 
Erwin Kiest 


1. Wir wohnen in den Häusern grauer Steine, Wir kommen aus Fa-briken und Bü- 








Eu 


Ir» entrn 





bloß. (Refr.) Hal-lo, hal-lo, du Pro-le-tar, die Au-gen auf, die 


VD 


























ros. Wir haben manchmal Arbeit, manchmal keine Wir sind dem Brotherrn eine Nummer 


Fäu-ste fest. Hal-lo, hal-lo, du grau-e Schar, die Stir-ne frei. die weiße 





Pest, jetzt müßt ihr sie zer-schla-gen, die weiße Pest jetzt müßt ihr sie zer-schla-gen. 


329 


2; Wir sind die Kinder 
rechtloser Proleten, wir haben keine 
goldne Jugendzeit, wir können nicht zu 
guten Göttern beten, wir fronen schwer im 
schlichten Werktagskleid. Refr.: Hallo, 
hallo, Du Proletar... 


3. Ihr wohnt in schönen 
Villen und Palästen, ihr kommt aus hoher 
Schule und vom Sport, ihr braucht ja keine 
Arbeit, tanzt auf Festen, ihr sprecht vom 
Deutschtum und übt Fememord. Refr.: Hallo, 
hallo, Du Proletar 


(Nach mündlicher Überlieferung durch A. Binder; aufgezeichnet von Ulrich Klan) 


Bemerkenswert ist die Verbindung der »Freien Sänger« zu den Arbeiterbörsen der 

rheinischen FAUD. Diese förderten aktiv den Aufbau weiterer Chöre nach dem 

Vorbild der Düsseldorfer »Freien Sänger 04«. Der »Syndikalist« schrieb 1920: 
An vielen Orten sind unsere Genossen dazu übergegangen, syndikalistische 
Gesangsvereine ins Leben zu rufen. An erster Stelle ist es wohl unseren Düssel- 
dorfer Genossen gelungen, einen gemischten Männer- und Frauenchor zu schaf- 
fen, derMustergültiges leistet. Der Chor ist ca. 200Mitglieder stark und hat in 
P.H. Ortmann einen Dirigenten von seltener Begabung gefunden... Es ist Herrn 
Ortmann gelungen, die Anfänge einer zu unserer Weltanschauung passenden 
Musik zu fmden.(27) 


Ein weiteres LiedP.H. Ortmanns, dem der Text Heinrich Kämpchenszugrundeliegt 
soll hier rekonstruiert werden: 


Weckruf 
(Heinrich Kämpchen) 
P.H. Ortmann 
en N 4 as n 
Fersen 
+ 


Mann der Berge, aufgewacht ob im Stollen oder Schacht 








3i-5= nn tw ni. len won yon in De 








eingehüllt von Pulverdampf, rüste dich zum Freiheitskampf. 


330 


2. 
Lang genug hast du gesäumt 
Und geschlafen und geträumt, 
Morgenrot wirft seinen Schein, 
Neues Leben bricht herein. 


3. Hörst du nicht den 
Kampfeston? Deine Brüder 
fechten schon, Stehen straff in 
Reih und Glied, Nur du bist noch 
schlaff und müd. 


4. Klagen über deine 

Not Schafft dir Besserung nicht 

und Brot, Macht dich nur zum 

Kinderspott — »Hilf dir selbst, 
so hilft dir Gott« 


5. Darum endlich 
aufgewacht, Mann der Berge, 
Mann der Nacht, Hast bis jetzt du 
noch gesäumt, Länger wird nicht 
mehr geträumt! 


6. 
Rüste dich zur Gegenwehr, 
Kämpfe mit im Brüderheer, 
Immer mutig dran und drauf! 
Mann der Berge, wache auf! 


Im Folgenden entstanden im rheinisch-bergischen Raum »Freie Sänger«-Chöre 
in verschiedenen Städten und Stadtteilen: 
Düsseldorf: Freie Sänger Bilk, -Unterrath-Thewissen, -Lyra Oberbilk, - 


Harmonie Eller, -Derendorf-Rath 
Hamborn: Gemischter Chor »Morgenrotte« 
Elberfeld: Freie Sänger 

Wiesdorf: Freie Sänger 

Uerdingen: Freie Sänger(28) 


Aus dem westfälischen Raum wird von den »Freien Sängern« Mengede und 
Dortmund berichtet, jedoch weist der »Syndikalist« für Dortmund daraufhin, daß 


331 


es sich dabei »nicht um eine Gründung der Syndikalisten handelt, sondern 
daß (der Chor) schon länger bestand und jetzt auf freier Grundlage wieder 
aufgebaut wurde.«(30) 

Ein großes, gemeinsames Konzert dieser (und weiterer regionaler) Chöre ist im 
Jahre 1921 überliefert. Am 9.10.1921 — kurz vor dem 13. FAUD-Kongreß in 
Düsseldorf — fanden sich »ca. 700 Sängerinnen und Sänger« im Kaisersaal der 
Düsseldorfer Tonhalle zu einem gemeinsamen Konzert zusammen. Zu den oben 
benannten Chören kamen hier noch weitere, den Anarcho-Syndikalisten ferner 
stehende Sängervereinigungen: »Freiheit« Homberg-Hochheide, »Freiheit« Moers 
und »Freiheit« Krefeld.(31) Derartige Massenchorfeste waren in der Arbeiter- 
bewegung zu besonderen Anlässen üblich — und die rheinischen Anarcho- 
Syndikalisten feierten den 13. Kongreß der FAUD als besonderen Anlaß. Die 
Betonung des Massenhaften war eine Zeiterscheinung — nicht nur bei der Arbei- 
terbewegung, ihren Massenturm- oder -chorfesten, sondern auch im bürgerlichen 
Konzertwesen der damaligen Zeit: Die Orchester wurden ins Gigantische ver- 
größert — z.B. Mahlers »Symphonie der 1000« hatte längst die Grenze der 
Kapazität der meisten Konzertpodien erreicht. 

Bei dem Konzert der »Freien Sänger« war nach mündlichen und schriftlichen 
Berichten die Düsseldorfer Tonhalle »überfüllt«,(32) desgleichen das Konzertlokal 
»Fredenbaum« in Dortmund bei einem Auftritt von »ca. 200« Sänger(inne)n der 
»Freien Sänger 04«. Nach dem Dortmunder Auftritt kam es am dortigen 
Hauptbahnhof zu handgreiflichen Auseinandersetzungen der Arbeitersänger mit 
der Polizei.(33) 

Die FAUD beschloß auf Antrag der Düsseldorfer »Freien Sänger« auf dem 13. 
Kongreß, die angeschlossenen Arbeiterbörsen und Föderationen auf Spenden für 
das »Freie Lied« zu verpflichten. Hiermit sollte das Notenmaterial für die 
zahlreichen Chöre und die Organisation der »Freien Sänger-Gemeinschaft« 
finanziert werden, die ab 1921 ein »Mitteilungsblatt« und Ende der 20er Jahre eine 
Zeitung »Freie Sänger« herausgab. Von diesen Publikationen ist kein Exemplar 
mehr auffindbar. 

Am bemerkenswertesten ist die Notiz, »daß ein Teil der einlaufenden Spen- 
dengelder dazu bestimmt werden soll, unserem Komponisten, Genossen P.H. 
Ortmann, wieder die Möglichkeit zu geben, in erster Linie als Komponist zu 
wirken.«(34) Anton Rosinke, der dies im Zusammenhang mit der Bestätigung 
eingegangener Spenden (u.a. aus München, Magdeburg, Berlin...) schrieb, scheint 
es gelungen zu sein, diese »Beschäftigung« eines Komponisten bei der FAUD 
durchzusetzen — daß Ortmann dabei zum »Genossen« erklärt wurde, hat mög- 
licherweise auch damit zu tun, daß weniger »kulturbeflissene« Syndikalisten in 
ihrer Kritik an dieser neuerlichen »überflüssigen« Geldausgabe beschwichtigt 
werden mußten. Ortmann scheint bis 1930 von der Organisation mitfinanziert 
worden zu sein — »dann hatten wir kein Geld mehr, um ihn zu bezahlen.«(35) 


332 


Von den zahlreichen Auftritten der »Freien Sänger« sollen hier nur die genannt 
werden, die zeigen, welches musikalische Spektrum ihnen zur Verfügung stand 
und daß sie trotz der Betonung des »Tendenzliedes« auch Werke der Renaissance 
und Romantik nicht verachteten. So veranstalteten die »Freien Sänger 04« am 7. 
Oktober 1922 in der Tonhalle einen »Altmeister-Abend« mitMadrigalchören aus 
dem 15./17. Jahrhundert.(36) Auch an den jährlichen »Kropotkin-Feiern« der 
Arbeiterbörse waren die freien Sänger beteiligt — hier besonders mit Ortmann- 
Werken zu Texten des anarchistischen Dichters Mackay.(37) Diese rheinischen 
Arbeitersänger und -sängerinnen waren keine trockenen Fanatiker der »Tendenz- 
kunst«, auch wenn —mit ironischem Unterton—im Rückblick über sie gesagt 
wird: »Wir wollten mit dem Gesang die Welt stürmen!«(38) Auf den 
Unterhaltungsabenden der anarcho-syndikalistischen Industrieföderationen gaben 
sie auch rheinische Klamauk- und Nonsenslieder zum Besten. (»Et lä ener Geiß so 
schwer am Herz, dat sie nur hält en Stümmelke Sterz...«)(39) In Verbindung mit 
Instrumentalensembles führten die »Freien Sänger« klassische Werke und Chor- 
kompositionen von Uthmann auf. Als ein musikalischer Höhepunkt ihres Wirkens 
muß das Jahr 1929 gelten. Zusammen mit der befreundeten »Volkskunstgemein- 
schaft Berlin-Wedding«, einem 50-köpfigen proletarischen Jugendorchester unter 
Leitung des erwähnten Erwin Klest, führten die »Freien Sänger« in Düsseldorf- 
Gerresheim die »g-Moll-Ouvertüre« von Bruckner, die 5. Symphonie von Dvorak, 
2 Chorwerke des kommunistischen Chorleiters Franz Lande (Wuppertal) und 
Werke von Ortmann auf.(40) 
Im folgenden Jahr statteten über 100 Freie Sänger Düsseldorfs den Berlinern 
einen Gegenbesuch ab, der ebenfalls in einem gemeinsamen Auftritt gipfelte. 
Wir können uns kein vollständiges Bild davon machen, wie Ortmanns Kom- 
positionen und ihre Realisierung durch die »Freien Sänger« geklungen haben. 
Zwei Kritiken von sozialdemokratischer Seite sind erhalten, die allerdings fast 
nichts über Ortmanns Musik aussagen, stattdessen hauptsächlich darüber infor- 
mieren, was die Kritiker lieber gehört hätten. So schrieb der Düsseldorfer 
Musikdirektor Paul Moedebeck über das Konzert am 9.10.1921: 
Der Saal war überfüllt, so überfüllt, wie man den Kaisersaal nur bei großen 
politischen Versammlungen in der Revolution gesehen hat...Wie schön wäre es 
gewesen, wenn man vor einer solch stattlichen Menge Volkslieder tief aus 
demHerzenherausgesungen häte, die Masse damitinBegeisterung 
versetzend.Volkslie-der scheinen die Freien Sänger nicht zu kennen, auch unsere 
Musikheroen werden scheinbar von ihnen nicht gewürdigt. Sie können nur Chöre 
ihres Dirigenten, des Herm Ortmann. Das ist sehr betrübend. 


Über Ortmann schrieb dieser Kritiker: »Man sah, der Komponist hatte Talent. 
Mehr sah man dagegen nicht...Er ist ein noch sehr unbedeutender und wird es 
bleiben, wenn er nicht den einzig richtigen Weg findet.... (41) 

Ähnlich äußere sich nach dem Dortmunder Konzert die 
sozialdemokratische »Westfälische allgemeine Volkszeitung«: 


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„‚arejeit" 4jombebogjjeibe, „Sreihelt" „fito en® 


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EiSänger" 9tath--Dewtfjen, „-rete Siulger" üpeidorv 1804. g 
-tntrtttskarten a 6 Marti einf-Itef;tfdj Bteuer ° 
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Aus: Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.72 


EB 


1:10 


334 


Der Leiter des Chores brachte sieben von ihm komponierte größere oder kleinere 
Chorwerke zu Gehör, die alle enttäuschen mußten, schon weil er sich bewußt 
Texten völlig unterordnete... Wir wollen hier nicht die alte Streitfrage zu stellen 
versuchen, inwieweit Tendenzkunst wirklich künstlerische Werte schaffen kann. 
In Ortmanns Werken ist alles schwerfällig, ledern ...Wenn er sich wenigstens auf 
die Pflege seiner kleineren, Iyrischen Chöre beschränken wollte, und mit seiner 
großen Sängerschar unsere guten alten Volkslieder singen sollte, ... Es ist einfach 
fürchterlich, »Na-zi-onen« zehnmal im Refrain mit »Schwertern und Kanonen« 
hören zu müssen. »Sozialismus, Militarismus, Parlament und Kapital« in grellen 
Fortewellen losbrausen zu lassen und dergleichen Klötze im Konzertsaal mehr zu 
schlagen.(42) 
Fand der Kritiker die Musik »fürchterlich« oder fühlte er sich in seinem patrio- 
tischen Empfinden dadurch gestört, daß »Na-zi-onen« auf »Kanonen« gereimt 
worden war? Wir wissen es nicht. Die Kritiken zeigen trotz ihrer dürftigen 
Sachinformationen viel von der damaligen Atmosphäre und Form der Auseinan- 
dersetzung um die »Tendenzkunst«. Ein Beispiel für die politische Anwendbarkeit 
dieser Kunst fmdet sich nebenstehend. 

Die »Freie Sänger-Gemeinschaft« löste sich mit der Machtübernahme der 
Nazis auf. In Zusammenhang mit einem Zivilprozeß wurden die Nazis noch 
einmal speziell auf sie aufmerksam und verhafteten Anfang 1934 zahlreiche 
Mitglieder der »Freien Sänger-Chöre«. In diesem Zusammenhang kam es zur 
vollständigen Übergabe des Notenmaterials. Nach 1945 sind auch diese Chor- 
gemeinschaften nicht wieder entstanden. Sie waren wohl zu eng an die Arbeiter- 
börsen der FAUD und die reale Kampftätigkeit ihrer Mitglieder gebunden, um 
als bloße »Traditionsvereine«(43) losgelöst weiterexistieren zu können. Speziell 
die Arbeitersänger- und Arbeitersportvereine der übrigen sozialistischen 
Richtungen teilten übrigens dieses Schicksal. Sie konnten nach 1945 zum größten 
Teil nicht wieder ins Leben gerufen werden oder gingen nach kurzer Zeitein. Der 
Niedergang dieser proletarischen Kulturorganisationen signalisierte den Verfall 
der eigenständigen, gegenkulturellen Arbeiterbewegung in Deutschland, die in 
ihren bürokratischen Apparaten überdauerte, in ihrem Geist jedoch gebrochen 
worden war. Dies zeigte sich zuerst an ihren »schwächsten Gliedern«, die auf 
bloßen Ideengemeinschaften basierten — hierzu gehört auch die anarcho- 
syndikalistische Bewegung. 


Proletarische Peier 


Iliisseldorfer Konzert der \'olkskuustgemein- 
schaft Berlin-Wedding. 

Möchte doch dieser am 17. November abge- 
hitene Kunstabend den Hunderten der erschie- 
nenen Proletarier ein leuchtendes Fanal ihrer 
Mensehtumsforderung sein! 

a 


War nicht das Erscheinen clieser 
jungen Proletarier aus Berlin-Wedding 
hier im Ans-gesperrtengebiet nudh ein 


Akr wahrer proletarischer Solidarität? W 
ievielsehöÖne ethische Momente 
liegen doch in der Entwicklung dieser 
Gemeinschaft! 

Erschien das geflügelte Wort .‚Die Kunst dem 
Volke durch das Volh ' uns bisher oft als eine 
Phrase. so finden wir diese Forderung in dieser 
Gemeinschaft lebendig verkörpert. 
Musikliebende, geweckte Proletariersühne und - 
tödhter der weltlichen Schulen haben sich linter 
der Leitung ihres Kameraden und Bildners Erwin 
Klest zu einer Ordiestergemeine schaft 
vereinigt, die in jahrelangem, zähem 
sozialistischen Ringen und opferreicher -Arbeit 
es zu einer beispiellosen Beherrschung musi- 
kalisdien Könnens gebracht hat. Infolge der 
unerschwinglichen Eintrittspreise sind alle 
wahren Kunststätten bisher dem Proletariat 
verschlossen geblieben. Die „Volks- 
kurstgenteinschaft Wedding" hat einen dien 
Strich unter diese kulturelle Sdtande gezogen. 
Ein Jahresabonnement im Preise von 1,50 M. 
berechtigt zum Besuch von vier Konzerten. Der 
Wert einer solchen kulturellen Arbeit ist nicht 
andeutungsweise zu schätzen. 

a 


Brüderliche Bande, die die -Freie Sänger- 
gemeinschaft" mit der „Volkskuustgcmein- 
schalt Wedding" verbinden, haben diese be- 
wogen, unter schweren finanziellen Opfern zu 
den ausgesperrten Brüdern nods Düsseldorf zu 
fa.hren. 

Geistesfreunde von fern und nah bevölker- 
ten den geräumigen Konzertsaal. Ein Erlebnis 
von seltener Schönheit. Fin proletarisches 
Orchester opfert Zeit und Geld, verläßt die. F 
ronstätte der Fabrik und fährt 500 km weit zu 
den rheinischen Geistesfreunden, urn hier. 


398 


in selbstloser Weise proletarische Kulturarbeit 
zu leisten. urn em Montag dann schon wiedet!t 
in die Tretmühle zu gehen .. 

Hoch klingt das Lied der allver- 
bundenen proletarischen Soli- 
darität! . 


Welch ein Kontrast zwischen den bürgerlichen 
Orchestern und dieser Jungarbeiter- 
gemeinsdtaft! Der Anzug ist werktäglids 
proletarisdr. Dirigent und Taktstock sind aus- 
geschaltet; der Meister, Kamerad Klest. ist 
ebenfalls musikalisch (am Fliigell tätig, und 
trotzdem werden die einzelnen Krähe sauber 
zum Ganzen geformt. Nadi Anton Bruckners G- 
Moll-Ouvertüre und der „Fünften Symphn-nic." 
aus der neuen Welt des Tschechen Anton 
Demiksangen die Freien Sänger Orimanns „Lied 


des Trutzes" und „Auferstehung". Sodann 
hörten wir die neuen Werke von Franz Laude - 
Der Ilemger" für Männerchor und ein 


proletarisches Wiegenlied nach einer ergreifen- 
« den Dichtung von Ifoffmann v: Fallersleben.- 


Dann leitete Kamerad Klest-Berlin anläßlich 
des 100. Todestages Franz Schuberts eine 
Nachfeier ein, in der das Orchester den ernten 
Satz aus der „Adtlen Symphonie" — der 
„Unvollendeten" — und einen Teil aus dem- 
Singspiel ‚‚Rosamunde" mit recht viel Wärme 
zu Gehör brachte. Die Freien Sänger ehrten . 
den -Wiener Meister ebenfalls mit Darbietung 
eines seiner großen Werke. lin Gefülil tiefster 
Dankbarkeit für unsere Berliner jung- 
pruletarischen Musiker und den Kameraden 


Klest löste sich nur langsam die große Zu- 
hörergemeinde auf. 
. 


Kameraden und Geistesfreunde! Rings um 
uns her fühlen wir aus der morschen.hürger. 
lichen Gesellschaft Fänlnis-Diinste steigen. 
Korruption allüberall. Ist soldi eine Gesell- 
schaft befähigt, Kulturarbeit an den Menschen 
zu leisten? Geht dieser unwahrhaftigen Talmi. 
kultur, die sichein den sogenannten bürgen 
lichen Kunststätten wie eine Hure spreizt, aus 
dem \Vage! Ihr Leib ist aussätzig! 


eo 
Schafft euch in eigenen Gemeinschaften den 
Born der Freude und Erhebung, den wir als 
Rüstzeug in unserem Kample gegen diese 
Welt der Lüge so bitter notwendig haben. 
A.Rosinke, Freie Sänger-Gemeinschaft 


Aus: Der Syndikalist (1929), Nr.49 


Anmerkungen Kapitel IX 


Landauer, Gustav: Briefe, zit. nach W.Kalz: Gustav Landauer, S.69 

H. Drewes, Brief an Ramus vom 28.8.1921, in: Nachlaß Ramus, IISG Amsterdam 
H. Drewes, Brief an Ramus vom 13.5.1921, in: Nachlaß Ramus, IISG Amsterdam 
H. Drewes, Brief an Ramus vom 9.6.1921, in: Nachlaß Ramus, IISG Amsterdam 
Die Schöpfung,Jg.1(1921),Nr.46 und 67—inElberfeldu.a. eine Theateraufführung 
zusammen mit den dortigen »Freien Sängern«; »Der Rebell«, Revolutionäres 
Schauspiel (Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.26) 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.3 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.30 

Der Syndikalist, Jg.8 (1926), Nr.41 

Mühsam, Erich: Kunst und Proletariat, in: Wolfgang Haug (Hg.): Erich Mühsam 
— Ich bin verdammt zu warten in einem Bürgergarten, Bd.2, Darmstadt/Neuwied 
1983, S.50/51 

Schmithals, B.: Brief an P. Ramus vom 22.6.1930, in: Nachlaß Ramus, IISG 
Amsterdam 

Weber, Max: Rede auf dem 1.dt. Soziologentag 1910, in: Max Weber: 
Gesammelte Aufsätze, S.445 

Wunderer: Arbeitervereine, S.224 

ebenda, S.43 

Eisler, Hanns, zit. nach: Konrad Boehmer. Zwischen Reihe und Pop-Musik 
mit Klassengesellschaft, München 1970, S.118 

van der Will, S.115/116, Wunderer, S.46 

HSTA Döüss., Reg. D. Nr.15988 

Mitteilungsblatt der FVDG vom 15.2.1915 (IISG Amsterdam) 

A. Binder 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.17 

Der Syndikalist, Jg.12 (1930), Nr.23; A. Binder 

»Espero«, Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.42 

Wunderer, Arbeitervereine, S.46 

Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.42 

A. Binder, sie berichtet auch, daß Ortmann sie nach 1945 noch einmal besuchte — 
sie hatten sich aus den Augen verloren — und nach irgendwelchen erhaltenen 
Exemplaren seiner Partituren fragte; es scheint, daß auch er keine mehr besaß. In 
den Beständen des deutschen Volksliederarchivs, Freiburg und des Arbeiterlie- 
derarchivs, Berlin/DDR ist nichts über oder von Ortmann vorhanden, abgesehen 
von einem kurzen Hinweis in Berlin: Laut einem erhaltenen Programm vom 
Männergesangsverein »Arion«, Wittenberg, wurden dort Ortmanns »Schmiede im 
Walde« im Jahre 1925 aufdgefiihrt. Des weiteren fmdet sich in einem Liederbuch 
des anarchistischen Verlags »Der freie Arbeiter« von 1925 ein Hinweis: »Erich 
Mühsam. Revolution. Marsch-, Kampf- und Spottlieder«, Berlin 1925 enthält auf 
S.28 den Text von Mühsams »Gesang der jungen Anarchisten« und darunter den 
Satz: »Die Vertonung dieses ersten nach 68 Monaten Haft in der Freiheit (März 
1925) verfaßten Liedes ist soeben durch den Genossen P.H. Ortmann, Düsseldorf 
erfolgt.« (Zit. nach einem Brief von Dr. Inge Lammel, Arbeiterliedarchiv Berlin an 
Ulrich Klan) 





337 


A. Binder 

dieselbe 

Der Syndikalist, Jg.2 (1920), Nr.28 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.8 und 26 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.8 und 26 

Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.34 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.67 

A. Binder/Paul Moedebeck, Düsseldorfer Volkszeitung vom 12.10.1921, 
Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.17 

Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.27 

Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.8 

A. Binder 
Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.13 

Die Schöpfung, Jg.3 (1923), Nr.34 

A. Binder 

dieselbe 

Der Syndikalist, Jg.11 (1929), Nr.44 und 49 

Düsseldorfer Volkszeitung vom 12.10.1921 

Westfälische allgemeine Volkszeitung, Aug. 1921— zit. nach Die 
Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.32 

So bezeichnet Wunderer, $S.224 die sozialdemokratische Kulturorganisation 
der Weimarer Zeit. 





338 
Kapitel X 
Zur sozialen Basis der FAUD 


Die soziale Basis der Freien Vereinigung 


Nach der organisatorischen und ideologischen Trennung von der SPD im Jahre 
1908 bestanden bis zum 1.Weltkrieg im rheinisch-bergischen Raum folgende 
Berufsvereine der Freien Vereinigung:(1) 


Alle Berufe Elberfeld, Viersen 

Bauarbeiter Düsseldorf, Mülheim/Ruhr, Duisburg 

Bergarbeiter Hamborn 

Fabrikarbeiter Düsseldorf 

Holzarbeiter Düsseldorf 

Schneider Elberfeld 

Textilarbeiter Breyel, St. Tönis, Fischeln, Krefeld, 
Elberfeld 


Die Mitglieder der Organisation Kamen überwiegend aus Handwerkerberufen, bei 
den Textilarbeitern waren es vornehmlich die Weber vom Niederrhein, die in der 
»Freien Vereinigung« organisiert waren. Das eigentliche Fabrikproletariat war nur 
marginal vertreten. Die Handwerker und qualifizierten Facharbeiter bildeten bis in 
die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts den eigentlichen Kern der deutschen 
Gewerkschaftsbewegung.(2) Erst zu Beginn des Jahrhunderts strömten die Fa- 
brikarbeiter in die Gewerkschaften. 

Der Konflikt über die gewerkschaftliche Organisationsform, in lokalen Be- 
rufsverbänden einerseits, in Zentralen Gewerkschaften andererseits Kann jenseits 
der politischen Differenzen als ein Prozeß der Umschichtung der sozialen Träger 
der Gewerkschaftsbewegung interpretiert werden. Rudolf Boch hat in seiner 
Sozialgeschichte der Solinger Schleifer diesen Konflikt thematisiert.(3) Für 
Solingen und begrenzt auf das bergische Land kommt er zu folgendem Ergebnis: 


In den ersten Jahren nach Aufhebung des Sozialistengesetzes (1890) fand die Idee 
des zentral organisierten Industrieverbandes gerade bei historisch »jüngeren« 
Arbeiterschichten, die in bereits stärker industrialisierten Sektoren arbeiteten, 
Unterstützung. Die traditionellen, bergischen Arbeitergruppen, die zu dieser Zeit 
noch weitgehend (zumeist als Heimarbeiter) in handwerkliche Arbeitsprozesse 
eingebunden waren, beharrten dagegen auf ihren dezentral organisierten, berufs- 
spezifischen Fachvereinen, die eine exklusive Vertretung vergleichsweise hoch- 
qualifizierter Arbeiter gewährleistet hatten, z.T. paritätisch besetzte »Vergleichs- 
kammern« mit den Unternehmern besaßen und in einzelnen Berufen (u.a. über 


339 


Lehrlingsbeschränkungen) weitgehend den Arbeitsmarkt kontrollierten. Obwohl 
diese traditionellen Arbeiterschichten immer stärker in den Sog industrieller 
Veränderungen hineingerissen wurden, vollzog sich dieser Prozeß doch so unter- 
schiedlich und zeitverschoben, daß eine ganze Reihe von Arbeitergruppen auch in 
den letzten beiden Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg eine Nivellierung ihrer 
sozio-ökonomischen Position bei einem Übertritt in den Deutschen Metallarbeiter- 
Verband oder in den deutschen Textilarbeiterverband befürchtete.(4) 

Dieser Prozeß der sozialen Umschichtung wirkte sich naturgemäß auf die SPD 

aus. Boch beschreibt dies für die Solinger SPD, wo der Einfluß der 

»Handwerker-Sozialisten«, der Fachvereine im Laufe der letzten 10 Jahre vor der 

Jahrhundertwende gebrochen wurde. Die Solinger Schleifer hatten Kontakte zur 

»Freien Vereinigung«, brachen diese aber ab, weil sie in der Frage des 

Verhältnisses zum Parlamentarismus und des politischen Generalstreiks der SPD 

näher standen als den Syndikalisten.(5) 

Soweit sich dies nach dem heutigen Forschungsstand beurteilen läßt, 
konnte die »Freie Vereinigung« nach ihrer ideologischen Trennung von der 
SPD in den Ortsvereinen dort ihre Stellung behaupten, wo: 

1. In örtlichen Parteiorganisationen starke antiparlamentarische Strömungen 
vorhanden warten, so in Düsseldorf, wo Carl Windhoff bis Anfang des 
Jahrhunderts im Vorstand der SPD war. Einer seiner Kontrahenten in der SPD 
schrieb im Rückblick über Windhoff: »Er machte nämlich einen Grundfehler 
auf gewerkschaftlichem Gebiet, indem er syndikalistische Methoden in Form 
von direkten Aktionen einführen wollte.«(6) 

2. Ortsvereine, in denen starke anarchistische Tendenzen vorherrschten — so in 
Elberfeld. Im Schneiderverband waren die damals aktivsten Elberfelder 
Anarchisten, Franz Klinger und Hermann Steinacker, tätig.(7) Bei den Band- 
webern in Elberfeld-Barmen waren ebenfalls anarchistische Tendenzen vor- 
handen.(8) 

Eine wesentliche Differenz zwischen den »traditionellen« und neueren 

Gewerkschaftsmitgliedern bestand in ihrem Verhältnis zum technischen 

Fortschritt und zur Arbeit. Diese These Bochs über die Solinger Fachvereine 

kann mit Einschränkungen auf einen Großteil der Berufsgruppen der »Freien 

Vereinigung« übertragen werden. 

Die Fachvereine zeichneten sich durch ein überaus skeptisches, z.T. deutlich 
abwehrendes Verhältnis zur technischen Entwicklung aus. Ihre Mitglieder — 
zumeist »selbstständige« Heimgewerbetreibende mit eigenem Arbeitsgerät — 
sahen sich durch immer kapitalintensivere, mechanisierte Arbeitsprozesse bedroht. 
Ihre Kritik am Kapitalismus und ihr Verhältnis zur Sozialdemokratie waren schon 
seit den 1860er/70er Jahren bestimmt von einer Kritik an der Produktiv- 
kraftentwicklung des Kapitalismus, der sie ihre äußerst »Konkrete Utopie« der 
»Association der freien Produzenten« entgegensetzten, verstanden als Beibehaltung 
der kleingewerblich-handwerklichen Strukturen unter Ausschaltung des 


Privateigentums und der Konkurrenzwirtschaft. Der DV als Vertreterbereits 
weitgehend fabrikmäßig arbeitender Arbeiterschichten forcierte dagegen gerade- 


340 


zu die Anpassungsbereitschaft an die Möglichkeit des »technischen Fortschritts«. 
Er kritisierte den Kapitalismus vor allem wegen seiner angeblichen Unfähigkeit zur 
gerechten Distribution und in bezug auf die gesellschaftlich bedingte Blockierung 
einernoch schnelleren Entfaltung der Produktivkräfte. Der Sozialismus hatte für die 
DMV und die ihn tragenden sozialen Schichten seine unmittelbare Konkretheit 
verloren. Er war auf den Tag verschoben, an dem der Kapitalismus die 
Produktivkräfte weit entwickelt haben würde, oder nicht mehr in der Lage war, 
diese weiterzuentwickeln.(9) 


Peter Lösches Hinweis auf die Bedeutung zünftlerischer, solidarischer 
Traditionen für die Herausbildung des deutschen Syndikalismus wird durch 
das vorliegende Material bestätigt.(10) 


Die soziale Basis der FAUD bis 1924 


Während der deutschen Revolution 1918/19 veränderte sich die soziale Zusam- 

mensetzung der »Freien Vereinigung«. Der überwiegende Teil der Mitglieder 

rekrutierte sich nun aus den Großbelegschaften des Bergbaus der eisen- und 
stahlerzeugenden und der metallverarbeitenden Industrie mit Zentren im west- 
lichen Ruhrgebiet und im Raum Düsseldorf. 

Kennzeichnend für diese Großbetriebe war: 

1. Daß ihre Belegschaftszahl zum Teil während des Weltkrieges explosionsartig 
gestiegen war oder die höheren Produktionsziffern durch eine erhebliche 
Ausdehnung der Arbeitszeit erreicht wurden. 

2. Daß ein Großteil der Belegschaften führend in den Streikbewegungen 
während und nach dem Kriege waren unddabei negative Erfahrungen 
mit den etablierten Arbeiterorganisationen gemacht hatte. 

Die neuen Mitglieder der FAUD waren nun zu einem großen Teil an- und 

ungelernte Arbeiter, die bis dato den Gewerkschaften im allgemeinen nicht 

angehört hatten. . 


Veränderungen der Struktur der Arbeiterschaft 


Die vor dem Weltkrieg begonnenen und durch diesen intensivierte Rationalisie- 
rung der Wirtschaft hatte die Struktur und den Charakter der Arbeiterklasse 
grundlegend verändert. Hinweise für die Veränderung finden sich in der Unter- 
suchung des Vereins für Sozialpolitik über die Arbeitsverhältnisse in der Groß- 
industrie, die von Max Weber konzipiert wurde und in der festgestellt werden 
sollte, »welche Einwirkungen die geschlossene Großindustrie auf persönliche 
Eigenart, berufliches Schicksal und außerberuflichen »Lebensstil« ihrer Arbei- 


341 


terschaft ausübt, welche physischen und psychischen Qualitäten sie in ihnen 

entwickelt, und wie sich diese in der gesamten Arbeiterschaft äußern.«(11) 

1912 wurden die ersten zusammenfassenden Analysen von Marie Bernays(12) 
und Alfred Weber(13) veröffentlicht. Nach diesen Analysen zeichnete sich 
folgende Veränderungen in der Struktur der Arbeiterklasse ab: 

1. Abnahme der gelernten Arbeiter: In der Textilindustrie gab cs z.B. nur noch 
30% Facharbeiter, in der Elektroindustrie nur noch 19%.(14) 

2. Herausbildung einer neuen Schicht von ungelernten Arbeitern und 
Tendenz zur Homogenisierung der Arbeiterklasse: 

»Die Einstellung von Maschinen bewirkt unter der Arbeitermasse... einen 

absteigenden und einen aufsteigenden Prozeß, eine ungeheure, teils allmäh- 

lich, teils gewaltsam vor sich gehende Nivellierung der Arbeitermassen, die 
zwar die intelligenteren Arbeiter und Frauen an die Oberfläche fördert, die 

Schicht der gelernten Arbeiter z.T. aus ihrer Höhe herabdrückte.«(15) 

3. Eine altersmäßige Umschichtung auf dem Hintergrund verschärfter Ausbeu- 
tung der Arbeitskraft: Von den 16.000 untersuchten Metallarbeitern waren 
nur 20-25% älter als 40 Jahre und nur 5-10% älterals 50 Jahre.(16) Bei den 
weiblichen Textilarbeitern waren 90% unter 40 Jahren und mehr als 35% 
zwischen 17 und 21 Jahren.(17) 

4. Zunahme der Frauenarbeit. 

Für diesen neuen Arbeitertypus, den Massenarbeiter ist die Arbeit nicht mehr 

identitätsstiftend, nicht mehr ein Teil der Persönlichkeit wie beim Facharbeiter 

oder Handwerker. 

Nach Alfred Webers Urteil waren diese Arbeiter, »die an ihrem eingeschrumpften 
Arbeitsfleck verarmen, (...) innerlich so hilflos, daß sie von ihrer Arbeit nicht 
einmal reden und über ihren Jammer nicht einmal klagen können.«(19) 

Diese von ihm konstatierte psychische Verelendung und mangelnde Artikula- 
tionsfähigkeit ist der direkte Ausdruck der Arbeits- und Lebenssituation dieser 
Arbeiter, die während der Arbeitszeit, die damals noch 12-14 Stunden täglich 
betrug, auf die Verrichtung primitiver Teiloperationen als Anhängsel der Ma- 
schine reduziert waren. Zudem war der Massenarbeiter in den Großbetrieben 
einer repressiven Betriebsstruktur unterworfen. In einer Studie des DMV aus dem 
Jahre 1912 über die deutsche Schwerindustrie wird über die Behandlung der 
Arbeiter ausgeführt: 

Wie früher Fürsten und Grafen ihre Bauern behandelten, so springen in den 
modernen Zwingburgen der Hüttengewaltigen Aufscher, Meister, Ingenieure und 
Direktoren mit den Industriearbeitern uni. Die Arbeiter werden von ihnen wie 
»Leibeigene« betrachtet und nach Belieben und Gutdünken...beschimpft und 
verächtlich behandelt. (20) 

Als Beispiel sei hier die Behandlung der Arbeiter im Essener Krupp Werk 

genannt: 

Aus 13 Betriebsabteilungen wird berichtet, daß Ausdrücke wie Affe, Faulenzer, 


342 


Kamel, Schwein, Polacke, fauler Hund, Schafskopf, Esel, Rindvieh, Rhinozeros, alte 
Krücke, an der Tagesordnung sind. ZT. herrscht der reinste Kasernenhofton und die 
Vorgesetzten sind leicht bei der Hand mit allerlei höhnischen Bemerkungen und 
Drohungen. In der Generatorenabteilung des Martinwerks V kann man öfters hören: 
»Wenn es Ihnen nicht paßt, am Tore warten andere, oder wenn sie kaputt sind 
kommen andere und wenn die kaputt sind, kommen wieder andere...«(21) 
Unter welch elenden Bedingungen die Arbeiter der Schwerindustrie lebten, zeigt 
die Tatsache, daß sie bei den Hamborner Bergarbeitern, die nach damaligen 
Maßstäben zu den unterprivilegierten Arbeitern gehörten, als ausgesprochene 
Kulis galten.(22) 

Der gewerkschaftliche Organisationsgrad der Hochofen- und Hüttenarbeiter 
war vor dem 1.Weltkrieg sehr gering, nur 5,36% (8207 Mitglieder) waren 
1913 im DMV organisiert,(23) wobei bei dieser Zahl davon auszugehen ist, 
daß wahrscheinlich die wenigen Facharbeiter in der Stahlindustrie am ehesten 
sich gewerkschaftlich organisierten. 

Die »rücksichtlos repressive, Herr-im-Hause-Politik«(24) der Stahlindustriellen 
verhinderte eine wirksame gewerkschaftliche Organisierung, ebenso die langen 
Arbeitszeiten. »Am schlimmsten«, so erinnerte sich ein Funktionär, »sah es unter 
den Hüttenarbeitern aus. Die an sich schon lange Arbeitszeit, die durch tägliche 
Überstunden noch verlängert wurde, noch mehr aber die Doppelschicht an den 
Sonntagen, ließ die Arbeiter nichtzurBesinnung kommen und hinderte sie, an 
aufklärenden Versammlungen teilzunehmen.«(25) 

In der Stahlindustrie kam es vor dem I.Weltkrieg nur ganz selten zu Streiks. Bei 
den Hüttenarbeitern in Hamborn gab es »nur einen viertägigen Streik der Hoch- 
ofenarbeiter(1905), einen eintägigen Arbeitsausstand von 50 Hochofenarbeitem 
(1911) und einen fünftägigen des Lokomotiv- und Rangierpersonals (1913).(26) 

Über den Zusammenhang zwischen der Mentalität dieser Arbeiterschichten 
»ihrer unmittelbaren Prägung... durch (ihre) soziale Lebenswelt«(27) und ihrer 
Radikalität und Zuwendung zu syndikalistischen Organisationen nach dem 
Weltkrieg können an dieser Stelle nur vorläufige Antworten gegeben werden. 
Zur befriedigenden Klärung dieser Frage müßte neben der Arbeitssituation in 
den verschiedenen Industriebranchen auch die konkrete Lebenswirklichkeit 
am jeweiligen Ort untersucht werden, soweit die auf der bestehenden 
Quellenbasis möglich ist. Eine Pionierarbeit in dieser Richtung ist die Studie 
über Arbeiterradikalismus in Remscheid und Hamborn von Erhard Lucas. Die 
beiden Städte waren in der Revolutionszeit Zentren des Radikalismus in sehr 
verschiedenen Ausprägungen. 

Hamborn ist das Zentrum einer Bewegung von Bergarbeitern, die sehr weitge- 
hende ökonomische Forderungen aufstellen und bei dem Versuch sie durchzu- 
setzen äußerst radikal vorgehen... Remscheid dagegen ist das Zentrum einer 
Arbeiterschaft, die seit Las alles Zeiten sozialdemokratisch geprägt ist und zwar in 
der radikalen Variante, d.h. für die das Ziel die Eroberung der Staatsgewalt und 
danach Vergesellschaftung der Produktionsmittel, keine Phrase ist. Von dieser 


343 


Arbeiterschaft getragen, gewissermaßen auf ihrem Sockel, agieren etwa 20 bis 30 

Partei-und Gewerkschaftsführer.(28) 
Während Remscheid eine traditionell gewachsene Industriestadt war, deren 
Entwicklung über eine ausgeprägte Handwerkkultur weitgreifenden Handelsbe- 
ziehungen über die Manufaktur zur großen Industrie ging, war Hamborn eine 
Stadt des voll entwickelten Kapitalismus, die innerhalb kurzer Zeit von einem 
Dorf zur Großstadt wurde und die praktisch der Familie Thyssen gehörte. In 
Remscheid errangen die Sozialdemokraten und Gewerkschaften große sozialpo- 
litische Erfolge während sie in Hamborn ein Schattendasein führten und die Macht 
der Unternehmer nicht angetastet wurde. Die Mentalität des Remscheider und 
Hambomer Arbeitertypus differenziert Lucas wie folgt aus: 


Remscheid Hambom 
Kontinuität Diskontinuität in der Lebensgeschichte 
relative Sicherheit Unsicherheit der Zukunftsperspektive 
traditionell patriarchalische kapitalbestimmte, entfremdete Anonymität 
Sozialbeziehungen 
rationale Zukunftsplanung Zielgerichtetheit auf Unmittelbarkeit(29) 


Zum massenhaften Eintritt in die »Freie Vereinigung« kam es in Hamborn als sich 
die Propaganda der Syndikalisten, Betonung des ökonom isc hen Kampfes und der 
direkten Aktion und Ablehnung der zentralen Tarifpolitik der Gewerkschaften, 
sowie der föderalistische Aufbau als adäquat zu den Erfahrungen und Erforder- 
nissen der Bewegung erwies. 


Die soziale Basis der FAUD im Wuppertal 


Zur sozialen Basis des Syndikalismus in Wuppertal zu Beginn der Weimarer 
Republik können nähere Aussagen an Hand einer Polizeiakte über namentlich 
bekannte Kommunisten in Wuppertal gemacht werden.(30) Wir erwähnten, daß 
sich die Syndikalisten und Anarchisten bis Anfang 1919 in der KPD engagierten. 
Die später führenden FAUD-Mitglieder in Elberfeld-Bannen sind namentlich in 
dieser Liste aufgeführt, so daß die soziale Basis der frühen KPD in etwa der der 
»Freien Vereinigung« bzw. der FAUD entsprach. Die Zahl der Mitglieder der 
KPD wurde für Apri/Mai 1919 zwischen 700-1200 geschätzt.(31) Auf dem 
Gründungskongreß der FAUD waren 1200 Mitglieder für Elberfeld angegeben. In 
der Polizeiliste wurden insgesamt 247 Namen aufgeführt, davon waren 234 
Männer und 23 Frauen. Bei 188 Namen waren ihre Berufe angegeben, die sich 
wie folgt verteilten:(32) 


108 gelernte Arbeiter ungelernte Arbeiter 66 


45 Metallarbeiter Fabrikarbeiter 24 
9 Textilarbeiter Arbeiter 31 
20 Bauarbeiter Transportarbeiter 3 
6 Buchdrucker/Schriftsetzer Tagelöhner 3 
28 Handwerker Bauarbeiter 4 
Heizer 1 

14 Sonstige 
4 Kaufmann Krankenkontrolleur 1 
3 Händler Rentner 1 
1 Drogist Landwirt 1 
1 Rechtsanwalt Kellner 1 
Techniker 1 


In 54 Fällen war die Betriebszugehörigkeit angegeben. Davon waren alleine 19 
bei der Firma Jäger beschäftigt. Von den 19 angegebenen waren 13 Facharbeiter 
und 6 un-bzw. angelernte Arbeiter.(33) Kurz vor dem 1. Weltkrieg umfaßte das 
Werk zwei Graugießereien, eine Stahlgießerei, eine Tempergießerei sowie aus- 
gedehnte Bearbeitungswerkstätten. Kurz vor dem Kriege hatte die Firma 1300 
Beschäftigte,(34) diese Zahl hatte sich im Krieg aber mindestens verdoppelt, da 
im Jahre 1917 ca. 2000 Beschäftigte streikten.(35) Da nach dem 1.Weltkrieg 
wegen des Rückgangs der Produktion Arbeiter entlassen wurden, kann von ca. 
1300-1500 Beschäftigten für die Jahre 1919/1920 ausgegangen werden. 1921 
hatte die Firma 1150 Beschäftigte(36), die Zahl sank bis 1924 auf 500.(37) Die 
Firma Jäger bildete eine Ausnahme in der vorwiegend kleinbetrieblichen Struktur 
des Wuppertals. Eine vergleichbare Zusammenballung von Industriearbeitern 
gab es im Wuppertal nicht. 1919 existierten in der metallverarbeitenden Industrie 
Elberfelds 138 Betriebe mit insgesamt 3795 Beschäftigten.(38) Legt man eine 
Zahl von 1300 Beschäftigten zugrunde, so waren bei der Firma Jäger 34% aller 
Beschäftigten der metallverarbeitenden Industrie und 6,8% aller gewerblichen 
Arbeiter Elberfeldsvertreten.(39) Leider existieren laut Auskunft der Firma 
»Kugelfischer« keine Betriebsakten der Firma Jäger mehr aus dieser Zeit, um 
genaue Aussagen über Herkunft, Zusammensetzung, Alter und Lebenszusam- 
menhänge der Belegschaft machen zu können. Die Aufforderung des DMV vom 
7. November 1918 an seine Mitglieder »nicht zu streiken und die jungen Leute 
im Zaum zu halten«(40) deutet daraufhin, daß viele junge Arbeiter zur 
Belegschaft gehörten. 

Die gesamte Arbeiterschaft der metallverarbeitenden Industrie in Elberfeld 
verteilte sich nach Alter und Geschlecht wie folgt:(41) 
Gesamt 5962 
Arbeiter über 21 Jahre: 3525 


345 


Arbeiterinnen zwischen 16 und 21 Jahren: 710 
Arbeiterinnen über 21 Jahre: 1162 
männliche Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren:410 
weibliche Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren: 151 


Wegen der extrem harten Arbeit in Gießereienist davon auszugehen, daß der 

Anteil der Frauen in der Belegschaft prozentual nicht so hoch war wie in den 

anderen Metallbetrieben. Die Zahl der erwerbstätigen Frauen ging von 1918 bis 

1919 von 1872 auf 402 zurück, (42) auf Grund der Wiedereinstellung von Krieg- 

steilnehmern. 

Neben den Arbeitern der Firma Jäger war ein hoher Anteil von Facharbeitern 
und Handwerkern syndikalistisch organisiert. Insbesondere waren die Schneider 
radikal. Von den 28 Handwerkern waren allein 6 Schneider. 

Der Anteil aus dem Bürger- und Kleinbürgertum war marginal. Der einzige 
Intellektuelle war der erwähnte Rechtsanwalt Bernhard Lamp. Eine starke Basis 
hatten die Radikalen bei den Erwerbslosen. Im Wuppertal war die Arbeitslosig- 
keit, wegen der stark Export orientierten Textilindustrie nachdem Kriege sehr 
hoch.(43) Die vorliegenden Daten scheinen die Thesen Robert Wheelers zu 
bestätigen, daß 
1. sowohl Industriearbeiter, insbesondere der neueren Industrien, als auch Fach- 

arbeiter, die sich in ihrer traditionellen Position bedroht fühlen stärker zu 
radikalen Positionen tendieren.(44) 

2. Die Zusammenballung großer Arbeitermassen Radikalität bedingt.(45) 

3. Anhänger eines »radikalen« Standpunkts jünger als die Anhänger der kon- 
servativen Richtung sind und je länger jemand in der Arbeiterbewegung 
organisiert war, desto mehr dazu neigte, »konservative« Positionen zu unter- 
stützen.(46) 

Insbesondere die dritte "These trifft für Wuppertal zu. Die traditionelle sozialde- 

mokratische Wuppertaler Arbeiterschaft, insbesondere die Textilarbeiter waren 

1918/19 eher gemäßigt und orientierten sich an den beiden sozialdemokratischen 

Parteien USPD und SPD. Die KPD konnte erst nach ihrer Vereinigung mit der 

USPD Ende 1920 einen größeren Einfluß auf die Wuppertaler Arbeiterschaft aus- 

üben. Bei den Wahlen zur Nationalversammlung im Juni 1920 erreichte sie ledig- 

lich 854 von 170.000 Wählerstimmen.(42) Diese extrem niedrige Zahl deutet 
daraufhin, daß in der frühen Wuppertaler KPD die antiparlamentarische Strömung 

— Anarcho-S yndikalisten und Linkskommunisten — dominant war, denn zu die- 

sem Zeitpunkt hatte sich sowohl die FAUD als auch die KAPD von der KPD 

getrennt. 

Die von Erhard Lucas konstatierte Differenz zwischen Syndikalisten als »ani- 
mateurs« der Großbelegschaften im westlichen Ruhrgebiet, die über die Aus- 
einandersetzung mit der Arbeitsgemeinschaft Politik der Gewerkschaften poli- 


346 


tisiert worden waren und den Linkskommunisten als opinion leaders kleiner 
verschworener Gruppen, die durch die Erfahrungen mit der militärischen Kon- 
terrevolution im Jahre 1919 politisiert worden waren, scheint in groben Zügen für 
das Wuppertal zuzutreffen.(48) 

Die Arbeiter der Firma Jäger waren führend in den Streikbewegungen dieser 
Zeit und gleichzeitig gibt es keinerlei Hinweise, daß sie an den putschistischen 
Aktionen der KAPD beteiligt waren.(49) 


Innerorganisatorische Konflikte in der FAUD 
als Ausdruck der heterogenen Zusammensetzung 


Die innerorganisatorischen Konflikte der FAUD 1921/22 können interpretiert 
werden als Ausdruck der verschiedenen Arbeiterschichten in der Organisation. 

Zu den Verfechtern des gewerkschaftlichen Tageskampfes gehörten die füh- 
renden FAUD-Mitglieder, die schon vor dem Krieg der Organisation angehört 
hatten wie Kater (Berlin), Windhoff (Düsseldorf), Strucken (Viersen) oder in 
anderen Arbeiterorganisationen vor dem Krieg schon organisiert waren wie 
die Mühlheimer Syndikalisten um Heinrich Reuß. 

Die Anhänger der »radikaleren« Richtung hatten vor allem ihre Basis bei den 
Düsseldorfer Metallarbeitern, die aus den Großbetrieben der Stadt, u.a. Mannes- 
mann, Rheinmetall, den Preß- und Walzwerken Reisholz und Lierenfeld und der 
Firma Schlöndorff kamen. Durch die enorm gesteigerte Rüstungsproduktion, vor 
allem bei der Firma Rheinmetall, deren Belegschaft von 8000 auf 40000 Beschäf- 
tigte anstieg, wurden neben der Beschäftigung von Fremdarbeitern und Kriegs- 
gefangenen, die den Bedarf an Arbeitskräften nicht annähernd decken konnten, 
Werbekampagnen zur Anwerbung von Arbeitern im ganzen Reich durchgeführt 
und Arbeiter brachliegender Industrien täglich mit Sonderzügen, wie z.B. aus 
Barmen zur Arbeit gebracht.(50) 

Für breite Schichten der Düsseldorfer Metallarbeiter traf die von Lucas bei den 
Hambomer Arbeitern konstatierte Diskontinuität in der Lebensgeschichte, die 
Unsicherheit in der Zukunftsperspektive, Kapital bestimmte entfremdete Ano- 
nymität und Zielgerichtetheit auf Unmittelbarkeit in erheblichem Maße zu. Zum 
Beispiel war die Ursache des bei der Firma Mannesmann spontan entstandenen 
Generalstreiks 1922 der Zurückzahlungszwang eines Vorschusses, den die Ar- 
beiter erhalten hatten. 

Daß die Wortführer der mehr anarchistisch orientierten Strömung in der 
Düsseldorfer FAUD einen so großen Einfluß hatten, war darauf zurückzuführen, 
daß ihre Agitation in konkreten Situationen der Mentalität dieser Arbeiter- 
schichten entsprach, daß bei ihnen aber nicht von überzeugten Anarcho-Syndi- 
kalisten gesprochen werden kann. Weder die FAUD noch die freien Gewerk- 


347 


schaften waren in der Lage, langfristig diese Arbeiterschichten an die 
Organisation zu binden. 

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist aber, daß das Gros der Arbeiter 
die Gewerkschaften erst verließ, als nach den verloren gegangenen Kämpfen 
1923, die für sie wichtigste Errungenschaft der Revolution, der 8-Stunden-Tag, 
wieder rückgängig gemacht wurde. Dies bedeutet, daß mit der Mitgliedschaft in 
der Organisation auch deren Effizienz verlangt wurde. Die Effizienz langfristiger 
gewerkschaftlicher Organisierung war naturgemäß bei Facharbeitern und Hand- 
werkern in höherem Maße gegeben als beim Massenarbeiter, da sie nicht beliebig 
austauschbar waren wie letzterer und somit in der Regel eine sicherere Zukunfts- 
perspektive hatten. 

Wie entschieden die Positionen von der Stellung im Produktionsprozeß 
abhängig waren, wie die konkret erfahrene Arbeitssituation Einfluß nahm 
auf die ideologische Ausrichtung soll an zwei Beispielen erläutert werden. 

Über die Arbeitshaltung des Fliesenlegers Carl Windhoff schrieb Ernst 
Binder (Düsseldorf): 

Carl machte akribisch genaue Arbeit als Fliesenleger. Wenn er Platte legte, 
kümmerte er sich wenig oder gar nicht um das, was um ihn vorging. Zur 
Mittagspause und abends mußteer immer aufgefordert werden, Schluß zu ma- 
chen.(51) 
Windhoff selbst verwies in einem Artikel stolz darauf, daß vor dem 
Amtsgericht 1932 sein ehemaliger Arbeitgeber bestätigte, daß »C.W. ein 
sauberer und gewissenhafter Arbeiter ist.«(52) 

Dem entgegengesetzt schrieb Hans Schmitz, der angelernter Arbeiter bei 
der Firma Jäger in Elberfeld-Sonnborn war, über seine Herkunft und die 
Arbeitssituation als Fabrikarbeiter folgendes: 


Sklavenleben 

Das Maifeld, welches sich ausbreitet im Rhein- und Moseltale, eine Landgegend mit 
schönen Fluren und Wäldern, das »besungen und besagt« wird, war Stätte meiner 
Jugendzeit. Wohl spendet das Maifeld durch seine Bodenbeschaffenheit reichlich 
Nahrungsmittel, aber der Hunger wütet dort wie überall, in den Hütten der Armen 
herrscht Elend und Not. Ein Teil der Arbeiter fmdet seine Beschäftigung in der 
Schiefergrube. Dort arbeitet er im Bauche der Erde: er sprengt, spaltet den 
Schieferfelsen und schafft ihn ans Licht der Erde. Schon viel ist geschrieben worden 
über den Bergmann, der Kohle schafft, aber sehr wenig erfährt die Öffentlichkeit von 
der Fron des Schieferarbeiters, der doch mit den primitivsten Produktionsmittel 
schafft, auchnicht die hygienischen Einrichtungen genießt, wie z.B. der Bergmann. 
Vieles könnte die Schreibtafel dem Schulkinde erzählen über das Werden ihres 
»Seins«, wenn der Lehrer dem Kinde sein selbst Erlebtes, sein selbst Geschöpftes 
geben könnte, anstatt dem Kinde etwas einzupfropfen, was andere ihm eingepfropft 
haben. Sind doch, wie überall auf dem Lande, der Lehrer und der »Obergauner 
imNamen Jesu die beiden Götter vor denen alles im Staub versinkt. So war mein 
Schulmeister sadistisch veranlagt, fand seine Befriedigung, 


348 


wenn er uns bis zum Bluten verprügeln konnte, die Kirche tat alles denkbare, um 
willige Knechte des »Herrn« zu züchten. So waren der Hunger, die Kälte, der 
sadistische Schulmeister , der Pfaffe, der Feldgendarm, der hinter uns herspähte, 
wenn wir die Äpfelund Birnen »sozialisierten«, die HenkermeinerJugend, die alle 
Mittel anwandten, um den Sklavensinn zu fördern. Wenn man in der Lage ist, über 
dieses alles nachzudenken, so können wir verstehen, warum der Arbeiter so 
knechtselig vor seinem Herrn auf dem Boden rutscht. Wenn ich jetzt von dem 
anderen Teil Arbeiter-Arbeiterinnen schreibe, die in mir so manche Jugenderin- 
nerungen auftauchen lassen, so erachte ich es als meine Pflicht, das Bestialische, 
unter dem sie ihr Leben fristeten, zu brandmarken. Es sind dies Knechte und 
Mägde. Jedes Jahr fanden auf dem Maifeld, in den Orten Polch, Münstermaifeld 
u.a. Gesindemärkte statt; dort boten sich Knechte und Mägde zu öffentlichem 
Verkauf an. Es kamen die Grundbesitzer von fern und nah und schätzten Alter, 
Stärke und Fähigkeit ab. War dies befriedigend für sie, so wurde der Verkauf 
getätigt. Knecht und Magd bekam einen Taler Handgeld und sie waren für ein Jahr 
verkauft, mußten von morgends 4 Uhr bis abends 10 Uhr Frondienste leisten. So 
liegt noch eine ungeheure Arbeit vor uns, auch diese Sklaven der Freiheit 
entgegenzuführen. Jene Landarbeiter, die das Menschenunwürdige nicht mehr 
mitmachen wollen, aber selbst kein Land besitzen, um wirtschaften zu können, 
drängen in die Stadt und versinken ins Industrieproletariat. Dieselbe Fron, nur 
moderner. Im Werk bezwingt er Eisen und Stahl, schafft ohne Rast, denn der 
Antreiber steht hinter ihm. Ein Schrei ertönt, er windet sich im Schmerz. Das 
glühende Eisen, der zum Gießen fertige Stahl, hat seinen Körper bedeckt. Unge- 
heure Brandwunden, letzten Endes der Tod. Das ist das Skalvenlos, was man 
fälschlich Leben nennt. Wenden wir unsere ganze Kraft an, um dieser Tyrannei ein 
Ende zu machen. Rüsten wir uns mit den Waffen des freien Sozialismus. Unser 
Kampf wird sein: gegen Herrschaft und Habgier, auf daß es Frühling werde für die 
Menschen!(53) 


In dieser Gegenüberstellung spiegelt sich der Konflikt auf einer materiellen 
Ebene wieder. Berufsgruppen wie die Fließenleger empfanden ihre konkrete 
Arbeit im großen und ganzen als befriedigend. Verbesserungen ihrer Arbeits- und 
Lebensbedingungen, wie z.B. die Verkürzung der Arbeitszeit und Abschaffung 
der Akkordarbeit konnten sie durch zähe und kontinuierliche 
Gewerkschaftsarbeit erkämpfen. Der Arbeitertypus hingegen, den Hans Schmitz 
verkörperte, konnte sich seine Befreiung nur in Verbindung mit revolutionären 
Veränderungen vorstellen. Langfristige, gewerkschaftliche Arbeit bedeutete für 
sie nicht den Ausweg aus der »T'yrannei«. Daraus erklärt sich die Ablehnung aller 
taktischen Konzessionen in der alltäglichen Gewerkschaftsarbeit, wie z.B. die der 
gesetzlichen Betriebsräte. Und für sie galt, was Rosa Luxemburg 1905 über die 
Kämpfe der Bergarbeiter schrieb, »daß der Gegensatz zwischen Kapital und 
Arbeit (...) ein zu scharfer und gewaltiger ist, als daß er sich in Form ruhiger, 
planmäßiger, partieller Gewerkschaftskämpfe zerbröckeln ließe.«(54) 

Eine sehr interessante, nach dem jetztigen Forschungsstand noch nicht zu 
beantwortende Fragestellung ist, inwieweit der »agrarische Mentalitätshinter- 
grund« vieler Industriearbeiter für die Heranbildung syndikalistischer Kampf- 


349 


und Organisationsformen eine Rolle spielte. (55) Diese These wird von 
Lucas für Hambom vertreten. 
Die große, unmittelbare Solidarität, die die Hamborner Arbeiter entwickelten, 
war zum erheblichen Teil Element ihrer agrarischen Sozialpsychologie. Sie war, 
wie wir zu zeigen versuchten, für sie geradezu lebenswichtig.(56) 
Die Versuche der Landpropaganda von Hans Schmitz Ende der 20er Jahre zeigen, 
daß die rheinisch-bergischen Anarcho-Syndikalisten im Gegensatz zum tradi- 
tionellen Marxismus das Bäuerliche nicht verachteten und den bescheidenen aber 
ernsthaften Versuch machten, den Stadt-Land-Gegensatz ein wenig zu verringern. 


Die soziale Basis der FAUD nach 1925 


Wie wir in Kapitel VI ausführlich darstellten, hatte die FAUD nach 1925 nur noch 
eine kleine Basis im ökonomischen Bereich. Die stärksten Berufsgruppen bildeten 
nun wieder wie vor dem 1. Weltkrieg die Bauarbeiter, insbesondere die Flie- 
senleger. Bei den Textilarbeitern am linken Niederrhein, wo die Syndikalisten 
ebenfalls schon vordem 1.Weltkrieg stark vertreten waren,konnte sich die FAUD 
bis 1933 behaupten, insbesondere bei den Namenbandwebern, die zu den »privi- 
legiertesten« Berufsgruppen dieser Branche gehörten. In dieser Berufsgruppe 
konnten sie den Einfluß dadurch erhalten, daß sie als einzige Gewerkschaft sich 
konsequent gegen die drohende Dequalifizierung, die den Webern durch die 
kapitalistische Rationalisierung 1927 drohte, zur Wehr setzte. Die Abwehr der 
Rationalisierung Konnte erreicht werden, weil die Namenbandweber noch nicht 
kurzfristig durch angelernte Kräfte ersetzt werden konnten. 

Bei den Metallarbeitern, die Anfang der 20er Jahre mit den Bergarbeitern die 
dominanten Berufsgruppen in der FAUD bildeten, hatte die FAUD bis 1930/31 
im Vergleich zu ihrer einstigen Stärke kleine aber stabile Gruppen in den Städten 
des westlichen Ruhrgebietes, in Düsseldorf und in Krefeld. Die Bergarbeiter waren 
nach 1925 nur noch marginal in der FAUD vertreten. 

Waren zu Beginn der Weimarer Republik die Arbeiter der Großbetriebe 
eindeutig dominant in der FAUD, so verschob sich diese Relation wieder zu 
Gunsten der Arbeiter in Klein- und Mittelbetrieben. Zur Frage, welcher Arbei- 
tertypus langfristig der FAUD verblieb, gaben Rudolf Rocker und Heinrich Reuß 
Antworten. Rocker beschrieb in seinen Memoiren den großen Erfolg seiner 
Reden in dem kleinen Städtchen Sömmerda (7000 Einwohner) in Thüringen, wo 
die FAUD Anfang der 20er Jahre ca. 2000 Mitglieder (57) und die mit Abstand 
stärkste Gewerkschaftsorganisation am Orte war.(58) 


Doch meine größte Überraschung erlebte ich in Sömmerda, einem kleinen Städtchen 
nördlich von Erfurt, inmitten einer kleinbäuerlichen Gegend. Sömmerda besaß außer 
einer Ziegelbrennerei und einigen kleinen Industrien auch eine Gewehrfabrik..., Ich 
fühlte sofort, daß ich hier ein junges, frisches Menschenmaterial vor mir hatte, das 
noch nicht durch die Tretmühlen der politischen Parteien gegangen 


350 


und deshalb für neue Gedanken empfänglich war... Dazu waren sie bodenständig 
und mit ihrer örtlichen Umgebung innerlich verwachsen... Ich hatte später dieselbe 
Erfahrung auch in vielen anderen Gegenden des Landes gemacht. Gerade in 
kleineren Städten mit einer angesessenen Bevölkerung, wo die Menschen durch den 
ewigen Gleichklang des industriellen Lebens und seine unvermeidlichen 
Begleiterscheinungen geistig nicht zermürbt waren, fand ich häufig bei ihnen einen 
viel höheren Grad von geistiger Regsamkeit und gew is se kulturelle Ansprüche, die 
man in den großen Industriegebieten oft vergeblich sucht... Das Trachten der 
Menschen die unter solchen Bedingungen (Industrie, mächtige Betriebe, Rhythmus 
der Maschine, häusliche Mietskasemen, große Massen ohne innere Verbundenheit, 
bunt zusammengewürfelt) ihr Leben verkümmern müssen, ist in den meisten Fällen 
fast ausschließlich auf die tägliche Routine kleiner Lebensgewohnheiten 
zugeschnitten... Masse ist eben entwurzeltess Volk, das seine inneren 
Zusammenhänge eingebüßt hat, bis es wiedergelingen wird, die Menschen unter 
neuen Bedingungen in eine neue Gemeinschaft zusammenzufassen. Jene prächtige 
Arbeiterschaft in Sömmerda war noch nicht Masse.(59) 
Der Mülheimer Anarcho-Syndikalist Heinrich Reuß schrieb über eine 
Agita-tionsreise in Süddeutschland 1925: 
Unsere süddeutschen Kameraden befinden sich uns Rheinländern gegenüber im 
Vorteil. Sie haben es mit bodenständigen Menschen zu tun, eine Fluktuation wie 
wir im Industriegebiet, kennen sie nicht. Der dort gelegte Samen reift sicher und es 
berührt angenehm zu sehen, daß überall ein gesunder Stamm vorhanden ist.(60) 
Rocker und Reuß heben somit, Kontinuität in der Lebensperspektive, überschau- 
bare und gewachsene Lebenszusammenhänge, nicht großindustrielle Arbeits- 
plätze als besonders gute Voraussetzungen für langfristig anarcho-syndikalis- 
tische Arbeit hervor. Voraussetzungen, die im rheinisch-bergischen viel seltener 
gegeben waren, als z.B. in Süd- oder Mitteldeutschland. 


Die »FAUD« nach 1933 


Nach der Zerschlagung der anarcho-syndikalistischen Organisationen 1933 ar- 
beitete nur ein geringer Teil der Mitglieder in der Illegalität. Hierbei konzentrierte 
sich der Widerstand vor allem um: 

1. Die älteren Mitglieder der FAUD, die schon vor 1914 anarchistisch organisiert 
waren, wie Hermann Steinacker aus Wuppertal und Anton Rosinke in Düs- 
seldorf. Beide hatten in ihren jeweiligen Orten auf Grund ihrer Erfahrung, ihres 
Wissens und ihrem Mut eine herausragende Rolle im Widerstand. 

2. Die jugendlichen Mitglieder der SAJD in Wuppertal. Sie waren durch die 
harten Auseinandersetzungen mit den Faschisten politisiert worden, dieser 
Kampf war ein wesentlicher Teil ihrer politischen Identität. 

3. Andere führende Personen des Widerstands im Rheinland wie Julius Nolden 
aus Duisburg, Hans Saballa aus Köln und Herman Dortans in Dülken, deren 
Politisierung in die Kampfzeit der frühen 20er Jahre zurückging. 


351 


Die tiefe Identifikation mit den Ideen des herrschaftslosen Sozialismus scheint ein 
tragendes Moment im Widerstand gewesen zu sein. Dies gab den hier genannten 
die Kraft unter den gefahrvollen Bedingungen weiterzukämpfen, auch dann, 
wenn im Sinne ihrer Organisation kein Sieg zu erringen war. 

Die Berufsgruppen der Fliesenleger und Bandwirker, die vor 1933 den ge- 
werkschaftlichen Charakter der FAUD am meisten prägten, spielten als Gruppen 
im Widerstand so gut wie keine Rolle. Ihre Mitgliedschaft in der FAUD war mehr 
von materiellen als ideellen Motiven bestimmt. So wurden bei den Krefelder 
Bandwirkem die verbliebenen Kassenbestände nach der Auflösung der Organi- 
sation unter den Mitgliedern aufgeteilt. Bei der Wuppertaler Gruppe wäre dieses 
Verfahren undenkbar gewesen. Das verbliebene Geld wäre für die illegale Arbeit 
und die Unterstützung der inhaftierten Genossen ausgegeben worden. 

Auf Grundlage des vorliegenden Materials kann folgende These über die 
sozialen Zusammenhänge der FAUD nach 1925 aufgestellt werden. Der FAUD 
gehörten nach 1925 zum größten Teil Mitglieder an, die Anfang der 20er Jahre zur 
Organisation gestoßen waren und die aus ideellen Gründen bei der Organisation 
verblieben. 

In wenigen Bereichen konnte die FAUD ihren gewerkschaftlichen Charakter 
wahren und Einfluß auf die Arbeits- und Lohnbedingungen nehmen, dies in den 
Bereichen, wo die Arbeiter noch nicht unter den Zwängen mechanisierter Serien- 
produktion standen (Bauindustrie) oder deren Qualifikation so hoch war, daß sie 
noch nicht durch un- oder angelernte Arbeiter ersetzbar waren. In beiden Fällen 
spielten zünftlerische, solidarische Traditionen der jeweiligen Berufsgruppen eine 
bedeutende Rolle. Eine besondere Bedeutung bis 1933 hatten die älteren 
Mitglieder der FAUD, in der Regel qualifizierte Facharbeiter und Handwerker, 
die schon vor 1914 anarchistischen und syndikalistischen Organisationen ange- 
hört hatten. 

Der deutsche Anarcho-Syndikalismus war wesentlich eine originär proletarische 
Bewegung. Die in der ansonsten ausgezeichneten Arbeit von Hans Böttcher 
aufgestellte Behauptung, die Mitglieder der deutschen Syndikalisten seien in den 
Großstädten »zum großen Teil auch Angehörige Freier Berufe (Lehrer, Künstler, 
Beamte), die auf Grund ihrer höheren Bildung in erster Linie in ihrer Presse zu 
Worte kommen und vielfach einen entscheidenden Einfluß auf die Organisation 
und Zielsetzung der FAUD ausüben,«35161 ist quellenmäßig nicht zu belegen. Die 
führenden ideologischen Vertreter der FAUD und die Redakteure der syndi- 
kalistischen Presse könnten allenfalls als Arbeiterintellektuelle bezeichnet werden, 
d.h. teilweise lebten sie vom Schreiben, entstammten aber dem Proletariat, so 
Rudolf Rocker, Fritz Oerter, Fritz Köster, Max Winkler, Augustin Souchy, 
Heinrich Reuss und Heinrich Drewes. Eine Ausnahme machte der letzte Redak- 
teurdes »Syndikalist« HelmutRüdiger, der aus einer Professorenfamilie stammte.- 
Die linksintellektuellen, vor allem aus der freideutschen Jugend engagierten sich 


352 


zumeist in der KPD (Karl August Wittfogel, Alfred Kurella) und waren führend 
in der KAPD (Karl Schröder, Gustav Schwab, Hermann Reichenbach).(62) 

Der Grund der geringen Affinität der Intellektuellen zum Anarcho-S yndika- 
lismus dürfte neben der geschlossenen und ausgefeilteren Theorie des Marxismus, 
die sie mehr in den Bann zog, vor allem darin zu suchen sein, daß sie in der 
organisatorisch, wie ideologisch gefestigteren syndikalistischen Bewegung nicht 
einen derartigen Einfluß gewinnen konnten wie in der erst 1918/19 entstandenen 
rätekommunistischen Bewegung. 

In der FAUD bestand lediglich 1922 eine »Freie Vereinigung der Kopfarbei- 
ter«, wahrscheinlich in Berlin. Im rheinisch-bergischen Raum bestanden perso- 
nelle Kontakte zwischen der FAUD und dem sogenannten »Aktivistenbund«, 
einer losen Vereinigung von Künstlern, Intellektuellen und kunstinteressierten 
Arbeiten in Düsseldorf. In Wuppertal waren neben dem erwähnten 
Rechtsanwalt Lamp noch ein Lehrer und eine Lehrerin Mitglied der FAUD. 


I) 


2) 


3) 


4 


5) 
6) 


N 


8) 


9) 
10 


11) 


12) 


13) 


14) 
15) 
16) 
17) 
18) 
19) 
20) 
21) 
22) 
23) 


24) 
25) 


353 
Anmerkungen Kapitel X 


Vgl. Protokolle über die Verhandlungen des 9./10./11. Kongresses der 
Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften 1910,1912, 1914, Berlin 
1910,1912, 1914 

Brockhaus, Eckhard: Zuammensetzung und Neustrukturierung 

der Arbeiterklasse vor dem 1.Weltkrieg, München 1975, 5.27 

Boch, Rudolf: Solinger Lokalgewerkschaften und Deutscher 
Metallarbeitgeber-Verband. Eine Fallstudie zur krisenhaften Ablösung alter 
durch neuer Arbeiterschichten 1871-1914. Diss. Univ. Bielefeld 1983 
Ders.: Ein kommunales Forschungsprojekt zur Geschichte der Bergischen 
Arbeiterschaft, in: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur 
Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Nr.3, 1983, S.79 

ebenda, 5.380 

Matull, Wilhelm: Der Freiheit eine Gasse, Geschichte der Düsseldorfer 
Arbeiterbewegung, Bonn 1980, S.61 

Steinacker und Klinger waren oft Delegierte bei Kongressen und 
Vertrauensmännersitzungen der rheinländischen anarchistischen Organisation; 
vgl. Linse, Ulrich: Organisierter Anarchismus im Kaiserreich, 5.244-251 
Wohlmann, Sigrid: Die Anarchisten im Wuppertal 1880- 

1920, Staatsexamensarbeit Wuppertal 1966, S.66 

Boch, Rudolf: Kommunales Forschungsprojekt, S.380/381 

Lösche, Peter: Anarchismus - Versuch einer Defmition und 

historischen Typologie, S.63 

Weber, Max: Methodologische Einleitung für die Erhebungen des Vereins für 
Sozialpolitik über Auslese und Anpassung (Berufswahl und Berufsschicksal) 
der Arbeiterschaft der geschlossenen Großindustrie; in: Gesammelte Aufsätze 
zur Soziologie und Sozialpolitik, Tübingen 1924, 5.1-60 

Bernays, Marie: Berufswahl und Berufsschicksal des modernen 
Industriearbeiters, in: Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, 
Bd.35 (1912), S.123-176, Bd.36 (1913), S.884-918 

Weber, Alfred: Das Berufsschicksal des Industriearbeiters, in: Archiv für 
Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, Bd.34 (1912), S.377-405 

ebenda, S.381 

Bernays, Marie: Berufswahl, S.160 

ebenda, S.131 

ebenda, S.159 

ebenda, S.896 

Weber, Alfred: Das Berufsschicksal, 5.394 

ebenda, S.143 

ebenda 

Lucas, Erhard: Arbeiterradikalismus, S.45 

Steinisch, Irmgard: Die gewerkschaftliche Organisation der rheinisch- 
westfälischen Arbeiterschaft in der eisen- und stahlerzeugenden 
Industrie 1918-1924, in: Mommsen, Hans (Hg.): Arbeiterbewegung und 
industrieller Wandel, Wuppertal 1980, S.124 

ebenda 

Lucas, S.128 


354 


26) 
27) 


28) 


29) 
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52) 
53) 
54) 
55) 


56) 


ebenda, S.127 

Geiger, Theodor. Die soziale Schichtung des deutschen Volkes, Stuttgart 
1967, S.77 

Lucas, Erhard: Zum Entstehungsprozeß und zum Ansatz der Untersuchung 
von »Zwei Formen von Radikalismus in der deutschen Arbeiterbewegung«, 
Bochum 1977, S.61/62 

Lucas: Arbeiterradikalismus, S.280/81 

Vgl. STAM, Büro Kölpin, Nr.310 

ebenda 

ebenda 

ebenda 

Vgl. Festschrift der Firma Jäger zum hundertjährigen Jubiläum, 

Wuppertal 1968, S.33 

Stern, Leo (Hg.): Archivalische Forschungen zur Geschichte der 

deutschen Arbeiterbewegung, Bd.II, Nr.144, S.597 

Volkstribüne Elberfeld, 12.3.1921 

HSTAD, Reg. Düss., Pol. Akten, Nr. 17101, B1.230 

Jahrbuch der Stadt Elberfeld XVI bis XXTV. Jahrgang, umfassend die 

Jahre 1918-1926, Wuppertal 1927, S.37-39 

Zu den Vergleichszahlen, vgl. ebenda S.37-39 

Knies, Hans-Ulrich: Arbeiterbewegung und Revolution in Wuppertal. 
Entwicklung und Tätigkeit der Arbeiter- und Soldatenräte in Elberfeld 

und Barmen, S.92 

Jahrbuch der Stadt Elberfeld, S.37 

ebenda 

Knies, Hans-Ulrich: Arbeiterbewegung, S.117 

Wheeler, Robert: Zur sozialen Struktur der Arbeiterbewegung am Anfang 
der Weimarer Republik. Einige methodologische Bemerkungen, in: 
Mommsen, Hans/Petzina, Dietmar/Weisbrod, Bernd: Industrielles System 
und politische Entwicklung in der Weimarer Republik, S.184 

ebenda, S.186 

ebenda, S.182 

Knies, Hans-Ulrich: Arbeiterbewegung, S.123 

Lucas, Erhard: Arbeiterradikalismus, 5.258/259 

Vgl. auch zu den Differenzen zwischen Linkskommunisten und Anarchisten: 
Franz Pfemfert: Rede auf dem Kongreß der IAA am 26.12.1922, in: 
Wolfgang Haug (Hg.): Franz Pfemfert — Ich setze diese Zeitschrift wider 
diese Zeit, Darmstadt/Neuwied 1985, 5.191 £. 

Reulecke, Jürgen: Wirtschaft und Bevölkerung ausgewählter Städte im Ersten 
Weltkrieg (Bannen, Düsseldorf, Essen, Krefeld), S.123 

Brief von Ernst Binder an Rudolf Rocker, in: Nachlaß Rocker, IISG Amsterdam 
Der Arbeitslose, Jg.3 (1922), Nr.20 

Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.1 

Luxemburg, Rosa: Schriften zur Theorie der Spontaneität, Reinbek 1970, S.129 
Für die Heranbildung des spanischen Anarcho-Syndikalismus wird auf die 
besondere Bedeutung der Zuwanderung ungelernter Landarbeiter aus südlichen 
Landesteilen nach Katalonien hingeweisen, vgl. Bernecker, Walter: 
Kollektivismus und Freiheit, S.23 

Lucas, Erhard: Arbeiterradikalismus, S.285 


57) 
58) 


59) 
60) 
61) 


62) 


3593 


Protokoll über den Gründungskongreß der FAUD 

Sömmerda stellte für die gesamte syndikalistische Bewegung in 
Deutschland eine Ausnahme dar. Noch 1925 gelang es der FAUD bei der 
Firma Rheinmetall, der mit Abstand größten Fabrik am Ort 8 von 11 Sitzen 
im Betriebsrat zu erlangen. 

Rocker, Rudolf: Memoiren, Bd.II, S.91-93 

Der Syndikalist, Jg.7 (1925), Nr.14 

Böttcher, Hans: Zurrevolutionären Gewerkschaftsorganisation in Amerika, 
Deutschland und England, S.93 

Zum Einfluß der Ideologie und den Aktivitäten des linken Flügels der 
bürgerlichen Jugendbewegung und deren Biographien, vgl. Linse, Ulrich: 
Entschiedene Jugend, Frankfurt 1981 


356 
Nachwort 


Diese letzten Zeilen sind der Versuch einer Stellungnahme —in aller Vorsicht 

und Subjektivität. Keine »Bewertung«, denn eine solche steht uns nicht zu. Wir 

wollen und können nicht, wie so viele, vom sicheren (?) Heute aus Noten 
verteilen! Die Geschichte dieser »Randgruppe« der Arbeiterbewegung halten 
wir einfach für uneingeschränkt genauso wichtig wie die der »großen 

Schauplätze« und Persönlichkeiten. Dies gilt umsomehr, seit die »Zentren« und 

»Zentralen« der proletarischen Bewegung endgültig brüchig und obsolet 

geworden sind! Wir können und müssen feststellen, daß die anarcho- 

syndikalistische Bewegung vordergründig »gescheitert« ist—aber da sie dieses 

Schicksal bis auf Weiteres mit allen radikalen Strömungen der deutschen 

Arbeiterbewegung teilt, ist keine »bessere« Konzeption in Sicht, von der aus wir 

Heutigen sie »einzuschätzen« berechtigt wären! 

Aus der Bewegung selbst urteilte rückblickend Rudolf Rocker, das bleibende 
historische Verdienst des deutschen Anarchosyndikalismus sei letztlich nur die 
»Verbreitung freiheitlicher Literatur« gewesen. 

Wir meinen darüberhinaus: unsere Erfahrungen und Forschungen mit den 
Überlebenden der FAUD und der übrigen anarchosyndikalistischen Gruppen 
zeigen historische Beispiele von selbstorganisierter Kollektivität und freiheitlicher 
Kontinuität von Gruppen und Einzelnen. Namentlich hat uns die Geschichte der 
Anarchosyndikalisten gelehrt, daß es auch unter ohnmächtigen Bedingungen 
gelingen kann, selbst in Kleinsten Zusammenhängen identisch und wirksam zu 
bleiben: d.h. politisch, ohne einem »politischen Sieg« nähergekommen zu sein! 
Die politische »Kämpfer«identitä, die uns in den Biographien vieler 
Anarchosyndikalisten begegnet ist, war nicht unbedingt spektakulär und zum 
wenigsten »heroisch« ‚oft äußerte sie sich »nur« 

— in entschiedenem Engagement gegen unwürdige oder autoritäre Zustände an 
den Schulen, in die ihre und andere Kinder gingen 

— in »selbstverständlicher« Freidenkerkultur, die auch im Alltag. streitbar 
gegen Prüderie und religiöse Indoktrination anging und sich nicht auf den 
Bücherschrank und die eigenen 4 Wände beschränkte! 

— im aktiven persönlichen Einsatz als Gewerkschafter und Antifaschisten—auch 
und gerade in Zusammenarbeit mit Vertretern solcher sozialistischen Rich- 
tungen, die oft genug voll Arroganz der »Mächtigeren« mit Spott, Drohung 
und Ausgrenzung gegen die Anarchosyndikalisten zu Felde gezogen waren. 

Das Ergebnis solcher politisc hen Kämpferidentität am »unrealistisc hen Rande ist 

eben nicht einfach libertäre Freigeisterei — aber, wie die Anarchosyndikalisten 

zeigen, auch nicht das Diktat der Mechanismen von Ohnmacht, Wut, Verzweif- 


3937, 


lung und Haß, mit denen das System dem auswegslosenKämpfer seine 
Strukturen aufdrückt! 

Umso schmerzlicher, daß den politischen Bewegungen der Linken seit 1968 
solche lebendigen historischen Bezüge weitgehend gefehlt haben, auch wenn es 
an wortgewaltiger Berufung auf geschichtliche »Vorbilder« nicht mangelte. Man 
hat die Geschichte als Topf benutzt, aus dem man je nach politischem »Ge- 
schmack« und der Größe des eigenen Tellerrandes die linken Autoritäten fischte, 
die es dann nur noch auszuschlachten und zu kopieren galt. 

Von den Anarchosyndikalisten—aber das zeigt eben nurgenaue Beschäftigung 
— kann mensch gerade das Gegenteil lernen: Daß auch ohne Anlehnung an 
irgendeinen »großen Bruder«, auch ohne permanente Berufung auf das »kleinere 
Übel« nicht Sektierertum, Apathie oder verselbständigte Militanz einkehren 
»muß«. »Kampf« meint immer auch die Entwicklung und Verteidigung des 
inneren Reichtums der eigenen (Gegen-)Kultur — nicht nur Zurückschlagen aus 
Haß oder Schwäche! Dafür braucht es Gruppen und Einzelpersonen, die die 
freiheitlichen Ziele in sich tragen und nicht nur die Motive des Kampfes aus der 
Negation des Bestehenden ableiten. Der Druck, der auf radikalen Geistern in 
unserem Land seit Jahrhunderten lastet, hat leider — und nicht unverständlich — 
dazu geführt, ein Stück falschen Selbstbewußtseins aus den Händen des Gegners 
zu übernehmen. So wurde z.B. die Organisation der Sozialdemokratie zu einer 
Kopie der preußischen Kaserne, das Ideal des Kommunismus zur »stählernen 
Festung« des Dogmas, »päpstlicher als der Papst« die totgeglaubte Tradition der 
Ketzerverfolgung und Hexenverbrennung wiederaufnehmend! 

Wir wollen demgegenüber nicht den Anschein erwecken, als hätten wir nun mit 
den Anarchosyndikalisten die »wahren Helden« ans Licht gebracht. Wir meinen 
sogar, daß die zugängliche anarchistische Literatur überwiegend daran krankt, 
daß zuviele »Ideale« und zuwenig Anarchisten im Leben beschrieben werden. 
Wir haben Personen voller Widersprüche und Schwächen kennengelernt, die 
aber trotz aller Unzulänglichkeiten und Rückschlägen ihr Ziel nichtaus den 
Augen verloren haben. Diese Haltung wird deutlich in dem Brief des 
Wuppertaler Anarchosyndikalisten Fritz Benner an Rudolf Rocker, den wir 
deshalb an den Schluß des Buches stellen wollen. 


Stockholm, den 
29.3.53 Lieber Genosse Rocker! 
Zuerst möchte ich Dir noch nachträglich zu Deinem 80.Geburtstag gratulieren. 
Helmut R. (Rüdiger) sprach darüber und wir beschlossen ein Telegramm zu 
senden. Noch alles Gute für den Rest Deines Lebens. 
Nun vielen Dank für Dein Schreiben vom 11.11.51. Ich wollte immer schreiben; 
aber meine Maschine war kaputt. Und—meine Handschrift ist sehr schwer zu 
lesen.Ein Pfuscher wollte sie reparieren und ließ mich monatelang warten. Ich habe 
sie erst hier in Schweden machen lassen können. Nun ist es so: ich kann mich schon 
seit langem zu nichts mehraufraffen. Ich bin innerlich so müde geworden. 


358 


Ich konnte mich nicht einfach auf den Zug setzen und nach Schweden fahren. Meine 
Frau wohnte mit den zwei Kindern bei ihren Eltern. Zuletzt glückte es ihr, eine ganz 
kleine Wohnung zu bekommen. Es sind nicht mehr Quadratmeter als ich sie im 
Ruinendeutschland für mich allein hatte. Jetzt ging es um Einreise-Erlaubnis. Sie 
bekam nur für drei Monate zu Besuchszwecken. Dann mußte ich wochenlang auf 
richtige Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis warten. Kurz vor 
Toresschluß (hier ist die Hochkonjunktur vorbei) gelang es mir noch Arbeit 
zubekommen. Aber—eine Arbeit, die mich anwidert. Ich hatte in Wuppertal einen 
Spezialberuf, der aber im Auslande so gut wie wertlos ist. Ich wäre glücklich, wenn 
ich solche Arbeit hätte. Maschinenbedienen usw. Ich bin der Laufjunge und 
Fottjunge der anderen. Nur die Liebe zu meinen Kindern hat mich wieder hierhin 
getrieben. Ich persönlichverliere bei der Geschichtenur. In D. hatte ich Spitzenlohn, 
hier den schlechtesten. In D. hatte ich als politisch Verfolgter (ichbin zu 40% 
erwerbsbeschränkt) Rente, ich stand unter Entlassungsschutz...Hierkann ich von 
meiner Frau leben, wenn ich arbeitslos werde. Ich arbeite in einem Betriebe von 
5000 Personen und bin der einzige Syndikalist, was alles auch noch sehr erschwert. 
Die Schweden haben die Freiheit mit dem Schaumlöffel genossen. Das heisst, sie ist 
durchgefallen. Für mich ist das ein langweiliges Idiotenland. Ich bin viel zu sehr 
Rheinländer und teilweise auch Schiller Mackays, um michhier jemals wohlfühlen 
zu können. »...und leichengrau das Tuch der Langeweile, in Rosenketten bist Du 
eingezwängt...« Da pfeife ich auf das vielleicht bessere Essen. Der Mensch lebt doch 
nicht um zu essen, sondern umgekehrt. Puritanische Länder hasse ich genau so wie 
solche in denen politische Diktatur herrscht. Sie mögen nicht so gemeingefährlich 
sein, dafür belästigen sie den Menschen aber viel mehr im täglichen Leben. 
Nebenbei: Viele lassen sich durch die sozialdemokratische Propaganda bluffen, dass 
Schw. wirklich ein sehr soziales Land ist, wenn nicht sogar, dass hier Sozialismus 
herrsche. Auf dem Gebiete der sozialen Frage sind die Schw. nochnichtsoweit, wie 
wir teilweise schon unter Bismarck waren! Sozialismus haben die Sozialdemokraten 
noch in keinem Lande eingeführt und werden ihn auch in keinem einführen, nicht 
einmal in einem Kartoffelland. 

Ein unglückliches Schicksal hat mich nach hierhin verschlagen. Aber —ich passe 
überhaupt nicht ins Ausland. Ich kann kaum Sprachen lernen usw. Mit gehts wie dem 
Gen., über den Du in der »FG« (Die Freie Gesellschaft) schriebst. Ich kann »schlecht 
Wurzel« schlagen. Aber auch praktisch: Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung muß 
man haben, man kann nicht jede Arbeit annehmen ...Jederzeit können sie diese 
verweigern. Ich bekam für ein ganzes halbes Jahr. Die Zeit ist schon abgelaufen und 
noch keinen Bescheid. Ist auch immer mit Unkosten verbunden. Ein Glück, daß 
meine Kinder nach einem neuen Gesetz Schweden sind. Ichbin vor einem Jahr, als 
ich den Paß beantragte, wieder Deutscher geworden. Ich war schon drei Jahre in 
meiner Heimatstadt, wo mich jeder Hund kennt, und war immer noch staatenlos. 
Aber — wollte das so. Jetzt bin ich aber doch froh, daß ich den Paß als Deutscher 
genommen habe. Die von Ostdeutschland wären glücklich, wenn sie das ohne 
weiteres haben könnten. Nun entschuldige bitte, daß ich Dich so mit meinen 
persönlichen Sorgen belästige; aber ich mußte das mal raus haben. 

H.R. lieh mir vor Jahren Dein Originalmanuskript über Nettlau. Ich habe es mit 
großem Interesse und Genuß gelesen. Sonst Sprachen... Brrr. Perfekt beherrsche 
ich nur Wuppertaler Platt. Aber trotzdem besten Dank für Dein Angebot. 

Erfrischend ist etwas in D. der Kampf um das Mitbestimmungsrecht. Als 
Syndikalist würde ich ja gerne behaupten, das käme von den Massen und diese 


359 


zwingen die Bonzen. Es ist leider nicht der Fall. Es kommt von oben, und die 
Massen folgen, mehr instinktiv als verstandesmäßig erfassend, worum es sich 
handelt. 

Nein, es wäre Wahnsinn in deinem Alter zurückzukommen. Wie und wovon 
solltest Du leben? Es hat mich aber immer sehr gefreut, als Du früher schriebst: 
»...wenn ich nur zehn Jahre jünger wäre« 

Ja, die »FG« (Die Zeitschrift war Organ der Föderation freiheitlicher Sozialisten, 
NachfolgeversuchderFAUD) hat ein hohes Niveau. Aber—man kann mit ihrkeine 
Bewegung aufbauen. Die Genossen werden es leid, alles nur für die Zeitschrift zu 
opfern, keine Versammlungen, nichts. Eine Bewegung kann man nur schaffen, 
wenn man sich an die materiellen Interessen wendet. Das hat mich auch zum 
Syndikalismus getrieben. Die Gen. im Industriegebiet wollen — wie sie sagen — 
werben. Sie halten die Zeitschrift dafür nicht geeignet. Sie haben ja früher eine 
andere Sprache gesprochen und können den Kontakt mit größeren Massen nicht 
mehr herstellen. Nach meiner Ansicht fehlen aber auch alle Voraussetzungen, um 
eine synd. Bewegung neuzugründen. Als ich Gen. HarryBartsch, der führend in der 
Opposition gegen die Zeitung ist, fragte, ob er eine FAUD neugründen wolle, 
verneinte er. Ich habe mir den Kopf zerbrochen, um Wege zu finden. Vergeblich. 

Können wir überhaupt noch lange von einer Bewegung sprechen? Wir werden 
überall weniger und weniger, sterben langsam aus. Spanien illegal. In Schw. 
versucht man es noch zu verschleiern. Nach einer Anzahl von Mitgliedsjahren 
waren sie, ich glaube, mit 60 J. beitragsfrei. Man beschloß, das Alter auf 65 zu 
erhöhen. Ja, lieber Freund, es sieht trübe aus. Zwei Sachen waren mir 
Herzensangelegenheiten: das deutsche Volk mußte wieder leben können, und 
Klarheit in den Köpfen in unseren Reihen über die Rolle des Bolschewismus. 
Beides ist Tatsache geworden. Bei aller Kritik muß man doch erkennen, daß in 
Westdeutschland ein Wunder geschehen ist. Schwanken beim Einschätzen des 
Bolschewismus gibts auch nicht mehr in unseren Reihen. Jetzt bin ich müde, 
müde ...Die Gen. sagen auch, daß sie die Schandtaten des Bolschew. genügend 
kennten, deshalb brauche sich unsere Zeitschrift nicht mehr so sehr damit 
befassen. Sie wollen die eigene Reaktion angreifen. Die tiefer denkenden Gen. 
verstehen aber auch Linow, weil er von Berlin ist, das täglich vor Augen hat. 

Ich persönlich bin nicht ganz damit einverstanden, daß die »FG« gewissermaßen 
ein Sprachrohr für antirevolutionäre Ideen geworden ist. Gewiß, auch solche 
Ansichten sollten zu Wort kommen, aber nicht dominierend! Nun kommen wir zu 
etwas (anderem). Nach meiner Meinung lassen sich eine Reihe Gen., die ich hoch 
schätze, mit denen ich persönlich befreundet bin, einige schwere Denkfehler zu 
Schulden kommen: 

Krisen und Kriege: Es stimmt schon, daß es diese schon gab als der moderne 
Kapitalismus noch gar nicht existierte, auch können Kriege ausbrechen zwischen 
staatskapitalistischen Staaten. (Jugoslawien). Das ändertabernichts an der Tatsache, 
daß der moderne Kapitalismus in immer kürzeren Intervallen zu Krisen —und, um 
diese zu vermeiden, zu Kriegen führt. Wie sah es vor Korea aus? Die Krise begann 
schon. Nachher Hochkonjunktur! Jetzt? Es reicht schon nicht mehr ... Wir 
bekommen nur einen Teil dessen, was wir schaffen, zurück. Man investiert und 
investiert.Resultat? Denke nur an Schweden. Dieses reiche Land. Hundertausende 
Wohnungssuchende, Obdachlose, bei einer zehnjährigen Hochkonjunktur. 
Investitionen und Investitionen; so geht's in der ganzen kapitalistischen Welt, bis der 
nächste Krach kommt. Keine Gesellschaft kann alles, was sie produziert, 


360 


konsumieren, darüber bin ich mir klar. Neben der Fürsorge für die noch nicht 
und nicht mehr Arbeitsfähigen müssen wir dauernd den Maschinenpark 
erhalten, verbessern und erneuern. Aber — der Sinn jeder Produktion sollte 
doch die Konsumtion sein. Das ist im Kapitalismus nicht der Fall! 

Revolution: Die Entartung einer Revolution verführt viele Genossen dazu, den 
Gedanken der Revolution überhaupt aufzugeben. Sie übersehen dabei ganz die 
Folgen einer versäumten (Deutschland) oder verlorenen Revol. (Spanien). Wenn 
ich auch die revol. Phrase wie die Pest hasse, stehe ich doch nach wie vor auf dem 
Standpunkt, daB der Kapitalismus nur durch Revol. zu stürzen ist. Entwickelt sich 
diese »Dritte Kraft« nicht, werden früher oder später die Bolschw. das Spiel 
gewinnen. Wenn es vor Hitler inersterLinieTeile derBourgeoisie waren, die bereit 
waren, mit dem Faschismus zupaktieren, trotzdem sie vielleicht garnichtbesonders 
verliebt darin waren, um ihre Privilegien zu retten, würden es diesmal die Proletarier 
sein, wenn sie von den Krisen gepeinigt werden. Gewiss, ohne revol. Begeisterung, 
nur als Ausweg akzeptierend. Allein das Freiheitliche kann sie auf die Dauernicht 
davon abhalten. Wenn wir, neben den freiheitlichen Gedanken, das Aggressive 
vergessen, verlieren wir unsere Seele, jede Werbekraft! So gehts auch, wenn wir 
den Gedanken der Gleichheit hintenan stellen. Föderalist bin ich in erster Linie aus 
egoistischen Gründen. Ich bin doch kein Idiot und setze mir neue Herrscher und 
Ausbeuter auf den Nacken. »Anstatt euch von jedem Herrn zu befreien,nehmtneue 
Herren ihr aus euren eigenen Reihen...« Ichglaube abernicht daran, daß der 
Gedanke des kommunalen Selbstbestimmungsrechts als solcher der Hebebaum 
seinkann, um das Ohr der Massen zu gewinnen. Am letzten der Jugend. Diese will 
was Großes, in die Weite. 

Organisation: wenn sie es auch nicht offen sagen, vertreten doch einige Gen. den 
Standpunkt, daß wirunsere eigene Org. auflösen sollten. Gewiß sollman wirkliches 
Sektierertum, das Isolieren bekämpfen. Weder isolieren noch verlieren ist meine 
These. Eine Org. ist natürlich kein Selbstzweck. Diese hat die Aufgabe, das 
Instrument zur Verbreitung unsererldeen zu sein, um diesen früher oder später zum 
Siege zu verhelfen. Ohne Org. können wir das nicht. So würde zum Beispiel keine 
Nr. der »FG« ohne die Föderation erschienen sein, keine Nr. von »Arbetraren« 
würde mehr erscheinen; kaum ein freiheitliches Buch. Verstehen kann und soll 
man, wenn Gen. müde werden. Aber soll man sie ermuntern, wenn sie sich 
anderen Org. zuwenden oder alles aufgeben? Manliest von bekannten Gen. 
verächtlich von »Sekten«, man lobt z.B. Leute wie Plivier, daß sie es »Kkonsequent 
ablehnen«, sich einer solchen anzuschließen. Es wären also die Gen., die unter den 
größten Opfern die Org. hochhalten gewissermaßen Idioten... Es ist natürlich viel 
dankbarer und einträglicher so einHans in allen Gassen zu sein, als Farbe zu 
bekennen. Nein, meine Verehrung für Leute, die nur »humanistische« Romane 
schreiben oder die Schrecken des Krieges schildern ist eine sehr mäßige. Die 
Schrecken des Krieges kennen die Massen zumindest in Deutschland zur Genüge! 
Wenn nun ein Ermst Friedrich ein Boot ausrüsten und damit nach D. kommen will, 
um die Schrecken des Krieges zu demonstrieren, beweist er nur, daß er 35 Jahre 
geschlafen hat, daß er Stroh im Kopfe hat. Nein, ohne eine radikale Veränderung 
der wirtschaftlichen Struktur ist auf die Dauer keine Humanität mehr möglich. 
Natürlich muß man alles vermeiden, um bei diesem Kampfe den Bolschw. in die 
Hände zu spielen. Aber—dieser Gedanke darf nicht aufgegeben und auchnicht in 
den Hintergrund geschoben werden. 

Ich will zum Schluß kommen. Noch eins: In Deutschland habe ich mich viel freier 


361 


gefühlt als hier im »Stammort der Freiheit in der Welt«. Freiheit ist für mich etwas 
Konkretes und nichts Abstraktes. Die britischen Soldaten haben mich in keinerlei 
Art in meiner politischen Freiheit aber auch nicht in meinen Lebensgewohnheiten 
gehindert. Sie bewachen keine Glas Bier. Man sah sie eigentlich nur auf 
Pissbuden, wenn sie versuchten uns Zigaretten, Kaffee usw. zu verkaufen. Die 
Gen. lind auch alle wirklichen Antinazis pfeifen auch auf die Parole: »Abzug aller 
Okkupationstruppen.« Sie haben Angst dafür. Mir sind sie auch lieber als 
deutsche Schupos, Reichswehr, von Nazis garnichtzusprechen. Die Schupos und 
Reichswehr schossen uns die Kinder von den Fenstern weg, immer Tote und 
nochmals Tote. DieTommies haben noch keinen einzigen Menschen in meiner 
Heimat ins Jenseits befördert. 

Zum Schluß noch eins: Wenn ich oben andeutete, daß ich nicht daran glaube, daß 
es möglich ist, mit parlamentarischen Mitteln zum Sozialismus zu kommen, so 
glaube ich auch nicht daran, daß wir den Kapitalismus allmählich mit 
Genossenschaften etc. überwinden können. Diese Versuche mögen moralisch und 
historisch wertvoll sein, führen aber nicht zum Ziele. Deshalb halte ich nach wie vor 
den Gedanken der sozialen Revol. hoch. Natürlich kann diese nur kommen, wenn 
der Wille dazu in den Herzen und Köpfen der Unterdrückten herangereift ist. 

Und nun die besten Grüße. Es würde mich natürlich sehr freuen, wenn Du 
mal gelegentlich antworten wolltest; ich erwarte und verlange das aber nicht, 
da Du Wichtigeres zu tun hast. 


Mit Hand und Gruss 
Fritz Benner (1) 


(1) Brief aus dem Rocker-Archiv, Korrespondenz Nr.56, IISG Amsterdam 


362 


Kurzportraits 





Anton Rosinke 


Kurzporträt: Anton Rosinke 

geb. 1881 in Westpreußen, von Beruf Schmied 

Rosinke kam als junger Mann nach Düsseldorf-Gerresheim, wo er sich schon vor 
dem 1. Weltkrieg im Anarchistischen Propagandaverein Düsseldorf und den anar- 
chistisch orientierten. Freien Sängern 04 in Gerresheim engagierte. Rosinke 
beteiligte sich aktiv am bewaffneten Aufstand gegen den Kapp-Putsch in der 
Roten Ruhr-Armee und versuchte 1933, den bewaffneten Widerstand gegen die 
Nazis in Düsseldorf zu organisieren. Im anarcho-syndikalistischen Widerstand 
spielte Rosinke eine bedeutende Rolle in Düsseldorf. Nach seiner Verhaftung 
1937 wurde er im Düsseldorfer Polizeigefängnis ermordet. 


363 





Hermann Steinacker und Frau 


Kurzporträt: Hermann Steinacker (aus: VVN Nachrichten, Nr.29, 1948) 

»Unser Kamerad Hermann Steinacker, Wuppertal, verstarb April 1944 im KZ 
Mauthausen im Alter von 73 Jahren. 

In früher Jugend schon schloß er sich der Sozialdemokratie an, sah allerdings 
seine Hauptaufgabe im Aufbau einer schlagkräftigen Gewerkschaftsbewegung. 
Vor dem 1. Weltkrieg begründete er die »Freie Vereinigung Deutscher Gewerk- 
schaften« mit. Dann stand er aktiv in der »Freien Arbeiter Union Deutschlands«. 
Nach 1933 organisierte er illegaleGruppen, bis er im Oktober 1934 zusammen 
mit dem jugendlichen Kämpfer Hans Saure verhaftet und zu zwei Jahren Zucht- 
haus verurteilt wurde, die er in Lüttringhausen verbüßte. Wieder beteiligte er 
sich am illegalen Kampf. Anfang 1937: Erneute Verhaftung. Nach schwerer 
Mißhandlung im Düsseldorfer Polizeigefängnis erfolgte im Februar 1938 die 
Verurteilung zu 10 Jahren Zuchthaus. Fest und unbeirrbar glaubte unser 
Kamerad immer an den Zusammenbruch des Naziregimes. Ruhig, ja humorvoll 
ertrug er seine Haft im Zuchthaus zu Münster. Doch die Freiheit war ihm nicht 
vergönnt. Im »Invaliden-Lager Mauthausen« fand er den Tod. Wir werden sein 
Andenken ehren, indem wir seinen Kampf für Freiheit und Frieden fortsetzen 
und dafür sorgen, daß niemals wieder ein Terror-Regime in Deutschland 
aufgerichtet werden kann. 


364 





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Hans Schmitz 





Kurzporträt: Hans Schmitz 
geb. 1891 in Polch/Eifel, von Beruf Arbeiter 


Schmitz kam als junger Mann nach Wuppertal und arbeitete zunächst als städti- 
scher Arbeiter; danach bei der Firma Jäger in Elberfeld-Sonnborn. Schmitz war 
einer der führenden Agitatoren der radikalen Belegschaft der Firma Jäger und das 
bekannteste FAUD-Mitglied in Wuppertal. Wegen seiner führenden Beteiligung 
an den Erwerbslosenunruhen 1923 in Elberfeld mußte er, um einer drohenden 
Verhaftung zu entgehen, ins französisch besetzte Gebiet nach Süchteln aus- 
weichen. Nach der Hindenburg-Amnestie 1925 kam er wieder nach Wuppertal 
zurück. Da er als radikaler Arbeiterführer bekannt war, fand er nur noch Aus- 
hilfsbeschäftigungen als Bauarbeiter. Schmitz war in mehreren Funktionen in der 
FAUD Rheinland und in Wuppertal tätig, er galtals unermüdlicher Kämpfer. 
Ende 1930 wurde er in Leuscheid/Westerwald nach einer Rede schwer von den 
Nazis mißhandelt. Als Folge der Mißhandlungen erlitt er einen Schlaganfall und 
starb kurze Zeit später im Februar 1931. 


Quellen und Literaturverzeichnis 


A. Mündliche Auskünfte und Hinweise 


August Benner 


Paula Benner 


Gustav Kriischedt 
Hedwig Krüschedt 
Rose Bergmann 


Erich Hellen 
Karl Drewes 
Hans Schmitz 


Antonie Binder 
Josefine Müller 
Karl Wüsthoff 
Rudolf Treiber 


Theo de Haan 
Curt Möller 


Helmut Kirschey 
Alfred Schulte 


Waltans 


B. Archivalien 
Bundesarchiv Koblenz 


Reichssicherheitshauptamt BA 58/318, 321, 754, 804 
Reichskommissar für die Überwachung der öffentlichen Ordnung und 


(Wuppertal) 
(Wuppertal) 
(Wuppertal) 
(Wuppertal) 
(Wuppertal) 
(Wuppertal) 
(Velbert) 
(Düsseldorf) 
(Düsseldorf) 
(Düsseldorf) 
(Düsseldorf) 
(Düsseldorf) 
(Krefeld) 
(Aachen) 
(Göteborg) 


(Lüdenscheid) 


(Leuscheid) 


365 


Nachrichtenstelle des Reichsministers des Innern: R 134/ Bd.4, 5, 8, 9, 10, 


11, 13, 14, 15,21 


Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (HSTAD) 


Bestand: RW 58/Akten der Geheimen Staatspolizei/Staatspolizeileitstelle 


Düsseldorf: 


366 


Nr. 31199, Nr. 62534, Nr. 62533, Nr. 59179, Nr. 43917, Nr. 38751. Nr. 15922, 
Nr. 28784, Nr. 10205, Nr. 31198, Nr. 45845, Nr. 49496, Nr. 53103, Nr. 28487, 
Nr. 57521, Nt.51525, Nr. 51443, Nr. 48321, Nr. 67805, Nr. 66937, Nr.65254, 
Nr. 59347, Nr. 30261, Nr. 33187, Nr. 35417, Nr. 36192, Nr. 42971, Nr. 2933, 
Nr. 2934, Nr. 9514, Nr.10227, Nr. 10821, Nr. 24659, Nr. 16305, Nr. 552235, 
Nr. 63894, Nr. 43302, Nr. 29121,Nr. 12594. 


Bestand: Regierung Düsseldorf, Polizeiliche Akten: 


Nr. 16011, 15972, 16870, 17101, 15369, 15371, 15346, 15976, 17092, 15963, 
17093,16841, 16844, 15376, 15377, 15379, 15409, 15407, 15697, 15539, 
15540, 15361, 15803, 15997, 15626, 15630, 16993, 15809, 15821, 15810, 
15849,15671,17082, 15839, 16889, 15938, 15988, 16896, 42784, 47326. 


Bestand: Landgericht und Staatsanwaltschaft Elberfeld: 
Nr. 5/841,5/641 
Internationales Institut für Sozialgeschichte Amsterdam (IISG) 


Nachlaß Max Nettlau: Korrespondenzen 

Nachlaß Rudolf Rocker: Memoiren, 3 Bände masch. Manuskript 
2.Band: In Sturm und Drang, 831 S. 

3. Band: Revolution und Rückfall in die Barbarei, 716 S. 
Korrespondenzen Rocker 

Korrespondenzen Fritz Benner 

Nachlaß Pierre Ramus: Korrespondenzen 


Stadtarchiv Wuppertal 


S.XI, Nr.27 Polizeiverwaltung Elberfeld "Unruhen, Aufruhr, 
Landesfrie-densbruch" 


Staatsarchiv Münster 


Büro Kölpin: Nr.309, 104, 139, 310 
Generalstaatsanwaltschaft Hamm: Nr.5006, 6.0. Js. 412-35 


367 
C. Protokolle 


Protokoll über die Verhandlungen der Konferenz der Freien Vereinigung 
der Fliesenleger Deutschlands 1906 in Elberfeld, Berlin 1906 

Protokoll über die Verhandlungen des 8., 9., 10. und 11. Kongresses der 
Feien Vereinigung deutscher Gewerkschaften, Berlin 1908,..., 1914 

Protokoll über die Verhandlungen des 15. Kongresses der FAUD vom 
10.13.4.1925 in Dresden, Berlin 1925 

Protokoll über die Verhandlungen des 16. Kongresses der FAUD vom 
25.28.5.1927 inMannheim, Berlin 1927 

Protokoll über die Verhandlungen des 18. Kongresses der FAUD vom 
29.5.1.6.1930 in Berlin, Berlin 1930 


D. Jahr- und Handbücher und Statistiken 


Der Deutsche Metallarbeiter-Verband im Jahre 1920, 1921, ...1931. Jahr- und 
Handbuch für Verbandsmitglieder, Stuttgart 1921, 1922, ... 1932. 
Korrespondenzblatt des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, Jg.1921 
Jahrbuch des Deutschen Textilarbeiter-Verbandes 1920, 1921,..., 1925, 1926, 
1927, 1928, 1929, 1930, Berlin 1921, ....1931 
Jahrbuch des Deutschen Bauarbeiter-Verbandes 1920, 1921, 1922, 
Hamburg 1921,1922, 1923 
Jahrbuch der Stadt Elberfeld, XVI. bis XXIV. Jahrgang, umfassend die 
Jahre 1918 bis 1926, (Hrsg.) Städtisches Statistisches Amt 


E. Quellensammlungen 


Archivalische Forschungen zur Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung, 
Bd. MI-IV 

Stern, Leo (Hrsg.), Die Auswirkungen der Großen Sozialistischen 
Oktoberrevolution auf Deutschland, Berlin (Ost) 1959 


F. Periodika 


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Der Arbeitslose, Organ der FAUD (AS), Jg. 1-3 (1930-1932) 

Besinnung und Aufbruch, Monatsschrift freiheitlicher Bücherfreunde, Berlin 
1.-5. Jg. (1929-1933), Fundort: IISG Amsterdam 


368 


Die Internationale, Zeitschrift für die revolutionäre Arbeiterbewegung, 
Gesellschaftskritik und sozialistischen Neuaufbau, hrsg. von der FAUD 
(AS), angeschlossen an die Internationale Arbeiter-Association, Berlin, 
1.-5. Jg. (1927-1933), Fundort: IISG Amsterdam, Institut zur Geschichte 
der Arbeiterbewegung, Bochum 

Junge Anarchisten, Organ der syndikalistisch-anarchistischen Jugend Deut- 
schlands, Leipzig, Offenbach, Bautzen, 1.-8. Jg. (1923/24-1931) 
Fundort: IISG Amsterdam 

Die junge Menschheit, Blätter der syndikalistischen Jugend, Hrsg. von der 
synd. Jugendkommission, Berlin 1. Jg. (1920), Fundort: ISG Amsterdam 

Die Schöpfung, Sozialrevolutionäres Organ für das sozialistische Neuland, erste 
syndikalistische Tageszeitung für Rheinland-Westfalen, Düsseldorf 1.-3. Jg. 
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das sozialistische Neuland, Publikationsorgan der FAUD (S) Rheinland- 
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Der Syndikalist, Organ der FAUD (AS), Berlin 1: 14.Jg. (1919-1932). Fundort: 
IISG Amsterdam, Inst. zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Bochum. 

Der syndikalistische Bauarbeiter, Organ der Föderation der Bauarbeiter 
Deutschlands,Mitglied der FAUD (AS), Berlin 1.-7. Jg. (1925-1931) 


b) Sonstige Periodika 


Freie Presse Elberfeld, Organ des werktätigen Volkes von Rheinland- 
Westfalen, Elberfeld 35.-40. Jg., (1919-1924) (SPD) 

Volkstribüne, Organ des werktätigen Volkes von Elberfeld-Barmen, 
Elberfeld, 2.-5. Jg. (1919-1922) (USPD) 

Freiheit, Organ der Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands, 
Sektion der 3. Internationale, Düsseldorf, 4.-6.Jg. (1921-1923) 


G. Quellenwerke 


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Anarchistische Presse 
in Deutschland 1945-1.985 
von Holger Jenrich 


273 S. mit Zeitschriftenfaksimiles, Photos, Personenverzeichnis 
und einer Bibliografie. Reihe Libertäre Wissenschaft Band 6, 
Grafenau 1988, 34.-DM; ISBN: 3-922209-75-0 


Anarchistische Presse - dieser Teilaspekt der Geschichte der 
linksradikalen Presse in der BRD ist in der Publizistik bisher 
unberücksichtigt geblieben. Nachdem anarchistische Blätter in der 
Weimarer Zeit zum Teil Massenauflagen erreicht und der 
Zeitungswissenschaft zumindest gelegentlich als Thema gedient 
hatten, wurde ihre Entwicklung nach der Befreiung Deutschlands 
vom Faschismus nur ungenügend weiterverfolgt. Dabei erhob der 
deutsche Anarchismus in Form von Otto Reimers' Mahnruf schon 
im Mai 1945 wieder seine publizistische Stimme. Bis in die Mitte 
der 80er Jahre wurden hierzulande etwa 350 anarchistische oder 
vom Anarchismus beeinflußte Publikationen veröffentlicht - erste 
Rezensionen zeigten, daß es weitere - lokal verbreitete - Blätter 
gegeben hat. 

Die vorliegende Arbeit zeichnet den Weg der anarchistischen 
Presse durch die bundesdeutsche Geschichte nach, zeigt Höhen und 
Tiefen, Stärken und Schwächen ihrer Entwicklung. 


Rezensionen bislang u.a. in: Contraste, Graswurzelrevolution, 
Taz, az, Wuppertaler Stadtzeitung, Stuttgarter extrablatt, De 
Schnüss, ak, Kölner Stadtrevue, Osnabrücker Stadtzeitung 


Trotzdem *Verlag, PF 1159, 7043 Grafenau-Döffingen 





Peter Kropotkin 


Gegenseitige Hilfe 
in der Tier- und Menschenwelt 


In der Gegenseitigen Hilfe stellt Kropotkin die Solidarität 
gleichberechtigt neben den Kampf als Entwicklungsmoment der 
Natur und des Menschen und schafft so die Voraussetzung für 
eine anarchistische Ethik. 

Kropotkin begriff seine 1902 erstmals erschienene Schrift, als 
Ausgangspunkt für einen Wertewandel, der das hierarchische 
Denken ablösen und das menschliche Wissen ohne die "Hy- 
pothese der Autorität" - nach neuen, gesellschaftlichen Kriterien 
gestalten würde. 

In seinem wohl zentralsten Werk entwickelt Kropotkin seine theo- 
retischen Aussagen an Beispielen der Tierwelt und der urmensch- 
lichen Horde. Er untersucht das Entstehen von Herrschaft über die 
männlichen Priester- und Kriegerkasten und verdeutlicht, daß der 
Herrschaftsanspruch Widerstand hervorrief. Als Prinzip der Unter- 
drückten entwickelte sich die gegenseitige Hilfe, die in Dorfge- 
meinschaften, in den Gilden und im sozialen Leben der mittelalter- 
lichen Städte das gesellschaftliche Leben stark beeinflußte und die 
seit der Industrialisierung zur wesentlichsten Grundlage der Be- 
wegung für einen herrschaftslosenSozialismus wurde. 


ISBN: 3-922209-32-7 28.- DM 
ISBN: 3-900434 200.- öSh. 


Monte Verita Verlag, Löwengasse 31, A- 1030 Wien 
Trotzdem* Verlag, PF 1159, D-7043 Grafenau-1 





Aufstand der Räte - 


Die erste bayerische Räterepublik vom 
7.April 1919 


von Michael Seligmann 
711S.+ 120 S. Photos, Dokumente, Faksimiles und Karten. 2 
Bde.,Reihe Libertäre Wissenschaft Band 8, Grafenau 1989, 48.- 
DM; ISBN: 3-922209-77-7 


"Bayern ist Räterepublik" ertönte es am 7. April 1919 überal 
in Bayern. In den großen Städten und kleinen Ortschaften Bayerns 
von Lindau, Rosenheim und München im Süden, Passau, Platting 

nd Landshut im Osten bis Würzburg, Aschaffenburg und Hof i 
Norden übernahmen Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte die Macht. 
Zu denen, die sie proklamierten, gehörten Männer und einige 
enige Frauen aus MSPD, USPD, KPD und Anarchisten; zu ihren 
Gegnerinnen auf der Seite der Linken zählten Funktionäre und 
Mitglieder von MSPD und KPD. Das Bürgertum und seine Parteien) 
aber organisierte sich mit Unterstützung rechter Sozialdemokraten, 
um dem selbsterschaffenen Schreckensbild einer jüdisch-bolsche- 
istischen Ausrottungsaktion mit dem Terror von Reichswehr und) 
Freikorps zu begegnen. 


Bislang überging die bürgerliche wie die sozialdemokratische 
Geschichtsschreibung das Kapitel erste bayerische Räterepublik mit 
einigen wenigen, herablassenden Sätzen; die kommunistische Ge- 
schichtsschreibung aber sah in ihr nur eine "Scheinräterepublik", die 

rodukt einiger Münchner Literaten und eines sozialdemokratische 
Komplotts gewesen sei. Nun liegt zum ersten Mal eine umfassende 
ürdigung dieses Kapitels deutscher Revolutionsgeschichte vor. 


Trotzdem* Verlag, PF 1159, 7043 Grafenau-Döffingen 





Peter Kropotkin 


Die Eroberung des Brotes 


Die Anarchistinnen müssen sich fragen lassen, wie ihre Wunsch-* 
gesellschaft aussehen könnte, wie sie spezielle Probleme sinnvoller 
lösen würden etc. Natürlich kann kein theoretischer Entwurf alle 
Fragen einer zukünftigen Praxis erfassen oder gar beantworten. 
Auch kann ein solcherEntwurf niemals verbindlich sein für 
diejenigen, die damit beginnen anarchistische Ideen in die Praxis 
umzusetzen. Dennoch müssen Vorstellungen vorhanden sein, müs- 
sen theoretische Entwürfe vorgestellt werden können, müssen die 
Ideen über konkrete Problemstellungen erläuterbar sein. In diesem 
Sinne ist Kropotkins Vorstellung einer libertären Gesellschaft eine 
interessante Diskussionsgrundlage, - auch für diejenigen Aspekte, 
denen wir heute aus guten Gründen nicht mehr zuzustimmen 
vermögen. In "Die Eroberung des Brotes" versucht Kropotkin die 
Voraussetzungen für eine anarchokommunistische Gesellschafts- 
form an einigen existentiellen Problemstellungen (Lebensmittel, 
Wohnen, Kleidung, Arbeit etc.) zu klären. Er versucht bessere 
Lösungen für eine egalitäre Gesellschaft zu entwickeln, die das 
Wohlergehen der Gemeinschaft und des Individuums gleicher- 
maßen im Auge behalten. Dabei bezieht er sich vorsichtig auf alle 
Menschen, d.h. er macht keinen Unterschied zwischen den Gesch- 
lechtern oder Rassen. Er versucht den notwendigen Prozeß einer 
gesellschaftlichen Umwandlung zu verdeutlichen und geht immer 
wieder auf die Situation im Kapitalismus ein, die unser Leben und 

Denken nach wie vor prägt. 200 S., 17.-DM. 


Trotzdem * Verlag 
PF 1159 
7043 Grafenau-l